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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
8C_494/2019  
 
 
Urteil vom 10. Dezember 2019  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichterinnen Heine, Viscione, 
Gerichtsschreiberin Kopp Käch. 
 
Verfahrensbeteiligte 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Fäh, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Neuanmeldung, Invalidenrente), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 22. Juli 2019 (IV 2017/95). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Der 1959 geborene A.________ hatte sich am 3. Dezember 2012 unter Hinweis auf seit 2006 bestehende Panikattacken, Angststörungen und Depressionen erstmals bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug angemeldet. Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen tätigte Abklärungen in medizinischer und erwerblicher Hinsicht. Da sich A.________ trotz mehrmaliger Anfrage, ob und falls ja, bei wem er sich in psychiatrischer Behandlung befinde, nicht vernehmen liess, trat die IV-Stelle mit Verfügung vom 1. Mai 2014 nach durchgeführtem Mahn- und Bedenkzeitverfahren auf das Leistungsbegehren nicht ein. Das dagegen erhobene Beschwerdeverfahren schrieb das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen infolge Rückzugs der Beschwerde mit Erledigungsverfügung vom 24. Juli 2014 ab, nachdem die IV-Stelle das Abklärungsverfahren wieder aufgenommen hatte.  
 
A.b. Da A.________ in der Folge zu mehreren mit der Eingliederungsberaterin vereinbarten Terminen nicht erschienen war, leitete die IV-Stelle am 12. März 2015 erneut ein Mahn- und Bedenkzeitverfahren ein; gleichentags stellte sie dem Rechtsvertreter des Versicherten auf dessen Wunsch die Akten zu. Mit Verfügung vom 8. April 2015 trat die IV-Stelle auf das Gesuch um berufliche Massnahmen und Rentenleistungen nicht ein. Der Rechtsvertreter des Versicherten teilte ihr am 8. Mai 2015 mit, er vertrete dessen Interessen ab sofort nicht mehr.  
 
A.c. Am 22. Oktober 2015 meldete sich A.________ mit Hilfe der pro infirmis erneut zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung an. Nach Abklärung der erwerblichen und medizinischen Verhältnisse wies die IV-Stelle das Begehren um berufliche Massnahmen mit Mitteilungen vom 7. Dezember 2015 und 20. Juli 2016 ab. Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren sprach sie A.________ mit Verfügung vom 26. Januar 2017 rückwirkend ab 1. April 2016 eine ganze Invalidenrente zu.  
 
B.   
Die hiegegen erhobene Beschwerde, mit welcher A.________ die Zusprechung einer ganzen Invalidenrente ab 1. November 2015 beantragen liess, hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 22. Juli 2019 gut. Es hob die Verfügung der IV-Stelle vom 26. Januar 2017 auf und sprach dem Versicherten mit Wirkung ab 1. August 2015 eine ganze Invalidenrente zu. 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die IV-Stelle, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei die Verfügung vom 26. Januar 2017 zu bestätigen. Zudem ersucht sie um Gewährung der aufschiebenden Wirkung ihrer Beschwerde. 
Während A.________ auf Abweisung der Beschwerde schliessen lässt, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung. 
 
D.   
Mit Verfügung vom 18. Oktober 2019 hat die Instruktionsrichterin der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).  
 
1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
2.  
 
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzte, indem es dem Versicherten mit Wirkung ab 1. August 2015 eine ganze Invalidenrente zusprach. Nicht streitig ist der Anspruch auf eine ganze Rente ab 1. April 2016.  
 
2.2. In sachverhaltlicher Hinsicht steht unbestritten fest, dass die IV-Stelle auf das Begehren des Beschwerdegegners um Leistungen der Invalidenversicherung vom 3. Dezember 2012 nach durchgeführtem Mahn- und Bedenkzeitverfahren mit Verfügung vom 1. Mai 2014 nicht eingetreten war; dies nachdem der Versicherte trotz mehrmaliger Nachfrage keine Auskunft darüber erteilt hatte, ob und falls ja, bei wem er sich in psychiatrischer Behandlung befinde. Im Rahmen des dagegen erhobenen Beschwerdeverfahrens nahm die IV-Stelle das Abklärungsverfahren wieder auf, woraufhin das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen das Beschwerdeverfahren mit Entscheid vom 24. Juli 2014 abschrieb. Da der Versicherte in der Folge zu mehreren mit der Eingliederungsberaterin vereinbarten Terminen nicht erschien, trat die IV-Stelle nach erneut durchgeführtem Mahn- und Bedenkzeitverfahren mit Verfügung vom 8. April 2015 auf das Gesuch des zu dieser Zeit anwaltlich vertretenen Beschwerdegegners um berufliche Massnahmen und Rentenleistungen nicht ein. Diese Verfügung ist in Rechtskraft erwachsen. Am 22. Oktober 2015 meldete sich der Beschwerdegegner erneut zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung an; er wurde dabei von der pro infirmis unterstützt.  
 
