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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_706/2023  
 
 
Urteil vom 23. Oktober 2023  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichterin Koch, Bundesrichter Kölz, 
Gerichtsschreiber Hahn. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dominic Nellen, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Nordring 8, 3013 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Entlassung aus der Sicherheitshaft, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Obergerichts des Kantons Bern, 2. Strafkammer, vom 1. September 2023 (SK 23 369). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Urteil vom 30. Juni 2022 sprach das Regionalgericht Bern-Mittelland A.________ der versuchten eventualvorsätzlichen Tötung sowie des Raufhandels schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren, unter Anrechnung der bisher ausgestandenen Untersuchungshaft von insgesamt 505 Tagen. Gleichzeitig stellte das Regionalgericht fest, dass A.________ die Freiheitsstrafe am 5. Oktober 2020 vorzeitig angetreten hatte und beschloss, ihn in den vorzeitigen Strafvollzug zurückzuversetzen. Gegen dieses Urteil gelangte A.________ an das Obergericht des Kantons Bern. Das Berufungsverfahren ist hängig. 
 
B.  
Mit Gesuch vom 10. August 2023 beantragte A.________ seine sofortige Entlassung aus der Sicherheitshaft, eventuell unter Anordnung von Ersatzmassnahmen. Mit Verfügung vom 1. September 2023 wies das Obergericht das Gesuch ab und ordnete den Verbleib von A.________ im vorzeitigen Strafvollzug an. 
 
C.  
Mit Beschwerde in Strafsachen vom 4. Oktober 2023 an das Bundesgericht beantragt A.________ die Aufhebung der Verfügung des Obergerichts vom 1. September 2023 und seine umgehende Haftentlassung. Eventualiter sei er unter Anordnung geeigneter Ersatzmassnahmen aus der Haft zu entlassen. Subeventualiter sei die Sache zu neuem Entscheid an das Obergericht zurückzuweisen. In prozessualer Hinsicht beantragt er die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. 
Das Obergericht und die Generalstaatsanwaltschaft haben auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid betreffend die Entlassung des Beschwerdeführers aus der Sicherheitshaft. Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht gemäss Art. 78 ff. BGG offen. Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und befindet sich nach wie vor in Haft. Er hat folglich ein aktuelles, rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheids und ist somit gemäss Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten. 
 
2.  
Nach Art. 221 Abs. 1 StPO sind Untersuchungs- und Sicherheitshaft zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und zudem ein besonderer Haftgrund (Flucht-, Kollusions- oder Wiederholungsgefahr) gegeben ist. 
Die Vorinstanz bejahte das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts, den Haftgrund der Fluchtgefahr sowie die Verhältnismässigkeit der Haft. 
 
3.  
Der Beschwerdeführer bestreitet, dass ein dringender Tatverdacht im Sinne von Art. 221 Abs. 1 StPO gegeben sei. Er macht in diesem Zusammenhang verschiedentlich eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung durch die Vorinstanz geltend. 
 
3.1. Bei der Überprüfung des dringenden Tatverdachts ist keine erschöpfende Abwägung sämtlicher belastender und entlastender Beweise vorzunehmen. Zu prüfen ist vielmehr, ob aufgrund der bisherigen Untersuchungsergebnisse genügend konkrete Anhaltspunkte für ein Verbrechen oder Vergehen und eine Beteiligung der beschuldigten Person an dieser Tat vorliegen, die Strafbehörden somit das Bestehen eines dringenden Tatverdachts mit vertretbaren Gründen bejahen durften. Im Haftprüfungsverfahren genügt dabei der Nachweis von konkreten Verdachtsmomenten, wonach das untersuchte Verhalten mit erheblicher Wahrscheinlichkeit die fraglichen Tatbestandsmerkmale erfüllen könnte (BGE 143 IV 330 E. 2. mit Hinweisen).  
 
3.2. Bei Beschwerden, die gestützt auf das Recht der persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2, Art. 31 BV) wegen strafprozessualer Haft erhoben werden, prüft das Bundesgericht im Hinblick auf die Schwere des Eingriffes die Auslegung und Anwendung der StPO frei. Art. 98 BGG gelangt bei strafprozessualen Zwangsmassnahmen nicht zur Anwendung (BGE 143 IV 330 E. 2.1 mit Hinweisen). Soweit jedoch reine Sachverhaltsfragen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE 143 IV 316 E. 3.3, 330 E. 2.1; je mit Hinweis).  
 
3.3. Wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, gilt der dringende Tatverdacht grundsätzlich als erstellt, sofern - wie vorliegend - bereits ein Urteil des erstinstanzlichen Sachgerichts vorliegt (Urteile 1B_9/2023 vom 26. Januar 2023 E. 3; 1B_363/2022 vom 25. Juli 2022 E. 4). Wer in solchen Fällen den dringenden Tatverdacht im Widerspruch zur erstinstanzlichen Verurteilung bestreitet, hat darzulegen, weshalb das betreffende Urteil klarerweise fehlerhaft erscheint bzw. eine entsprechende Korrektur im Berufungsverfahren mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Soweit bereits eine Urteilsbegründung vorliegt, hat sich die betroffene Partei auch mit den betreffenden Erwägungen des Sachgerichts auseinanderzusetzen (Urteile 1B_89/2022 vom 18. März 2022 E. 3.1; 1B_176/2018 vom 2. Mai 2018 E. 3.2, je mit Hinweisen).  
 
3.4. In Bezug auf den dringenden Tatverdacht führt die Vorinstanz aus, der Beschwerdeführer habe gemäss dem erstinstanzlichen Sachurteil vom 30. Juni 2022 im Rahmen seiner ersten Einvernahme ausgesagt, er habe anlässlich der tatgegenständlichen gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen Mitgliedern von drei Motorradgruppen am 11. Mai 2019 in U.________ mehrfach mit einer Pistole geschossen. Gemäss den Aussagen des Beschwerdeführers habe sich ein erster Schuss gelöst, als er "dem Fahrer des schwarzen Pickups zwei, drei Mal die Waffe über den Kopf gezogen habe". Nach dem dritten Schlag sei ihm "ein Schuss ab ins Auto" bzw. glaube er, der Schuss sei ins Auto, er könne es aber nicht sagen. Bevor der Schuss abgegangen sei, seien vier bis fünf Personen aus dem Fahrzeug ausgestiegen. Dann habe er "drei, vier Mal in die Luft geschossen und schliesslich auf einen heranfahrenden silbernen Mercedes gezielt und abgedrückt bzw. er könne nicht sagen, wie oft". Auf die Frage, ob an diesem Abend sonst noch jemand geschossen habe, habe der Beschwerdeführer geantwortet: "Nicht, dass ich wüsste". Diese Ausführungen werden vom Beschwerdeführer nicht bestritten. Die Vorinstanz zieht zur Begründung des dringenden Tatverdachts weiter in Erwägung, der Beschwerdeführer habe erstinstanzlich selber Schuldsprüche wegen versuchter vorsätzlicher Tötung (in Notwehrexzess) und Raufhandel beantragt.  
Gemäss der Vorinstanz sei es zwar zutreffend, dass aufgrund der Rügen der Verteidigung, wonach anlässlich des tatgegenständlichen Raufhandels nebst dem Beschwerdeführer noch weitere Personen Schusswaffen eingesetzt haben sollen, ein Beweisantrag betreffend die Erstellung eines ballistischen Gutachtens hängig sei. Ohne diesem Beweisantrag vorzugreifen, sei aufgrund der Aussagen des Beschwerdeführers und seiner erstinstanzlichen Anträge allerdings keine klare Fehlerhaftigkeit des erstinstanzlichen Schuldspruchs erkennbar. Dasselbe gelte in Bezug auf die Rüge, der am Tatort vorgefundene silberne Mercedes sei kriminaltechnisch untersucht worden und es seien dabei keine relevanten ballistischen Spuren gefunden worden, weshalb es ausgeschlossen sei, dass er B.________ am linken Brustkorb eine Schussverletzung zugefügt habe. In Würdigung des aktenkundigen erstinstanzlichen Strafurteils führt die Vorinstanz diesbezüglich aus, B.________ habe sich gemäss dem Beweisergebnis des Sachgerichts nicht in der Nähe des silbernen Mercedes aufgehalten, sondern sei zusammen mit weiteren Personen aus dem schwarzen Pickup ausgestiegen. Nach den Erwägungen der Vorinstanz bestreite der Beschwerdeführer die Verortung von B.________ zum schwarzen Pickup nicht, weshalb die Frage, ob dieser durch eine Schussabgabe des Beschwerdeführers verletzt wurde, in keinem direkten Zusammenhang mit der mutmasslichen Schussabgabe auf den silbernen Mercedes stehe. Folglich sei das Fehlen von ballistischen Spuren am silbernen Mercedes nicht geeignet, den dringenden Tatverdacht zu entkräften. 
 
