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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
I 220/05 
 
Urteil vom 2. August 2005 
IV. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber Hochuli 
 
Parteien 
M.________, 2001, Beschwerdeführer, vertreten durch seine Mutter S.________, und diese vertreten durch die Winterthur-ARAG Rechtsschutz, Gartenhofstrasse 17, 8004 Zürich, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur 
 
(Entscheid vom 3. Februar 2005) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Der am 27. März 2001 geborene M.________ leidet an einer cerebralen Bewegungsstörung (infantile Cerebralparese [ICP]) mit Rumpfhypotonie und linksbetonter Tetraspastizität. In Anerkennung des Geburtsgebrechens Ziff. 390 des Anhangs zur Verordnung über Geburtsgebrechen (GgV-Anhang) gewährte die Invalidenversicherung dem Versicherten seit 2002 verschiedene Leistungen. Wegen beidseitigem Schielen meldete ihn die Mutter zusätzlich am 20. Mai 2003 gestützt auf die Diagnose eines Strabismus convergens links gemäss Bericht der ihn seit 8. April 2003 behandelnden Augenärztin Dr. med. V.________ zum entsprechenden Bezug von medizinischen Massnahmen bei der Invalidenversicherung an. Mit Verfügung vom 26. Juni 2003 lehnte die IV-Stelle Zürich die Übernahme der Behandlung des Augenleidens und die diesbezügliche Abgabe von Hilfsmitteln ab und hielt mit Einspracheentscheid vom 11. März 2004 daran fest mit der Begründung, die ärztliche Behandlung des Augenleidens stehe nicht in einem anspruchsbegründenden Kausalzusammenhang mit dem Geburtsgebrechen und die Brillenversorgung stelle nicht eine wesentliche Ergänzung einer medizinischen Massnahme dar. 
B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde des M.________ wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich nach Einholung eines spezialärztlichen Berichts der Oberärztin Dr. med. K.________, Abteilung Neuropädiatrie am Spital X.________, vom 9. Dezember 2004 (nachfolgend: Ergänzungsbericht) mit Entscheid vom 3. Februar 2005 ab. 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt M.________ unter Aufhebung des kantonalen Gerichts- und des Einspracheentscheids beantragen, "die Kosten der Behandlung des Augenleidens inklusive die Kosten der Brille [seien] durch die Invalidenversicherung zu übernehmen". 
 
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen zum Anspruch von Personen vor dem vollendeten 20. Altersjahr auf medizinische Eingliederungsmassnahmen (Art. 3 Abs. 2 ATSG, Art. 13 Abs. 1 IVG), zum Begriff des Geburtsgebrechens (Art. 3 Abs. 2 ATSG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GgV), zur Kompetenz des Eidgenössischen Departements des Innern zur jährlichen Anpassung der Liste im Anhang (Art. 1 Abs. 2 GgV in der bis 31. Dezember 2003 gültig gewesenen Fassung) sowie zum Umfang des Anspruchs (Art. 2 Abs. 3 GgV) zutreffend dargelegt. Gleiches gilt für die Ausführungen zum Anspruch auf Hilfsmittel (Art. 21 Abs. 1 IVG), insbesondere betreffend Kostenübernahme für Brillen in Ergänzung medizinischer Eingliederungsmassnahmen (Art. 21 Abs. 1 Satz 2 IVG). Darauf wird verwiesen. 
1.2 Zu ergänzen ist, dass es sich bei den in Art. 3-13 ATSG enthaltenen Legaldefinitionen in aller Regel um eine formellgesetzliche Fassung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu den entsprechenden Begriffen vor In-Kraft-Treten des ATSG handelt und sich inhaltlich damit, namentlich im Bereich der medizinischen Massnahmen Minderjähriger (Art. 12 ff. IVG) keine Änderung ergibt (BGE 130 V 345 ff. Erw. 3.1-3.4; Urteil I. vom 27. August 2004, I 670/03). Die dazu entwickelte Rechtsprechung kann folglich übernommen und weitergeführt werden. Da sich der Beschwerdeführer bereits im Jahre 2003 bei der Invalidenversicherung zum hier strittigen Leistungsbezug angemeldet hat, ist teilweise ein Sachverhalt zu beurteilen, der sich vor dem In-Kraft-Treten der Änderungen des IVG vom 21. März 2003 und der IVV vom 21. Mai 2003 (4. IV-Revision) am 1. Januar 2004 verwirklicht hat, weshalb entsprechend den allgemeinen intertemporalrechtlichen Regeln für die Zeit bis 31. Dezember 2003 auf die damals geltenden Bestimmungen, ab diesen Zeitpunkten auf die Normen der 4. IV-Revision und deren Ausführungsverordnungen abzustellen ist (BGE 130 V 445 ff.). 
2. 
Fest steht, dass der Versicherte an einem Geburtsgebrechen gemäss Ziff. 390 GgV-Anhang (angeborene cerebrale Lähmungen) leidet. Unbestritten ist sodann, dass gemäss Beurteilung der (8/23) behandelnden Augenärztin "klinisch keine Hinweise auf das Vorliegen zusätzlicher Geburtsgebrechen" bestehen. Strittig und zu prüfen ist jedoch die Übernahme der Behandlung des Augenleidens (Strabismus convergens links) durch die Invalidenversicherung als mittelbare Folge des anerkannten Geburtsgebrechens im Sinne einer medizinischen Massnahme gemäss Art. 13 IVG
3. 
Nach der Rechtsprechung (vgl. Urteil R. vom 6. Juli 2005, I 801/04, Erw. 1.3) erstreckt sich der Anspruch auf medizinische Massnahmen ausnahmsweise - und vorbehältlich der hier nicht zur Diskussion stehenden Haftung für das Eingliederungsrisiko nach Art. 11 IVG - auch auf die Behandlung sekundärer Gesundheitsschäden, die zwar nicht mehr zum Symptomenkreis des Geburtsgebrechens gehören, aber nach medizinischer Erfahrung häufig die Folge dieses Gebrechens sind. Zwischen dem Geburtsgebrechen und dem sekundären Leiden muss demnach ein qualifizierter adäquater Kausalzusammenhang bestehen. Nur wenn im Einzelfall dieser qualifizierte ursächliche Zusammenhang zwischen sekundärem Gesundheitsschaden und Geburtsgebrechen gegeben ist und sich die Behandlung überdies als notwendig erweist, hat die Invalidenversicherung im Rahmen des Art. 13 IVG für die medizinischen Massnahmen aufzukommen (BGE 100 V 41 mit Hinweisen; AHI 2001 S. 79 Erw. 3a; Pra 1991 Nr. 214 S. 906 Erw. 3b; vgl. auch BGE 129 V 209 Erw. 3.3 mit Hinweis). An die Erfüllung der Voraussetzungen des rechtserheblichen Kausalzusammenhangs sind strenge Anforderungen zu stellen, zumal der Wortlaut des Art. 13 IVG den Anspruch der versicherten Minderjährigen auf die Behandlung des Geburtsgebrechens an sich beschränkt (AHI 1998 S. 249 Erw. 2a). 
 
Bejaht wurde der qualifizierte adäquate Kausalzusammenhang beispielsweise zwischen Prader-Willi-Syndrom (Ziff. 462 GgV-Anhang) und morbider Adipositas, weil diese eine fast zwangsläufige Konsequenz des Prader-Willi-Syndroms ist (AHI 2001 S. 79 Erw. 3b). Gleich entschieden wurde im Falle einer Versicherten, welche an einer angeborenen Leukopenie (Ziff. 322 GgV-Anhang) und einer Gingivitis litt, dies mit der Begründung, Infektionen der Schleimhäute stellten unmittelbare Folgen der Leukopenie dar und könnten mittelbar zu Zahnfleischentzündungen führen, welche wiederum Parodontose verursachen könnten, sodass aufgrund dieser Verkettung das Risiko von weiteren Folgen des Grundleidens derart immanent zu diesem selbst sei, dass der natürliche Kausalzusammenhang besonders eng sei und die Adäquanz augenfällig erscheine (Pra 1991 Nr. 214 S. 906 Erw. 4a). Im Lichte dieser Rechtsprechung stellte das Eidgenössische Versicherungsgericht fest, dass die Häufigkeit des sekundären Leidens nicht das allein entscheidende Kriterium für die Bejahung eines qualifizierten adäquaten Kausalzusammenhanges darstellt (Urteile R. vom 6. Juli 2005, I 801/04, Erw. 1.3 und A. vom 14. Oktober 2004, I 438/02, Erw. 1.3, je mit Hinweisen). 
4. 
4.1 Das kantonale Gericht erwog, sowohl die behandelnde Augenärztin als auch die Ärzte des Spitals X.________ verträten die Auffassung, Kinder mit zerebralen Bewegungsstörungen würden häufiger unter Augenbewegungsstörungen und Strabismus leiden als Kinder ohne dieses Geburtsgebrechen. Doch genüge dies nicht für die Bejahung des geforderten qualifizierten adäquaten Kausalzusammenhangs. Zwar werde kein direkter Zusammenhang in dem Sinne verlangt, dass andere Ursachen zu 100 % ausgeschlossen werden könnten. Es müsse aber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit feststehen, dass das Geburtsgebrechen das sekundäre Leiden im Wesentlichen verursacht habe. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Es gehe hier um einen Ausnahmetatbestand, dessen Bejahung von der Rechtsprechung bewusst an strenge Voraussetzungen geknüpft werde. Für die Behandlung unmittelbarer Schäden des Geburtsgebrechens sei die Invalidenversicherung jedoch grundsätzlich ohne weiteres leistungspflichtig. Werde der Strabismus des Versicherten nicht behandelt, bestehe zwar die Gefahr einer dauernden Beeinträchtigung des Sehvermögens, indessen verschlimmere sich dadurch die Bewegungsstörung nicht. Fehle es am geforderten anspruchsbegründenden Kausalzusammenhang zwischen dem anerkannten Geburtsgebrechen und dem sekundären Augenleiden, habe die Invalidenversicherung für das Letztere nicht aufzukommen. 
4.2 Demgegenüber macht der Beschwerdeführer geltend, für die Bejahung des Kausalzusammenhangs sei praxisgemäss (Urteil Z. vom 9. Dezember 2002, I 108/02, Erw. 1.2 mit Hinweis) nicht ausschlaggebend, ob das sekundäre Leiden unmittelbare Folge des Geburtsgebrechens sei. Auch mittelbare Folgen des angeborenen Grundleidens könnten zu diesem in einem qualifizierten adäquaten Kausalzusammenhang stehen. Das Spital X.________ verneine lediglich den direkten Kausalzusammenhang zwischen dem Geburtsgebrechen und dem Augenleiden. Aus dem Hinweis auf das gehäufte Auftreten von Strabismus bei Patienten mit dem Geburtsgebrechen im Sinne von Ziff. 390 GgV-Anhang sei demnach zu schliessen, dass der erforderliche qualifizierte adäquate Kausalzusammenhang zu bejahen sei. Dem Schreiben des Spitals X.________ vom 9. Dezember 2004 sei weiter zu entnehmen, dass sich bei Nichtbehandlung des Strabismus das Geburtsgebrechen nicht verschlimmern werde. Mit dieser Formulierung schlössen die Ärzte des Spitals X.________ jedoch nicht aus, dass die Behandlung des Strabismus positive Auswirkungen auf die Behandlung des Geburtsgebrechens haben könnte. 
5. 
In Übereinstimmung mit der im Ergänzungsbericht dargelegten Beurteilung der Spezialärztin Dr. med. K.________ behauptet der Beschwerdeführer zu Recht nicht, bei seinem Augenleiden handle es sich um eine unmittelbare Folge seines Geburtsgebrechens. Ebenso erkannte er richtig, dass gegebenenfalls die Invalidenversicherung auch die Behandlung mittelbarer Folgen des angeborenen Grundleidens zu übernehmen hat, falls diese mit dem Geburtsgebrechen in einem qualifiziert adäquaten Kausalzusammenhang stehen (BGE 129 V 209 Erw. 3.3 mit Hinweis). Die Spezialärztin vertrat im Ergänzungsbericht die Auffassung, Augenbewegungsstörungen und Strabismus träten zwar bei Kindern mit dem hier anerkannten Geburtsgebrechen gehäuft auf, stünden aber mit letzterem nicht in einem direkten Kausalzusammenhang. Viele Kinder, welche unter Strabismus litten, seien nicht von einer Cerebralparese betroffen. Umgekehrt fänden sich Kinder mit anerkanntem Geburtsgebrechen Ziff. 390 GgV-Anhang, welche keinen Strabismus aufwiesen. Die Häufigkeit des sekundären Leidens ist, wie bereits erwähnt (Erw. 3 hievor), nicht das allein entscheidende Kriterium für die Bejahung eines qualifizierten adäquaten Kausalzusammenhanges. In Kenntnis der statistisch belegten Häufigkeit von Strabismus bei Kindern mit Cerebralparese hielt die behandelnde Augenärztin Dr. med. V.________ den Zusammenhang zwischen diesem Geburtsgebrechen und dem Strabismus ausdrücklich nur für "möglich". Mit der Vorinstanz ist unter diesen Umständen gestützt auf die einschlägigen fachärztlichen Beurteilungen davon auszugehen, dass nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung der Strabismus des Versicherten nicht in einem qualifizierten, adäquat ursächlichen Zusammenhang mit dem Geburtsgebrechen Ziff. 390 GgV-Anhang steht. Was der Beschwerdeführer hiegegen vorbringt, ist unbegründet. Insbesondere kann aus dem Ergänzungsbericht nicht geschlossen werden, die Behandlung des Augenleidens wirke sich positiv auf die das Geburtsgebrechen betreffenden medizinischen Massnahmen aus. Hat die Invalidenversicherung demnach die Übernahme der Behandlung des Augenleidens als mittelbare Folge des Geburtsgebrechens wegen des fehlenden qualifizierten adäquaten Kausalzusammenhangs zu Recht abgelehnt, besteht auch kein Anspruch auf Abgabe der Brille durch die Invalidenversicherung. Denn die Kosten für die in Satz 2 des Art. 21 Abs. 1 IVG genannten Hilfsmittel sind nur dann von der Invalidenversicherung zu übernehmen, wenn sie eine wesentliche Ergänzung zu einer von der Invalidenversicherung übernommenen medizinischen Eingliederungsmassnahme bilden, weshalb es mit dem vorinstanzlich bestätigten Einspracheentscheid der IV-Stelle Zürich vom 11. März 2004 sein Bewenden hat. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 2. August 2005 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: