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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6P.127/2005 
6S.402/2005 /Rom 
 
Urteil vom 3. Februar 2006 
Kassationshof 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Wiprächtiger, Zünd, 
Gerichtsschreiber Borner. 
 
Parteien 
E.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Frank Goecke, 
 
gegen 
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Postfach, 8090 Zürich, 
Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, Postfach, 8023 Zürich. 
 
Gegenstand 
6P.127/2005 
Art. 32 Abs. 1 BV, Art. 6 Abs. 2 EMRK (Strafverfahren; willkürliche Beweiswürdigung) 
 
6S.402/2005 
Gefährdung des Lebens etc., 
 
Staatsrechtliche Beschwerde (6P.127/2005) und Nichtigkeitsbeschwerde (6S.402/2005) gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 14. September 2005. 
 
Sachverhalt: 
A. 
E.________ leidet unter einer chronischen paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie mit ausgeprägtem Beziehungs- und Verfolgungswahn. Seit Anfang 2003 hat er seine Mutter sowie seine Brüder, insbesondere D.________, tätlich angegriffen, terrorisiert (per Telefon bzw. mittels Sachbeschädigungen) und teilweise auch Morddrohungen ausgestossen. 
 
Am 31. März 2004 erschien E.________ am Wohnsitz seines Bruders D.________ und verschaffte sich unverzüglich und ungebeten Einlass. In der Folge griff er ihn insgesamt sechsmal an, wobei er ihn mindestens zweimal würgte. Das eine Mal hielt er seinen linken Arm um den Hals seines Bruders, der am Boden lag, drückte zu (so genannter Schwitzkasten) und mit seinem ganzen Körpergewicht auf den Kopf des Opfers. Das andere Mal fixierte er ihn am Boden, indem er sein rechtes Bein auf dessen Brust drückte, und würgte ihn mit beiden Händen am Hals. 
B. 
Das Bezirksgericht Bülach urteilte am 17. Mai 2005, E.________ habe die Tatbestände der Gefährdung des Lebens, der mehrfachen Sachbeschädigung, des Hausfriedensbruchs und der mehrfachen Drohung erfüllt. Es erachtete ihn als unzurechnungsfähig und auferlegte ihm deshalb auch keine Strafe, ordnete jedoch gestützt auf Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 StGB die Verwahrung an. 
 
Das Obergericht des Kantons Zürich wies am 14. September 2005 einen Rekurs des Betroffenen ab, soweit es darauf eintrat. 
C. 
E.________ führt staatsrechtliche Beschwerde und Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
Das Obergericht hat auf eine Stellungnahme verzichtet. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
I. Staatsrechtliche Beschwerde 
1. 
Das Obergericht nahm gestützt auf das rechtsmedizinische Gutachten an, dass sich das Opfer während der Strangulation (im Schwitzkasten) in unmittelbarer Lebensgefahr befunden habe. Diesbezüglich sei das Gutachten klar. Würgegriffe gegen den Hals würden unabhängig von der Stärke des Angriffs als potentiell gefährlich angesehen. Auf die Ausführungen, weshalb keine starke Strangulation eingetreten sei, sei nicht weiter einzutreten. Aufgrund des Gutachtens sei die nahe Möglichkeit des Todes zu bejahen (angefochtener Entscheid S. 8 f. lit. b). 
 
Der Beschwerdeführer bezeichnet die Argumentation des Obergerichts als willkürlich. Dabei wiederholt er lediglich seine Ausführungen in der Rekursschrift, es gebe keine genügenden Anhaltspunkte dafür, er habe seinen Bruder stark stranguliert. Mit der obergerichtlichen Begründung, dass Würgegriffe gegen den Hals unabhängig von der Stärke des Angriffs potentiell gefährlich seien, setzt er sich jedoch nicht auseinander. Dies wäre aber notwendig gewesen, um Willkür darzutun. Auf die appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil ist nicht einzutreten (BGE 130 I 258 E. 1.3). 
 
Im Übrigen unterschlägt der Beschwerdeführer im Skriptum Rechtsmedizin, worauf er sich beruft, folgenden Hinweis: "Für eine wirksame Strangulation bedarf es keiner längeren strangulierenden Einwirkung und schon gar nicht einer grösseren Kraftanwendung. Bereits bei relativ kurzfristiger resp. geringer Druck- und/oder Zugwirkung kann Bewusstlosigkeit (Handlungsunfähigkeit) auftreten, und es kann ev. sogar der Todeseintritt erfolgen. Selbst eine kleine, schmächtige Person kann ohne weiteres eine grosse und muskelstarke Person durch Strangulation (z.B. Drosseln) leicht und leise 'ausser Betrieb setzen'" (Sigrist/Germann, Skriptum Rechtsmedizin, Teil 1, S. 34 in: www.irmsg.ch/downloads/skript_remed_teil1.pdf). 
2. 
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Der Gutachter habe am 10. Mai 2004 ein Gutachten über die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers erstellt. Als er am 21. Dezember 2004 das Hauptgutachten erarbeitet habe, sei er folglich mit dem Fall bereits vorbefasst gewesen. Zudem sei der Beschwerdeführer in derselben Klinik sowohl behandelt als auch begutachtet worden, und er habe in der Vergangenheit erfolgreich gegen eine fürsorgerische Freiheitsentziehung und die Unterbringung in der Klinik rekurriert. Damit erscheine der Gutachter als befangen, weshalb das Gutachten nicht verwertbar sei. 
 
Diese Rüge der Befangenheit erhebt der Beschwerdeführer erstmals vor Bundesgericht. Grundsätzlich können mit staatsrechtlicher Beschwerde keine rechtlichen Argumente vorgebracht werden, welche nicht bereits im kantonalen Verfahren geltend gemacht wurden. Da auch nicht erst die obergerichtliche Begründung Anlass zur Rüge gab oder die Rechtsfrage von Amtes wegen hätte beurteilt werden müssen, ist auf die Vorbringen des Beschwerdeführers nicht einzutreten (BGE 129 I 49 E. 3). 
3. 
Der Beschwerdeführer rügt, ein Gutachten müsse widerspruchsfrei sein und dürfe keine willkürlichen Schlüsse ziehen. Wenn das Gericht gleichwohl auf ein solches Gutachten abstelle, sei der Entscheid wegen willkürlicher Beweiswürdigung zu kassieren. In der Folge wiedergibt der Beschwerdeführer zum grossen Teil wörtlich seine Ausführungen in der Rekursschrift (Akten des Obergerichts, act. 1, S. 9 f. Ziff. 19-22). 
 
Eine derartige Argumentation ist zum vornherein nicht geeignet, Willkür darzutun. Das Obergericht hat sich eingehend mit den Einwänden des Beschwerdeführers gegenüber dem Gutachten auseinandergesetzt und begründet im Einzelnen, weshalb das Gutachten zu allen wesentlichen Fragen klare Antworten gibt (angefochtener Entscheid S. 13-23). Inwiefern diese Schlussfolgerungen willkürlich sein sollten, zeigt der Beschwerdeführer nicht auf. Auf seine Rügen ist demnach nicht einzutreten (BGE 130 I 258 E. 1.3). 
 
Schliesslich macht der Beschwerdeführer geltend, das Gutachten sei nicht verwertbar, weil es sich auf Unterlagen (Krankengeschichte und Drittauskünfte) stütze, die sich nicht in den Akten befänden. In diesem Zusammenhang hätte der Beschwerdeführer allenfalls rügen können, sein rechtliches Gehör sei verletzt worden. Eine solche Rüge erhebt er nicht. Zudem hätte er insoweit den Instanzenzug nicht ausgeschöpft (BGE 129 I 49 E. 3). 
4. 
Nach dem Gesagten ist auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht einzutreten. 
II. Nichtigkeitsbeschwerde 
5. 
Die Vorinstanz erwägt gestützt auf das rechtsmedizinische Gutachten, dass sich der Bruder des Beschwerdeführers während der Strangulation (im Schwitzkasten) in unmittelbarer Lebensgefahr befunden habe. Die nahe Möglichkeit des Todeseintritts sei insbesondere in Anbetracht der Schulter-/Nackenschmerzen sowie der Hautunterblutungen des Opfers am Hals zu bejahen. Zudem sei das Motiv des Beschwerdeführers, der aufgrund seiner Persönlichkeitsstörung in seinem Bruder den ärgsten Feind erblickte und in seinem Wahn um ein freies Leben kämpfte, ein Indiz für die Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung. 
 
Der Beschwerdeführer bestreitet, seinen Bruder in unmittelbare Lebensgefahr gebracht zu haben. Dieser habe - abgesehen von den Marken am Hals - keinerlei Anzeichen einer starken Strangulation aufgewiesen. Damit kritisiert der Beschwerdeführer die vorinstanzliche Beweiswürdigung, was im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde unzulässig ist (Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP). Dasselbe gilt für seinen Einwand, bei der Auseinandersetzung habe es sich um eine "sportliche" wie unter Jugendlichen auf dem Pausenplatz gehandelt. Dass und inwiefern die Vorinstanz die Tatbestandsmerkmale der Lebensgefahr und der Unmittelbarkeit bundesrechtswidrig angewandt haben sollte, legt der Beschwerdeführer nicht dar und ist auch nicht ersichtlich. 
6. 
Der Beschwerdeführer rügt, er habe nicht vorsätzlich gehandelt. Er habe lediglich durch eine Rauferei, die er offensichtlich und zu Recht als nicht potentiell lebensgefährlich eingeschätzt habe, seinen Bruder ängstigen wollen. 
 
Mit dieser Darstellung versucht der Beschwerdeführer, das Vorgefallene zu verharmlosen, und widerspricht damit dem verbindlich festgestellten Sachverhalt (Art. 277bis Abs. 1 BStP). Die Vorinstanz hält nämlich fest, er habe gehandelt, obwohl ihm bewusst gewesen sei, er werde durch sein Verhalten eine unmittelbare Lebensgefahr herbeiführen. Damit hat sie den Gefährdungsvorsatz des Beschwerdeführers zu Recht bejaht. 
7. 
Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe nicht skrupellos gehandelt. Beim Angriff auf seinen Bruder sei es aus seiner Sicht um eine absolut berechtigte Reaktion auf dessen Mobbing-Intrigen gegangen. Gewissermassen aus Notwehr sei die Rauferei bzw. einfache Körperverletzung ohne weiteres gerechtfertigt gewesen. 
 
Indem der Beschwerdeführer von Rauferei bzw. einfacher Körperverletzung spricht, versucht er wiederum, seine Tathandlungen zu verharmlosen. Zudem ist nicht entscheidend, ob er aus seiner persönlichen Sicht der Dinge glaubte, seinen Bruder derart angreifen zu dürfen. Bei der Beurteilung, ob ein Verhalten skrupellos ist, sind vielmehr die allgemein anerkannten Grundsätze von Sitte und Moral massgebend. Der Beschwerdeführer wollte, dass sich sein Bruder künftig nicht mehr in seine Lebensumstände einmische. Wie die Vorinstanz festhält, ist dieses Motiv sittlich nicht zu missbilligen. Ebenfalls zutreffend bezeichnet sie aber das Tatmittel des Würgens (mit möglicher Todesfolge) als derart krass sittenwidrig, dass das Verhalten des Beschwerdeführers in der konkreten Situation und auch angesichts seines Motivs als hemmungs- und rücksichtslos erscheint. Damit hat die Vorinstanz das Element der Skrupellosigkeit zu Recht bejaht. 
8. 
Im Zusammenhang mit der angeordneten Verwahrung bestreitet der Beschwerdeführer, er gefährde die öffentliche Sicherheit in schwerwiegender Weise. 
 
Diese Annahme hat die Vorinstanz zu Recht getroffen. Denn alle Gutachter, selbst der vom Beschwerdeführer beigezogene, gehen von einer besonderen Gefährlichkeit aus. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, hat die Vorinstanz bereits zutreffend entkräftet. Insoweit kann auf die vorinstanzlichen Ausführugen (angefochtener Entscheid S. 14-23) verwiesen werden (Art. 36 Abs. 3 OG). 
 
Dasselbe gilt, soweit der Beschwerdeführer das Gutachten kritisiert. Die Vorinstanz hat zutreffend dargelegt, dass sich das Gutachten zu allen für den Entscheid wesentlichen Fragen klar äussert. Folglich erübrigte sich auch ein Zusatzgutachten. 
9. 
Zusammenfassend ist die Nichtigkeitsbeschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
III. Kosten 
10. 
Bei diesem Ausgang der beiden Verfahren hat der Beschwerdeführer grundsätzlich die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG und Art. 278 Abs. 1 BStP). Er stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Da seine Begehren von vornherein aussichtslos erschienen, ist das Gesuch abzuweisen (Art. 152 OG). 
Bei der Bemessung der Gerichtsgebühr ist jedoch seinen finanziellen Verhältnissen Rechnung zu tragen. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten. 
2. 
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
3. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'300.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt. 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 3. Februar 2006 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: