Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_126/2008 /hum 
 
Urteil vom 14. April 2008 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Wiprächtiger, Favre, 
Gerichtsschreiber Stohner. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt 
Alois Kessler, 
 
gegen 
 
A.________, 
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt 
Jean Baptiste Huber, 
Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz, 
Archivgasse 1, 6430 Schwyz, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Fahrlässige schwere Körperverletzung 
(Art. 125 Abs. 2 StGB), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts des Kantons Schwyz, Strafkammer, vom 6. November 2007. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Am 24. September 2004, ca. 15.20 Uhr, fuhr X.________ mit seinem Personenwagen durch ein Wohnquartier in Goldau im Kanton Schwyz. Bei einer Liegenschaft bog er, ohne anzuhalten, nach rechts in die 4,5 Meter breite und mit einem Gefälle von 16 % steil abfallende Ein- und Ausfahrtsrampe der dortigen Tiefgarage ein. Vom Fahrersitz aus war es ihm nicht möglich, die vor ihm liegende Strassenfläche vollständig einzusehen, und er konnte deshalb den sich auf der Rampe aufhaltenden rund 90 Zentimeter grossen, knapp 2-jährigen Knaben A.________ nicht wahrnehmen. Dieser wurde in der Folge vom Fahrzeug des Beschwerdeführers erfasst und schwer verletzt. 
 
B. 
Das Bezirksgericht Schwyz befand X.________ am 28. März 2007 namentlich der fahrlässigen schweren Körperverletzung schuldig und bestrafte ihn mit einer Busse von Fr. 1'500.--, bedingt löschbar nach einer Probezeit von einem Jahr. 
 
Auf Berufung von X.________ hin bestätigte das Kantonsgericht Schwyz mit Urteil vom 6. November 2007 den erstinstanzlichen Entscheid. 
 
C. 
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen insbesondere mit den Anträgen, das Urteil des Kantonsgerichts Schwyz vom 6. November 2007 sei vollumfänglich aufzuheben, und er sei vom Vorwurf der fahrlässigen schweren Körperverletzung freizusprechen. Ausserdem ersucht er, seiner Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Auf die Beschwerde ist einzutreten, da sie unter Einhaltung der gesetzlichen Frist (Art. 100 Abs. 1 BGG) und Form (Art. 42 BGG) von der in ihren Anträgen unterliegenden beschuldigten Person (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 BGG) eingereicht wurde und sich gegen einen von einer letzten kantonalen Instanz (Art. 80 BGG) gefällten Endentscheid (Art. 90 und 95 BGG) in Strafsachen (Art. 78 Abs. 1 BGG) richtet. 
 
2. 
2.1 
2.1.1 Die Vorinstanz hat vorab erwogen, die Ein- und Ausfahrtsrampe zur Tiefgarage, auf welcher sich der Unfall ereignet hat, sei der privaten Benutzung vorbehalten und damit nicht öffentlich. Dies schliesse jedoch eine analoge Anwendung der Regeln des Strassenverkehrsgesetzes - vorliegend insbesondere von Art. 32 SVG - nicht aus (angefochtenes Urteil S. 9 f.). 
2.1.2 Der Geltungsbereich des SVG ist auf öffentliche Strassen beschränkt (Art. 1 Abs. 1 SVG). Öffentlich sind Strassen, die nicht ausschliesslich dem privaten Gebrauch dienen (Art. 1 Abs. 2 der Verkehrsregelverordnung vom 13. November 1962 [VRV; SR 741.11]). Massgebend ist die Art und Weise der faktischen Benutzungsmöglichkeit. Strassen sind öffentlich, wenn sie einem unbestimmbaren Benutzerkreis bzw. jedermann unter allen gültigen Voraussetzungen offenstehen (BGE 106 IV 405 E. 1; Hans Giger, Kommentar Strassenverkehrsgesetz, 6. Aufl., 2002, S. 29 f.; René Schaffhauser, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Band I, 2. Aufl., 2002, Rz. 167). 
 
