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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
6B_388/2019  
 
 
Urteil vom 8. Juli 2019  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichter Oberholzer, 
Bundesrichter Rüedi, 
Gerichtsschreiber Matt. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch 
Rechtsanwalt Angelo Fedi, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, Zürcherstrasse 323, 8510 Frauenfeld, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Teilweise Einstellung des Strafverfahrens 
(mehrfache einfache Körperverletzung), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 24. Januar 2019 (SW.2018.102). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die Staatsanwaltschaft Bischofszell führte ein Strafverfahren unter anderem wegen mehrfacher einfacher Körperverletzung gegen X.________. Dieser soll am 18. Februar 2018 anlässlich verbaler und tätlicher Auseinandersetzungen Pfefferspray gegen A.________ und später auch gegen diesen und dessen Vater eingesetzt haben. Am 6. November 2018 stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Das Obergericht des Kantons Thurgau hiess die Beschwerde von A.________ teilweise gut, soweit es darauf eintrat. Es verpflichtete die Staatsanwaltschaft, das Verfahren mit Bezug auf die erste tätliche Auseinandersetzung weiterzuführen. 
 
B.   
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________, das Verfahren sei auch mit Bezug auf die zweite Auseinandersetzung weiterzuführen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der Privatklägerschaft wird ein rechtlich geschütztes Interesse an der Beschwerde zuerkannt, wenn sich der angefochtene Entscheid auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG). Dies verlangt grundsätzlich, dass die Privatklägerschaft bereits adhäsionsweise Zivilforderungen geltend gemacht hat. Bei Nichtanhandnahme oder Einstellung des Strafverfahrens wird auf dieses Erfordernis verzichtet. Im Verfahren vor Bundesgericht muss aber dargelegt werden, weshalb sich der angefochtene Entscheid inwiefern auf welche Zivilforderungen auswirken kann, sofern dies, etwa aufgrund der Natur der untersuchten Straftat, nicht ohne Weiteres aus den Akten ersichtlich ist. Das Bundesgericht stellt an die Begründung strenge Anforderungen (BGE 141 IV 1 E. 1.1; 137 IV 246 E. 1.3.1, 219 E. 2.4; je mit Hinweisen).  
 
1.2. Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe am bisherigen Verfahren teilgenommen und sich als Privatkläger konstituiert. Dies genügt zu seiner Legitimation jedoch nicht. Er legt nicht dar, inwiefern sich der angefochtene Entscheid auf welche Zivilforderungen auswirken könnte. Dies ist von vornherein nicht der Fall, soweit er rügt, die Verfahrenseinstellung präjudiziere das gegen ihn geführte Verfahren wegen Angriffs und verletze den Grundsatz der Verfahrenseinheit, da der Sachverhalt als Einheit zu betrachten sei. Dabei handelt es sich auch um keine Rüge, deren Missachtung auf eine formelle Rechtsverweigerung hinausliefe und die von der Prüfung der Sache getrennt werden könnte (sog. "Star-Praxis"; BGE 141 IV 1 E. 1.1 mit Hinweisen). Sodann behauptet der Beschwerdeführer nicht, er sei durch den Pfeffersprayeinsatz des Beschwerdegegners mehr als bloss im Sinne kurzzeitiger Unannehmlichkeiten betroffen gewesen oder hätte deswegen gar ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Er nennt und beziffert auch keinerlei Schadenersatz. Dass die beanzeigten Straftaten grundsätzlich zu Zivilforderungen führen können, genügt nicht. Eine Genugtuung nach Art. 49 OR ist zudem nur geschuldet, wenn es die Schwere der Verletzung rechtfertigt, wobei der Eingriff aussergewöhnlich schwer sein und in seinen Auswirkungen das Mass einer Aufregung oder alltäglichen Sorge klar übersteigen muss (Urteile 6B_1134/2018 vom 24. April 2019 E. 1.2; 6B_1228/2018 vom 4. März 2019 E. 1.2.1; 6B_798/2018 vom 14. November 2018 E. 4; 6B_194/2017 vom 25. August 2017 E. 1.2; 6B_1014/2016 vom 24. März 2017 E. 1.2; je mit Hinweisen). Dies ist hier weder offensichtlich noch genügend dargetan. Abgesehen davon behält sich der Beschwerdeführer zivilrechtliche Ansprüche nur vor, was zur Begründung seiner Legitimation ebenfalls nicht genügt (Urteil 6B_968/2018 vom 8. April 2019 E. 1.2.1 mit Hinweis). Dass und wie sich der angefochtene Entscheid auf welche Zivilforderungen auswirken könnte, ergibt sich schliesslich nicht ohne Weiteres aus den Akten oder dem beanzeigten Deliktssachverhalt. Auf die Beschwerde ist nicht einzutreten. Im Übrigen wäre sie abzuweisen, wie nachfolgend kurz ausgeführt wird.  
 
2.  
 
2.1. Die Staatsanwaltschaft verfügt nach Art. 319 Abs. 1 StPO unter anderem die vollständige oder teilweise Einstellung des Verfahrens, wenn kein Tatverdacht erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt (lit. a); kein Straftatbestand erfüllt ist (lit. b) oder Rechtfertigungsgründe einen Straftatbestand unanwendbar machen (lit. c).  
 
2.1.1. Der Entscheid über die Einstellung eines Verfahrens hat sich nach dem Grundsatz "in dubio pro duriore" zu richten. Danach darf eine Einstellung durch die Staatsanwaltschaft grundsätzlich nur bei klarer Straflosigkeit oder offensichtlich fehlenden Prozessvoraussetzungen angeordnet werden. Hingegen ist, sofern die Erledigung mit einem Strafbefehl nicht in Frage kommt, Anklage zu erheben, wenn eine Verurteilung wahrscheinlicher erscheint als ein Freispruch. Ist ein Freispruch genauso wahrscheinlich wie eine Verurteilung, drängt sich in der Regel, insbesondere bei schweren Delikten, eine Anklageerhebung auf. Bei zweifelhafter Beweis- oder Rechtslage hat nicht die Staatsanwaltschaft über die Stichhaltigkeit des strafrechtlichen Vorwurfs zu entscheiden, sondern das zur materiellen Beurteilung zuständige Gericht. Jedoch müssen Sachverhaltsfeststellungen unter Berücksichtigung des Grundsatzes "in dubio pro duriore" auch bei Einstellungen zulässig sein, soweit gewisse Tatsachen "klar" bzw. "zweifelsfrei" feststehen, so dass im Fall einer Anklage mit grosser Wahrscheinlichkeit keine abweichende Würdigung zu erwarten ist. Davon kann nicht ausgegangen werden, wenn eine abweichende Beweiswürdigung durch das Gericht ebenso wahrscheinlich erscheint. Den Staatsanwaltschaften ist es mithin nur bei unklarer Beweislage untersagt, der gerichtlichen Beweiswürdigung vorzugreifen. Im Rahmen von Art. 319 Abs. 1 lit. b und c StPO sind Sachverhaltsfeststellungen der Staatsanwaltschaft in der Regel notwendig. Auch insoweit gilt, dass der rechtlichen Würdigung der Sachverhalt "in dubio pro duriore", d.h. der klar erstellte Sachverhalt, zugrunde gelegt werden muss. Der Grundsatz, dass im Zweifel nicht eingestellt werden darf, ist auch bei der Überprüfung von Einstellungsverfügungen zu beachten (BGE 143 IV 241 E. 2.2.1 und E. 2.3.1; 138 IV 186 E. 4.1, 86 E. 4.1; Urteil 6B_899/2018 vom 2. November 2018 E. 2.1.1; je mit Hinweisen).  
 
