Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
9C_274/2014  
   
   
 
 
 
Urteil vom 30. September 2014  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kernen, Präsident, 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann, 
Gerichtsschreiber Schmutz. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Vonesch, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Aargau, Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,  
Beschwerdegegnerin, 
 
FUTURA Vorsorgestiftung, Bahnhofplatz 9, 5200 Brugg AG,  
Winterthur-Columna Stiftung für die berufliche Vorsorge, Legal & Compliance, Paulstrasse 9, 8400 Winterthur.  
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 26. Februar 2014. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. A.________, geboren 1958, arbeitete zuletzt als Chauffeur in der Firma B.________ AG. Am 18. September 2003 meldete er sich bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Er gab an, unter Kopf-, Schulter-, Rücken- und Beinschmerzen, hohem Blutdruck, Schlafstörungen und Depression zu leiden. Nach Abklärungen bejahte die IV-Stelle des Kantons Aargau mit Verfügung vom 26. Oktober 2007 den Anspruch auf eine ganze Rente ab 1. September 2003 (Arbeitsunfähigkeit von 100 %). Sie stützte sich dabei auf das von Dr. med. C.________, Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, am 23. Mai 2007 erstattete Gutachten. Dieser diagnostizierte eine mittelgradige depressive Episode mit somatischem Syndrom, ein chronisches Schmerzsyndrom mit somatoformer Komponente im Sinne einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und den Verdacht auf eine dissoziative Bewegungsstörung. Auch eine den körperlichen Beschwerden adaptierte Arbeitstätigkeit sei dem Versicherten - wahrscheinlich seit 2002 - nicht zumutbar. Das im Jahr 2009 durchgeführte Revisionsverfahren zeigte keine massgeblichen Veränderungen auf.  
 
A.b. Im Januar 2012 leitete die IV-Stelle erneut eine revisionsweise Überprüfung des Rentenanspruches ein. Sie beauftragte Dr. med. C.________ mit einer psychiatrischen Verlaufsbegutachtung. Dieser führte im Gutachten vom 13. Mai 2013 aus, der aktuelle Befund sei weitgehend mit demjenigen aus dem Jahr 2007 identisch. Er diagnostizierte eine chronifizierte mittelgradige depressive Episode mit somatischem Syndrom, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung bei somatischem Kern und den Verdacht auf eine dissoziative Bewegungsstörung. Eine Arbeitsfähigkeit sei dem Exploranden nicht zumutbar. Die IV-Stelle hob die Rente in Anwendung der Vorschriften des ersten Massnahmepakets der 6. IV-Revision auf (Verfügung vom 26. Juni 2013).  
 
B.   
Die Beschwerde des A.________ wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 26. Februar 2014 ab, soweit es darauf eintrat. 
 
C.   
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, der angefochtene Entscheid und die Verfügung vom 26. Juni 2013 seien aufzuheben. Die Invalidenrente sei nicht einzustellen und weiter zu leisten. 
Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Beschwerde. Die Vorinstanz, die Futura Vorsorgestiftung, die Winterthur-Columna Stiftung für die berufliche Vorsorge und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz auf Rüge hin oder von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht, und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 105 Abs. 2 BGG und Art. 97 Abs. 1 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Die Aufhebung der Invalidenrente erfolgte in Anwendung von lit. a Abs. 1 der am 1. Januar 2012 in Kraft getretenen Schlussbestimmungen der Änderung des IVG vom 18. März 2011 (6. IV-Revision, erstes Massnahmenpaket [AS 2011 5659; BBl 2011 2723 und 2010 1817]; nachfolgend: SchlBest. zur 6. IV-Revision). Danach werden Renten, die bei pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebildern ohne nachweisbare organische Grundlage gesprochen wurden, innerhalb von drei Jahren nach Inkrafttreten der Änderung überprüft. Sind die Voraussetzungen nach Art. 7 ATSG nicht erfüllt, so wird die Rente herabgesetzt oder aufgehoben, auch wenn die Voraussetzungen von Art. 17 Abs. 1 ATSG nicht erfüllt sind. Abs. 1 findet keine Anwendung auf Personen, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderung das 55. Altersjahr zurückgelegt haben oder im Zeitpunkt, in dem die Überprüfung eingeleitet wird, seit mehr als 15 Jahren eine Rente der Invalidenversicherung beziehen (Abs. 4).  
 
2.2. Nach BGE 140 V 197 E. 6 S. 198 sind vom Anwendungsbereich von lit. a Abs. 1 SchlBest. zur 6. IV-Revision laufende Renten nur auszunehmen, wenn und soweit sie auf erklärbaren Beschwerden beruhen. Lassen sich unklare Beschwerden von erklärbaren Beschwerden trennen, können die Schlussbestimmungen der 6. IV-Revision auf erstere Anwendung finden. Gemäss Urteil 8C_34/2014 vom 8. Juli 2014 E. 4.2 fällt eine Herabsetzung oder Aufhebung unter dem Titel von lit. a Abs. 1 SchlBest. zur 6. IV-Revision lediglich ausser Betracht, wenn unklare und erklärbare Beschwerden zwar diagnostisch unterscheidbar sind, aber bezüglich der darauf zurückzuführenden Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit keine exakte Abgrenzung erlauben.  
 
3.   
Streitgegenstand bildet die Frage der Weiterausrichtung der bisherigen IV-Rente. Die Vorinstanz hat die einschlägigen Rechtsgrundlagen zutreffend dargelegt. 
 
3.1. Das kantonale Gericht hat erkannt, die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Bestimmungen des ersten Massnahmepakets der 6. IV-Revision seien erfüllt, da die Rentenzusprache im Wesentlichen auf der aus psychiatrischer Sicht attestierten vollen Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit durch Dr. med. C.________ basierte. Aus somatischer Sicht sei lediglich eine geringe Einschränkung der Erwerbsfähigkeit von maximal 20 % vorgelegen, welche keine Erwerbseinbusse in rentenbegründendem Ausmass mit sich gebracht habe. Der beim Beschwerdeführer vorliegende psychische Gesundheitsschaden gründe auf einer mittelgradigen depressiven Episode, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und dem Verdacht auf eine dissoziative Bewegungsstörung. Sowohl die anhaltende somatoforme Schmerzstörung wie auch die dissoziative Bewegungsstörung gehörten zu den pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebildern ohne nachweisbare organische Grundlage. Deshalb sei hier ein Revisionsgrund nach den SchlBest. zur 6. IV-Revision gegeben. Dem Versicherten sei die willentliche Überwindung der Schmerzstörung zumutbar.  
 
3.2. Der Beschwerdeführer rügt, ohne Vorliegen von medizinischen Revisionsgründen dürfe keine Revision vorgenommen werden. Die Vorinstanz habe eine juristische Würdigung vorgenommen, ohne auf den medizinischen Bericht von Dr. med. C.________ abzustützen. Der Bericht stütze ganz klar die Argumentation des Beschwerdeführers, indem er z.B. die Überwindbarkeit verneine und das Vorliegen der "Foerster-Kriterien" bejahe. Deshalb sei auf diesen Bericht abzustützen. Da die Bandscheibenproblematik bildgebend nachgewiesen sei, dürfe nicht von einer Revision im Sinne der Schlussbestimmungen ausgegangen werden. Der Rechtsanwender, welcher nicht selber Mediziner sei, dürfe nicht ohne Not vom medizinischen Gutachten abweichen. Er dürfe dies höchstens, wenn das Gutachten unklar oder widersprüchlich sei. Dies sei beim Bericht von Dr. med. C.________ überhaupt nicht der Fall.  
 
3.3. Die Beschwerdegegnerin hält daran fest, der Verzicht auf eine polydisziplinäre Begutachtung verstosse weder gegen den Untersuchungsgrundsatz, noch gegen den Gehörsanspruch (antizipierte Beweiswürdigung). Die Vorinstanz habe nachvollziehbar dargelegt, weshalb (mangels Vorliegen einer eigenständigen psychiatrischen Erkrankung) von keiner erheblichen psychischen Komorbidität auszugehen sei. Sie habe dabei unter anderem die schlüssigen Ausführungen von RAD-Arzt med. pract. D.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie (seit 2013), in dessen Bericht vom 16. Mai 2013 gewürdigt. Ebenfalls habe sich die Vorinstanz eingehend mit der Frage nach der Erfüllung der "Foerster-Kriterien" auseinandergesetzt und die Kriterien einzeln geprüft. Sie habe sich dabei sehr wohl auf die ärztlichen Feststellungen gestützt. Die Frage, ob die "Foerster-Kriterien" letztlich in genügender Intensität und Konstanz vorlägen, um gesamthaft den Schluss auf eine nicht mit zumutbarer Willensanstrengung überwindbare Schmerzstörung zu gestatten, verbleibe allerdings rechtsprechungsgemäss beim Rechtsanwender. Die Vorinstanz sei deshalb nicht an die diesbezüglichen Ausführungen von Dr. med. C.________ gebunden, wenn sie zum Schluss gelangt sei, dass die "Foerster-Kriterien" nicht gehäuft oder in besonders ausgeprägter Form vorlägen, und deshalb von einer Überwindbarkeit der Schmerzen auszugehen sei.  
 
4.  
 
4.1. Die Anwendung der Vorschriften der 6. IV-Revision setzt eine fachgerechte, dem Abklärungsbedarf des jeweiligen Einzelfalles entsprechende medizinische Begutachtung der betroffenen Versicherten voraus (BGE 139 V 547 E. 9.4 S. 568; Urteil 8C_505/2013 vom 8. Januar 2014 E. 4.2). Das Bundesgericht hat in ständiger Rechtsprechung daran festgehalten, dass beim Zusammentreffen einer zuverlässig diagnostizierten depressiven Episode und einer somatoformen Schmerzstörung in erster Linie die (fach) ärztlichen Feststellungen zur Beurteilung des Gesundheitszustands und der Arbeitsunfähigkeit massgeblich sind. Selbst dann, wenn rechtlich betrachtet ein unklares Beschwerdebild vorliegt, muss fachärztlich geprüft werden, ob nicht ein anderes Störungsbild gegeben ist, das anhand klinischer und/oder anderweitiger Untersuchungen zuverlässig nachgewiesen werden kann.  
 
4.2. Der Beschwerdeführer leidet gemäss dem Verlaufsgutachten des Dr. med. C.________ vom 13. Mai 2013 an einer chronifizierten mittelgradigen depressiven Episode mit somatischem Syndrom (ICD-10 F32.11) und an einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung (ICD-10 F45.4) bei somatischem Kern. Zudem besteht der Verdacht auf eine dissoziative Bewegungsstörung (ICD-10 F44.4). Dr. med. C.________ hielt fest, die Gesamtsymptomatik sei kompliziert durch eine chronifizierte mittelgradige depressive Episode. Die Schmerzsymptomatik habe kombinierte somatische und psychogene/somatoforme Komponenten. Die Arbeitsfähigkeit sei jedoch zusätzlich durch das chronifizierte mittelgradige (und im Verlauf anamnestisch bis schwergradige) depressive Syndrom beeinträchtigt. Die Arbeitsfähigkeit sei vor allem durch die chronifizierte Depression beeinträchtigt. Die verschiedenen Krankheitskomponenten beeinflussten sich negativ. Anamnestisch bestehe eine Beeinträchtigung seit ca. 2002. Zwischenzeitlich sei es nicht zu einer wesentlichen Verbesserung gekommen.  
 
4.3. Die psychiatrische Seite ist mit der Verlaufsbegutachtung C.________ ausreichend ergründet. Der Vorinstanz ist darin Recht zu geben, dass sowohl die anhaltende somatoforme Schmerzstörung wie auch die dissoziative Bewegungsstörung zu den pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebildern ohne nachweisbare organische Grundlage gehören. Ein Revisionsgrund nach den SchlBest. zur 6. IV-Revision ist gegeben, denn dem Versicherten ist nach den überzeugenden (rechtlichen) Erwägungen der Vorinstanz die willentliche Überwindung der Schmerzstörung zumutbar. Damit ist die Rentenaufhebung aus psychosomatischen Gründen gerechtfertigt. Hingegen besteht aus somatischer Sicht noch Abklärungsbedarf. Der Einwand der Beschwerdegegnerin verfängt nicht, der Beschwerdeführer sei im Jahr 2006 (Gutachten des IFPP vom 24. August 2006) begutachtet worden und der Verlaufsbericht des behandelnden Arztes Dr. med. E.________ vom 4. Juni 2013 weise keine objektive Verschlechterung des somatischen Gesundheitszustandes aus. Immerhin rapportierte dieser Arzt einen "auch körperlich ausgesprochen schlechten Verlauf". Wenn er dies vorgängig mit der "massivst persistierenden Schmerzhaftigkeit und Einschränkung der Mobilität" begründete, bildete dies keinen Grund, von einer fachärztlichen Klärung abzusehen. Insofern hat die Vorinstanz den revisionsrechtlich erheblichen Sachverhalt unvollständig erhoben, weshalb die Streitsache an sie zur Einholung eines die betroffenen Fachrichtungen (Orthopädie, ev. Rheumatologie) berücksichtigenden Gerichtsgutachtens zurückzuweisen ist.  
 
5.   
Eine Rückweisung zu erneutem Entscheid mit offenem Ausgang gilt als Obsiegen (Urteil 2C_60/2011 vom 12. Mai 2011 E. 2.4 mit Hinweis auf BGE 131 II 72 E. 4 S. 80 betreffend das öffentliche Recht). Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden der unterliegenden Beschwerdegegnerin auferlegt (Art. 65 Abs. 4 lit. a in Verbindung mit Art. 66 Abs. 1 BGG). Ausserdem hat sie dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 BGG). Sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist daher gegenstandslos. 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
 
1.   
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der vorinstanzliche Entscheid vom 26. Februar 2014 wird aufgehoben. Die Sache wird an das Versicherungsgericht des Kantons Aargau zurückgewiesen, damit es, nach Aktenergänzung im Sinne der Erwägungen, über die Beschwerde gegen die Verfügung vom 26. Juni 2013 neu entscheide. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdegegnerin hat den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, der FUTURA Vorsorgestiftung, der Winterthur-Columna Stiftung für die berufliche Vorsorge, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 30. September 2014 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kernen 
 
Der Gerichtsschreiber: Schmutz