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[AZA 7] 
U 383/00 Gr 
 
 
II. Kammer 
Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung, Gerichtsschreiber Nussbaumer 
 
 
Urteil vom 4. März 2002 
 
in Sachen 
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
K.________, 1935, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Leo R. Gehrer, Pestalozzistrasse 2, 9000 St. Gallen, 
 
und 
 
Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, Weinfelden 
 
 
 
A.- K.________ (geb. 1935) war als Geschäftsführer seiner Firma K.________ AG bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen Unfälle versichert. Am 15. Oktober 1992 erlitt er bei einer Auffahrkollision ein Schleudertrauma. Bei einer weiteren Auffahrkollision am 30. Mai 1997 zog er sich eine Distorsion der Halswirbelsäule (HWS) zu. Die SUVA erbrachte die gesetzlichen Leistungen und holte zur Frage der Unfallkausalität der Beschwerden ein Gutachten des Spitals, Abteilung Rheumatologie und Rehabilitation, vom 30. Oktober 1998 ein. Gestützt darauf betrachtete sie mit Verfügung vom 7. Juni 1999 die Unfallfolgen per 30. Juni 1999 als abgeheilt und stellte auf diesen Zeitpunkt ihre Leistungen ein; die Folgen des ersten Unfalles vom 15. Oktober 1992 seien bereits mit dem Abklingen der Beschwerden im Jahre 1995 abgeschlossen gewesen. Insbesondere unter Hinweis auf die im IV-Abklärungsverfahren erstatteten Berichte der Klinik vom 17. Juni und 24. November 1998 liess K.________ Einsprache erheben. Diese wies die SUVA mit Entscheid vom 1. September 1999 ab. 
 
B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 28. Juni 2000 gut und wies die Sache zur Neubeurteilung der Arbeitsunfähigkeit und zur Berechnung der Invalidenrente sowie Integritätsentschädigung an die SUVA zurück. 
 
C.- Die SUVA führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei ihr Einspracheentscheid vom 1. September 1999 zu bestätigen. Eventuell sei die Sache an das kantonale Gericht zur Neubeurteilung nach Einholung eines Gerichtsgutachtens zurückzuweisen. 
 
K.________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Das kantonale Gericht hat die Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht des Unfallversicherers vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang (BGE 119 V 337 Erw. 1, 118 V 289 Erw. 1b) zwischen einem Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod; vgl. auch Art. 6 Abs. 1 UVG) sowie zum Beweiswert der ärztlichen Unterlagen (BGE 125 V 352 Erw. 3a mit Hinweisen) zutreffend wiedergegeben. Darauf wird verwiesen. 
Wird durch einen Unfall ein krankhafter Vorzustand verschlimmert oder überhaupt erst manifest, entfällt die Leistungspflicht des Unfallversicherers erst, wenn der Unfall nicht die natürliche und adäquate Ursache des Gesundheitsschadens darstellt, wenn also Letzterer nur noch und ausschliesslich auf unfallfremden Ursachen beruht. Dies trifft dann zu, wenn entweder der (krankhafte) Gesundheitszustand, wie er unmittelbar vor dem Unfall bestanden hat (Status quo ante), oder aber derjenige Zustand, wie er sich nach dem schicksalsmässigen Verlauf eines krankhaften Vorzustandes auch ohne Unfall früher oder später eingestellt hätte (Status quo sine), erreicht ist (RKUV 1994 Nr. U 206 S. 328 Erw. 3b, 1992 Nr. U 142 S. 75 Erw. 4b, je mit Hinweisen). Ebenso wie der leistungsbegründende natürliche Kausalzusammenhang muss das Dahinfallen jeder kausalen Bedeutung von unfallbedingten Ursachen eines Gesundheitsschadens mit dem im Sozialversicherungsrecht allgemein üblichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Die blosse Möglichkeit nunmehr gänzlich fehlender ursächlicher Auswirkungen des Unfalles genügt nicht. Da es sich hiebei um eine anspruchsaufhebende Tatfrage handelt, liegt die Beweislast - anders als bei der Frage, ob ein leistungsbegründender natürlicher Kausalzusammenhang gegeben ist - nicht bei der versicherten Person, sondern beim Unfallversicherer (RKUV 2000 Nr. U 363 S. 46 Erw. 2, 1994 Nr. U 206 S. 329 Erw. 3b, 1992 Nr. U 142 S. 76 Erw. 4b). 
 
2.- a) Der Beschwerdegegner leidet an einem Status nach Hüft-Totalprothesenoperation rechts wegen schwerer Coxarthrose am 22. April 1998, an chronischer Periarthropathia humero-scapularis rechts, Coxarthrose links, an einem chronischen posttraumatischen Zervikalsyndrom, an einem chronischen Lumbovertebralsyndrom, an Arthrose des rechten Ellbogengelenkes, an beginnender Arthrose des linken Ellbogengelenks, Hypertonie und an peripherer arterieller Verschlusskrankheit Stadium IIa beidseits (Bericht der Klinik vom 24. November 1998). Wegen dieser Leiden sprach ihm die Invalidenversicherung mit Wirkung ab 1. März 1997 eine halbe und ab 1. Januar 1998 eine ganze Invalidenrente zu. 
Zur Abklärung der Unfallkausalität der HWS-Beschwerden holte die Beschwerdeführerin unter Wahrung der Mitwirkungsrechte des Versicherten ein Gutachten beim Spital, Abteilung Rheumatologie und Rehabilitation, vom 30. Oktober 1998 ein. Darin diagnostizieren die beiden Gutachter, PD Dr. med. V.________, Leitender Arzt, und Dr. med. C.________, Oberassistenzarzt, mit direktem Bezug zu den Auffahrunfällen 1992 und 1997 ein chronisches zerviko-spondylogenes Syndrom bei Spondylodese HWK 4/5 1988 wegen Diskushernie, degenerative Veränderungen im Bereich der HWS (multisegmentale Osteochondrose, Unkovertebralarthrose sowie Spondylarthrose), eine diffuse idiopathische skelettale Hyperostose und muskuläre Dysbalance. Die Folgen des letzten Unfallereignisses vom 30. Mai 1997 seien nach ihrem Dafürhalten noch nicht vollständig abgeklungen. Den Anteil an den heute geäusserten Beschwerden und an den objektivierbaren Befunden werde auf 40 % geschätzt. Der krankhafte Vorzustand der HWS trage 60 % zum derzeitigen Beschwerdebild bei. Das erste Unfallereignis aus dem Jahr 1992 lasse sich mit dem Abklingen des Beschwerdeschubes 1995 terminieren und sei für die heute geltend gemachten Beschwerden bedeutungslos. Ab kommenden Frühling (ca. Mai 1999) dürfte die durch den Unfall bewirkte Beschwerdesymptomatik vollständig abgeklungen sein. Danach weiter bestehende Schmerzen müssten als Folge des vorbestehenden, degenerativ bedingten Wirbelsäulenschadens zu interpretieren sein. Ein Invaliditätsschaden auf Grund der beiden Unfälle, insbesondere des Unfallereignisses vom 30. Mai 1997 sei, soweit dies zum gegenwärtigen Zeitpunkt abschätzbar sei, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten. 
Der im Rahmen des IV-Abklärungsverfahrens durch die IV-Stelle des Kantons Thurgau eingeholte Bericht der Klinik vom 24. November 1998 enthält keine Aussagen zur Unfallkausalität. Auf Anfrage des Rechtsvertreters des Beschwerdegegners hin äusserte sich Chefarzt Dr. med. S.________ im Schreiben vom 19. Oktober 1999 dahingehend, durch den Unfall vom 30. Mai 1997 sei die subjektive und auch objektive Situation richtungsweisend und lang andauernd bis zum heutigen Tag negativ verändert worden. Die vom Versicherten geklagten Beschwerden seien anlässlich der stationären Behandlung vom 11. bis 30. Mai 1998 nach "unserem Dafürhalten" mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf die Folgen des Auffahrunfalles von 1997 zurückzuführen. Es sei unwahrscheinlich, dass der Versicherte ohne das zur Diskussion stehende Unfallereignis vom Mai 1997 genau dieselbe Beschwerdesymptomatik, wie er sie jetzt aufweise, entwickelt hätte. Gerade Verletzungen von vorgeschädigten Wirbelsäulenabschnitten könnten erfahrungsgemäss zu langjährigen und andauernden richtungsweisenden Verschlimmerungen des Vorzustandes führen. Es sei auch bekannt, dass Spondylodesen im Bereich der HWS weitgehend beschwerdefrei abheilen könnten, wie dies beim Versicherten vor dem Unfall im Mai 1997 der Fall gewesen sei. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Vorzustand vor dem Unfall im Mai 1997 mit "Wahrscheinlichkeit" oder gar "überwiegender Wahrscheinlichkeit" zu dem aktuellen Beschwerdebild geführt habe. Es bestehe diesbezüglich höchstens eine "einfache Möglichkeit". 
 
