Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
[AZA 7] 
K 122/99 Ge 
 
III. Kammer 
 
Präsident Schön, Bundesrichter Spira und Bundesrichterin 
Widmer; Gerichtsschreiberin Kopp Käch 
 
Urteil vom 14. Dezember 2001 
 
in Sachen 
 
L.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Urs Rudolf, Ober-Emmenweid 46, 6021 Emmenbrücke, 
 
gegen 
Öffentliche Krankenkasse Luzern, Pilatusstrasse 28, 6002 Luzern, Beschwerdegegnerin, 
 
und 
 
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern 
 
A.- Der 1953 geborene L.________ ist bei der Öffentlichen Krankenkasse Luzern (nachfolgend ÖKK) krankenversichert. Wegen eines 1994 diagnostizierten malignen Non-Hodgkin-Lymphoms musste er sich in den Jahren 1994/95 einer kurativen und einer konsolidierenden Chemotherapie unterziehen, wobei sich keine Hinweise auf ein Tumorrezidiv zeigten. In der Folge begab sich L.________ in eine zahnärztliche Behandlung bei Dr. med. dent. Z.________, deren Kostenvoranschlag sich auf Fr. 7221. 95 belief. Am 27. September 1996 liess er durch Dr. med. H.________, Oberärztin der Onkologischen Abteilung am Spital X.________, bei der ÖKK ein Gesuch um Kostenübernahme stellen mit der Begründung, nach Auffassung des Dr. med. dent. Z.________ seien die gefundenen Läsionen im Rahmen der stattgehabten Chemotherapie zu interpretieren und somit kassenpflichtig. Mit Verfügung vom 27. Februar 1998 lehnte die ÖKK nach Rücksprache mit dem Vertrauenszahnarzt Dr. med. dent. D.________ die Übernahme der Kosten für die Zahnbehandlung ab. An ihrem Standpunkt hielt sie nach Einholung der Stellungnahmen des Vertrauenszahnarztes vom 5. April und 22. November 1998 fest (Einspracheentscheid vom 22. Dezember 1998). 
 
B.- Die dagegen erhobene Beschwerde, mit welcher L.________ die Übernahme der Kosten der zahnärztlichen Behandlung beantragen liess, wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 10. September 1999 ab. 
 
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt L.________ die Rückweisung der Angelegenheit an die ÖKK zur Neubeurteilung, eventuell die Übernahme der Kosten der notwendigen zahnärztlichen Behandlung durch die ÖKK beantragen. 
 
Die Vorinstanz und die ÖKK schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
D.- Am 28. März 2000 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht eine Expertengruppe mit der Erstellung eines zahnmedizinischen Grundsatzgutachtens beauftragt, wobei die Fragen vor allem Art. 17 der Verordnung über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (Krankenpflege-Leistungsverordnung [KLV]) betrafen. Um sicherzustellen, dass keine Widersprüche in der Rechtsprechung zu den Leistungsbestimmungen der KLV ergehen, wurde neben anderen Beschwerdeverfahren auch das vorliegende Verfahren mit Verfügung vom 3. April 2000 sistiert. Das Grundsatzgutachten ging am 31. Oktober 2000 beim Gericht ein und wurde am 16. Februar 2001 mit den Experten erörtert. Am 21. April 2001 erstellten die Experten einen Ergänzungsbericht. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Nachdem das Grundsatzgutachten erstellt ist, kann die Sistierung des vorliegenden Verfahrens aufgehoben werden. 
 
2.- a) Die Leistungen, deren Kosten von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung bei Krankheit zu übernehmen sind, werden in Art. 25 des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) in allgemeiner Weise umschrieben. Im Vordergrund stehen die Leistungen der Ärzte und Ärztinnen, dann aber auch der Chiropraktoren und Chiropraktorinnen sowie der Personen, die im Auftrag von Ärzten und Ärztinnen Leistungen erbringen. 
Die Leistungen der Zahnärzte und Zahnärztinnen sind in der genannten Bestimmung nicht aufgeführt. Die Kosten dieser Leistungen sollen im Krankheitsfalle der obligatorischen Krankenpflegeversicherung - wie die Vorinstanz zutreffend darlegt - nur in eingeschränktem Masse überbunden werden, nämlich wenn die zahnärztliche Behandlung durch eine schwere, nicht vermeidbare Erkrankung des Kausystems (Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG) oder durch eine schwere Allgemeinerkrankung oder ihre Folgen bedingt (Art. 31 Abs. 1 lit. b KVG) oder zur Behandlung einer schweren Allgemeinerkrankung oder ihrer Folgen notwendig ist (Art. 31 Abs. 1 lit. c KVG). 
b) Gestützt auf Art. 33 Abs. 2 und 5 KVG in Verbindung mit Art. 33 lit. d der Verordnung über die Krankenversicherung (KVV) hat das Departement in der Verordnung über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (Krankenpflege-Leistungsverordnung [KLV]) zu jedem der erwähnten Unterabsätze von Art. 31 Abs. 1 KVG einen eigenen Artikel erlassen, nämlich zu lit. a den Art. 17 KLV, zu lit. b den Art. 18 KLV und zu lit. c den Art. 19 KLV. In Art. 17 KLV werden die schweren, nicht vermeidbaren Erkrankungen des Kausystems aufgezählt, bei denen daraus resultierende zahnärztliche Behandlungen von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu übernehmen sind. In Art. 18 KLV werden die schweren Allgemeinerkrankungen und ihre Folgen aufgelistet, die zu zahnärztlicher Behandlung führen können und deren Kosten von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu tragen sind. In Art. 19 KLV schliesslich hat das Departement die schweren Allgemeinerkrankungen aufgezählt, bei denen die zahnärztliche Massnahme notwendiger Bestandteil der Behandlung darstellt. 
 
c) In BGE 124 V 185 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht entschieden, dass die in Art. 17-19 KLV erwähnten Erkrankungen, deren zahnärztliche Behandlung von der sozialen Krankenversicherung zu übernehmen ist, abschliessend aufgezählt sind. Daran hat es in ständiger Rechtsprechung festgehalten (zur Publikation in der Amtlichen Sammlung vorgesehene Urteile M. vom 19. September 2001, K 73/98, und J. vom 28. September 2001, K 78/98). 
 
3.- a) Die Krankenkasse verneint vorliegend eine Leistungspflicht, da die Krankheit des Beschwerdeführers in der abschliessenden Aufzählung von Art. 18 KLV nicht enthalten sei. Zudem stünden die festgestellten Läsionen sowie die entsprechenden zahnärztlichen Behandlungen nicht in direktem Zusammenhang mit der Behandlung der Krebserkrankung. 
b) Der Beschwerdeführer sieht die Ursache der diagnostizierten Läsionen in der durchgeführten Chemotherapie. Der Kariesbefall sei radiogen induziert und somit Folge der Tumorbehandlung. Wohl sei das maligne Non-Hodgkin-Lymphom in Art. 18 KLV nicht explizit erwähnt, doch sei das Leiden mit den unter Ziff. a dieser Bestimmung aufgeführten Krankheiten vergleichbar. Explizit erwähnt seien die malignen Leiden in Art. 19 lit. c KLV, der die Übernahme der Kosten der zahnärztlichen Therapien, die zur Unterstützung und Sicherstellung der ärztlichen Behandlungen notwendig seien, regle. 
 
c) Die Vorinstanz legt zunächst dar, dass die Zahnläsionen des Beschwerdeführers nicht auf die chemotherapeutische Behandlung der Krebserkrankung zurückzuführen seien. Selbst wenn dies der Fall wäre, sind nach Auffassung des kantonalen Gerichts die Voraussetzungen für eine Leistungspflicht der Krankenkasse nicht erfüllt, da das Leiden des Beschwerdeführers in der abschliessenden Aufzählung von Art. 18 KLV nicht erwähnt ist. 
 
4.- a) Was die Frage der anwendbaren Rechtsgrundlage anbelangt, sind die Beteiligten hauptsächlich von Art. 31 Abs. 1 lit. b KVG in Verbindung mit Art. 18 KLV ausgegangen. Unbestritten ist dabei, dass das Non-Hodgkin-Lymphom weder als solches noch unter dem Oberbegriff eines malignen Leidens in Art. 18 KLV aufgeführt ist. Die entsprechenden Äusserungen bezogen sich auf die bis Ende 1998 gültig gewesene Fassung der Verordnungsbestimmung; daran hat sich in der ab 1. Januar 1999 in Kraft stehenden Regelung nichts geändert. Da die Aufzählung der schweren Allgemeinerkrankungen in Art. 18 KLV abschliessend ist, ist es unerheblich, ob das Leiden des Beschwerdeführers mit darin aufgelisteten Erkrankungen vergleichbar ist. 
b) Art. 19 KLV sodann, in welchem, wie der Beschwerdeführer erwähnt, die Strahlen- oder Chemotherapie maligner Leiden enthalten ist, ist sowohl in der bis Ende 1998 wie auch in der seit Beginn 1999 gültigen Fassung nicht einschlägig, weil darunter zahnärztliche Behandlungen fallen, die zur Unterstützung der Behandlung der darin aufgeführten Krankheiten notwendig sind, während es hier um die Frage allfälliger Folgen der Behandlung geht. 
 
c) Art. 17 KLV schliesslich, der die Kostenübernahme von zahnärztlichen Behandlungen bei Erkrankungen des Kausystems regelt, enthält für maligne Leiden zwei Anknüpfungspunkte. 
 
aa) In Art. 17 lit. c Ziff. 2 KLV werden die durch maligne Tumore im Gesichts-, Kiefer- und Halsbereich bedingten zahnärztlichen Behandlungen aufgelistet. Darunter kann das Non-Hodgkin-Lymphom des Beschwerdeführers indessen nicht subsumiert werden, weil kein Tumor im umschriebenen Bereich vorhanden ist. 
 
bb) In Art. 17 lit. b Ziff. 3 KLV sind die Erkrankungen des Zahnhalteapparates (Parodontopathien) zufolge irreversibler Nebenwirkungen von Medikamenten erwähnt. Die Anwendung dieser Bestimmung ist einer näheren Prüfung zu unterziehen. 
 
Art. 17 lit. b Ziff. 3 KLV regelt die Kostenübernahme von zahnärztlichen Behandlungen, die durch Erkrankungen des Zahnhalteapparates (Parodontopathien) zufolge irreversibler Nebenwirkungen von Medikamenten bedingt sind. Unter diese Medikamente ist auch eine Chemotherapie zu subsumieren (zur Publikation in der Amtlichen Sammlung vorgesehenes Urteil J. vom 28. September 2001, K 78/98). Gestützt auf die Akten kann davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer im Zuge der Chemotherapie Medikamente verabreicht wurden, die geeignet sind, den Zahnhalteapparat irreversibel zu schädigen. Den Akten ist des Weitern zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der zahnärztlichen Behandlung eine generalisierte Parodontaldestruktion aufgewiesen hat, die für das Bedürfnis einer Generalsanierung des Gebisses mitverantwortlich war. Eine Leistungspflicht der Krankenkasse für die Zahnschäden des Beschwerdeführers wäre demzufolge zu bejahen, wenn sie die Folge eines durch die Chemotherapie irreversibel geschädigten Zahnhalteapparates wären. Diesbezüglich ist auf die überzeugende Beurteilung des am vorinstanzlichen Entscheid mitwirkenden Fachrichters abzustellen. Ihm zufolge geht aus den Röntgenbildern hervor, dass das Gebiss des Beschwerdeführers in einem schlechten Zustand war - fehlten doch einige Zähne, die nicht ersetzt worden waren - und dass es angesichts des Zeitraums der Chemotherapie schon vor deren Beginn in schlechtem Zustand gewesen sein muss. Diese Einschätzung stimmt denn auch überein mit den Berichten des Vertrauenszahnarztes der Beschwerdegegnerin vom 5. April und 22. November 1998. Damit fehlt es am Nachweis eines Zusammenhangs zwischen der Chemotherapie und den Schäden am Zahnhalteapparat sowie den Zähnen. 
 
5.- Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es vorliegend unerheblich ist, ob die Zahnschäden eine direkte Folge der Chemotherapie sind, da das Non-Hodgkin-Lymphom oder dessen Behandlung weder unter Art. 18 KLV noch unter Art. 17 lit. c Ziff. 2 KLV subsumiert werden kann. Art. 17 lit. b Ziff. 3 KLV ist sodann nicht anwendbar, weil ein Zusammenhang zwischen der Chemotherapie und allfälligen Schäden am Zahnhalteapparat in dem Sinne, dass als deren Folge Zahnschäden aufgetreten wären, nicht nachgewiesen ist. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I. Die Sistierung wird aufgehoben. 
 
II. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
 
III. Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
IV. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
 
Luzern, 14. Dezember 2001 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der III. Kammer: 
 
Die Gerichtsschreiberin: