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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
8C_222/2016  
   
   
 
 
 
Urteil vom 30. Juni 2016  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Ursprung, Wirthlin, 
Gerichtsschreiberin Durizzo. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Regionales Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) Oberuzwil, Wiesentalstrasse 22, 9242 Oberuzwil, 
vertreten durch das Amt für Wirtschaft und Arbeit, Davidstrasse 35, 9001 St. Gallen, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Karin Herzog, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Arbeitslosenversicherung 
(arbeitsmarktliche Massnahme), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen 
vom 8. Februar 2016. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________ hatte eine Ausbildung zum Flugzeugtechniker TS absolviert und sich in der Folge an der Kaderschule B.________ zum Wirtschaftstechniker SVTS weitergebildet. Er war während dieser Zeit und danach während insgesamt vierzehn Jahren bei der Firma C.________ angestellt. Er war dort zunächst als Mechaniker/Pneumatiker mit der Aufarbeitung von Flugzeugbauteilen, dann als Business Unit Controller and Support, später als Area Sales Director und zuletzt als Head of Key Account Management beschäftigt. In dieser Funktion war er insbesondere für die Leitung der Vertragsverhandlungen für langjährige technische Flugzeugunterhaltsverträge und Einzelwartungsereignisse sowie der Vertragsumsetzung und des Controlling des laufenden Vertrages zuständig. Am 11. November 2013 kündigte er seine Arbeitsstelle auf den 28. Februar 2014, um sich eine Auszeit zu nehmen. Am 10. September 2014 meldete er sich bei der Arbeitslosenversicherung zum Bezug einer Arbeitslosenentschädigung an. 
Am 19. Februar 2015 stellte er ein Gesuch um Zustimmung zu einem Kurs bei der D.________ AG. Er beabsichtigte, vom 2. März bis zum 3. April 2015 einen zweiwöchigen Französischintensivkurs, gefolgt von drei Wochen Standardkurs mit Einzellektionen in Frankreich zu absolvieren. Die Kurskosten beliefen sich auf 3'618 Franken. Er legte seinem Gesuch ein Schreiben der E.________ AG vom 18. Februar 2015 bei. Diese bestätigte, dass sie ihn nach Besuch eines solchen Kurses für die Position als Leiter Sales und Marketing, welche gute Französischkenntnisse voraussetze, einstellen würde. Das Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA), Regionales Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) Oberuzwil, wies das Gesuch mit Verfügung vom 23. Februar 2015 ab und hielt daran auch auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 20. April 2015). 
 
B.   
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 8. Februar 2016 teilweise gut. Es hob den Einspracheentscheid vom 20. April 2015 auf und wies die Sache an das RAV zurück, damit dieses über die Höhe des Anspruchs des Beschwerdeführers auf Erstattung der Kosten für einen fünfwöchigen Französischintensivkurs verfüge. 
 
C.   
Das RAV führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides. 
A.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen). 
 
2.  
 
2.1. Nach Art. 1a Abs. 2 AVIG will das Gesetz drohende Arbeitslosigkeit verhüten, bestehende Arbeitslosigkeit bekämpfen und die rasche und dauerhafte Eingliederung in den Arbeitsmarkt fördern. Diesem Zweck dienen unter anderem die im sechsten Kapitel des AVIG geregelten arbeitsmarktlichen Massnahmen. Gemäss Art. 59 AVIG erbringt die Versicherung finanzielle Leistungen für arbeitsmarktliche Massnahmen zu Gunsten von versicherten Personen, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind (Abs. 1). Mit arbeitsmarktlichen Massnahmen soll die Eingliederung von Versicherten, die aus Gründen des Arbeitsmarktes erschwert vermittelbar sind, gefördert werden (Abs. 2 Satz 1). Der im Zuge der 3. Teilrevision des AVIG vom 22. März 2002 (in Kraft seit 1. Juli 2003) neu gefasste Art. 59 Abs. 2 AVIG setzt für die Erbringung von Leistungen eine erschwerte Vermittelbarkeit aus Gründen des Arbeitsmarktes voraus (gegenüber unmöglicher oder stark erschwerter Vermittelbarkeit nach alt Art. 59 Abs. 1 Satz 1 AVIG). Damit hat der Gesetzgeber weder eine erleichterte Begründung des Anspruchs auf arbeitsmarktliche Massnahmen noch eine Ausweitung des Kreises der Anspruchsberechtigten eingeführt, weshalb die bisherige Rechtsprechung weiterhin anwendbar bleibt (SVR 2005 ALV Nr. 6 S. 19, C 77/04 E. 3).  
 
