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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
2C_658/2014  
   
   
 
 
 
Urteil vom 7. August 2014  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Zünd, Präsident, 
Bundesrichter Seiler, Stadelmann, 
Gerichtsschreiber Feller. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch B.________, 
 
gegen  
 
Amt für Migration Basel-Landschaft,  
Parkstrasse 3, 4402 Frenkendorf. 
 
Gegenstand 
Ausschaffungshaft, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Einzelrichter für Zwangsmass- 
nahmen im Ausländerrecht, vom 20. Juni 2014. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Der 1982 geborene algerische Staatsangehörige A.________, reiste am 8. Juli 2009 illegal in die Schweiz ein und stellte unter falscher Identität ein Asylgesuch. Das Bundesamt für Migration trat mit Verfügung vom 17. Februar 2010 darauf nicht ein und verfügte die Wegweisung, nachdem der Betroffene am 21. Januar 2010 aus der Asylunterkunft verschwunden war. Am 9. Juli 2011 stellte er, wiederum unter falscher Identität, ein zweites Asylgesuch, welches - am 28. Juli 2011 - mit einer Nichteintretens- und Wegweisungsverfügung erledigt wurde. 
 
Nachdem das Bundesamt für Migration mitgeteilt hatte, dass Algerien A.________ (unter seiner heutigen Identität) als Staatsangehörigen anerkenne und ein Laissez-Passer vorliege, nahm ihn die Ausländerbehörde des Kantons Basel-Landschaft am 11. September 2012 in Ausschaffungshaft. Am 22. Oktober 2012 vereitelte er die Ausschaffung nach Algerien auf dem Luftweg, indem er sich Kratzer zufügte, sodass der Pilot ihn das Flugzeug nicht besteigen liess. Auf diesem Hintergrund wurde er am 5. November 2012 für einen Monat in Durchsetzungshaft versetzt. Von einer Verlängerung derselben wurde abgesehen, und der Betroffene wurde am 4. Dezember 2012 aus der Haft entlassen. 
 
B.   
Am 18. Juni 2014 ordnete das Amt für Migration des Kantons Basel-Landschaft gegen A.________ Ausschaffungshaft an. Nach mündlicher Verhandlung stellte der Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht des Kantonsgerichts Basel-Landschaft mit Urteil vom 20. Juni 2014 fest, dass die Haft zur Sicherstellung des Wegweisungsvollzugs für die Dauer von drei Monaten, d.h. bis 17. September 2014, rechtmässig und angemessen sei. 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 16. Juli 2014 beantragt A.________ dem Bundesgericht, das Urteil des Zwangsmassnahmenrichters des Kantonsgerichts sei aufzuheben und das Migrationsamt des Kantons Basel-Landschaft anzuweisen, ihn nach Eingang der Beschwerde aus der Haft zu entlassen. 
 
Das Amt für Migration des Kantons Basel-Landschaft beantragt, die Beschwerde sei vollumfänglich abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Das Kantonsgericht hat das Aktendossier eingereicht und auf Vernehmlassung verzichtet. Das Bundesamt für Migration hat eine kurze Stellungnahme zum Thema Rückschaffungen nach Algerien eingereicht. Der Beschwerdeführer seinerseits hat am 28. Juli 2014 eine Stellungnahme zur Vernehmlassung des kantonalen Migrationsamtes eingereicht; zur Vernehmlassung des Bundesamtes hat er sich nicht geäussert. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
 
1.1. Wurde ein erstinstanzlicher Wegweisungsentscheid eröffnet, so kann die zuständige Behörde die betroffene Person zur Sicherstellung des Vollzugs gemäss Art. 76 Abs. 1 AuG in Ausschaffungshaft nehmen, wenn konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass sie sich der Ausschaffung entziehen will, insbesondere wenn sie der Mitwirkungspflicht nach Art. 90 AuG sowie Art. 8 Abs. 1 lit. a oder Abs. 4 AsylG nicht nachkommt (Ziff. 3), oder ihr bisheriges Verhalten darauf schliessen lässt, dass sie sich behördlichen Anordnungen widersetzt (Ziff. 4). Gemäss Art. 80 Abs. 6 lit. a AuG wird die Haft beendet, wenn sich erweist, dass der Vollzug der Wegweisung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen undurchführbar ist. Der Vollzug der Wegweisung muss mit dem nötigen Nachdruck verfolgt werden (Art. 76 Abs. 4 AuG). Die ausländerrechtliche Festhaltung muss als Ganzes verhältnismässig sein.  
 
 
1.2. Die vorliegend streitige Ausschaffungshaft dient dem Vollzug eines rechtskräftigen Wegweisungsentscheids und damit dem ihr vom Gesetz zugedachten Zweck. Der Beschwerdeführer scheint das Vorliegen eines Haftgrundes bestreiten zu wollen, indem er geltend macht, er habe sich seit seiner ersten Haftentlassung im Dezember 2012 dem Zugriff der Behörden nicht entzogen und sich stets an dem ihm von den Behörden zugewiesenen Ort aufgehalten. Er nimmt dabei die im Zusammenhang mit den Haftgründen von Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 und 4 AuG verwendete Bezeichnung "Untertauchensgefahr" offenbar wörtlich. Die vom Haftrichter herangezogenen Haftgründe sind indessen offensichtlich gegeben: Angesichts seines bisherigen Verhaltens bietet der Beschwerdeführer, der beharrlich auf eine Verunmöglichung des Wegweisungsvollzugs hinwirkt, offensichtlich keine Gewähr dafür, dass er sich den Behörden zur Verfügung halten würde, sollte sich die Möglichkeit des Vollzugs der Wegweisung konkretisieren (E. 4.2 des angefochtenen Urteils, vgl. BGE 140 II 1 E. 5.3 S. 4 mit Hinweisen).  
 
Gerade angesichts des zur Bejahung der erwähnten Haftgründe führenden Verhaltens des Beschwerdeführers bleibt indessen als hauptsächlicher Streitpunkt ungewiss, ob sich der (rechtlich zulässige) Wegweisungsvollzug tatsächlich bewerkstelligen lässt, was aber Voraussetzung für die Zulässigkeit der Haft gemäss Art. 80 Abs. 6 lit. a AuG wäre. 
 
2.   
 
2.1. Von einer tatsächlichen Unmöglichkeit des Wegweisungsvollzugs im Sinne von Art. 80 Abs. 6 AuG ist nicht schon dann auszugehen, wenn er schwierig erscheint. Wie es sich mit der Durchführbarkeit des Wegweisungsvollzugs im Einzelnen verhält, bildet Gegenstand einer Prognose. Massgeblich ist, ob die Ausschaffung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit innert absehbarer Zeit möglich wird oder nicht. Die Haft hat unter dem Aspekt von Art. 80 Abs. 6 AuG dann, weil unverhältnismässig, als unzulässig zu gelten, wenn triftige Gründe für die Undurchführbarkeit des Vollzugs sprechen oder praktisch feststeht, dass er sich innert vernünftiger Frist kaum wird realisieren lassen; sie dient diesfalls nicht mehr dem ihr vom Gesetz zugewiesenen Zweck, den Wegweisungsvollzug zu sichern (BGE 130 II 56 E. 4.1.3 zum mit Art. 80 Abs. 6 AuG übereinstimmenden Art. 13 c Abs. 5 lit. a des Ende 2007 ausser Kraft gesetzten Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer [ANAG]; Urteile 2C_168/2013 vom 7. März 2013 E. 3.1, 2C_101/2013 vom 21.Februar 2013 E. 2.2.3 und 2C_749/2012 vom 28. August 2012 E. 3.1.1).  
 
 
2.2. Der Beschwerdeführer war bereits im Herbst 2012 zunächst in Ausschaffungshaft und anschliessend für einen Monat in Durchsetzungshaft genommen worden. Am 4. Dezember 2012 wurde er aus der Haft entlassen. Da er sich weigerte, freiwillig auszureisen, und Sonderflüge nach Algerien nicht möglich waren, ging die zuständige Behörde von einer vorläufigen Unmöglichkeit des Wegweisungsvollzugs aus. Der Beschwerdeführer weist darauf hin, dass er auch heute nicht zur freiwilligen Rückreise bereit sei und Sonderflüge nach Algerien nach wie vor nicht in Betracht fielen; eine begründete Aussicht auf Sicherstellung eines absehbaren Wegweisungsvollzugs durch eine Ausschaffungshaft bestehe im vorliegenden Fall nicht. Demgegenüber sind das kantonale Migrationsamt, der Zwangsmassnahmenrichter und das Bundesamt für Migration der Ansicht, die Verhältnisse beim Wegweisungsvollzug von nicht kooperativen Algeriern hätten sich angesichts einer verbesserten Zusammenarbeit mit den algerischen Behörden einerseits und einer veränderten Strategie im Zusammenhang mit der Buchung von begleiteten Rückflügen andererseits in einer Weise geändert, die die Aussichten auf einen Wegweisungsvollzug erhöhten.  
 
Es ist nachfolgend zu prüfen, ob damit heute die Voraussetzungen für die erneute Anordnung von Ausschaffungshaft erfüllt sind, um nach einer früheren Entlassung aus der Ausschaffungs- oder Durchsetzungshaft im Rahmen desselben Wegweisungsverfahrens eine erneute Anordnung von ausländerrechtlicher Haft zu verfügen. 
 
3.   
 
3.1. Es ist grundsätzlich nicht unzulässig, einen Ausländer im Rahmen desselben Wegweisungsverfahrens erneut in ausländerrechtliche Haft zu nehmen. Indessen darf dadurch die maximale Haftdauer von (nach heutiger Regelung, s. Art. 79 AuG) 18 Monaten insgesamt nicht überschritten werden (BGE 133 II 1 E. 5.2 S. 5 f.); diese Maximalfrist könnte bloss in einem neuen Wegweisungsverfahren neu zu laufen beginnen, was voraussetzte, dass der Betroffene zwischenzeitlich ausgereist bzw. erfolgreich ausgeschafft worden und neu eingereist wäre (ebenda).  
 
Voraussetzung für eine erneute Inhaftierung im gleichen Wegweisungsverfahren ist, dass neue entscheidwesentliche Umstände vorliegen (BGE 140 II 1 E. 5.2 S. 3 mit Hinweisen). Dabei erfordert eine zweite Inhaftierung nicht nur dann gegenüber dem Zeitpunkt der Entlassung aus der ersten Haft veränderte Umstände, wenn die erste Haft durch Nichtgenehmigung einer Haftverlängerung oder Gutheissung eines Haftentlassungsgesuchs durch den Haftrichter (oder durch den Entscheid eines Rechtsmittelgerichts) beendet worden ist, sondern auch dann, wenn die zuständige Administrativbehörde auf eine Fortsetzung der ersten Haft verzichtet hat. 
 
In letzterem Fall fehlt es allerdings an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der ersten Haft. Die Administrativbehörde, die mit dem Wegweisungsvollzug betraut ist und welcher bei der Wahl der dafür geeigneten Vorgehensweise Ermessen zukommt, ist nicht gehalten, Haft immer dann anzuordnen oder beizubehalten, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen dazu an sich erfüllt sind. Sie kann sich bei ihrem Entscheid über die Aufhebung der Haft denn auch von Kriterien leiten lassen, die unmittelbar nichts mit der Person des betroffenen Ausländers bzw. mit den rechtlichen Haftvoraussetzungen zu tun haben, sondern auf äusseren Umständen beruhen, wie etwa der Prioritätensetzung bei Knappheit an Haftplätzen und dergleichen ( THOMAS HUGI YAR, § 10 Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, in: Uebersax/ Rudin/Hugi Yar/Geiser [Hrsg.], Ausländerrecht, 2. Aufl. 2009, N. 10.160 bzw. 10.161), worauf das kantonale Amt für Migration in seiner Vernehmlassung zu Recht hinweist. Dies ist nicht aus den Augen zu verlieren, wenn das für die Zulässigkeit erneuter Haft erforderliche Ausmass von Veränderungen bestimmt wird. 
 
