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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
U 236/04 
 
Urteil vom 10. Januar 2005 
III. Kammer 
 
Besetzung 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiber Widmer 
 
Parteien 
H.________, 1954, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Häfliger, Schwanen- platz 7, 6004 Luzern, 
 
gegen 
 
Concordia Schweizerische Kranken- und Unfallversicherung, Bundesplatz 15, 6003 Luzern, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern 
 
(Entscheid vom 3. Juni 2004) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die 1954 geborene H.________ arbeitete seit 1997 als Betriebsangestellte in der Spedition der Firma X.________ AG und war bei der Concordia Schweizerische Kranken- und Unfallversicherung (im Folgenden: Concordia) obligatorisch gegen Unfälle und Berufskrankheiten versichert. Am 29. Oktober 2001 meldete die X.________ AG der Concordia, dass die Versicherte seit 24. Oktober 2001 an Gelenkschmerzen in der rechten Hand (Berufskrankheit) leide. Dr. med. I.________ bescheinigte ab 24. Oktober 2001 volle Arbeitsunfähigkeit. Am 10. Dezember 2001 füllte H.________ den ihr von der Concordia unterbreiteten «Fragebogen Berufskrankheit» aus. Am 17. Dezember 2001 wurde sie in der Chirurgischen Klinik am Spital Y.________ untersucht, wo persistierende dorsoradiale Handgelenkschmerzen rechts bei Status nach Distorsion vor zwei Monaten diagnostiziert wurden. Nach einer weiteren Konsultation berichtete das Spital Y.________ am 11. Januar 2002, die Versicherte leide an Morbus Sudeck Stadium I bei Status nach Handgelenksdistorsion vor rund zwei Monaten. In der Folge befragte die Concordia H.________ zum Hergang des Ereignisses vom 24. Oktober 2001 (schriftliche Auskunft der Versicherten vom 5. Mai 2002). Mit Verfügung vom 26. Juli 2002 lehnte die Concordia ihre Leistungspflicht für den Vorfall vom 24. Oktober 2001 ab, weil weder ein Unfall noch eine unfallähnliche Körperschädigung vorliege und die Handgelenksbeschwerden auch nicht auf eine Berufskrankheit zurückzuführen seien. 
 
Auf Einsprache hin hielt die Concordia mit Entscheid vom 15. Oktober 2002 an ihrem ablehnenden Standpunkt fest. 
B. 
Die hiegegen eingereichte Beschwerde, mit welcher H.________ die Aufhebung des Einspracheentscheides und die Zusprechung der gesetzlichen Leistungen hatte beantragen lassen, wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern ab (Entscheid vom 3. Juni 2004). 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt H.________ das vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren erneuern. Ferner ersucht sie um die Bewilligung der unentgeltlichen Verbeiständung. 
 
 
Während die Concordia auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Entsprechend den zutreffenden Darlegungen des kantonalen Gerichts sind im vorliegenden Fall die bis Ende 2002 gültig gewesenen Bestimmungen massgebend, wogegen das auf den 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 nicht anwendbar ist (BGE 127 V 467 Erw. 1). 
2. 
2.1 Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze zum Begriff des Unfalls (Art. 9 Abs. 1 UVV; BGE 122 V 233 Erw. 1, 121 V 38 Erw. 1a) zutreffend wiedergegeben. Darauf kann verwiesen werden. 
2.2 Am 10. Dezember 2001 erklärte die Beschwerdeführerin auf dem «Fragebogen Berufskrankheit» zum erstmaligen Auftreten der Beschwerden an der rechten Hand, sie habe am 24. Oktober 2001 bei der Arbeit eine Kiste mit der rechten Hand vom Band nehmen wollen. Dann habe es einen «Knick» gegeben, gefolgt von Schmerzen im rechten Handgelenk. Am 5. Mai 2002 äusserte sich die Versicherte gegenüber der Concordia erneut zum Vorfall. Sie hielt fest, dass sie den Korrekturharass genommen habe und ihn auf das Pult habe stellen wollen. «Dann machte das Handegelenk eine kleine Bewegung und es gab ein komisches Klick beim Handgelenk». Der Harass habe rund 4 bis 5 kg gewogen. 
 