2.2. Grundvoraussetzung für den Anspruch auf Teilnahme an individuellen arbeitsmarktlichen Massnahmen ist die arbeitsmarktliche Indikation. Leistungen sind nur zuzusprechen, wenn die (inländische) Arbeitsmarktlage dies unmittelbar gebietet. Die Anspruchsvoraussetzung der arbeitsmarktlichen Indikation besteht aus einer objektiven und subjektiven Komponente. Das objektive Element bezieht sich auf den aktuellen Bedarf des Arbeitsmarktes nach Arbeitskräften. Die subjektive Komponente betrifft die Anpassungsbedürftigkeit der versicherten Person an diese Nachfrage. Die Frage, ob die arbeitsmarktliche Indikation im Einzelfall gegeben ist, beurteilt sich aufgrund sämtlicher im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung massgebenden Umstände. Insbesondere ist mit Hilfe amtlicher und privater Statistiken die Situation auf dem konkreten, für die versicherte Person in Frage kommenden Arbeitsmarkt abzuklären (Thomas Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in: SBVR Bd. XIV, 3. Aufl. 2016, S. 2470 Rz. 666 ff.; BGE 111 V 271; SVR 2005 ALV Nr. 9 S. 29, C 147/04 E. 2.1.1 und E. 4; ARV 1999 Nr. 12 S. 64 E. 2; Urteile C 265/04 vom 19. April 2005 E. 3.2.2; C 222/04 vom 19. April 2005 E. 2.3 und 2.4).  
 
3.   
Das kantonale Gericht hat erwogen, dass dem Versicherten nach intensiven, aber erfolglosen Arbeitsbemühungen eine Arbeitsstelle angeboten worden sei unter der Bedingung, dass er vor Stellenantritt Anfang April 2015 einen Französischintensivkurs besuche. Er habe nach eigenen Angaben lediglich in der Sekundarschule während dreier Jahre Französischunterricht genossen. Nach Ansicht der Vorinstanz war die arbeitsmarktliche Indikation damit gegeben. Die Teilnahme an einem Französischintensivkurs habe sich aus arbeitsmarktlichen Gründen geradezu aufgedrängt. Hätte der Versicherte den Kurs nicht besucht, hätte er unbestrittenermassen die Stelle nicht erhalten und wäre arbeitslos geblieben. Ziel des Kurses sei gewesen, sich auf die angebotene Stelle als Leiter Sales und Marketing vorzubereiten, also auf geschäftlicher Basis auf Französisch kommunizieren zu können. Unter diesen Voraussetzungen könne die arbeitsmarktliche Indikation für die Kursübernahme grundsätzlich bejaht werden. 
 
4.   
Das kantonale Gericht hat somit die Voraussetzung der arbeitsmarktlichen Indikation als gegeben erachtet, und zwar wegen des Stellenangebots, welches der Versicherte erhalten hatte und das mit der Bedingung verknüpft war, dass er vor Stellenantritt einen Französischkurs absolviere. Dieser Umstand ist für die arbeitsmarktliche Indikation nach der dargelegten Rechtsprechung jedoch nicht massgeblich. Dass ein beantragter Sprachkurs die Chancen der versicherten Person innerhalb ihres bisherigen Tätigkeitsgebiets erhöht und zudem das Bewerbungsfeld erweitert, ist nicht entscheidend, da praktisch jede berufliche Massnahme wegen der dadurch vermittelten zusätzlichen Kenntnisse Vorteile auf dem Arbeitsmarkt bringt (ARV 2005 S. 280, C 48/05 E. 2.2.1; 1999 Nr. 12 S. 64 E. 2 S. 66). Ausschlaggebend war vielmehr, ob der Arbeitsmarkt für Personen mit den Qualifikationen des Versicherten grundsätzlich Stellen bereit halte und ob er aus persönlichen Gründen im Wettbewerb um diese Stellen benachteiligt sei (oben E. 2.2). Der angefochtene Entscheid ist deshalb hinsichtlich der Beurteilung der Voraussetzungen für die Zustimmung zum Kursgesuch bundesrechtswidrig. 
Das RAV führt dazu aus, dass es für den Versicherten objektiv ein grosses Stellenangebot gegeben habe, zumal er über eine breite und langjährige Berufserfahrung verfüge. Auch ohne Französischkurs habe er im bisherigen Berufsbereich gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt gehabt, was anhand der Vielzahl seiner Arbeitsbemühungen und einer hohen Vorstellungsquote dokumentiert sei. Auch subjektive Gründe für seine Arbeitslosigkeit liessen sich nicht finden. Eine erschwerte Vermittelbarkeit im Sinne des Gesetzes habe nicht vorgelegen. Dies stimmt überein mit der vom RAV am 16. September 2014 zusammen mit dem Versicherten erstellten "Arbeitsmarktstrategie". Es wurde damals festgehalten, dass seine aktuelle Situation auf dem Arbeitsmarkt als gut erachtet wurde. Der Versicherte lässt vernehmlassungsweise vorbringen, dass ihm seine mangelhaften Französischkenntnisse auf dem für ihn in Betracht fallenden Stellenmarkt zum Nachteil gereicht hätten. Mit seinem verhandlungssicheren schriftlichen und mündlichen Englisch verfügte er jedoch über die meistens verlangten sehr guten Fremdsprachenkenntnisse. Die Stellenausschreibungen, auf die er sich beruft, erwähnten zusätzliche Fremdsprachen, wenn überhaupt, in der Regel nur als wünschenswert. Das kantonale Gericht hat denn insoweit auch zutreffend und von den Parteien unbestritten festgestellt, dass Französischkenntnisse für weitere Stellen entweder Voraussetzung oder von Vorteil gewesen seien. Damit ist jedoch nicht davon auszugehen, dass es für den Versicherten ohne Absolvierung des gewünschten Kurses praktisch keine Arbeitsplätze geben würde (Urteil C 89/06 vom 24. Januar 2007 E. 4). Nicht ausser Acht bleiben soll schliesslich auch, dass nach Art. 81 Abs. 2 AVIV berufs- und betriebsübliche Massnahmen zur Einarbeitung neuer Mitarbeiter von der Finanzierung durch die Arbeitslosenversicherung ausgeschlossen sind (Urteil C 222/04 vom 19. April 2005 E. 2.4). 
 
5.   
Zusammengefasst war der beantragte Kurs nicht arbeitsmarktlich indiziert. Der Versicherte übte auch vor der Arbeitslosigkeit ohne die entsprechenden Sprachkenntnisse seinen Beruf aus. Er spricht englisch und es gibt genügend Stellenangebote in der Ostschweiz, für die vertiefte Französischkenntnisse nicht nötig sind. Der Kurs gehört daher zum Wünschbaren, ist aber kein Muss. Der angefochtene Entscheid stützt sich auf eine falsche Anwendung der gesetzlichen und rechtsprechungsgemässen Regeln über die arbeitsmarktlichen Massnahmen und ist deshalb bundesrechtswidrig. Die Beschwerde des RAV ist gutzuheissen. 
 
6.   
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Versicherten auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 8. Februar 2016 wird aufgehoben und der Einspracheentscheid des Regionalen Arbeitsvermittlungszentrums (RAV) Oberuzwil vom 20. April 2015 bestätigt. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 30. Juni 2016 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Durizzo