Die Vorinstanz hat in tatsächlicher Hinsicht verbindlich festgehalten, das Garagentor könne nur mittels Fernbedienung geöffnet werden (angefochtenes Urteil S. 9). Die Ein- und Ausfahrtsrampe wird mithin einzig von den Anwohnern befahren, welche über einen Garageneinstellplatz verfügen, und ist damit der privaten Benutzung vorbehalten. Eine direkte Anwendung des SVG und der VRV kommt deshalb nicht in Betracht. Es steht jedoch nichts entgegen, deren Bestimmungen zur Konkretisierung der geltenden Sorgfaltspflichten analog heranzuziehen (vgl. BGE 115 IV 45 E. 2c; Schaffhauser, a.a.O., Rz. 173). 
 
2.2 Die Vorinstanz hat festgestellt, der Beschwerdeführer habe, unmittelbar bevor er zur Tiefgarage abgebogen sei, ein anderes Kleinkind sowie zwei miteinander sprechende Frauen mit einem Kinderwagen gesehen. Aufgrund der konkreten Umstände habe er daher damit rechnen müssen, dass allenfalls weitere Kinder in der Nähe der beiden Frauen sein könnten, zumal es in einem Wohnquartier keineswegs ungewöhnlich sei, dass sich Kleinkinder nachmittags um 15.20 Uhr auch vor Garagenein- und -ausfahrten aufhielten. Da er die Fläche der Rampe nicht vollständig habe überblicken können, sei es fahrlässig gewesen, ohne anzuhalten zur Tiefgarage hinunterzufahren. Er habe es insbesondere unterlassen, sich zuvor durch Erheben vom Fahrersitz oder - falls dies nicht ausgereicht hätte - durch Aussteigen aus dem Fahrzeug oder durch den Beizug einer Hilfsperson zu vergewissern, dass sich kein Kleinkind auf der zu befahrenden Fläche befinde. Der Beschwerdeführer sei folglich der ihm obliegenden Sorgfaltspflichten nicht rechtsgenüglich nachgekommen (angefochtenes Urteil S. 15 f.). 
2.3 
2.3.1 Der Beschwerdeführer bestreitet, bei seinem Fahrmanöver eine Sorgfaltspflicht missachtet zu haben. Der zu beachtende Sorgfaltsmassstab sei aufgrund der konkreten Umstände zu bemessen, und die Anforderungen dürften nicht derart hochgeschraubt werden, dass sie nicht mehr erfüllbar seien. Vorliegend habe er seine Aufmerksamkeit auf das am Strassenrand stehende andere Kind und auf die sich in der Nähe der Rampe befindenden beiden Frauen richten müssen; zudem habe er zeitgleich eine Richtungsänderung durchführen müssen. Unter Berücksichtigung dieser komplexen Verkehrssituation habe er die notwendige Sorgfalt angewandt. Eine Garagenein- und -ausfahrt sei kein Spielplatz für Kinder, und er habe dementsprechend auch nicht damit rechnen müssen, dass sich ein Kleinkind dort aufhalte. Die von der Vorinstanz geforderten Massnahmen, d.h. das Aussteigen aus dem Fahrzeug oder der Beizug einer Hilfsperson, seien überzogen und lebensfremd (Beschwerde S. 7 - 15; vgl. hierzu nachfolgend E. 2.5.1). 
2.3.2 Der Beschwerdeführer bringt weiter vor, selbst wenn eine Sorgfaltspflichtverletzung zu bejahen wäre, würde seine Verurteilung wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung gegen Bundesrecht verstossen, da der Kausalzusammenhang zwischen seinem Handeln und dem eingetretenen Erfolg durch das krass regelwidrige Verhalten des Beschwerdegegners bzw. der mit dessen Aufsicht betrauten Tagesmutter unterbrochen worden sei. Diese habe ihre Aufsichtspflichten in elementarster Weise verletzt, so dass sein eigener Tatbeitrag in den Hintergrund gedrängt werde (Beschwerde S. 16 f.; vgl. hierzu nachfolgend E. 2.5.2). 
2.3.3 Schliesslich rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des Ermittlungsgrundsatzes, da die Vorinstanz nur unvollständig festgestellt habe, inwiefern ein Erheben vom Fahrersitz den Unfall hätte vermeiden können (Beschwerde S. 17; vgl. hierzu nachfolgend E. 2.5.3). 
2.4 
2.4.1 Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer fahrlässig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt (Art. 125 Abs. 1 StGB). Ist die Schädigung schwer, so wird der Täter von Amtes wegen verfolgt (Art. 125 Abs. 2 StGB). 
 
Fahrlässig begeht ein Verbrechen oder Vergehen, wer die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedacht oder darauf nicht Rücksicht genommen hat. Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist (Art. 12 Abs. 3 StGB). 
2.4.2 Die zum Erfolg führenden Geschehensabläufe müssen für den konkreten Täter mindestens in ihren wesentlichen Zügen voraussehbar sein. Zunächst ist daher zu fragen, ob der Täter eine Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte erkennen können und müssen. Insoweit gilt der Massstab der Adäquanz, wonach das Verhalten geeignet sein muss, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den Erfahrungen des Lebens einen Erfolg wie den eingetretenen herbeizuführen oder mindestens zu begünstigen. Die Vorhersehbarkeit der zu beurteilenden Ursache für den Erfolg ist nur zu verneinen, wenn ganz aussergewöhnliche Umstände, wie das Mitverschulden eines Dritten oder Material- oder Konstruktionsfehler, als Mitursache hinzutreten, mit denen schlechthin nicht gerechnet werden musste und die derart schwer wiegen, dass sie als wahrscheinlichste und unmittelbarste Ursache des Erfolgs erscheinen und so alle anderen mitverursachenden Faktoren - namentlich das Verhalten der angeschuldigten Person - in den Hintergrund drängen. 
2.4.3 Damit der Eintritt des Erfolgs auf das pflichtwidrige Verhalten des Täters zurückzuführen ist, genügt seine blosse Vorhersehbarkeit nicht. Vielmehr stellt sich die weitere Frage, ob der Erfolg auch vermeidbar war. Dabei wird ein hypothetischer Kausalverlauf untersucht und geprüft, ob der Erfolg bei pflichtgemässem Verhalten des Täters ausgeblieben wäre. Dabei genügt es für die Zurechnung des Erfolgs, wenn das Verhalten des Täters mindestens mit einem hohen Grad der Wahrscheinlichkeit oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Ursache des Erfolges bildete (BGE 130 IV 7 E. 3.2; 129 IV 282 E. 2.1; 128 IV 49 E. 2b, je mit Hinweisen). 
2.4.4 Wo besondere Normen ein bestimmtes Verhalten gebieten, bestimmt sich das Mass der zu beachtenden Sorgfalt in erster Linie nach diesen Vorschriften (BGE 122 IV 17 E. 2b/aa mit Hinweisen), vorliegend mithin nach den analog anwendbaren Bestimmungen des SVG und der VRV. 
Art. 32 Abs. 1 SVG statuiert, die Geschwindigkeit sei stets den Umständen anzupassen, namentlich den Besonderheiten von Fahrzeug und Ladung, sowie den Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen. Wo das Fahrzeug den Verkehr stören könnte, ist langsam zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, namentlich vor unübersichtlichen Stellen, vor nicht frei überblickbaren Strassenverzweigungen sowie vor Bahnübergängen. 
 
Hieraus folgt, dass der Fahrzeugführer eine Verkehrsfläche nicht ohne anzuhalten befahren darf, wenn er diese nicht überblicken kann (vgl. Giger, a.a.O., S. 98; Schaffhauser, a.a.O., Rz. 576 ff.). Die Bestimmung von Art. 32 Abs. 1 SVG ist, wie die Vorinstanz zutreffend erwogen hat, von derart grundsätzlicher Bedeutung, dass sie auch beim Befahren einer privaten Strasse jedenfalls dann zu beachten ist, wenn der Fahrzeuglenker - wie vorliegend der Fall - mit Personen in unmittelbarer Nähe seines Fahrzeugs rechnen muss. 
2.5 
2.5.1 Indem der Beschwerdeführer die Ein- und Ausfahrtsrampe, ohne anzuhalten, hinunterfuhr, obwohl er diese nicht vollständig überblicken konnte und in der konkreten Situation mit sich dort aufhaltenden Kleinkindern rechnen musste, hat er seine ihm obliegenden Sorgfaltspflichten verletzt und im Sinne von E. 2.1.2 gegen Art. 32 Abs. 1 SVG verstossen. Ihm wäre es ohne weiteres möglich gewesen, vor Befahren der Rampe durch Aussteigen aus dem Auto oder allenfalls durch den Beizug einer Hilfsperson zu überprüfen, ob die zu befahrende Fläche frei von Hindernissen ist. Solche Vorkehrungen zu verlangen, ist keineswegs unverhältnismässig oder gar lebensfremd. Vielmehr wären das Aussteigen aus dem Auto oder der Beizug einer Hilfsperson geeignet, notwendig und zumutbar gewesen, um den sich aus Sichtbeschränkung ergebenden Gefahren zu begegnen. Hierdurch hätte er überdies weder den Verkehrsfluss behindert noch andere Verkehrsteilnehmer gefährdet. Da der Beschwerdeführer mit Kleinkindern rechnen musste, war es für ihn voraussehbar, dass ein Zufahren nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den Erfahrungen des Lebens geeignet war, einen Unfall von der Art des eingetretenen herbeizuführen. Schliesslich wäre der Erfolg bei pflichtgemässem Verhalten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeblieben. 
2.5.2 Das Verhalten der den Beschwerdegegner beaufsichtigenden Tagesmutter vermag diesen adäquaten Kausalzusammenhang nicht zu unterbrechen. Zwar hat die Tagesmutter ihre Garantenpflicht verletzt, und es trifft sie insoweit ein Mitverschulden am Unfall. Ein solches Fehlverhalten liegt jedoch nicht derart weit ausserhalb der normalen Lebenserfahrung, dass damit schlechterdings nicht gerechnet werden muss, ist es doch keineswegs aussergewöhnlich, dass auch Kleinkinder nicht permanent strikt überwacht werden und sich gerade nachmittags zum Spielen vor einer Garagenein- und -ausfahrt aufhalten. Es kann mit anderen Worten im Ergebnis nicht von einem Drittverschulden ausgegangen werden, welches derart schwer wiegen würde, dass es als wahrscheinlichste und unmittelbarste Ursache des Erfolgs erscheinen und so den Tatbeitrag des Beschwerdeführers vollständig in den Hintergrund drängen würde. 
2.5.3 Da die Vorinstanz die Sorgfaltspflichtverletzung des Beschwerdeführers zutreffend darin begründet sieht, dass er weder ausgestiegen ist noch eine Hilfsperson beigezogen hat, hat sie den Ermittlungsgrundsatz nicht verletzt, indem sie die nicht entscheidrelevante Frage, inwiefern ein Erheben vom Fahrersitz die Kollision hätte vermeiden können, nicht näher abgeklärt hat. 
 
2.6 Der Beschwerdegegner wurde beim Unfall schwer verletzt, und der Beschwerdeführer hat diesen Erfolg nach dem Gesagten fahrlässig verursacht. Seine Verurteilung wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung verstösst damit nicht gegen Bundesrecht. 
 
3. 
Die Beschwerde ist folglich vollumfänglich abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos (vgl. Art. 103 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht des Kantons Schwyz, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 14. April 2008 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Schneider Stohner