2.1.2. Wie die Beweise nach dem Grundsatz "in dubio pro duriore" zu würdigen sind (und ob die Vorinstanz gestützt darauf einen hinreichenden Tatverdacht verneinen durfte), prüft das Bundesgericht nur auf Willkür. Es prüft aber im Rahmen einer Beschwerde gegen eine Einstellung nicht, wie beispielsweise bei einem Schuldspruch, ob die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen willkürlich sind (Art. 97 Abs. 1 BGG), sondern nur, ob die Vorinstanz willkürlich von einer "klaren Beweislage" ausging oder gewisse Tatsachen willkürlich für "klar erstellt" annahm. Dies ist der Fall, wenn offensichtlich nicht gesagt werden kann, es liege ein klarer Sachverhalt vor, beziehungsweise wenn ein solcher Schluss schlechterdings unhaltbar ist (BGE 143 IV 241 E. 2.3.2; Urteil 6B_1308/2018 vom 11. April 2019 E. 2.1.2).  
 
2.2. Die Vorinstanz begründet überzeugend, weshalb sie mit Bezug auf den strittigen Sachverhalt klarerweise von einem rechtswidrigen Angriff des Beschwerdeführers (und seines Vaters) und einer rechtfertigenden Notwehr des Beschwerdegegners ausgeht und die Verfahrenseinstellung insoweit schützt. Sie stützt sich nachvollziehbar auf die übereinstimmenden Aussagen mehrerer unbeteiligter Zeugen, darunter auch einer dem Beschwerdeführer nahe stehenden Person, sowie des Beschwerdegegners. Was der Beschwerdeführer vorbringt, belegt weder Willkür noch eine (anderweitige) Verletzung von Bundesrecht. Hierfür genügt es insbesondere nicht, der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung die eigene Darstellung neuerlich gegenüber zu stellen und die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen unter pauschalem Hinweis auf die Bekanntschaft der Zeugen und des Beschwerdegegners in Frage zu stellen. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers können die sich widersprechenden Aussagen zudem sehr wohl bereits im Stadium der Verfahrenseinstellung im Hinblick auf die dem Sachgericht verbleibenden Alternativen gewürdigt werden (vgl. oben E. 2.1.1). Demnach steht willkürfrei fest, dass der Beschwerdegegner den Pfefferspray erst einsetzte, nachdem er vom Vater des Beschwerdeführers mit einem Teleskopschlagstock und vom Beschwerdeführer mit Fäusten sowie einem Stuhl traktiert worden war. Die dabei erlittenen Verletzungen - eine Gehirnerschütterung, eine 2cm lange Riss-Quetschwunde am Kopf, eine Prellung am Unterarm resp. Handgelenk sowie eine Schulterprellung - sind dokumentiert und passen gemäss nicht zu beanstandender Würdigung der Vorinstanz zu den Schilderungen der Zeugen. Die Vorinstanz geht nach dem Gesagten nachvollziehbar von einem einseitigen Angriff aus. Mit seinem Einwand, wonach der Einsatz eines Pfeffersprays durch den Beschwerdegegner kein bloss passives Verhalten darstelle, verkennt der Beschwerdeführer, dass Notwehr solches nicht verlangt. Vielmehr sind auch aktive (Abwehr) handlungen gestattet. Da die Vorinstanz eine klare Sachlage im Sinne von Notwehr plausibel bejaht, schadet es zudem nicht, dass sie gegenüber dem Beschwerdegegner den Tatbestand des Raufhandels nicht in Betracht zieht. Diesen musste sie auch nicht deshalb prüfen, weil mit dem Pfeffersprayeinsatz virtuell weitere Personen gefährdet worden sein könnten. Dies ändert an der Notwehr- resp. gegenüber Dritten Notstandslage und -handlung offensichtlich nichts. Die getrennte Verfahrensführung gegen den Beschwerdegegner einerseits sowie den Beschwerdeführer und seinen Vater andererseits ist unter diesen Umständen mit dem Grundsatz der Verfahrenseinheit gemäss Art. 29 Abs. 1 lit. b StPO vereinbar. Auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, indem sich die Vorinstanz hierzu nicht äussert, ist nicht ersichtlich. Dazu bestand angesichts der von ihr klar dargelegten Sachlage kein Anlass.  
 
3.   
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 
 
2.   
Der Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten von Fr. 3'000.--. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 8. Juli 2019 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Matt