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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
8C_161/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 11. Mai 2017  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine, 
Gerichtsschreiberin Schüpfer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
 A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Rainer Deecke, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Aargau, Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau, 
Beschwerdegegnerin, 
 
 Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft AG, Richtiplatz 1, 8304 Wallisellen. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Revision), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 17. Januar 2017. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
 
A.a. Der 1965 geborene A.________ arbeitete als Hilfsarbeiter bei der B.________ AG. Am 1. September 1993 schlug ihm ein am Kran hängender Pflasterkübel ans linke Knie. Der Arzt, welcher am 10. September 1993 aufgesucht wurde, stellte die Diagnose eines Verdachts auf eine Innenmeniskusläsion. Am 26. September 1994 meldete sich A.________ aufgrund der andauernden Folgen dieses Unfalls bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Aargau zog die Akten der zuständigen Unfallversicherung bei, traf verschiedene medizinische Abklärungen und liess den Versicherten an der Klinik C.________ begutachten. Gestützt auf die Expertise vom 7. Oktober 1998 sprach sie ihm mit Verfügung vom 17. Juni 1999 rückwirkend ab 1. Oktober 1994 bei einem Invaliditätsgrad von 100% eine ganze Rente zu.  
 
A.b. Im Rahmen einer am 22. Oktober 2014 (erneut) eingeleiteten revisionsweisen Überprüfung nahm die IV-Stelle weitere Abklärungen vor und liess den Versicherten unter anderem am Zentrum für medizinische Begutachtung (ZMB), Basel, interdisziplinär untersuchen (Expertise vom 20. Oktober 2015). Mit Verfügung vom 2. Juni 2016 hob die IV-Stelle die Ausrichtung der bisher gewährten Rente per Ende des der Zustellung der Verfügung folgenden Monats revisionsweise auf.  
 
B.   
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 17. Januar 2017 ab. 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids vom 17. Januar 2017 und die Weiterausrichtung einer Invalidenrente beantragen. Im weiteren lässt er um die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ersuchen. 
Ein Schriftenwechsel wird nicht durchgeführt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).  
 
1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
1.3. Bei den gerichtlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit bzw. deren Veränderung in einem bestimmten Zeitraum handelt es sich grundsätzlich um Tatfragen (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.). Gleiches gilt für die konkrete Beweiswürdigung (Urteil 9C_204/2009 vom 6. Juli 2009 E. 4.1, nicht publ. in: BGE 135 V 254, aber in: SVR 2009 IV Nr. 53 S. 164). Dagegen sind die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG Rechtsfragen (BGE 132 V 393 E. 3.2 und 4 S. 397 ff.).  
 
2.   
Streitig ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzte, indem es mit der IV-Stelle auf eine anspruchserhebliche Verbesserung des Gesundheitszustandes schloss und folglich die am 2. Juni 2016 revisionsweise verfügte Rentenaufhebung bestätigte. 
 
2.1. Ändert sich der Invaliditätsgrad eines Rentenbezügers erheblich, so wird die Rente von Amtes wegen oder auf Gesuch hin für die Zukunft entsprechend erhöht, herabgesetzt oder aufgehoben (Art. 17 Abs. 1 ATSG). Anlass zur Rentenrevision gibt jede wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen seit Zusprechung der Rente (zum massgeblichen Vergleichszeitpunkt vgl. BGE 133 V 108 E. 5.4 S. 114), die geeignet ist, den Invaliditätsgrad und damit den Anspruch zu beeinflussen. Insbesondere ist die Rente bei einer wesentlichen Änderung des Gesundheitszustandes revidierbar. Weiter sind, auch bei an sich gleich gebliebenem Gesundheitszustand, veränderte Auswirkungen auf den Erwerbs- oder Aufgabenbereich von Bedeutung; dazu gehört die Verbesserung der Arbeitsfähigkeit aufgrund einer Angewöhnung oder Anpassung an die Behinderung. Hingegen ist die lediglich unterschiedliche Beurteilung eines im Wesentlichen gleich gebliebenen Sachverhalts im revisionsrechtlichen Kontext unbeachtlich (BGE 141 V 9 E. 2.3 S. 10 f. mit Hinweisen).  
 