b) Das kantonale Gericht erachtete zwar beide Gutachten grundsätzlich als sehr umfassend, stellte indessen auf die Beurteilung der Klinik ab. Mit Bezug auf das Gutachten des Spitals hob es hervor, dass der Beschwerdegegner dem Leitenden Arzt PD Dr. med. V.________ nur kurz vorgestellt worden sei, die eigentlichen, einen Tag dauernden Untersuchungen habe der Oberarzt Dr. med. C.________ vorgenommen. Demgegenüber beruhe das Gutachten der Klinik auf Untersuchungen, die bei einem stationären Aufenthalt und über ein Jahr verteilt bei mehreren Besuchen stattgefunden hätten. Von einer fortschreitenden Veränderung werde darin jedoch nirgends berichtet. Der Versicherte weise zu Recht weiter darauf hin, er sei vor dem Unfall vom 30. Mai 1997 zumindest insofern beschwerdefrei gewesen, als er einer 100%igen Arbeit habe nachgehen können. Das Gutachten des Spitals äussere sich nicht weiter zur Frage, weshalb so oder so mit einer Verschlimmerung des Vorzustandes beim Beschwerdegegner zu rechnen gewesen sei. Es sei daher auch unklar, weshalb der Beschwerdezustand, wie er derzeit beim Versicherten vorliege, ohnehin im Mai 1999 erreicht worden wäre. Nachdem er aber seit 1995 bis zum Mai 1997 ohne den Unfall mehr oder weniger beschwerdefrei gewesen sei, scheine es als äusserst unwahrscheinlich, dass eine derart massive Verschlechterung ohne äussere Einwirkung eingetreten wäre. Aus diesen Gründen sei der Auffassung im Gutachten der Klinik zu folgen, wonach der Unfall vom 30. Mai 1997 nach wie vor die Ursache für die Beschwerden sei, die den Versicherten bis heute in seiner Arbeitsfähigkeit massiv behinderten. 
 
 
c) Bei den beiden ärztlichen Stellungnahmen zum Beschwerdebild und zur Unfallkausalität handelt es sich um Gutachten und Arztberichte, die im UV- und IV-Abklärungsverfahren ergangen sind und an deren Beweiswert nicht zu zweifeln ist (BGE 125 V 357 Erw. 3a). Das Gutachten des Spitals 30. Oktober 1998 hatte sich gerade zur Unfallkausalität auszusprechen. Demgegenüber war die Frage der Unfallkausalität für den im Rahmen des IV-Abklärungsverfahrens eingeholten Bericht der Klinik vom 24. November 1998 (samt Austrittsbericht vom 17. Juni 1998) ohne Bedeutung. Auf Anfrage des Rechtsvertreters des Versicherten hin hat der Chefarzt dieser Klinik zwar eingehend im Schreiben vom 19. Oktober 1999 zur Unfallkausalität Stellung bezogen. Dennoch kann auf diese Meinungsäusserung entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht entscheidend abgestellt werden, zumal es gerade die Aufgabe des Spitals gewesen war, zur Unfallkausalität Stellung zu nehmen und sich Chefarzt Dr. med. S.________ damit trotz Kenntnis nicht explizit auseinandersetzte. Hingegen sind seine Ausführungen, die sich letztlich auf eingehende stationäre und mehrere ambulante Untersuchungen stützen, geeignet, gewisse Zweifel an den Schlussfolgerungen im Gutachten des Spitals vom 30. Oktober 1998 aufkommen zu lassen, zumal deren Begründung in Bezug auf die Kausalität etwas summarisch ("erfahrungsgemäss") ausgefallen ist und auf einer Prognose für "ca. Mai 99" beruht. Ferner ergeben sich auch unterschiedliche Auffassungen zur Frage, ob der Unfall vom 30. Mai 1997 die vorbestehenden Gesundheitsschäden richtunggebend verschlimmert hat. Nicht ausser Acht gelassen werden darf in diesem Zusammenhang, dass zwar die gesundheitlichen Beeinträchtigungen zahlreich sind und insbesondere die HWS unfallfremd vorgeschädigt war, darauf jedoch 1992 und 1997 zwei Auffahrkollisionen eingewirkt haben. Die Gutachter des Spitals gehen denn auch davon aus, dass die Gewalteinwirkung auf die HWS beim Unfall im Mai 1997 erheblich war und mit einer Latenz von zwei Tagen beim zuvor weitgehend beschwerdefreien Versicherten ausgeprägte Nacken- und Armschmerzen ausgelöst habe. Unter diesen Umständen lässt sich nicht abschliessend beurteilen, ob Ende Juni 1999 keine Unfallfolgen mehr vorgelegen haben, weshalb sich die Einholung eines gerichtlichen Gutachtens aufdrängt. Die Sache geht daher an das kantonale Gericht zurück, damit es ein Gutachten zur Frage der Kausalität, namentlich auch zur Frage der richtunggebenden Verschlimmerung durch den versicherten Unfall vom 30. Mai 1997, und gegebenenfalls der Mitbeteiligung der vorbestandenen Gesundheitsschäden (vgl. Art. 36 Abs. 2 UVG) veranlasse. 
 
3.- Bei diesem Verfahrensausgang ist die Beschwerdeführerin als obsiegend zu betrachten (BGE 110 V 57; ZAK 1987 S. 268 Erw. 5a mit Hinweisen), weshalb dem Beschwerdegegner keine Parteientschädigung zusteht (Art. 159 OG). 
 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne 
teilweise gutgeheissen, dass der vorinstanzliche Entscheid 
vom 28. Juni 2000 aufgehoben und die Sache an 
das kantonale Gericht zurückgewiesen wird, damit dieses 
nach Einholung eines Gutachtens neu entscheide. 
 
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
III. Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen. 
 
IV. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht 
des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversicherung 
zugestellt. 
 
Luzern, 4. März 2002 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der II. Kammer: 
 
 
 
 
 
Der Gerichtsschreiber: