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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
4A_240/2023  
 
 
Urteil vom 23. November 2023  
 
I. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Kiss, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Rüedi, 
Bundesrichterin May Canellas, 
Gerichtsschreiber Leemann. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________ Federation, 
vertreten durch Rechtsanwalt Alexander Cica, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
World Aquatics 
(zuvor Fédération Internationale de Natation), 
vertreten durch Rechtsanwälte Michele Bernasconi, Emanuel Cortada und Basil Kupferschmid, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, 
 
Beschwerde gegen den Schiedsentscheid des 
Tribunal Arbitral du Sport (TAS) vom 31. März 2023 (CAS 2022/A/8638). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die A.________ Federation (Beschwerdeführerin) ist der nationale Schwimmverband von U.________. Sie ist Mitglied des internationalen Schwimmverbands World Aquatics (vormals Fédération Internationale de Natation [FINA]) (Beschwerdegegnerin). 
Gemäss des Rechts von U.________ unterstehen die nationalen Sportverbände der Aufsicht der B.________ Commission. Die nationalen Sportverbände benötigen die Genehmigung durch die B.________ Commission u.a. ihrer Organisationsreglemente einschliesslich der Zusammensetzung des Vorstands. 
Nachdem es zu Klagen wegen Organisationsmängeln gekommen und das monatelange Verfahren zwecks Herstellung des rechtskonformen Zustands erfolglos geblieben war, verfügte das FINA-Büro gestützt auf die Bestimmung C.10.6 der FINA-Rules am 14. Januar 2022 (mitgeteilt am 17. Januar 2022) die Einsetzung eines Stabilisierungskomitees bei der Beschwerdeführerin. 
 
B.  
Am 4. Februar 2022 gelangte die Beschwerdeführerin an das Tribunal Arbitral du Sport (TAS) und beantragte die Aufhebung des Entscheids des FINA-Büros. Am 2. März 2022 wies der Präsident des TAS das Gesuch um aufschiebende Wirkung ab. Mit Entscheid vom 31. März 2023 wies das TAS (Einzelrichter) die Berufung ab und bestätigte den Entscheid des FINA-Büros vom 17. Januar 2022. 
 
C.  
Die Beschwerdeführerin beantragt dem Bundesgericht mit Beschwerde in Zivilsachen vom 15. Mai 2023, der Schiedsentscheid des TAS vom 31. März 2023 sei aufzuheben. Der Entscheid des FINA-Büros (jetzt World Aquatics Büro) vom 17. Januar 2022 betreffend Einsetzung eines Stabilisierungskomitees sei aufzuheben. Sie rügt eine Verletzung des materiellen Ordre public wegen Verstosses gegen das vereinsrechtliche Legalitätsprinzip und die Vereinsautonomie. 
Die Beschwerdegegnerin beantragt, auf die Beschwerde nicht einzutreten bzw. diese als erledigt abzuschreiben. Eventualiter sei sie abzuweisen und der angefochtene Schiedsentscheid zu bestätigen. Das TAS verzichtete auf Vernehmlassung. Die Beschwerdeführerin replizierte. 
Mit Präsidialverfügung vom 13. Juli 2023 verpflichtete das Bundesgericht die Beschwerdeführerin - wie von der Beschwerdegegnerin beantragt - zur Sicherstellung einer allfälligen Parteientschädigung im Umfang von Fr. 8'000.--. Diese wurde fristgemäss an die Bundesgerichtskasse geleistet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Nach Art. 54 Abs. 1 BGG ergeht der Entscheid des Bundesgerichts in einer Amtssprache, in der Regel in jener des angefochtenen Entscheids. Wurde dieser in einer anderen Sprache abgefasst, bedient sich das Bundesgericht der von den Parteien verwendeten Amtssprache (BGE 142 III 521 E. 1). Der angefochtene Entscheid ist in englischer Sprache abgefasst, ebenso die Beschwerde. Da es sich dabei nicht um eine Amtssprache handelt, ergeht der Entscheid des Bundesgerichts aus Gründen des Belastungsausgleichs der Sprachsektionen und mit Blick auf die in Deutsch abgefasste Antwort auf Deutsch. 
 
2.  
Der Sitz des Schiedsgerichts befindet sich in Lausanne. Eine der Parteien hatte im massgebenden Zeitpunkt ihren Sitz ausserhalb der Schweiz. Da sie die Geltung des 12. Kapitels des IPRG nicht ausgeschlossen haben, gelangen dessen Bestimmungen zur Anwendung (Art. 176 Abs. 1 und 2 IPRG). Die Beschwerde in Zivilsachen ist somit unter den Voraussetzungen der Art. 190-192 IPRG (SR 291) zulässig (Art. 77 Abs. 1 lit. a BGG). 
 
3.  
Der Schiedsentscheid kann nur aus einem der in Art. 190 Abs. 2 IPRG abschliessend aufgezählten Gründe angefochten werden. Nach Art. 77 Abs. 3 BGG prüft das Bundesgericht nur die Rügen, die in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden sind; dies entspricht der in Art. 106 Abs. 2 BGG für die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht vorgesehenen Rügepflicht (BGE 134 III 186 E. 5 mit Hinweis). Appellatorische Kritik ist unzulässsig (BGE 134 III 565 E. 3.1). 
 
4.  
 
4.1. Auf eine Beschwerde kann nur eingetreten werden, wenn der Beschwerdeführer ein schutzwürdiges, mithin ein aktuelles und praktisches Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat (Art. 76 Abs. 1 lit. b BGG; BGE 143 III 578 E. 3.2.2.2; 137 II 40 E. 2.3; 133 III 421 E. 1.1). Fehlt das Rechtsschutzinteresse bereits bei der Einreichung der Beschwerde, ist darauf nicht einzutreten. Fällt es nachträglich weg, ist das Beschwerdeverfahren gemäss Art. 72 BZP (SR 273) in Verbindung mit Art. 71 BGG als erledigt abzuschreiben (BGE 136 III 497 E. 2.1; Urteil 4A_56/2018 vom 30. Januar 2019 E. 4.1).  
Das Bundesgericht prüft grundsätzlich von Amtes wegen, ob auf eine Beschwerde eingetreten werden kann (Art. 29 Abs. 1 BGG). Immerhin ist die Beschwerde hinreichend zu begründen (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), wobei die beschwerdeführende Partei auch darzulegen hat, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Beschwerderechts nach Art. 76 Abs. 1 BGG gegeben sind. Soweit diese nicht ohne weiteres ersichtlich sind, ist es nicht Aufgabe des Bundesgerichts, anhand der Akten oder weiterer, noch beizuziehender Unterlagen nachzuforschen, ob und inwiefern die Beschwerde zulässig ist (BGE 138 III 537 E. 1.2; Urteile 4A_284/2021 vom 4. August 2021 E. 2.1; 4A_226/2021 vom 12. Juli 2021 E. 2.1; 4A_560/2018 vom 16. November 2018 E. 2.1). 
 
4.2. Die Beschwerdegegnerin ist der Meinung, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten bzw. diese sei als erledigt abzuschreiben, da es der Beschwerdeführerin am aktuellen Rechtsschutzinteresse fehle. Sie sei von der B.________ Commission am 1. August 2023 aufgrund der mangelnden Zugehörigkeit zu World Aquatics aus dem Sportregister entfernt worden. Als Folge dieser Löschung aus dem Sportregister habe die Beschwerdeführerin die Kompetenz verloren, den professionellen Schwimmsport zu regeln, nationale Meisterschaften zu veranstalten, und auch die Athleten des Verbands erhielten keine Fördergelder mehr. Damit könne die Beschwerdeführerin ihren Zweck nach Art. 9 ihrer Statuten nicht mehr erfüllen. Sie scheine zwar als reine Mantelgesellschaft noch weiter zu existieren, wenngleich sowohl nach schweizerischem als auch nach dem Recht von U.________ ein Verein, der seinen Zweck nicht mehr erreichen könne, ipso iure aufgelöst werde. Die Beschwerdeführerin stelle mithin nichts anderes als eine leere Hülle dar, womit von Grund auf ein neuer Nationalverband von U.________ gegründet werden müsse, was auch geplant sei. Die Beschwerdeführerin habe damit keinen praktischen Nutzen an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids.  
 
4.3. Die Beschwerdeführerin bestreitet in ihrer Replik, kein schutzwürdiges Interesse mehr zu haben. Sie sei bis heute nicht als Mitgliedverband der Beschwerdegegnerin ausgeschlossen worden. B.________ Commission habe lediglich entschieden, dass der bestehende Vorstand, der nota bene von der Beschwerdegegnerin eingesetzt worden sei, nicht anerkannt werde. Dieser Zustand sei von der Beschwerdegegnerin geschaffen worden und bilde Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Mit der angestrebten Absetzung des von der Beschwerdegegnerin eingesetzten Vorstands und der Bestätigung, dass "der rechtmässig gewählte Vorstand seine Funktion ausüben kann", werde der rechtswidrige Zustand ohne weiteres beseitigt.  
 
4.4. Mit diesen - unbelegten - Behauptungen vermag die Beschwerdeführerin nicht zu widerlegen, dass sie infolge der unbestrittenen Streichung aus dem Sportregister durch die B.________ Commission ihren statutengemässen Zweck nicht mehr erfüllen kann und es sich bei ihr um eine leere Hülle handelt. Damit ist nicht dargetan, dass eine Gutheissung der vorliegenden Beschwerde, mit der einzig die Aufhebung des angefochtenen Entscheids des TAS, aber nicht die Bestätigung des vormaligen Vorstands und die neuerliche Zweckerfüllung erreicht werden könnte, der Beschwerdeführerin einen praktischen Nutzen bringen würde. Vielmehr ist der Beschwerdegegnerin zu folgen, dass mit dem Entscheid der B.________ Commission vom 1. August 2023, die Beschwerdeführerin aus dem Sportregister zu entfernen, ihr aktuelles Rechtsschutzinteresse an der vorliegenden Beschwerde entfallen ist. Da dieser Umstand nach der Beschwerdeeinreichung erfolgte, ist das Beschwerdeverfahren als gegenstandslos geworden abzuschreiben.  
 
5.  
Die Beschwerde wäre ohnehin unbegründet: Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung des Ordre public (Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG). Gegen den Ordre public verstösst die materielle Beurteilung eines streitigen Anspruchs nur, wenn sie fundamentale Rechtsgrundsätze verkennt und daher mit der wesentlichen, weitgehend anerkannten Wertordnung schlechthin unvereinbar ist, die nach in der Schweiz herrschender Auffassung Grundlage jeder Rechtsordnung bilden sollte (BGE 144 III 120 E. 5.1). 
Eine Verletzung fundamentaler Rechtsgrundsätze vermag die Beschwerdeführerin weder dem Grundsatz nach noch im konkreten Fall aufzuzeigen. Das angerufene vereinsrechtliche Legalitätsprinzip und die Vereinsautonomie sind im Schweizer Recht zwar verankert, gehören jedoch nicht zu den fundamentalen Rechtsgrundsätzen, die vom Ordre public erfasst wären. 
Selbst wenn sie dies wären, ist deren Verletzung nicht aufgezeigt in dem Sinn, dass der angefochtene Schiedsentscheid im Ergebnis gegen den Ordre public verstossen würde (vgl. BGE 144 III 120 E. 5.1; 138 III 322 E. 4.1; je mit Hinweisen). So hat das TAS das vereinsrechtliche Legalitätsprinzip nicht dem Grundsatz nach in Frage gestellt oder gar ausgeschieden. Vielmehr hat es in den Statuten der World Aquatics eine Grundlage für die beanstandete Sanktion, namentlich die Einsetzung eines Stabilisierungskomitees, erkannt. 
Ebenso wenig hat es die Vereinsautonomie aus den Angeln gehoben, indem es die bei Organisationsmängeln vorgesehene Einsetzung eines Stabilisierungskomitees anordnete. 
Eine Verletzung des Ordre public ist demnach nicht aufgezeigt, weshalb die Beschwerde abzuweisen wäre, wenn sie nicht als gegenstandslos abzuschreiben wäre. 
 
6.  
Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Da das Verfahren als gegenstandslos geworden abzuschreiben ist, richtet sich der Entscheid über die Prozesskosten des bundesgerichtlichen Verfahrens nach Art. 71 BGG in Verbindung mit Art. 72 BZP. Dieser Vorschrift zufolge entscheidet das Gericht mit summarischer Begründung über die Prozesskosten auf Grund der Sachlage vor Eintritt des Erledigungsgrundes. Lässt sich der mutmassliche Ausgang des Verfahrens im konkreten Fall nicht ohne weiteres feststellen, so sind allgemeine prozessrechtliche Kriterien heranzuziehen: Danach wird diejenige Partei kosten- und entschädigungspflichtig, die das gegenstandslos gewordene Verfahren veranlasst hat oder bei der die Gründe eingetreten sind, die zur Gegenstandslosigkeit des Prozesses geführt haben (BGE 118 Ia 488 E. 4a; Urteile 7B_146/2022 vom 25. August 2023 E. 2.2; 5A_92/2021 vom 24. August 2023 E. 2; je mit Hinweisen). 
Bei summarischer Prüfung wäre der Beschwerde kein Erfolg beschieden gewesen; vielmehr wäre sie abzuweisen gewesen (vgl. E. 5). Demnach wird die Beschwerdeführerin kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Das Beschwerdeverfahren 4A_240/2023 wird als gegenstandslos abgeschrieben. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 7'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 8'000.-- zu entschädigen. Diese Entschädigung wird aus der an die Bundesgerichtskasse bezahlten Sicherheitsleistung ausgerichtet. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Tribunal Arbitral du Sport (TAS) schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 23. November 2023 
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Kiss 
 
Der Gerichtsschreiber: Leemann