2.2. Unabhängig von einem materiellen Revisionsgrund kann der Versicherungsträger nach Art. 53 Abs. 2 ATSG wiedererwägungsweise auf formell rechtskräftige Verfügungen oder Einspracheentscheide zurückkommen, wenn diese zweifellos unrichtig sind und ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist. Wird die zweifellose Unrichtigkeit der ursprünglichen Rentenverfügung erst vom Gericht festgestellt, kann dieses ein (zu Unrecht) auf Art. 17 ATSG gestütztes Rückkommen mit dieser substituierten Begründung schützen (BGE 125 V 368 E. 2 S. 369; Urteil 9C_303/2010 vom 5. Juli 2010 E. 4 [SVR 2011 IV Nr. 20 S. 53]). Vorausgesetzt ist wie immer bei der Wiedererwägung, dass kein vernünftiger Zweifel an der Unrichtigkeit der Verfügung möglich, also nur dieser einzige Schluss denkbar ist (Urteil 8C_1012/2008 E. 4.1 vom 17. August 2009 [SVR 2010 IV Nr. 5 S. 10]). Dies trifft in der Regel zu, wenn eine Leistungszusprechung aufgrund falscher Rechtsregeln erfolgte oder wenn massgebliche Bestimmungen nicht oder unrichtig angewandt wurden. Soweit indessen ermessensgeprägte Teile der Anspruchsprüfung vor dem Hintergrund der Sach- und Rechtslage einschliesslich der Rechtspraxis im Zeitpunkt der rechtskräftigen Leistungszusprechung (BGE 125 V 383 E. 3 S. 389) in vertretbarer Weise beurteilt worden sind, scheidet die Annahme zweifelloser Unrichtigkeit aus.  
 
3.   
 
3.1. Das kantonale Gericht erwog, die Rentenzusprache habe auf dem Gutachten der Klinik C.________ vom 7. November 1998 beruht. Darin sei dem Versicherten ein chronifiziertes Schmerzsyndrom bei Status nach Kniedistorsion und Status nach mehrfachen arthroskopischen Eingriffen mit einer Symptomausweitung im Sinne einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung schweren Grades eine volle Arbeitsunfähigkeit attestiert worden. Derzeit bestünden laut dem ZMB-Gutachten vom 20. Oktober 2015 neben dem Status nach Kontusion des linken Kniegelenks akzentuierte Persönlichkeitszüge mit narzisstischen Anteilen (ICD-10 Z73.1) und eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10 F45.41). Die Vorinstanz folgerte aus dem Vergleich der gutachterlichen Unterlagen, verglichen mit dem früheren Zustand, würden die gesundheitlichen Einschränkungen wesentlich weniger gravierende Folgen im Alltag des Beschwerdeführers zeigen. Er sei in seinen alltäglichen Aktivitäten unterdessen kaum bis nicht mehr eingeschränkt. Zudem seien im Gutachten der Klinik C.________ vom 7. November 1998 psychosoziale Faktoren entscheidend gewesen und bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit nicht abgegrenzt worden. Deren Berücksichtigung sei zweifellos unrichtig gewesen, weshalb die Verfügung vom 17. Juni 1999 auch in Wiedererwägung im Sinne von Art. 53 Abs. 2 ATSG gezogen werden könne. Die IV-Stelle habe den Anspruch des Beschwerdeführers auf eine Invalidenrente daher zu Recht aufgehoben.  
 
3.2. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die vorinstanzliche Schlussfolgerungen. Das Gutachten des ZMB habe keine erhebliche Veränderung des Gesundheitszustandes festgestellt. Vielmehr liege eine versicherungsmedizinisch andere, aber revisionsrechtlich nicht zu berücksichtigende "Umwertung" und damit eine blosse neue Beurteilung vor. Zudem habe die Verfügung vom 17. Juni 1999 auf der damaligen Rechtspraxis beruht, was eine zweifellose Unrichtigkeit ausschliesse.  
 
4.   
Soweit das kantonale Gericht als massgebenden Vergleichszeitpunkt nicht auf die rentenzusprechende Verfügung vom 17. Juni 1999, sondern auf die formlos ergangene Mitteilung über den unverändert weiterbestehenden Rentenanspruch vom 20. November 2013 abstellt, kann ihm nicht gefolgt werden. Diese stützte sich zwar auf eine orthopädische Untersuchung durch die RAD-Ärztin dipl. med. D.________ vom 11. Juli 2012. Eine psychiatrische Abklärung fand hingegen nicht statt. Damit kann für den Zeitpunkt des 20. November 2013 nicht von einer umfassenden Prüfung des Sachverhalts gesprochen werden. Das gilt umso weniger, als die Verfügung vom 17. Juni 1999 vorwiegend auf einem psychischen Gesundheitsschaden beruhte. Die Sachverhaltsabklärung, welche zur Mitteilung vom 20. November 2013 führte, war unvollständig und damit nicht rechtskonform. Entsprechend kann dieser Zeitpunkt nicht als revisionsrechtlich massgebend herangezogen werden (vgl. BGE 133 V 108). Da die Vorinstanz die Sache eventualiter auch im Hinblick auf den Vergleichszeitpunkt vom Juni 1999 prüfte und zum gleichen Resultat gelangte, erübrigt sich indessen eine Rückweisung der Sache zur neuen Beurteilung. 
 
5.   
Das kantonale Gericht hat in umfassender Würdigung der medizinischen Akten, insbesondere gestützt auf das Gutachten des ZMB vom 20. Oktober 2015 für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich festgestellt, dass sich der Gesundheitszustand des Versicherten, insbesondere aber auch die tatsächlichen Auswirkungen der geltend gemachten Beschwerden, seit der Rentenverfügung vom 17. Juni 1999 verbessert haben. Was der Beschwerdeführer gegen diese Feststellung vorbringt, vermag diese nicht als bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen. Im angefochtenen Entscheid wird dargelegt, dass sich der Beschwerdeführer bei den verschiedenen Gutachtern am ZMB widersprüchlich verhalten hat. So habe der rheumatologische Gutachter von einem zügigen An- und Auskleiden berichtet, wohingegen im internistischen Teil des Gutachtens von einem An- und Auskleiden mit grosser Mühe berichtet werde. Aufgrund des Fehlens wesentlicher trophischer Seitendifferenzen konnten die Gutachter die angebliche Schonung des linken Beines nicht bestätigen. Ebenso haben in den letzten Jahren kaum Hausarztbesuche stattgefunden. Eine psychotherapeutische Behandlung hatte nicht stattgefunden. Bei einer Laboruntersuchung lag der Paracetamolspiegel im subtherapeutischen Bereich, obwohl der Explorand angegeben hatte, täglich drei bis vier entsprechende Tabletten einzunehmen, so auch am Vortag und am Untersuchungstag. Das Alles lässt mit dem kantonalen Gericht darauf schliessen, dass keine erhebliche Schmerzproblematik mehr vorliegt und der Beschwerdeführer in seiner alltäglichen Aktivität kaum mehr eingeschränkt ist. Verglichen mit der im Gutachten der Klinik C.________ geschilderten, sehr ausgeprägt wahrgenommenen Schmerzsymptomatik, welche zur Diagnose einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung schweren Grades geführt hatte, liegt eine echte und damit revisionsrechtlich relevante Verbesserung des Gesundheitszustandes vor. Damit hatten die begutachtenden Ärzte an der Klinik C.________ auch gerechnet, empfahlen sie doch eine Neubeurteilung innert Jahresfrist. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass nach eigenen Angaben der (subjektive) Leidensdruck des Versicherten unverändert geblieben ist. Die Vorinstanz hat somit kein Bundesrecht verletzt, als sie einen Revisionsgrund bejaht hat. 
 
6.   
Nachdem ein Revisionsgrund vorliegt, erübrigt sich eine Prüfung der Frage, ob darüber hinaus auch die Voraussetzungen für eine Wiedererwägung der rentenzusprechenden Verfügung vom 17. Juni 1999 gegeben seien. 
 
7.   
Die Bemessung des Invaliditätsgrades war schon vorinstanzlich unbestritten, weshalb sich auch diesbezüglich Weiterungen erübrigen. 
 
8.   
Der unterliegende Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1). Die unentgeltliche Rechtspflege kann ihm wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde nicht gewährt werden (Art. 64 BGG; BGE 138 III 217 E. 2.2.4 S. 218). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, der Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft AG, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 11. Mai 2017 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Schüpfer