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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
8C_1030/2012 
 
Urteil vom 16. April 2013 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin, 
Bundesrichter Frésard, Maillard, 
Gerichtsschreiberin Hofer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit Graubünden, Grabenstrasse 9, 7000 Chur, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
F.________, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Arbeitslosenversicherung (Vermittlungsfähigkeit), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 19. Juni 2012. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Der 1977 geborene F.________ war in den letzten Jahren als gelernter kaufmännischer Angestellter und Hotelier-Restaurateur HF jeweils während der Sommersaison im Passhotel X.________ tätig. In der Wintersaison erzielte er im Hotel Y.________ einen Zwischenverdienst und machte für diese Zeit einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung geltend. Am 21. Januar 2010 wurde er für acht Tage in der Anspruchsberechtigung eingestellt, weil er vor Beginn der Arbeitslosigkeit keine persönlichen Arbeitsbemühungen vorweisen konnte. 
 
Am 21. November 2011 meldete sich F.________ erneut zum Bezug von Leistungen der Arbeitslosenversicherung an. Mit Verfügung vom 27. Dezember 2011 verneinte das kantonale Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit Graubünden (KIGA) wegen fehlender Vermittlungsfähigkeit die Anspruchsberechtigung ab erneuter Antragsstellung. Daran hielt es mit Einspracheentscheid vom 27. Januar 2012 fest. 
 
B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden unter Aufhebung des Einspracheentscheids vom 27. Januar 2012 mit Entscheid vom 19. Juni 2012 gut und wies die Sache an die Verwaltung zurück, damit diese im Sinne der Erwägungen über die Einstellung in der Anspruchsberechtigung befinde. 
 
C. 
Das KIGA führt Beschwerde mit dem Antrag, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben. 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden und F.________ schliessen auf Abweisung der Beschwerde, während das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Gemäss Art. 105 Abs. 1 BGG legt das Bundesgericht seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG). Im Übrigen wendet es das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), prüft indessen - unter Beachtung der allgemeinen Begründungspflicht in Beschwerdeverfahren (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) - grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden Fragen - also auch solche, die vor Bundesgericht nicht mehr aufgeworfen werden - zu untersuchen (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). 
 
2. 
Im angefochtenen Gerichtsentscheid werden die Bestimmungen und Grundsätze über die Vermittlungsfähigkeit als eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung (Art. 8 Abs. 1 lit. f in Verbindung mit Art. 15 Abs. 1 AVIG), sowie die dazu ergangene Rechtsprechung, insbesondere bezüglich der Vermittlungsbereitschaft als Teilgehalt der Vermittlungsfähigkeit, über die Pflichten zur Vermeidung oder Verkürzung der Arbeitslosigkeit (Art. 17 Abs. 1 AVIG) und die Einstellung in der Anspruchsberechtigung bei ungenügenden persönlichen Arbeitsbemühungen (Art. 30 Abs. 1 lit. c AVIG) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
Richtig ist insbesondere, dass die Vermittlungsfähigkeit gemäss der Legaldefinition des Art. 15 Abs. 1 AVIG unter anderem voraussetzt, dass die arbeitslose Person bereit und in der Lage ist, zumutbare Arbeit anzunehmen. Wesentliches Merkmal der Vermittlungsbereitschaft ist die Bereitschaft zur Annahme einer Dauerstelle als Arbeitnehmer (THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, 2. Aufl. 2007, Rz. 270 S. 2261). Eine versicherte Person, welche bewusst nur saisonale Arbeitsverhältnisse eingeht und deren Arbeitsbemühungen sich stets auf zeitlich befristete Stellen beschränken, gilt nach der Rechtsprechung als vermittlungsunfähig. Die bisherigen Arbeitsbemühungen können Aufschluss über die subjektive Bereitschaft geben, Einkommenseinbussen während der Übergangszeit zu vermeiden (ARV 2005 S. 211, C 157/04 E. 2.2; 2000 Nr. 29 S. 150, C 24/98 E. 2.2; Urteil C 22/07 vom 21. August 2007 E. 3). 
 
3. 
Streitig und zu prüfen ist die Anspruchsberechtigung ab dem 21. November 2011. 
 
3.1 Nach den Feststellungen der Vorinstanz war der Beschwerdegegner in den vergangenen Jahren während der Sommersaison jeweils im Familienbetrieb Passhotel X.________ tätig. In der Zwischen- und Wintersaison erzielte er im Hotel Y.________ einen Zwischenverdienst und machte für diese Zeit einen Anspruch auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung geltend. Das kantonale Gericht ging weiter davon aus, dass dem Versicherten laut eigenen Angaben für den Winter 2011/2012 bereits wieder eine Stelle zugesichert worden war. Dieser habe sich zudem mehrmals (Stellungnahme zu Handen des KIGA vom 9. Dezember 2011, Beschwerde vom 23. Februar 2012) dahin gehend geäussert, dass eine Dauerstelle für ihn nicht in Frage komme, da seine Familie im Sommerbetrieb auf ihn (einziger Mann) nicht verzichten könne. Das kantonale Gericht schloss daraus, dass der Beschwerdegegner bewusst nur saisonale Arbeitsverhältnisse eingeht bzw. sucht und sich - in Verletzung seiner Schadenminderungspflicht - nicht um eine Dauerstelle bemüht. Es fehle deshalb offensichtlich die subjektive Bereitschaft, die Arbeitskraft während des ganzen Jahres entsprechend den persönlichen Verhältnissen einzusetzen. Die Vermittlungsfähigkeit könne daher nicht mehr als gegeben angenommen werden. 
 
3.2 Dass diese Betrachtungsweise Bundesrecht verletzen oder allenfalls auf einer im Sinne von Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG mangelhaften Sachverhaltsfeststellung beruhen könnte, ist nicht ersichtlich. Der Beschwerdegegner hat über mehrere Jahre hinweg bewusst eine Sommersaisonstelle im familieneigenen Betrieb versehen und während der Passschliessung über den Winter in einem anderen Hotel einen Zwischenverdienst erzielt. Eine ganzjährige Vollzeitstelle lehnte er ab, weil er während der Sommermonate im Familienbetrieb gebraucht wurde. Damit nahm er jedes Jahr bewusst saisonale Schwankungen in der Erwerbstätigkeit und die damit einhergehenden Verdiensteinbussen freiwillig in Kauf. Die damit verbundenen Lohnausfälle sind daher nicht jedes Jahr von der Arbeitslosenversicherung zu entschädigen, weshalb die Vermittlungsfähigkeit zu Recht verneint wurde. 
 
4. 
4.1 Das kantonale Gericht hat zusätzlich geprüft, ob die Verneinung der Anspruchsberechtigung wegen fehlender Vermittlungsfähigkeit im Fall des Beschwerdegegners eine angemessene Sanktion darstelle. Dabei stellte es fest, die Verwaltung habe den Versicherten mit Verfügung vom 21. Januar 2010 ab dem 14. Dezember 2009 für acht Tage in der Anspruchsberechtigung eingestellt, weil sich dieser vor Beginn der Arbeitslosigkeit nicht um eine zumutbare Arbeitsstelle für die Wintermonate bemüht habe. Für die Wintersaison 2010/11 habe dieser lediglich vier Stellenbewerbungen nachgewiesen. Weil die Verwaltung dieses Verhalten nicht sanktioniert habe, rechtfertigt sich laut Vorinstanz die Annahme von Vermittlungsunfähigkeit und damit die Verneinung des Anspruchs auf Arbeitslosentaggelder ab 21. November 2011 als schwerste Sanktion (noch) nicht, zumal diese Massnahme bisher nicht angedroht worden sei. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (Urteil C 113/04 vom 2. September 2004, E. 2.3) dürfe ein solch schwerer Rechtsnachteil als Folge pflichtwidrigen Verhaltens erst dann Platz greifen, wenn die versicherte Person vorgängig ausdrücklich auf die Rechtsfolgen hingewiesen worden sei. Die Vorinstanz hob daher die vom KIGA verfügte und mit Einspracheentscheid vom 27. Januar 2012 bestätigte Vermittlungsunfähigkeit ab 21. November 2011 auf und wies die Sache an die Verwaltung zurück, damit diese gestützt auf Art. 30 Abs. 1 lit. c AVIG eine Einstellung in der Anspruchsberechtigung verfüge. 
 
4.2 Das KIGA vertritt demgegenüber die Auffassung, die verfügte Verneinung der Anspruchsberechtigung ab 21. November 2011 stelle keine Sanktion wegen ungenügender Arbeitsbemühungen dar. Vielmehr sei dem Versicherten die Anspruchsberechtigung aufgrund fehlender Vermittlungsfähigkeit als einer der gesetzlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung abgesprochen worden. Bei festgestellter Vermittlungsunfähigkeit hätte die Vorinstanz daher zwingend auf fehlende Anspruchsberechtigung schliessen müssen. Fehlt es an der in Art. 8 Abs. 1 lit. f AVIG erwähnten Anspruchsvoraussetzung der Vermittlungsfähigkeit, erübrigt sich nach Auffassung des Beschwerdeführers die Prüfung der Rechtmässigkeit bzw. der Angemessenheit einer allfälligen Sanktion infolge ungenügender Arbeitsbemühungen. Der angefochtene Entscheid erweise sich daher als bundesrechtswidrig. 
 
4.3 Die von der Vorinstanz angerufene Rechtsprechung (Urteil C 113/04; vgl. auch ARV 1996/1997 Nr. 8 S. 29, C 84/94 E. 4c) bezieht sich auf Versicherte, welche grundsätzlich anspruchsberechtigt sind, ihren mit der Arbeitslosigkeit verbundenen Pflichten (Art. 17 Abs. 1 AVIG), insbesondere der Schadenminderungspflicht, jedoch nicht oder nur ungenügend nachgekommen sind und daher leistungsrechtliche Sanktionen zu gewärtigen haben. Diese können gemäss Art. 30 AVIG je nach Grad des Verschuldens vorübergehend (Art. 30 Abs. 3 AVIG) in der Anspruchsberechtigung eingestellt werden. Damit soll eine Mitbeteiligung am Schaden, den die versicherte Person in schuldhafter Weise natürlich und adäquat kausal verursacht hat, erreicht werden (BGE 126 V 520 E. 4. S. 523). Passives und renitentes Verhalten kann in Ausnahmefällen wegen fehlender Vermittlungsbereitschaft aber auch mit vollständigem Leistungsentzug sanktioniert werden. Wenn sich die Aberkennung der Vermittlungsfähigkeit einzig auf fortgesetzte Verstösse gegen die Schadenminderungspflicht stützt, ihr somit Sanktionscharakter zukommt, geht die Rechtsprechung davon aus, dass es sich um eine verwaltungsrechtliche Sanktion handelt, welche unter anderem dem Verhältnismässigkeits- und Verschuldensprinzip unterworfen ist (ARV 1996/1997 Nr. 8 S. 29 E. 4c; zum Ganzen: THOMAS NUSSBAUMER, a.a.O., Rz. 822 f. S. 2423). Fehlt es jedoch von Anfang an an der Anspruchsvoraussetzung der Vermittlungsfähigkeit (Art. 8 Abs. 1 lit. f AVIG), ist die versicherte Person nicht anspruchsberechtigt und verursacht für diese Zeit auch keinen Schaden, den es zu sanktionieren gälte (vgl. BGE 126 V 520). 
 
4.4 Dem Beschwerdegegner wurde vor Erlass der Verfügung vom 27. Dezember 2011 das rechtliche Gehör zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen gewährt. In seiner Stellungnahme vom 9. Dezember 2011 gab dieser an, er habe für die Wintersaison eine Stelle, doch verdiene er dort weniger. Um Lohneinbussen im Winter zu vermeiden, müsste er eine Ganzjahresstelle annehmen, was für ihn jedoch wegen des Engagements im Familienbetrieb nicht in Frage komme. Aufgrund der damit zum Ausdruck gebrachten fehlenden Vermittlungsbereitschaft ist zumindest eine der Voraussetzungen für die Anspruchsberechtigung (Art. 8 Abs. 1 lit. f AVIG) nicht gegeben, weshalb die von der Vorinstanz angerufene Rechtsprechung für den vorliegend zu beurteilenden Fall nicht einschlägig ist. Einer zusätzlichen Mahnung, um die Vermittlungsfähigkeit ab dem Zeitpunkt der Anmeldung vom 21. November 2011 abzusprechen, bedurfte es daher nicht. Ein Mahn- und Bedenkzeitverfahren, wie dies Art. 21 ATSG vorsieht, schliesst Art. 1 Abs. 2 erster Satz AVIG für den Bereich der Verweigerung von Leistungen der Arbeitslosenversicherung im Übrigen ausdrücklich aus. Da der angefochtene Entscheid somit vor Bundesrecht nicht Stand hält, ist er aufzuheben, und die verfügte Verneinung der Vermittlungsfähigkeit ist ab 21. November 2011 zu bestätigen. 
 
5. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdegegner die Verfahrenskosten zu tragen (Art. 65 Abs. 4 lit. a in Verbindung mit Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 19. Juni 2012 wird aufgehoben und der Einspracheentscheid des Amtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit Graubünden vom 27. Januar 2012 bestätigt. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 16. April 2013 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Leuzinger 
 
Die Gerichtsschreiberin: Hofer