3.5.  
 
3.5.1. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, lässt die Erwägungen der Vorinstanz nicht als bundesrechtswidrig erscheinen. Wie bereits im vorinstanzlichen Haftprüfungsverfahren erschöpft sich seine Argumentation darin, die im Hauptverfahren erhobenen Beweise durch selektives Ausblenden belastender Elemente in einem für ihn möglichst günstigen Licht erscheinen zu lassen. So wiederholt er seine Rüge, wonach mehrere Indizien dafür sprächen, dass anlässlich des Raufhandels neben ihm auch noch weitere Personen eine Schusswaffe eingesetzt hätten und am silbernen Mercedes keine Schussspuren gefunden worden seien. Zudem lägen Anhaltspunkte dafür vor, dass B.________ nicht Mitfahrer des schwarzen Pickups der Marke Nissan Navara gewesen sei.  
 
3.5.2. Diese Rügen sind nicht zielführend. Es ist nicht die Aufgabe des Haft-, sondern jene des Sachgerichts, die erhobenen Beweise erschöpfend zu würdigen. Wie die Vorinstanz richtig ausführt, wird vorliegend das Berufungsgericht gestützt auf ein allenfalls noch zu erstellendes ballistisches Gutachten zu prüfen haben, ob und gegebenenfalls inwieweit anlässlich des Raufhandels tatsächlich weitere Schusswaffen in Gebrauch waren und inwiefern dies bei der Beurteilung der von B.________ erlittenen Schussverletzung von Bedeutung ist. Dasselbe gilt in Bezug auf die fehlenden Einschussspuren am silbernen Mercedes, soweit dies für die Beurteilung der Schussverletzung von B.________ überhaupt von Relevanz sein wird. Betreffend das Vorbringen eines alternativen Standorts von B.________ anlässlich des Raufhandels gelingt es dem Beschwerdeführer mit seiner Behauptung, dieser sei mangels vorgefundener DNA-Spur nicht Mitfahrer des schwarzen Pickups gewesen, allenfalls eine alternative Beweiswürdigung darzutun, nicht aber aufzuzeigen, inwiefern das auf Schuldspruch lautende erstinstanzliche Sachurteil in diesem Punkt klarerweise fehlerhaft sein soll (siehe vorne E. 3.3). Aufgrund der Aussagen des Beschwerdeführers zu seinen getätigten Schussabgaben und seines erstinstanzlichen Antrags auf Schuldspruch wegen versuchter vorsätzlicher Tötung (in Notwehrexzess) und Raufhandels liegen in Übereinstimmung mit der Vorinstanz jedenfalls genügend konkrete Verdachtsmomente vor, um zum aktuellen Verfahrenszeitpunkt den dringenden Tatverdacht zu bejahen. Die Beschwerde erweist sich insoweit als unbegründet.  
 
4.  
 
