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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5A_787/2011 
 
Urteil vom 24. November 2011 
II. zivilrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin, 
Bundesrichter Marazzi, von Werdt, 
Gerichtsschreiber Zbinden. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Advokat Martin Lutz, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel, 
Amtsvormundschaft A.________. 
 
Gegenstand 
Fürsorgerische Freiheitsentziehung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid der Psychiatrie-Rekurskommission Basel-Stadt vom 25. Oktober 2011. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
A.a Der am xxxx 1965 geborene X.________ leidet an einer bipolaren affektiven Störung und an einer Aplasie beider Arme durch Thalidomid. Vor seiner nunmehr zu beurteilenden Einweisung in eine psychiatrische Anstalt war er insgesamt 21 Mal in Kliniken untergebracht, wobei die letzten zehn Einweisungen in den vergangenen zwei Jahren verfügt wurden. 
 
A.b X.________ wurde letztmals am 14. Oktober 2011 in Begleitung der Polizei wegen selbstgefährdenden Verhaltens in die Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK) überführt, worauf ihm die Vormundin am gleichen Tag fürsorgerisch die Freiheit entzog. X.________ rekurrierte unverzüglich gegen die angeordnete Massnahme bei der Psychiatrie-Rekurskommission des Kantons Basel-Stadt. 
A.c Mit Schreiben vom 20. Oktober 2011 beantragten die UPK eine Verlängerung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung bis zum 21. November 2011. Das mit der Begutachtung beauftragte ärztliche Mitglied der Psychiatrie-Rekurskommission Basel-Stadt, Dr. Z.________, Spezialarzt für Psychiatrie und Psychotherapie, befürwortete in seinem Bericht vom 24. Oktober 2011 eine Aufhebung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung. 
 
B. 
Anlässlich der Verhandlung vom 25. Oktober 2011 hörte die Psychiatrie-Rekurskommission Basel-Stadt (Rekurskommission), die ohne ihr Mitglied Dr. Z.________ tagte, den anwaltlich verbeiständeten X.________ sowie seinen Anwalt an. Die an der Verhandlung Auskunft erteilende Ärztin beantragte eine Verlängerung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung. Mit Entscheid vom gleichen Tag wies die Rekurskommission den Rekurs von X.________ ab und ermächtigte die ärztliche Leitung der UPK, ihn weiterhin ohne neuen Entscheid jedoch längstens bis zum 6. Dezember 2011 in den Kliniken zurückzubehalten. Die Begründung des Entscheids äussert sich nicht zum Gutachten und insbesondere nicht zur Auffassung des gerichtlichen Gutachters, wonach X.________ aus der Anstalt zu entlassen sei. 
 
C. 
Der anwaltlich verbeiständete X.________ (Beschwerdeführer) hat gegen den ihm angeblich am 3. November 2011 in voller Ausfertigung zugestellten Entscheid mit Eingabe vom 12. November 2011 (Postaufgabe) beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Er beantragt, die fürsorgerische Freiheitsentziehung per sofort aufzuheben und als superprovisorische vorsorgliche Massnahme die sofortige Entlassung anzuordnen. Für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. 
 
D. 
Die UPK haben sich am 17. November 2011 vernehmen lassen. Die Amtsvormundschaft hat ihre Stellungnahme am 18. November 2011 eingereicht. Vonseiten der Rekurskommission liegt keine Antwort vor. 
 
E. 
Das Gesuch des Beschwerdeführers um Erlass superprovisorischer Massnahmen ist mit Verfügung vom 14. November 2011 abgewiesen worden. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 
Angefochten ist ein letztinstanzlicher Entscheid (Art. 75 Abs. 1 und Art. 90 BGG) betreffend fürsorgerische Freiheitsentziehung. Er betrifft eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit, die in engem Zusammenhang mit dem Zivilrecht steht und demzufolge mit Beschwerde in Zivilsachen beim Bundesgericht angefochten werden kann (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 6 BGG). Der bundesgerichtlichen Praxis entsprechend ist die Beschwerde gegen den Entscheid der Rekurskommission grundsätzlich zulässig (vgl. Urteil 5A_284/2011 vom 19. April 2011). 
 
1.2 Die Rekurskommission hat ihren Entscheid weder gegen Empfangsbestätigung noch per Einschreiben zugestellt, sodass sich nicht feststellen lässt, ob die Rechtsmittelfrist ordnungsgemäss eingehalten worden ist. Auf die Beschwerde ist somit ohne weiteres einzutreten. Der Rekurskommission wird empfohlen, in Zukunft für eine Zustellung ihrer Entscheide zu sorgen, die den Nachweis der Einhaltung der Rechtsmittelfrist ermöglicht. 
 
2. 
Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Anwendung von § 31 Abs. 3 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes des Kantons Basel-Stadt, eine willkürliche Feststellung des Sachverhalts im Zusammenhang mit Art. 397a Abs. 1 ZGB sowie eine Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV. Die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) ist formeller Natur; sie führt ungeachtet der materiellen Begründetheit des Rechtsmittels zur Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids (BGE 135 I 187 E. 2.2 E. S. 190; 133 III 235 E. 5.3 in fine S. 250). Die Rüge ist somit vorweg zu behandeln. 
 
3. 
3.1 Zur Begründung seiner Rüge macht der Beschwerdeführer geltend, die Vorinstanz habe ein gerichtliches Gutachten zur Frage der fürsorgerischen Freiheitsentziehung angeordnet. Der gerichtliche Gutachter habe ihn am 20. Oktober 2011 besucht und am 24. Oktober 2011 zu Handen der Rekurskommission die Entlassung nach der Verhandlung beantragt. Die Rekurskommission habe weder auf dieses Gutachten abgestellt noch sich in der Begründung überhaupt mit der gutachterlichen Meinung auseinandergesetzt. 
 
3.2 Das rechtliche Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV verpflichtet die Behörde, ihren Entscheid zu begründen. Dabei ist nicht erforderlich, dass sie sich mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass sich der Betroffene über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen kann. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf die sich ihr Entscheid stützt (vgl. BGE 133 III 439 E. 3.3; BGE 130 II 530 E. 4.3 S. 540; BGE 129 I 232 E. 3.2; BGE 126 I 97 E. 2b; 134 I 83 E. 4.1 S. 88 mit Hinweisen). 
 
3.3 Wie jedes Beweismittel unterliegen auch Gutachten der freien richterlichen Beweiswürdigung, wobei der Richter in Sachfragen nur aus triftigen Gründen von einer gerichtlichen Expertise abweicht. Die Beweiswürdigung (und die Beantwortung der sich stellenden Rechtsfragen) ist Aufgabe des Richters. Dieser hat zu prüfen, ob sich aufgrund der übrigen Beweismittel und der Vorbringen der Parteien ernsthafte Einwände gegen die Schlüssigkeit der gutachterlichen Darlegungen aufdrängen. Erscheint ihm die Schlüssigkeit eines Gutachtens in wesentlichen Punkten zweifelhaft, hat er nötigenfalls ergänzende Beweise zur Klärung dieser Zweifel zu erheben. Das Abstellen auf eine nicht schlüssige Expertise bzw. der Verzicht auf die gebotenen zusätzlichen Beweiserhebungen kann gegen das Verbot willkürlicher Beweiswürdigung (Art. 9 BV) verstossen (BGE 133 II 384 E. 4.2.3 S. 391; 130 I 337 E. 5.4.2 S. 345 f.; 129 I 49 E. 4 S. 57; 128 I 81 E. 2 S. 86; 134 I 83 E. 4.1 S. 88, je mit weiteren Hinweisen). 
Mit Bezug auf die fürsorgerische Freiheitsentziehung gilt es überdies, Folgendes zu berücksichtigen: 
 
3.4 Nach Art. 397e Ziff. 5 ZGB darf bei psychisch Kranken nur unter Bezug eines Sachverständigen entschieden werden. Das gestützt auf Art. 397e Ziff. 5 ZGB anzuordnende Gutachten hat sich insbesondere über den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers zu äussern, ferner darüber, wie sich allfällige gesundheitliche Störungen hinsichtlich der Gefahr einer Selbst- oder Drittgefährdung, aber auch der Verwahrlosung auswirken können und ob sich daraus ein Handlungsbedarf ergibt. Ferner ist durch den Gutachter zu prüfen, ob aufgrund des festgestellten Handlungsbedarfs eine stationäre Behandlung unerlässlich ist, schliesslich, ob eine Anstalt zur Verfügung steht und wenn ja, (nötigenfalls) warum die vorgeschlagene Anstalt für die Behandlung infrage kommt. Aufgrund des Gutachtens muss die zuständige Instanz in der Lage sein, die sich aus Art. 397a Abs. 1 ZGB ergebenden Rechtsfragen zu beantworten, nämlich ob ein Schwächezustand im Sinn von Art. 397a Abs. 1 ZGB vorliegt, ferner, ob sich daraus ein Fürsorgebedarf für den Beschwerdeführer ergibt, sodann, ob die erforderliche persönliche Fürsorge des Beschwerdeführers nur stationär oder aber ambulant gewährt werden kann, schliesslich, ob im Fall einer erforderlichen stationären Behandlung die vorgeschlagene Anstalt als geeignet erscheint (BGE 137 III 289 E. 4.5). 
Der Gutachter muss ein ausgewiesener Fachmann, aber auch unabhängig sein (BGE 118 II 249; BGE 119 II 319 E. 2b S. 321 f.), und er darf sich nicht bereits im gleichen Verfahren über die Krankheit der betroffenen Person geäussert haben (BGE 128 III 12 E. 4a S. 15). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist überdies mit der geforderten Unabhängigkeit des Sachverständigen nicht zu vereinbaren, dass ein Mitglied der entscheidenden Instanz (Fachrichter) gleichzeitig als Sachverständiger amtet (Urteil N.D. gegen Schweiz vom 29. März 2001, Recueil CourEDH 2001-III S. 21 § 53; siehe zum Ganzen: BGE 137 III 289 E. 4.4 S. 292). 
 
3.5 Im vorliegenden Fall hat die Vorinstanz ein psychiatrisches Gutachten bei einer Fachperson für Psychiatrie eingeholt, welches sich für eine Entlassung des Beschwerdeführers aus der psychiatrischen Klinik ausgesprochen hat. Sie erwähnt die Einholung dieses Gutachtens zwar im Sachverhalt, geht aber in den entscheidwesentlichen Erwägungen überhaupt nicht auf die Ausführungen dieses Gutachtens ein und lässt insbesondere ungeklärt, weshalb sie von dessen klaren Schlussfolgerung abweicht, wonach ein längerer Verbleib des Beschwerdeführers in der Anstalt kaum eine Verbesserung seines Zustandes bringt. Dem angefochtenen Entscheid lässt sich nicht entnehmen, dass die Vorinstanz das besagte Gutachten als untauglich bzw. nicht schlüssig betrachtet hat und warum dies der Fall sein soll. Zudem äussert sich der angefochtene Entscheid in keiner Weise zum Widerspruch zwischen den Aussagen des gerichtlich bestellten Sachverständigen und der an der Verhandlung befragten Ärztin, und es wird auch nicht erwähnt, in welcher Eigenschaft die Auskunft erteilende Ärztin angehört wurde und in welchem Verhältnis sie zu den Psychiatrischen Kliniken steht (vgl. zum Gutachten des Klinikarztes: BGE 118 II 249 E. 2b). Unter diesen Umständen ist es dem Beschwerdeführer nicht möglich, das betreffende Urteil mit Bezug auf die Frage des Gutachtens den Regeln der Kunst entsprechend anzufechten. 
 
3.6 Der angefochtene Entscheid vermag daher den Begründungsanforderungen des Art. 29 Abs. 2 BV nicht zu genügen. Er ist folglich aufzuheben. Da bis zum Ablauf der für eine maximale Dauer (längstens 6. Dezember 2011) ausgesprochenen fürsorgerischen Freiheitsentziehung nur noch wenig Zeit verbleibt, ist ausnahmsweise von einer Rückweisung der Sache an die Vorinstanz abzusehen und antragsgemäss sofort die Entlassung des Beschwerdeführers anzuordnen. 
Von der Aufhebung nicht betroffen ist die Ziffer 3 des angefochtenen Entscheids über die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege für das kantonale Verfahren und die Entschädigung des amtlichen Anwalts. 
 
4. 
Damit ist die Beschwerde gutzuheissen. Da dem Kanton Basel-Stadt keine Kosten auferlegt werden können, ist von der Erhebung einer Gerichtsgebühr abzusehen (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Basel-Stadt hat jedoch den Beschwerdeführer für die Umtriebe des bundesgerichtlichen Verfahrens zu entschädigen (Art. 68 Abs. 2 BGG). Damit wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid der Psychiatrie-Rekurskommission Basel-Stadt vom 25. Oktober 2011 wird aufgehoben. Die ärztliche Leitung der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel wird angewiesen, den Beschwerdeführer sofort zu entlassen. 
 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3. 
Der Kanton Basel-Stadt hat den Beschwerdeführer für seine Umtriebe im bundesgerichtlichen Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, der ärztlichen Leitung der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel und der Psychiatrie-Rekurskommission Basel-Stadt schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 24. November 2011 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Hohl 
 
Der Gerichtsschreiber: Zbinden