 
3.2. Ob wesentliche neue Umstände vorliegen, hängt naturgemäss davon ab, welche Gründe für die seinerzeitige Haftentlassung von Bedeutung waren. Beruhte sie auf der Einschätzung der Behörde, dass bloss mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit mit dem grundsätzlich an sich möglichen Wegweisungsvollzug in noch absehbarer Zeit gerechnet werden konnte, ist eine erneute Inhaftnahme nur zulässig, wenn - bei Fortbestehen der übrigen Haftvoraussetzungen - diese Wahrscheinlichkeit erkennbar grösser geworden ist (BGE 140 II 1 E. 5.2 S. 3).  
 
3.3. Grund für die seinerzeitige Haftentlassung war, dass die zuständige Ausländerbehörde die Erfolgsaussichten von Vollzugsbemühungen als gering einschätzte. Der Beschwerdeführer macht zu Recht geltend, weder an seiner Weigerung, freiwillig nach Algerien zurückzukehren, noch am Fehlen der Möglichkeit der Ausschaffung mit Sonderflügen habe sich etwas geändert. Sodann ist der Hinweis in der Vernehmlassung des Amtes für Migration des Kantons Basel-Landschaft auf die grössere Kulanz der algerischen Behörden - namentlich bei der Ausstellung von Laissez-Passer - im Fall des Beschwerdeführers insofern irrelevant, als die Erhältlichmachung eines Laissez-Passer schon früher kein Problem darstellte. Schliesslich dürfte der Umstand, dass nun für jeden Rückführungsfall ein konsularisches Ausreisegespräch stattfindet, im Fall des Beschwerdeführers kaum von Bedeutung sein. Es fragt sich einzig, ob die vom kantonalen Migrationsamt und dem Bundesamt erwähnte neue Vorgehensweise die Chancen eines Ausschaffungsvollzugs merkbar erhöht. Es geht dabei um Folgendes:  
 
Die Kantone organisieren nun für nicht rückreisewillige Algerier polizeilich begleitete Rückflüge. Es handelt sich dabei um Zwangsrückführungen, die gemäss Vernehmlassung des Bundesamtes seit dem 1. Januar 2014 in sieben von insgesamt 27 Fällen (26 %) zum Erfolg geführt haben. Wie das Bundesamt ausführt, hängt der Erfolg der Rückführung in solchen Fällen von verschiedenen Faktoren ab, etwa von der Haltung des jeweiligen Flugkapitäns. Dem kantonalen Amt für Migration ist unter diesen Umständen beizupflichten, dass trotz der Weigerungshaltung des Beschwerdeführers nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine zwangsweise Ausschaffung nunmehr auch in seinem Fall gelingen könnte. Jedenfalls erscheint dies nicht in einem solchen Masse als unwahrscheinlich, dass die Haft nach Art. 80 Abs. 6 lit. a AuG unzulässig wäre (vgl. vorne E. 2.1). Die Behörden durften von durch die neue Vorgehensweise bewirkten verbesserten Vollzugschancen ausgehen. Da die seinerzeitige Haftentlassung nicht aufgrund eines Entscheids erfolgte, der eine Fortsetzung der damaligen Haft als rechtswidrig erklärt hätte (vgl. vorne E. 3.1 zweiter Absatz), genügt diese erhöhte Wahrscheinlichkeit, um den Beschwerdeführer heute wiederum in ausländerrechtliche Haft zu nehmen, nachdem die weiteren Haftvoraussetzungen offensichtlich erfüllt sind. 
 
4.   
Die Beschwerde erweist sich damit als unbegründet und ist abzuweisen. 
 
5.   
Da die Beschwerde nicht als aussichtslos erscheint, ist dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren zu entsprechen. Auf die Erhebung von Kosten ist zu verzichten. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen. 
 
3.   
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, und dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 7. August 2014 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Zünd 
 
Der Gerichtsschreiber: Feller