4.1. Der Beschwerdeführer wendet sich weiter gegen die Annahme von Fluchtgefahr. Er bringt zusammengefasst vor, entgegen der aktenwidrigen Behauptung der Vorinstanz habe er im Falle seiner Freilassung nicht mit Repressalien seitens der gegnerischen Motorradgruppen zu rechnen und stelle dieser Umstand für ihn somit keinen Anreiz für ein Untertauchen dar. Weiter habe er bereits über die Hälfte der erstinstanzlichen Freiheitsstrafe von acht Jahren verbüsst. Selbst im Falle einer Verurteilung durch das Berufungsgericht sei die ihm noch drohende Reststrafe daher überschaubar und stelle keinen Fluchtanreiz mehr dar. Sodann sei insoweit zu berücksichtigen, dass eine vorzeitige Haftentlassung aufgrund guter Führung realistisch sei, was die drohende Reststrafe zusätzlich herabsetze. Weiter sei ihm für die Zeit nach der Verbüssung der Haftstrafe eine Anstellung bei einem Motorradhändler angeboten worden. Mit einer Flucht würde er sich somit die Aussicht auf eine bedingte Haftentlassung und die beruflichen Perspektiven zunichte machen, was klar gegen die Annahme von Fluchtgefahr spreche. Mit diesen positiven Aussichten setze sich die Vorinstanz nicht ernstlich auseinander und verfalle in Willkür. Weiter seien den Strafverfolgungsbehörden die Adressen seiner in Frankreich wohnenden Familienmitglieder bekannt, weshalb nicht ersichtlich sei, dass er in Frankreich besser untertauchen könnte als in der Schweiz. Zudem könnte er in Frankreich genauso festgenommen werden wie in der Schweiz, was ebenfalls gegen die Annahme von Fluchtgefahr spreche. Schliesslich sei auch im Umstand, dass er sich wegen der Befürchtung von Repressalien seitens der gegnerischen Motorradgruppen nach seiner ersten Anhaltung zwischenzeitlich bei einer Bekannten "eingerichtet habe", nicht als Fluchtindiz zu deuten. Anders als zum heutigen Zeitpunkt habe damals eine konkrete Bedrohungslage für allfällige Vergeltungsmassnahmen durch Mitglieder der gegnerischen Motorradgruppen bestanden.  
 
4.2. Die Annahme von Fluchtgefahr setzt ernsthafte Anhaltspunkte dafür voraus, dass sich die beschuldigte Person dem Strafverfahren oder der zu erwartenden Sanktion durch Flucht entziehen könnte (Art. 221 Abs. 1 lit. a StPO). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts darf die Schwere der drohenden Sanktion zwar als ein Indiz für Fluchtgefahr gewertet werden. Sie genügt jedoch für sich allein nicht, um einen Haftgrund zu bejahen. Vielmehr müssen die konkreten Umstände des betreffenden Falls, insbesondere die gesamten Lebensverhältnisse der beschuldigten Person, in Betracht gezogen werden (BGE 145 IV 503 E. 2.2; 143 IV 160 E. 4.3; 125 I 60 E. 3a; je mit Hinweisen). So ist es zulässig, ihre familiären und sozialen Bindungen, ihre berufliche Situation und Schulden sowie Kontakte ins Ausland und Ähnliches mitzuberücksichtigen, ebenso besondere persönliche Merkmale (wie z.B. eine Tendenz zu überstürzten Aktionen, ausgeprägte kriminelle Energie etc.), die auf eine Fluchtneigung schliessen lassen könnten. Auch bei einer befürchteten Ausreise in ein Land, das die beschuldigte Person grundsätzlich an die Schweiz ausliefern bzw. stellvertretend verfolgen könnte, fiele die Annahme von Fluchtgefahr nicht dahin (BGE 145 IV 503 E. 2.2; 123 I 31 E. 3d). Die Wahrscheinlichkeit einer Flucht nimmt in der Regel mit zunehmender Verfahrens- bzw. Haftdauer ab, da sich auch die Dauer des allenfalls noch zu verbüssenden strafrechtlichen Freiheitsentzugs mit der bereits erstandenen prozessualen Haft, die auf die mutmassliche Freiheitsstrafe anzurechnen wäre (vgl. Art. 51 StGB), kontinuierlich verringert (BGE 143 IV 160 E. 4.3 mit Hinweis). Anklageerhebungen oder gerichtliche Verurteilungen können allerdings, je nach den Umständen des Einzelfalls, im Verlaufe des Verfahrens auch neue Fluchtanreize auslösen (BGE 145 IV 503 E. 2.2; 143 IV 160 E. 4.1).  
 
4.3. Der Beschwerdeführer wurde erstinstanzlich zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und befindet sich seit bald viereinhalb Jahren in strafprozessualer Haft. Er hat damit bereits über die Hälfte der erstinstanzlichen Freiheitsstrafe verbüsst. Wie die Vorinstanz richtig ausführt, ist jedoch zu berücksichtigen, dass die drohende Reststrafe aufgrund des erstinstanzlichen Schuldspruchs im Falle einer Verurteilung durch das Berufungsgericht immer noch im empfindlichen Bereich liegt. Der Beschwerdeführer macht zwar geltend, gestützt auf den guten Vollzugsbericht vom 21. Juli 2023 sei eine bedingte Entlassung wahrscheinlich, was die von ihm noch zu verbüssende Freiheitsstrafe und damit auch den Fluchtanreiz beträchtlich reduziere bzw. entfallen lasse. Dieser Einwand ist nicht stichhaltig. Wie die Vorinstanz überzeugend ausführt, kann gestützt auf die konkreten Umstände nicht von einer mit grosser Wahrscheinlichkeit zu erwartenden bedingten Haftentlassung ausgegangen werden, die im Haftprüfungsverfahren ausnahmsweise zu berücksichtigen wäre (BGE 143 IV 160 E. 4.2; Urteil 1B_495/2022 vom 20. Oktober 2022 E. 6.2.2). Es kann diesbezüglich auf den angefochtenen Entscheid verwiesen werden, in welchem die Vorinstanz eine ungünstige Legalprognose mit überzeugenden Gründen bejaht (siehe angefochtene Verfügung vom 1. September 2023 E. 11 S. 10 f.). Die Vorinstanz verletzt damit kein Bundesrecht, wenn sie die dem Beschwerdeführer im Falle einer Verurteilung durch das Berufungsgericht drohende mehrjährige (Rest-) Freiheitsstrafe als Fluchtanreiz wertete.  
 
4.4. Neben der Schwere der drohenden Strafe sprechen vorliegend auch die übrigen konkreten Verhältnisse für eine ausgeprägte Fluchtgefahr.  
 
4.4.1. Nach den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 105 Abs. 1 BGG) ergab die Auswertung des Mobiltelefons des Beschwerdeführers, dass seine in Frankreich wohnende Schwester ihm angeboten hatte, er solle doch zu ihr kommen. Daraufhin habe der Beschwerdeführer am 14. Mai 2019 geantwortet, "dass er mal schaue, was gehe, ansonsten komme er dann ein wenig". Wenn die Vorinstanz diesen Umstand als ein konkretes Indiz für eine Flucht ins naheliegende Ausland wertet, ist dies nicht zu beanstanden. Vielmehr hat der Beschwerdeführer vor seiner Festnahme gerade mit dem Gedanken einer Flucht nach Frankreich gespielt. Mit Blick auf die zitierte Rechtsprechung ändert daran nichts, dass die Justizbehörden von Frankreich den Beschwerdeführer grundsätzlich an die Schweiz ausliefern bzw. stellvertretend verfolgen könnten (siehe vorne E. 4.2). Unbehelflich ist auch das Argument des Beschwerdeführers, aufgrund seiner hohen Schulden könne er sich eine Flucht nach Frankreich nicht leisten. Entgegen seinen Vorbringen ist eine Flucht ins nahe Ausland oder ein Untertauchen in der Schweiz nicht nur mit einem privaten Motorfahrzeug, sondern auch mittels öffentlicher Verkehrsmittel denkbar. Überdies war es dem Beschwerdeführer gemäss den Feststellungen der Vorinstanz trotz seiner hohen Schulden möglich, innert kürzester Zeit einen Bargeldbetrag von gut Fr. 6'000.-- erhältlich zu machen und diesen im Kühlschrank einer Bekannten zu verstecken.  
 
 
4.4.2. Entgegen den Rügen des Beschwerdeführers durfte die Vorinstanz bei der Beurteilung der Fluchtgefahr auch die Tatsache berücksichtigen, dass er sich nach seiner ersten Anhaltung zwischenzeitlich in der Wohnung einer Bekannten versteckte und erst unter Einsatz von Zwangsmassnahmen wieder aufgefunden werden konnte. Zwar geht auch die Vorinstanz davon aus, dass der Beschwerdeführer sich nicht der Strafverfolgung entziehe wollte, sondern sich primär wegen der Befürchtung von Repressalien der gegnerischen Motorradgruppen zwischenzeitlich versteckte. Wie die Vorinstanz überzeugend ausführt, ist diese Furcht des Beschwerdeführers vor potenziellen Vergeltungsmassnahmen bei der Beurteilung der von ihm ausgehenden Fluchtgefahr dennoch von Relevanz, da sie für ihn einen zusätzlichen Anreiz darstellt, im In- oder Ausland unterzutauchen. Diese vorinstanzliche Beweiswürdigung fusst auf keiner aktenwidrigen Sachverhaltsfeststellung, hat der Beschwerdeführer doch gemäss dem aktenkundigen Therapieverlaufsbericht der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern vom 12. Juli 2023 selber ausgesagt, während des Strafvollzugs würden Konflikte gestützt auf "ein Motorradclub-übergreifendes Gesetz" auf "Stand-by" gesetzt. Mithin kann der Vorinstanz insoweit keine willkürliche Beweiswürdigung vorgeworfen werden.  
 
4.4.3. Nicht zu beanstanden sind auch die weiteren Ausführungen der Vorinstanz, wonach die erwähnten Fluchtindizien verstärkt werden durch den Umstand, dass der Beschwerdeführer in der Schweiz keine familiären Verpflichtungen hat, er seinem angestammten Beruf als Tätowierer auch im Ausland nachgehen und über seine Motorradgruppe auf ein internationales Beziehungsnetz zurückgreifen kann. Unbehelflich ist schliesslich die pauschale Rüge des Beschwerdeführers, es stelle eine unzulässige Ungleichbehandlung (Art. 8 Abs. 1 BV) dar, wenn in seinem Fall Fluchtgefahr angenommen werde, während dies im Fall eines aus Österreich stammenden Mitbeschuldigten verneint werde, dem bei einer Verurteilung eine vergleichbare Freiheitsstrafe wie die von ihm noch zu verbüssende Reststrafe drohe. Hierbei handelt es sich um eine unbelegte Behauptung, und der Beschwerdeführer legt überdies nicht ansatzweise dar, inwiefern die beiden Sachverhalte in Bezug auf die Fluchtgefahr (vergleichbare Fluchtindizien) tatsächlich vergleichbar wären.  
 
4.5. Zusammengefasst liegen aufgrund der erwähnten konkreten Lebensverhältnisse des Beschwerdeführers, seines Verhaltens unmittelbar nach der Tat sowie der ihm drohenden empfindlichen Freiheitsstrafe ernsthafte und konkrete Anhaltspunkte vor, dass er sich durch Flucht im In- oder Ausland der zu erwartenden Sanktion entziehen könnte. Wie die Vorinstanz richtig ausführt, vermag daran auch die ihm in Aussicht gestellte Arbeitsstelle bei einem Motorradhändler nichts zu ändern. Die vorinstanzliche Bejahung des Haftgrunds der Fluchtgefahr verstösst damit nicht gegen Bundesrecht.  
 
5.  
Zu prüfen ist weiter, ob die Fluchtgefahr mittels Ersatzmassnahmen gebannt werden könnte, wie der Beschwerdeführer geltend macht. 
 
5.1. Strafprozessuale Haft darf nur als "ultima ratio" angeordnet oder aufrechterhalten werden. Wo sie durch mildere Massnahmen ersetzt werden kann, muss von ihrer Anordnung oder Fortdauer abgesehen und an ihrer Stelle eine solche Ersatzmassnahme verfügt werden (Art. 212 Abs. 2 lit. c i.V.m. Art. 237 f. StPO; BGE 145 IV 503 E. 3.1; 142 IV 367 E. 2.1; je mit Hinweisen). Zwar können mildere Ersatzmassnahmen für Haft geeignet sein, einer gewissen Fluchtneigung ausreichend Rechnung zu tragen. Bei wie vorliegend ausgeprägter Fluchtgefahr erweisen sie sich nach der einschlägigen Praxis des Bundesgerichtes jedoch regelmässig als nicht ausreichend. Angesichts der fehlenden Personenkontrollen an den Landesgrenzen im Schengenraum gilt dies namentlich für die vom Beschwerdeführer beantragte Pass- und Schriftensperre, die Zuweisung eines Aufenthaltsrayons oder die Verpflichtung, sich regelmässig auf einem Polizeiposten zu melden (BGE 145 IV 503 E. 3.2-3.3).  
 
5.2. Entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers gelten diese Grundsätze auch im Zusammenhang mit der Anordnung eines Aufenthaltsrayons, dessen Einhaltung mittels Electronic Monitoring überwacht wird. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist eine derartige Kombination einer Ersatzmassnahme mittels Electronic Monitoring nicht geeignet, eine wie vorliegend ausgeprägte Fluchtgefahr hinreichend zu bannen. Dies gilt selbst dann, wenn im Kanton Bern tatsächlich eine aktive Überwachung durch die Polizei - wie vom Beschwerdeführer behauptet - möglich wäre (BGE 145 IV 503 E. 3.3.1 f. mit Hinweisen). Die Annahme der Vorinstanz, blosse Ersatzmassnahmen für Sicherheitshaft seien im aktuellen Verfahrensstadium nicht geeignet, die oben (siehe vorne E. 4.3 und 4.4) dargelegte erhebliche Fluchtgefahr ausreichend zu bannen, hält vor Bundesrecht stand. Da derzeit somit keine wirksamen Ersatzmassnahmen ersichtlich sind, um der ausgeprägten Fluchtneigung zu begegnen, erweist sich die Sicherheitshaft auch als geeignete und notwendige (und insofern verhältnismässige) strafprozessuale Zwangsmassnahme (vgl. Art. 197 Abs. 1 lit. c-d und Abs. 2 StPO). Angesichts der erstinstanzlichen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren, wovon bereits rund viereinhalb Jahre verbüsst sind, droht dem Beschwerdeführer aktuell auch noch keine Überhaft (Art. 212 Abs. 3 StPO). Die Sicherheitshaft erweist sich als verhältnismässig.  
 
6.  
Die Beschwerde ist aus den genannten Gründen abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der unterliegende Beschwerdeführer grundsätzlich kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er stellt jedoch ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren. Da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, kann dem Gesuch entsprochen werden (Art. 64 BGG). Damit sind für das bundesgerichtliche Verfahren keine Kosten zu erheben und ist der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers aus der Bundesgerichtskasse angemessen zu entschädigen. Der Beschwerdeführer wird allerdings darauf hingewiesen, dass er der Gerichtskasse Ersatz zu leisten hat, wenn er aufgrund einer Verbesserung seiner finanziellen Situation dazu in der Lage ist (Art. 64 Abs. 4 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen. 
 
2.1. Rechtsanwalt Dominic Nellen wird für das bundesgerichtliche Verfahren als unentgeltlicher Rechtsbeistand eingesetzt und mit Fr. 1'500.-- aus der Gerichtskasse entschädigt.  
 
2.2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.  
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 2. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 23. Oktober 2023 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Der Gerichtsschreiber: Hahn