Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_101/2023  
 
 
Urteil vom 2. Juni 2023  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichter Maillard, Abrecht, 
Gerichtsschreiber Jancar. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Altermatt, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Visana Versicherungen AG, Weltpoststrasse 19/21, 3015 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (natürlicher Kausalzusammenhang; Wegfall), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 15. Dezember 2022 (725 21 431 / 294). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die 1972 geborene A.________ war seit 1. November 1997 als Primarlehrerin bei der Gemeinde U.________ tätig und dadurch bei der Visana Versicherungen AG (nachfolgend Visana) obligatorisch unfallversichert. Am 21. Mai 2019 verletzte sie sich bei einer Wanderung am rechten Knie. Die Visana kam für die Heilbehandlung und das Taggeld auf. Mit Verfügung vom 2. Oktober 2019 stellte sie die Leistungen per 16. Juli 2019 ein, da der Status quo sine nach längstens sechs bis acht Wochen erreicht gewesen sei. Am 19. Februar 2020 erfolgte in der Hirslanden Klinik B.________ eine Arthrotomie, eine Verlängerung des lateralen Retinakulums und eine Implantation ACT (autologe Chondrozyten-Transplantation) am Knie rechts. Es wurde ein grosser viergradiger Knorpeldefekt an der lateralen Trochlea rechts diagnostiziert. Die von der Versicherten gegen obgenannte Verfügung erhobene Einsprache hiess die Visana mit Entscheid vom 23. Juni 2020 im Sinne der Erwägungen gut und stellte fest, sie habe ihre Leistungen zu Unrecht per 16. Juli 2019 eingestellt. Für die konkrete Prüfung der über dieses Datum hinausgehenden Leistungspflicht, insbesondere in Bezug auf die Kostenübernahme der ACT, werde sie weitere medizinische Abklärungen treffen und nötigenfalls entsprechende Verfügungen erlassen. Dieser Einspracheentscheid erwuchs unangefochten in Rechtskraft. 
Nach weiteren medizinischen Abklärungen, insbesondere der Einholung der Aktenbeurteilung des Dr. med. C.________, Facharzt FMH für orthopädische Chirurgie, vom 8. April 2021, lehnte die Visana die Übernahme der Kosten der ACT-Behandlung ab und stellte die Leistungen mangels Unfallkausalität der geklagten Beschwerden per 27. Januar 2020 ein (Verfügung vom 20. Juli 2021). Hieran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 16. November 2021 fest. 
 
B.  
Die hiergegen von A.________ erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit Urteil vom 15. Dezember 2022 ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, in Aufhebung des kantonalen Urteils sei die Visana zu verpflichten, ihr über den 27. Januar 2020 die gesetzlichen Leistungen auszurichten. 
Die Visana schliesst auf Beschwerdeabweisung. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
Mit Eingabe vom 2. Mai 2023 hält die Versicherte an ihren Rechtsbegehren und Ausführungen fest. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 145 V 57 E. 4.2). Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2, Art. 105 Abs. 3 BGG). 
 
2.  
Streitig ist, ob die vorinstanzlich bestätigte Leistungseinstellung per 27. Januar 2020 bundesrechtskonform ist. 
Die Vorinstanz hat die rechtlichen Grundlagen und die Rechtsprechung betreffend den für die Leistungspflicht des obligatorischen Unfallversicherers erforderlichen natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem Gesundheitsschaden (BGE 142 V 435 E. 1, 134 V 109 E. 2.1), den Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Art. 61 lit. c ATSG; BGE 143 V 124 E. 2.2.2), den Untersuchungsgrundsatz (Art. 43 Abs. 1, Art. 61 lit. c ATSG), den massgebenden Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 146 V 271 E. 4.4) und den Beweiswert von Arztberichten (BGE 145 V 97 E. 8.5, 135 V 465 E. 4.4, 125 V 351 E. 3b/ee; Urteil 8C_448/2022 vom 23. November 2022 E. 4.3.3; vgl. auch BGE 134 V 231 E. 5.1) zutreffend dargelegt. Richtig ist auch, dass der Unfallversicherer die vorübergehenden Leistungen ohne Berufung auf einen Wiedererwägungs- oder Revisionsgrund mit Wirkung für die Zukunft ("ex nunc et pro futuro") einstellen kann, etwa mit dem Argument, bei richtiger Betrachtung liege kein versichertes Ereignis vor (BGE 130 V 380 E. 2.3.1), oder der Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem leistungsbegründenden Gesundheitsschaden habe gar nie bestanden oder sei dahingefallen. Eine solche Einstellung kann auch rückwirkend erfolgen, sofern der Unfallversicherer keine Leistungen zurückfordern will (nicht publ. E. 3 des Urteils BGE 146 V 51, veröffentlicht in SVR 2020 UV Nr. 8 S. 23; Urteil 8C_786/2021 vom 11. Februar 2022 E. 2). Darauf wird verwiesen. 
 
3.  
Die Vorinstanz erwog im Wesentlichen, die Visana habe sich auf die Beurteilung des Dr. med. C.________ vom 8. April 2021 gestützt. Sie sei davon ausgegangen, dass die geklagten Beschwerden nicht kausal auf das Ereignis vom 21. Mai 2019 zurückgingen. Selbst wenn es zu unfallbedingten Beeinträchtigungen geführt hätte, sei für die ab 27. Januar 2020 erfolgten Behandlungen und die daraus resultierende Arbeitsunfähigkeit keine Leistungspflicht mehr gegeben. Der Unfall als mögliches auslösendes Ereignis der Arbeitsunfähigkeit sei durch die nicht indizierte Operation vom 19. Februar 2020, die eine strukturelle Knieveränderung bewirkt habe, überholt worden. Die Visana habe die anerkannte Leistungspflicht mit Wirkung für die Zukunft ("ex nunc et pro futuro") und ohne Berufung auf die Rückkommenstitel der Wiedererwägung oder der prozessualen Revision eingestellt sowie eine Kostenübernahme für die ACT-Behandlung abgelehnt. Dies sei nicht zu beanstanden. Es bestünden keine Zweifel an der Stichhaltigkeit der Angaben des Dr. med. C.________. Er habe sich mit den bei den Akten liegenden medizinischen Unterlagen, den unterschiedlichen Darstellungen des Unfallmechanismus und der abweichenden Beurteilung des Dr. med. D.________, Facharzt für Orthopädische Chirurgie FMH, beratender Arzt der Visana, vom 16. Juni 2020 auseinandergesetzt. Dr. med. C.________ habe insgesamt eine schlüssige Beurteilung der Kausalitätsfrage vorgenommen. Er habe klargestellt, dass sich aus der echtzeitlichen MRI-Untersuchung vom 24. Mai 2019 keine Zeichen einer schweren und unfalltypischen Kniegelenksschädigung ergeben hätten. Daraus habe er unter Hinweis auf die einschlägige medizinische Literatur überzeugend gefolgert, das Fehlen deutlicher Bone-bruise-Veränderungen am Grund des Knorpeldefekts an der Trochlea, die abgerundeten grösseren freien Knorpelfragmente sowie die abgerundeten Ränder der Knorpeldefektzone würden darauf hindeuten, dass die Ablösung des Knorpels bereits vor dem Ereignis vom 21. Mai 2019 bestanden habe. Zudem habe er deutlich gemacht, dass der Unfallmechanismus nicht geeignet gewesen sei, einen gesunden Knorpel zu beschädigen, weshalb entgegen Dr. med. D.________ auch keine richtunggebende Verschlechterung durch das Ereignis stattgefunden habe. Die Beurteilung des Dr. med. C.________ erfülle - so die Vorinstanz weiter - die praxisgemässen Voraussetzungen an medizinische Aktengutachten. Es bestünden keine Zweifel an ihrer Schlüssigkeit und Zuverlässigkeit, weshalb darauf abzustellen sei. Gestützt hierauf sei ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Ereignis vom 21. Mai 2019 und den danach geklagten Beschwerden am rechten Knie zu verneinen. Somit sei die Beschwerde abzuweisen. 
 
4.  
Die Beschwerdeführerin wiederholt auf den Seiten 6 ff. Ziff. 13-17 der letztinstanzlichen Beschwerde praktisch wortwörtlich die in der kantonalen Replik auf den Seiten 3 ff. Ziff. 5-9 vorgebrachten Argumente. Darauf ist von vornherein nicht weiter einzugehen, da damit keine Auseinandersetzung mit den vorinstanzlichen Urteilsmotiven stattfindet (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 134 II 244 E. 2.1 und E. 2.3; Urteil 8C_737/2022 vom 10. März 2023 E. 4.1 mit Hinweisen). 
 
5.  
 
5.1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Einholung des Aktengutachtens des Dr. med. C.________ vom 8. April 2021 sei unzulässig gewesen, da die Visana mit dem Einspracheentscheid vom 23. Juni 2020 die Kausalitätsfrage rechtskräftig entschieden und damit eine res iudicata vorgelegen habe.  
 
5.2. Im Einspracheentscheid vom 23. Juni 2020 kam die Visana zum Schluss, sie habe ihre Leistungen im Zusammenhang mit dem Unfall vom 21. Mai 2019 zu Unrecht per 16. Juli 2019 eingestellt. Für die konkrete Prüfung der über dieses Datum hinausgehenden Leistungspflicht, insbesondere in Bezug auf die Kostenübernahme der ACT, werde sie weitere medizinische Abklärungen treffen und, falls nötig, entsprechende Verfügungen erlassen.  
Damit hat die Visana weitere Abklärungen auch über die Unfallkausalität des Knieleidens der Beschwerdeführerin angekündigt. In diesem Rahmen war die Visana berechtigt, auf die Frage der ursprünglichen Unfallkausalität des Knieleidens rechts zurückzukommen, da sie die bis 16. Juli 2019 bzw. die nach den getätigten Abklärungen bis 27. Januar 2020 ausgerichteten vorübergehenden Leistungen nicht zurückfordert (vgl. E. 2.2.2 hiervor). Nach dem Gesagten kann hinsichtlich des Kausalzusammenhangs nicht von einer res iudicata gesprochen werden. 
 
6.  
 
6.1. Die Beschwerdeführerin bringt weiter vor, bei der Beurteilung des Kausalzusammenhangs durch Dr. med. C.________ vom 8. April 2021 habe es sich um eine unzulässige "second opinion" gehandelt, denn die Kausalitätsfrage sei bereits mit der von der Visana eingeholten Stellungnahme des Dr. med. D.________ vom 16. Juni 2020 geklärt worden. Der Anlass für die nochmalige Beurteilung des Dr. med. C.________ sei denn auch einzig die Frage der Kostenübernahme für die ACT-Behandlung gewesen, die Dr. med. D.________ mangels der erforderlichen Unterlagen nicht habe beantworten können. Gestützt auf seine Einschätzung habe die Visana jedoch die richtunggebende Verschlimmerung ihrer Knorpelschäden am rechten Knie durch den Unfall vom 21. Mai 2019 anzuerkennen.  
 
6.2. Im Verfahren vor Bundesgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nur soweit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG; zum Begriff der neuen Tatsachen und Beweismittel: BGE 136 V 362 E. 3.3.1). Neue Begehren sind unzulässig (Art. 99 Abs. 2 BGG). Neue rechtliche Begründungen sind vor Bundesgericht im Rahmen des Streitgegenstands gestattet (Art. 95 lit. a und Art. 106 Abs. 1 BGG). Unzulässig ist dies nur, wenn dazu neue Tatsachen im Sinne von Art. 99 Abs. 1 BGG festgestellt werden müssten. Hingegen kann eine neue rechtliche Begründung jedenfalls dann erfolgen, wenn sie sich auf aktenkundige Tatsachen stützt (BGE 148 V 321 E. 7.1.1).  
 
6.3. Vorinstanzlich machte die bereits damals anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin nicht geltend, bei der Beurteilung des Dr. med. C.________ vom 8. April 2021 handle es sich um eine unzulässige "second opinion" (hierzu vgl. BGE 141 V 330 E. 5.2). Es ist nicht ersichtlich und wird von ihr letztinstanzlich auch nicht dargelegt, weshalb sie dies nicht tat. Dieses widersprüchliche Verhalten verstösst gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 BV) und steht auch der Geltendmachung einer neuen rechtlichen Begründung entgegen (vgl. LAURENT MERZ in: Basler Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 67a zu Art. 42 BGG mit Hinweisen). Somit ist auf dieses neue Vorbringen in letzter Instanz nicht einzugehen (siehe auch Urteil 2C_128/2016 vom 7. April 2017 E. 3).  
 
7.  
Im Übrigen setzt sich die Beschwerdeführerin mit den vorinstanzlichen Erwägungen nicht auseinander bzw. nimmt darauf gar nicht Bezug. Vielmehr gibt sie mit ihren letztinstanzlichen Vorbringen im Wesentlichen die eigene Sichtweise wieder, wie die medizinischen Akten zu würdigen und welche rechtlichen Schlüsse daraus zu ziehen seien. Dies genügt nicht, um das vorinstanzliche Ergebnis als bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen (Art. 97 Abs. 2 BGG; BGE 144 V 50 E. 4.2; SVR 2020 UV Nr. 27 S. 110, 8C_518/2019 E. 5.1; Urteil 8C_391/2022 vom 10. Januar 2023 E. 7.2 mit Hinweisen). 
 
8.  
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen. 
 
9.  
Die unterliegende Beschwerdeführerin trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 2. Juni 2023 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Der Gerichtsschreiber: Jancar