3.  
 
3.1. Die Vorinstanz hat zunächst festgehalten, der Beschwerdegegner habe sich letztmals mit Eingabe vom 22. Oktober 2015 zum Leistungsbezug an die IV-Stelle gewendet, weshalb er grundsätzlich frühestens sechs Monate später, mithin ab 1. April 2016 einen Rentenanspruch habe. Sie hat dann aber erwogen, die pro infirmis als damalige Vertreterin des Versicherten habe die IV-Stelle mit Eingabe vom 22. Oktober 2015 darum ersucht, die Abklärungen vom April 2015 wiederaufzunehmen. Der Versicherte habe geltend machen lassen, er habe seiner Mitwirkungspflicht aus gesundheitlichen Gründen nicht nachkommen können. Aus dem Schreiben ergebe sich sodann, dass er die Mitwirkungsverweigerung habe aufgeben wollen. Die Sanktionsverfügung vom 8. April 2015 - so das kantonale Gericht - sei damit als überholt zu betrachten und das im Dezember 2012 eingeleitete Verfahren wäre wiederaufzunehmen gewesen. Es sei mithin nicht von einer Neuanmeldung, sondern von der Fortsetzung des früheren Verwaltungsverfahrens auszugehen, weshalb ein Rentenbeginn frühestens ab Mai 2013 in Betracht falle.  
 
3.2. Bezüglich Zeitpunkt des Rentenbeginns stellte die Vorinstanz in Würdigung der erwerblichen und medizinischen Aktenlage sodann fest, der Beschwerdegegner sei seit August 2015 überwiegend wahrscheinlich auch in einer adaptierten Tätigkeit zu 100% arbeitsunfähig. Für die Zeit davor sei dies nicht rechtsgenüglich nachgewiesen. Auch sei nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellt, dass die zweimalige Verletzung der Mitwirkungspflicht krankheitsbedingt erfolgt sei, zumal der Versicherte noch in der Lage gewesen sei, anfangs 2014 ein Einzelunternehmen zu gründen und seine Rechtsschrift vom 29. Mai 2014 selber zu verfassen. Das kantonale Gericht erkannte dem Versicherten ausgehend von einer 100%igen Arbeitsunfähigkeit in einer adaptierten Tätigkeit ab 1. August 2015 einen Anspruch auf eine ganze Invalidenrente zu.  
 
4.   
Die dagegen erhobene Beschwerde der IV-Stelle ist begründet, wie sich aus dem Folgenden ergibt: 
 
4.1. Nach Art. 43 ATSG prüft der Versicherungsträger die Begehren, nimmt die notwendigen Abklärungen von Amtes wegen vor und holt die erforderlichen Auskünfte ein (Abs. 1 Satz 1). Soweit ärztliche oder fachliche Untersuchungen für die Beurteilung notwendig und zumutbar sind, hat sich die versicherte Person diesen zu unterziehen (Abs. 2). Kommen die versicherte Person oder andere Personen, die Leistungen beanspruchen, den Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten in unentschuldbarer Weise nicht nach, so kann der Versicherungsträger aufgrund der Akten verfügen oder die Erhebungen einstellen und Nichteintreten beschliessen. Er muss diese Personen vorher schriftlich mahnen und auf die Rechtsfolgen hinweisen; ihnen ist eine angemessene Bedenkzeit einzuräumen (Abs. 3). Die Folgen einer Verletzung der Mitwirkungspflicht gelten auch bei verweigerter Teilnahme an einem Standortgespräch, welches dazu dient, die Eingliederung der versicherten Person in den Arbeitsmarkt zu klären (Urteil 8C_59/2019 vom 17. Mai 2019 E. 5.2). Bei der nach Art. 43 Abs. 3 ATSG zu verfügenden Sanktion ist der Verhältnismässigkeitsgrundsatz zu berücksichtigen. Wird die verweigerte Mitwirkung in einem späteren Zeitpunkt erbracht, kann sich die festgelegte Sanktion demnach nur auf diejenige Zeitspanne beziehen, während der die Mitwirkung verweigert wurde (BGE 139 V 585 E. 6.3.7.5 S. 590 f.; vgl. UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 3. Aufl. 2015, N. 103 zu Art. 43 ATSG). Bei einer anhaltenden Mitwirkungspflichtverweigerung im Falle einer Erstanmeldung zum Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung ist die später erklärte Bereitschaft zur Mitwirkung als Neuanmeldung zu betrachten. Massgebend ist der Zeitpunkt, in welchem der Versicherte seine verweigernde Haltung aufgibt und sich bereit erklärt, an der Abklärung der Verhältnisse mitzuwirken (SVR 2017 IV Nr. 50 S. 150, 9C_244/2016 E. 3.3 mit Hinweisen). Die nach Erlass einer auf Art. 43 Abs. 3 ATSG gestützten Verfügung erklärte Mitwirkungsbereitschaft macht die Widersetzlichkeit, die zur Verfügung geführt hat, nicht ungeschehen (vgl. Urteile 8C_733/2010 vom 10. Dezember 2010 E. 5.6, 9C_994/2009 vom 22. März 2010 E. 5.1). Es ist mithin im Rahmen der Neuanmeldung für die Zukunft zu prüfen, ob auf die bisherige Leistungsablehnung zurückzukommen ist (SVR 2017 IV Nr. 50 S. 150, 9C_244/2016 E. 3.3 mit Hinweisen).  
 
4.2. Das kantonale Gericht hat für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich festgestellt, dass für die Zeit vor August 2015 eine relevante Arbeitsunfähigkeit des Versicherten in einer adaptierten Tätigkeit nicht rechtsgenüglich nachgewiesen ist. Es hat aufgezeigt, dass der Beschwerdegegner im Januar 2014 eine Einzelunternehmung im Handelsregister eintragen liess und diese erst am 6. Mai 2016 infolge Geschäftsaufgabe erloschen ist. Zudem habe der Versicherte, wie sich aus den Akten ergebe, ab März 2015 viermal pro Woche ca. drei Stunden als Aushilfe in einer Bäckerei gearbeitet. Gemäss Vorinstanz ist sodann nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellt, dass die zweimalige Verletzung der Mitwirkungspflicht krankheitsbedingt erfolgte. Es ist somit davon auszugehen, dass sich die Arbeitsunfähigkeit des Beschwerdegegners für die Zeit vor August 2015 aufgrund der Aktenlage nicht rechtsgenüglich feststellen liess und der Versicherte den Auskunfts- und Mitwirkungspflichten im Rahmen des Abklärungsverfahrens in unentschuldbarer Weise nicht nachgekommen ist. Nach korrekt durchgeführtem Mahn- und Bedenkzeitverfahren ist die IV-Stelle daher zu Recht mit Verfügung vom 8. April 2015 auf das Gesuch um berufliche Massnahmen und Rentenleistungen nicht eingetreten. Die dem Rechtsvertreter des Beschwerdegegners eröffnete Verfügung ist unangefochten in Rechtskraft erwachsen. Entgegen der Vorbringen des Versicherten wäre eine Beschwerdeerhebung durch den Rechtsvertreter durchaus noch möglich gewesen, legte doch dieser das Mandat erst am 8. Mai 2015 nieder. Die mit "IV-Anmeldung" bezeichnete Eingabe der pro infirmis und des Versicherten vom 22. Oktober 2015 ist nach Gesagtem als Neuanmeldung entgegenzunehmen. Daran ändert nichts, dass im Schreiben darum ersucht wurde, die IV-Abklärungen vom April 2015 wieder aufzunehmen, und dass die IV-Stelle in ihren Verlaufseinträgen festhielt, der Versicherte habe nicht die direkte Verschlechterung des Gesundheitszustandes glaubhaft zu machen. Wie unter E. 4.1 hiervor dargelegt wurde, macht die durch Neuanmeldung nach Erlass einer auf Art. 43 Abs. 3 ATSG gestützten Verfügung erklärte Mitwirkungsbereitschaft die Widersetzlichkeit, die zur Verfügung geführt hat, nicht ungeschehen. Vielmehr ist diesfalls für die Zukunft zu prüfen, ob auf die bisherige Leistungsablehnung zurückzukommen ist. Die Entgegennahme als Neuanmeldung hat zur Folge, dass der Rentenanspruch frühestens nach Ablauf der in Art. 29 Abs. 1 IVG statuierten sechsmonatigen Frist, mithin ab 1. April 2016, entstehen kann.  
 
4.3. Zusammenfassend ergibt sich aus den vorangehenden Erwägungen, dass das kantonale Gericht Bundesrecht verletzt hat, indem es die Eingabe vom 22. Oktober 2015 als Aufgabe der Verweigerung der Mitwirkung statt als Neuanmeldung qualifiziert hat. Die Beschwerde der IV-Stelle ist daher gutzuheissen.  
 
5.   
Entsprechend dem Prozessausgang sind die Gerichtskosten dem unterliegenden Beschwerdegegner aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Die obsiegende Beschwerdeführerin hat als mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betraute Institution keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 22. Juli 2019 wird aufgehoben und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons St. Gallen vom 26. Januar 2017 bestätigt. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt. 
 
3.   
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten des vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen zurückgewiesen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 10. Dezember 2019 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Kopp Käch