In der Einsprache wurde der Vorfall abweichend beschrieben: Die Versicherte machte nunmehr geltend, sie habe von einem hohen Stapel das oberste Objekt mit gestrecktem Arm herunternehmen wollen. Dieses sei ungewöhnlich schwer gewesen. Das Ergreifen des Pakets habe zu einem plötzlichen Druck auf das Handgelenk, verbunden mit einem Knacken, geführt. In der Beschwerde an die Vorinstanz wurde diese Sachverhaltsdarstellung im Wesentlichen bestätigt. Zusätzlich wurde eine plötzliche und heftige Fallbewegung auf die ausgestreckte Hand der Beschwerdeführerin geschildert; das Gewicht des Behälters wurde nunmehr mit rund 10 kg angegeben. 
2.3 Mit der Vorinstanz ist die ursprüngliche Darstellung des Vorfalls vom 24. Oktober 2001 als glaubwürdiger zu erachten als die späteren Schilderungen nach Erlass der Ablehnungsverfügung der Concordia vom 26. Juli 2002, welche bewusst oder unbewusst von nachträglichen Überlegungen versicherungsrechtlicher Art beeinflusst sein könnten (BGE 121 V 47 Erw. 2a). Der Umstand, dass das Formular der Concordia am 5. Mai 2002 von der Tochter der Beschwerdeführerin ausgefüllt wurde, spricht nicht gegen die Richtigkeit der darin enthaltenen Angaben, zumal diese mit den früheren Antworten auf dem «Fragebogen Berufskrankheit» vom 10. Dezember 2001 übereinstimmen. Es ist wenig wahrscheinlich, dass die Tochter der Beschwerdeführerin zweimal - im Abstand von fünf Monaten - praktisch identische unzutreffende Angaben zum Vorfall vom 24. Oktober 2001 gemacht hat. Ergänzende Sachverhaltsabklärungen erübrigen sich, da die Concordia den rechtserheblichen Sachverhalt in Nachachtung des Untersuchungsgrundsatzes hinreichend abgeklärt hat. 
2.4 Das Ereignis vom 24. Oktober 2001 erfüllt den Unfallbegriff nicht, da es an einem ungewöhnlichen äusseren Faktor fehlt. Die schädigende Einwirkung auf die rechte Hand ereignete sich während eines alltäglichen Arbeitsvorgangs, als die Versicherte einen mehrere Kilogramm schweren Behälter ergriff, um ihn auf das Pult zu stellen. Eine von aussen beeinflusste, unkoordinierte Bewegung, die als «programmwidrig» bezeichnet werden müsste, liegt nicht vor. Ebenso wenig kann von einem ganz ausserordentlichen Kraftaufwand beim Heben des Behälters gesprochen werden. 
3. 
3.1 Die Vorinstanz hat des Weiteren mit zutreffender Begründung, auf welche verwiesen wird, dargelegt, dass auch keine unfallähnliche Körperschädigung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 UVV vorliegt. Eine Verrenkung des Handgelenks, die als unfallähnliche Körperschädigung gemäss Art. 9 Abs. 2 lit. b UVV zu gelten hätte, wurde von den beteiligten Ärzten nicht diagnostiziert. Vielmehr gingen die Spezialärzte des Spitals Y.________ von einer Distorsion aus, was einer Verstauchung des Handgelenks entspricht. Art. 9 Abs. 2 lit. b UVV erfasst nur eigentliche Gelenksverrenkungen (Luxationen), nicht aber unvollständige Verrenkungen (Subluxationen) oder Distorsionen, welche durch gewaltsame übermässige Bewegungen zu einer Zerrung der Gelenkskapselbänder führen (Urteil N. vom 12. April 2000, U 110/99). Ferner wurde im Bericht der Abteilung für Hand- und Plastische Chirurgie des Spitals Y.________ vom 17. Dezember 2001 die Verdachtsdiagnose «Teilruptur der Extensor pollicis longus-Sehne» gestellt; bei der MRI-Untersuchung vom 8. Januar 2002 fanden sich indessen keine Hinweise auf eine Sehnenläsion (Bericht des Spitals Y.________ vom 11. Januar 2002), weshalb eine unfallähnliche Körperschädigung im Sinn von Art. 9 Abs. 2 lit. f UVV (Sehnenrisse) ebenfalls ausser Betracht fällt. 
3.2 Zu prüfen bleibt die Leistungspflicht der Concordia unter dem Titel Berufskrankheiten gemäss Art. 9 UVG. Da der im Anschluss an die Handgelenksdistorsion aufgetretene Morbus Sudeck nicht in der im Anhang 1 zur UVV enthaltenen, vom Bundesrat gestützt auf Art. 9 Abs. 1 Satz 2 UVG erlassenen Liste der arbeitsbedingten Erkrankungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Satz 1 UVG aufgeführt ist, kommt als Grundlage für die Haftung der Unfallversicherung lediglich Art. 9 Abs. 2 UVG in Frage. Nach dieser Bestimmung gelten als Berufskrankheiten auch andere Krankheiten, von denen nachgewiesen wird, dass sie ausschliesslich oder stark überwiegend durch berufliche Tätigkeit verursacht worden sind. Die Voraussetzung des ausschliesslichen oder stark überwiegenden Zusammenhanges ist erfüllt, wenn die Berufskrankheit mindestens zu 75 % durch die berufliche Tätigkeit verursacht worden ist (BGE 126 V 186 Erw. 2b, 114 V 109). Sofern der Nachweis eines qualifizierten (zumindest stark überwiegenden [Anteil von mindestens 75 % ]) Kausalzusammenhangs nach der medizinischen Empirie allgemein nicht geleistet werden kann, scheidet die Anerkennung als Berufskrankheit im Einzelfall aus (BGE 126 V 190 Erw. 4b mit Hinweisen). 
 
Wie die Vorinstanz unter Hinweis auf Debrunner, Orthopädie, orthopädische Chirurgie: Patientenorientierte Diagnostik und Therapie des Bewegungsapparates, 4. Auflage, Bern 2002, S. 695, festgehalten hat, wird das Sudecksyndrom in der Regel durch eine mehr oder weniger schwere Verletzung, meist durch eine Fraktur, eine Weichteilverletzung, eine Operation, eine periphere Nervenläsion, gelegentlich auch durch ein geringfügiges Trauma, selten durch eine Krankheit, ausgelöst (vergleiche auch Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 260. Auflage, Berlin, New York 2004, S. 1549). Auf Grund dieser Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft ist ein stark überwiegender Zusammenhang zwischen einer beruflichen Tätigkeit und dem Sudecksyndrom nicht nachgewiesen. Auf nähere Abklärungen im vorliegenden Fall ist damit zu verzichten, da eine Anerkennung des Leidens der Beschwerdeführerin als Berufskrankheit nicht in Betracht fällt. 
4. 
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung kann entsprochen werden (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung geboten war (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwalt Dr. Bruno Häfliger für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt. 
Luzern, 10. Januar 2005 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Die Präsidentin der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: