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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6S.478/2002 /pai 
 
Urteil vom 2. April 2003 
Kassationshof 
 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Wiprächtiger, Karlen, 
Gerichtsschreiber Monn. 
 
X.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Urban Bieri, Postfach 1846, 6021 Emmenbrücke 1, 
 
gegen 
 
B.________, 
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Viktor Peter, Ettiswilerstrasse 12, Postfach 3233, 6130 Willisau, 
Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Zentralstrasse 28, 6002 Luzern. 
 
Gewerbsmässiger Betrug (Art. 146 StGB), 
 
Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern, II. Kammer, vom 3. September 2002. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Im Jahr 1986 war A.________ im ........ der Gebrüder A.________ in M.________ als Betriebsleiter tätig. In der Firma arbeitete X.________, mit dem A.________ bis ca. 1992 ein homosexuelles Verhältnis unterhielt. Dieser übergab X.________ ab 1986 immer wieder verzinsliche und auf eine bestimmte Frist rückzahlbare Darlehen. Zur Sicherung der Darlehen versprach X.________ schriftlich, dass er Grundstücke, die er in Jugoslawien besitze, als Pfand zur Verfügung stelle. Das geliehene Geld sollte für Reparaturen an Gebäuden im Kosovo und für einen angeblichen Landkauf und -verkauf ebenfalls im Kosovo eingesetzt werden. Der von A.________ dem X.________ zur Verfügung gestellte Darlehensbetrag belief sich insgesamt auf über eine Million Franken. 
 
Im April 1996 ging A.________ das Geld aus. Selbst sein Haus in M.________ hatte er mittlerweile für die angeblichen Landgeschäfte im Kosovo mit Hypotheken der Bank N.________ bis ans Limit belastet. Aufgrund der Geschäftsbeziehungen mit der Bank N.________ war A.________ mit B.________, einem Mitglied der Geschäftsleitung der Bank, bekannt. Nach dem April 1996 weigerte sich die Bank N.________, weitere Hypothekardarlehen zu gewähren. A.________ wandte sich deshalb an B.________ in dessen Eigenschaft als Privatperson und bat ihn um Darlehen, damit die Landgeschäfte im Kosovo doch noch realisiert werden könnten. Er versprach B.________, ihn aus dem Gewinn grosszügig zu entschädigen. In der Folge stellte B.________ aus privaten Quellen über 300'000 Franken für das Projekt zur Verfügung. 
 
Als auch B.________ das Geld ausging, begann er ab September 1997 Gelder der Bank N.________ bzw. von deren Kunden zu veruntreuen. Insgesamt gingen von diesen veruntreuten Geldern über 1,5 Millionen Franken an X.________. 
 
X.________ wird vorgeworfen, er habe in der Zeit von 1986 bis September 1999 A.________ und B.________ um weit mehr als eine Million Franken betrogen. Entgegen seiner Behauptung hätten gar keine gewinnbringenden Grundstücksgeschäfte im Kosovo bestanden. Er habe denn auch nie Grundstücke im Kosovo gekauft, sondern das Geld im eigenen Nutzen verwendet. 
B. 
Das Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer, sprach X.________ am 3. September 2002 im Appellationsverfahren des gewerbsmässigen Betrugs gemäss Art. 146 Abs. 2 StGB schuldig und bestrafte ihn mit 3 1/4 Jahren Zuchthaus, abzüglich 87 Tage Untersuchungshaft, sowie mit einer Landesverweisung von sieben Jahren, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von zwei Jahren. B.________, der sich als Privatkläger am Verfahren beteiligte, wurde mit seiner Zivilforderung von Fr. 3'123'751.-- an den Zivilrichter verwiesen. 
C. 
X.________ führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, das Urteil des Obergerichts vom 3. September 2002 sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
Die Vorinstanz beantragt in ihrer Stellungnahme, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern beantragt, die Beschwerde sei vollumfänglich abzuweisen. B.________ hat sich nicht vernehmen lassen. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe den Begriff der Arglist beim Betrug gemäss Art. 146 StGB bundesrechtswidrig ausgelegt (Beschwerde S. 3 oben). 
1.1 Einen Betrug im Sinne von Art. 146 Abs. 1 StGB begeht, wer in der Absicht, sich oder einen anderen unrechtmässig zu bereichern, jemanden durch Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen arglistig irreführt oder ihn in einem Irrtum arglistig bestärkt und so den Irrenden zu einem Verhalten bestimmt, wodurch dieser sich selbst oder einen anderen am Vermögen schädigt. Nach der Rechtsprechung ist die Irreführung arglistig, wenn der Täter ein ganzes Lügengebäude errichtet oder sich besonderer Machenschaften oder Kniffe bedient, aber auch, wenn er nur einfache falsche Angaben macht, deren Überprüfung nicht oder nur mit besonderer Mühe möglich oder nicht zumutbar ist, sowie dann, wenn der Täter den Getäuschten von der möglichen Überprüfung abhält oder nach den Umständen voraussieht, dass der Getäuschte die Überprüfung der Angaben aufgrund eines zwischen ihnen bestehenden besonderen Vertrauensverhältnisses unterlassen wird. Arglist liegt jedoch nicht vor, wenn sich der Getäuschte mit einem Minimum an Aufmerksamkeit selber hätte schützen oder den Irrtum durch ein zumutbares Minimum an Vorsicht hätte vermeiden können. Es ist allerdings nicht erforderlich, dass der Getäuschte die grösstmögliche Sorgfalt walten lässt und alle denkbaren Vorsichtsmassnahmen trifft; Arglist scheidet lediglich aus, wenn der Geschädigte für den bei ihm eingetretenen Schaden mitverantwortlich ist, weil er die grundlegendsten Vorsichtsmassnahmen, die sich aufgedrängt hätten, nicht beachtet hat. Bei der Prüfung dieser Frage ist nicht darauf abzustellen, wie eine durchschnittlich vorsichtige und erfahrene Person auf die Täuschung reagiert hätte; vielmehr ist die jeweilige besondere Lage des Betroffenen zu berücksichtigen, soweit der Täter diese kennt und ausnützt; das gilt insbesondere bei geistesschwachen, unerfahrenen oder auf Grund des Alters oder einer (körperlichen oder geistigen) Krankheit beeinträchtigten Opfern, ferner bei solchen, die sich in einem Abhängigkeits- oder Unterordnungsverhältnis oder in einer Notlage befinden und deshalb kaum imstande sind, dem Täter zu misstrauen; das Ausnützen einer derartigen Lage ist gerade eine der Erscheinungsformen der Arglist (BGE 128 IV 18 E. 3a mit Hinweisen). 
1.2 Die Vorinstanz hat nicht verkannt, dass es sich bei A.________ und B.________ um erfahrene Geschäftsleute handelt, die es unterliessen, die Angaben des Beschwerdeführers auch nur ansatzweise zu überprüfen, sondern ihm einfach glaubten und vertrauten. Mit A.________ habe sich der Beschwerdeführer überdies auf die homosexuelle Beziehung eingelassen, weil er habe Geld bekommen wollen, und dies sei A.________ bekannt gewesen. Zudem sei man im ........ auf den Beschwerdeführer angewiesen gewesen, und auch aus diesem Grund habe A.________ die Wünsche des Beschwerdeführers erfüllt, "bis es ein Ausmass angenommen habe, wo er - A.________ - nur noch versucht habe, den eingetretenen Schaden zu begrenzen" (vgl. angefochtener Entscheid S. 8/9). Die Vorinstanz kommt bei dieser Sachlage zum Schluss, dass in der Anfangsphase des Geschehens nicht von einer Ausnützung eines besonderen Vertrauensverhältnisses oder eines Abhängigkeitsverhältnisses von A.________ durch den Beschwerdeführer gesprochen werden könne. 
 
Für die zweite Phase des Geschehens stellt die Vorinstanz demgegenüber fest, der Beschwerdeführer habe sowohl gegenüber A.________ als auch gegenüber B.________ arglistig gehandelt. Erst als die aus vielen Teilbeträgen bestehende Darlehenssumme eine beträchtliche Höhe erreicht, sich die Spirale der Darlehensgewährung immer höher und schneller gedreht und sich bei A.________ die Angst ausgebreitet habe, alles verlieren zu können, habe sich dieser gegenüber dem Beschwerdeführer in einer "inferioren" Stellung befunden. Ab diesem "point of no return" seien allfällige Warnhinweise nutzlos gewesen, und der Beschwerdeführer habe nun ein leichtes Spiel mit dem ihm vertrauenden A.________ gehabt. Er habe nur noch zu erklären brauchen, das bereits eingesetzte Geld sei verloren, wenn nicht eine nächste Zahlung erfolge. Der in zunehmendem Masse von Angst und Panik erfasste A.________ sei dann bereit gewesen, immer weitere Geldbeträge einzusetzen, ohne die Angaben des Beschwerdeführers kritisch zu hinterfragen oder gar zu überprüfen, und seien die Angaben auch noch so plump und unglaubwürdig gewesen. Dies habe zu einer vom Beschwerdeführer beabsichtigten zunehmenden Unterordnung unter seinen Willen bzw. zu einem Abhängigkeitsverhältnis geführt. Auch B.________ sei bei der Darlehensgewährung ab einem bestimmten Betrag in einen Teufelskreis geraten, aus dem es kein Entrinnen mehr gegeben habe. Er sei langsam in eine verzweifelte finanzielle Notlage geraten, und im Wissen um diese Notlage habe der Beschwerdeführer von B.________ weiterhin Geld für immer neue Ausgaben gefordert, damit das Geschäft im Kosovo erfolgreich über die Bühne gehen könne (vgl. angefochtener Entscheid S. 9/10). 
1.3 Unter den vorliegenden Umständen liegt eine arglistige Täuschung nicht vor, ja man kann sich fragen, ob in der zweiten Phase des Geschehens überhaupt noch eine Täuschung gegeben ist. 
 
In der Anfangsphase des Geschehens wurde A.________ zwar durch den Beschwerdeführer über den Verwendungszweck der Darlehen getäuscht, aber es war zumindest leichtfertig, dass der erfahrene Geschäftsmann dem Beschwerdeführer "einfach glaubte und vertraute". Dasselbe gilt in vermehrtem Masse für B.________, bei dem es sich um einen Fachmann in Geldgeschäften handelt. Es ist im Falle eines Bankmanagers nicht nachvollziehbar, wenn dieser geschäftlich oder privat Darlehen gewährt, die ihm eine grosszügige Entschädigung einbringen sollen, ohne dass er irgendwelche Auskünfte über die angeblich gewinnbringenden Geschäfte, die mit dem Darlehen betrieben werden sollen, einholt. Der Schluss der Vorinstanz, in dieser Anfangsphase des Geschehens habe der Beschwerdeführer nicht arglistig gehandelt, ist deshalb offensichtlich richtig. 
 
In der Folge kam bei A.________ nach den Feststellungen der Vorinstanz die Angst auf, die durch den Beschwerdeführer noch geschürt wurde, dass er alles verlieren könnte, wenn er nicht weitere Zahlungen leiste. Mindestens in dieser zweiten Phase des Geschehens ist es A.________ folglich bewusst gewesen, dass er sich auf ein unsicheres und äusserst riskantes Geschäft eingelassen hatte. Dennoch zahlte er weiter, ohne kritische Fragen zu stellen. Es mag zwar sein, dass der Beschwerdeführer voraussah, dass es A.________ unterlassen werde, seine nach der Feststellung der Vorinstanz teilweise plumpen und unglaubwürdigen Angaben zu überprüfen. A.________ unterliess diese Prüfung jedoch nicht, weil zwischen ihm und dem Beschwerdeführer immer noch ein Vertrauensverhältnis oder gar ein Abhängigkeitsverhältnis bestanden hätte, welches vom Beschwerdeführer arglistig ausgenützt worden wäre, sondern weil er in seiner Angst und Panik, das ganze Geld zu verlieren, den Kopf verlor und trotz seiner Ahnung, dass es schief gehen könnte, zu retten versuchte, was noch zu retten war. Zwar hatte der Beschwerdeführer in dieser Phase ein "leichtes Spiel" mit A.________, aber davon, dass er diesen zu seinem Verhalten arglistig veranlasst und dazu gar, wie die Staatsanwaltschaft in ihrer Vernehmlassung meint, ein Lügengebäude errichtet hätte, kann nicht die Rede sein. 
 
Im Falle von B.________ ist die Lage noch eindeutiger. Von diesem Fachmann in Geldangelegenheiten hätte von allem Anfang an erwartet werden können, dass er sich über die angebliche Gewinnmöglichkeit informierte. Zwar geriet er durch sein unvorsichtiges Verhalten schliesslich in einen Teufelskreis, "aus dem es kein Entrinnen mehr gab". Aber auch B.________ war sich spätestens jetzt darüber im Klaren, dass er leichtfertig gehandelt hatte, und wollte nur noch retten, was zu retten war, obwohl ihm bewusst war, dass die Sache schief gehen könnte. Inwieweit der Beschwerdeführer B.________ zu seinem Verhalten arglistig veranlasst haben könnte, ist nicht ersichtlich. 
 
Der angefochtene Schuldspruch wegen gewerbsmässigen Betrugs verletzt nach dem Gesagten Bundesrecht, weshalb sich die Beschwerde als begründet erweist. 
2. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben. Der Beschwerdeführer ist aus der Bundesgerichtskasse angemessen zu entschädigen. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil der II. Kammer des Obergerichts des Kantons Luzern vom 3. September 2002 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
3. 
Der Beschwerdeführer wird für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 3'000.-- entschädigt. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern und dem Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 2. April 2003 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: