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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
6B_424/2015  
   
   
 
 
 
Urteil vom 4. Dezember 2015  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichter Rüedi, 
Bundesrichterin Jametti, 
Gerichtsschreiberin Arquint Hill. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Advokat Dr. Stefan Suter, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, 3011 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Entlassung aus der Verwahrung, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern, Strafabteilung, 1. Strafkammer, vom 25. März 2015. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Das Kreisgericht VIII Bern-Laupen verurteilte X.________ am 10. Oktober 2002 wegen mehrfacher, mengenmässig und teilweise banden- sowie gewerbsmässig qualifizierter Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz, Gefährdung des Lebens, Vergewaltigung und sexueller Nötigung zu 5 Jahren Zuchthaus. Es ordnete gleichzeitig eine vollzugsbegleitende ambulante psychotherapeutische Behandlung an. 
Dem Urteil lagen Delikte aus den Jahren 1992 und 1993 zugrunde. Nachdem X.________ im April 1994 aus der Untersuchungshaft geflüchtet war und sich anschliessend auf den Philippinen aufhielt, kehrte er im April 2001 nach Europa zurück, wo er bei der grenzpolizeilichen Kontrolle auf dem Flughafen Frankfurt angehalten werden konnte. Am 19. Februar 2002 trat er vorzeitig den Strafvollzug an. 
Am 10. September 2004 verfügte die Abteilung Straf- und Massnahmenvollzug (ASMV) des Kantons Bern die Einstellung des Vollzugs der ambulanten Massnahme wegen Unzweckmässigkeit. Sie ersuchte das Kreisgericht VIII Bern-Laupen, einen Entscheid gemäss Art. 43 Ziff. 3 aStGB zu fällen. Das Kreisgericht verwahrte X.________ mit Urteil vom 2. Dezember 2005. Auf Appellation des Verwahrten bestätigte das Obergericht des Kantons Bern am 21. Juni 2006 die Massnahme. Die dagegen erhobenen Rechtsmittel an das Bundesgericht blieben ohne Erfolg (Urteile des Bundesgerichts in den Verfahren 6P.213/2006 und 6S.476/2006 vom 2. März 2007). Am 5. Dezember 2007 beschloss das Obergericht des Kantons Bern, die altrechtliche Verwahrung in Anwendung von Art. 64 StGB und Ziff. 2 Abs. 2 SchlBestStGB nach neuem Recht weiterzuführen. 
 
B.  
Im Rahmen der jährlichen Massnahmeüberprüfung lehnte es die ASMV des Kantons Bern jeweils ab, X.________ bedingt aus der Verwahrung zu entlassen, letztmals am 11. Oktober 2013. 
Eine Beschwerde von X.________ gegen diesen Entscheid wies die Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern am 9. April 2014 ab, soweit sie darauf eintrat. 
Die dagegen gerichtete Beschwerde von X.________ wies das Obergericht des Kantons Bern am 25. März 2015 ab. 
 
C.  
X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das obergerichtliche Urteil sei aufzuheben. Er sei aus der Verwahrung zu entlassen. Eventualiter sei das Verfahren zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. 
 
D.  
Die Oberstaatsanwaltschaft und das Obergericht des Kantons Bern verzichten auf eine Vernehmlassung. Die Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Vorinstanz lehnt es ab, den Beschwerdeführer bedingt aus der Verwahrung zu entlassen. Sie stützt sich bei ihrem Entscheid u.a. auf das psychiatrische Gutachten von Dr. med. A.________ vom 24. Dezember 2012 und dessen Ergänzung vom 9. Februar 2015. Es bestünden keine Gründe, von den fachärztlichen Erkenntnissen abzuweichen. Bei unveränderter Diagnose einer schweren Persönlichkeitsstörung mit antisozialen Zügen bei Dominanzstreben und einer Psychopathie sei das strukturelle Rückfallrisiko für Sexual- und Gewaltdelikte im Sinne der Anlasstaten nach wie vor deutlich bis sehr hoch. Dass der Beschwerdeführer die Taten vor 20 Jahren begangen, er nach seiner Flucht auf die Philippinen mehrere Jahre deliktfrei gelebt habe und an einer schweren, chronisch obstruktiven Lungenerkrankung mit leichter Verschlechterung seit 2012 leide, ändere aus gutachterlicher Sicht nichts an der Einschätzung der Legalprognose. Eine Entlassung komme daher mit Blick auf die unverändert bestehende Rückfallgefahr für Delikte nach Art. 64 Abs. 1 StGB nicht in Frage. 
Der Beschwerdeführer ist mit dem vorinstanzlichen Entscheid nicht einverstanden. Er verlangt ein Obergutachten. Er macht im Wesentlichen geltend, die Vorinstanz halte die psychiatrischen Gutachten für "lege artis erstellt", "nachvollziehbar begründet" und "in sich schlüssig", ohne sich mit seinen Einwänden zu deren diversen inhaltlichen Mängeln, namentlich zur nicht nachvollziehbaren Verwendung der eingesetzten Prognoseinstrumente, zu befassen. Es sei jedoch die Kernaufgabe der Justiz, auf konkrete Kritik zur (fehlenden) Überprüf- und Nachvollziehbarkeit von Gutachten einzugehen und sich in dieser Hinsicht auch mit Einwendungen gegen forensische Methoden im Einzelfall auseinanderzusetzen. Die Vorinstanz behandle seine diesbezüglichen Vorbringen nicht, was den Anspruch auf rechtliches Gehör und Verfahrensfairness verletze (Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 6 EMRK). 
 
2.  
 
2.1. Nach Art. 64a Abs. 1 StGB wird der Täter aus der Verwahrung bedingt entlassen, sobald zu erwarten ist, dass er sich in der Freiheit bewährt. Die in Art. 64a Abs. 1 StGB vorausgesetzte Erwartung der Bewährung bezieht sich auf Straftaten im Sinne von Art. 64 Abs. 1 StGB. Dies ergibt sich sowohl aus Art. 64a Abs. 2 StGB betreffend die Fortführung der Bewährungshilfe und der Weisungen als auch aus Art. 64a Abs. 3 StGB betreffend die Rückversetzung, welche ausdrücklich die ernsthafte Erwartung von weiteren Straftaten im Sinne von Art. 64 Abs. 1 StGB voraussetzt. Nach Sinn und Zweck der Bestimmung ist die Bewährung nach Art. 64a Abs.1 StGB demnach so auszulegen, dass die Gefahr von weiteren Delikten gemäss Art. 64 Abs. 1 StGB zu verneinen ist. Ein anderweitiges mögliches Fehlverhalten ist nicht relevant (vgl. BGE 135 IV 49 E. 1.1.2.2; Urteil 6B_232/2011 vom 17. November 2011 E. 2.2).  
 
2.2. Nach Art. 64b Abs. 1 lit. a StGB prüft die zuständige Behörde, auf Gesuch hin oder von Amtes wegen, mindestens einmal jährlich, und erstmals nach Ablauf von zwei Jahren, ob und wann der Täter aus der Verwahrung bedingt entlassen werden kann. Dies hängt regelmässig von einer Gefährlichkeitsprognose ab. Zur Prognosestellung schreibt das Gesetz die Hinzuziehung eines Sachverständigen vor. Nach Art. 64b Abs. 2 lit. b StGB trifft die zuständige Behörde ihren Entscheid über die bedingte Entlassung aus der Verwahrung u.a. gestützt auf eine unabhängige sachverständige Begutachtung im Sinne von Art. 56 Abs. 4 StGB. Der Sachverständige hat im (Prognose-) Gutachten namentlich zum Gesundheitszustand des Exploranden, zu Fragen der Behandlungsbedürftigkeit und Behandlungsfähigkeit sowie zur Legalprognose Stellung zu nehmen.  
 
2.3. An die Person des amtlichen Sachverständigen und den Inhalt des Gutachtens werden hohe formelle und inhaltliche Anforderungen gestellt. Die in der StPO diesbezüglich enthaltenen Vorgaben gemäss Art. 182 ff. StPO gelangen vorbehaltlos zur Anwendung. Aus juristischer Sicht erfordert das (Prognose-) Gutachten eine umfassende und in sich nachvollziehbare Darstellung des Erkenntnis- und Wertungsprozesses des Sachverständigen. Dazu gehört namentlich die Angabe der von ihm herangezogenen und ausgewerteten Erkenntnismittel sowie der Untersuchungsmethode, deren Auswahl in seinem pflichtgemässen Ermessen liegt. Um die Nachvollziehbarkeit und Transparenz zu gewährleisten, hat der Sachverständige im Gutachten umfassend darzulegen, wie und weshalb er zu den von ihm gefundenen Ergebnissen gelangt (vgl. BGE 128 I 81 E. 2; Urteil 6B_304/2015 vom 14. September 2015 E. 2.4 und 2.5). Das Gericht hat das Gutachten nach fachwissenschaftlichen Kriterien zu verstehen und zu prüfen. Es muss das Gutachten selbständig beurteilen und darf die Prognoseentscheidung nicht dem Sachverständigen überlassen. Die richterliche Überprüfung bzw. Kontrolle des Gutachtens hat sich deshalb nicht nur auf das ermittelte Prognoseergebnis als solches zu beziehen, sondern muss sich auf die Qualität der gesamten Prognosestellung inklusive der vom Sachverständigen allenfalls verwendeten Prognoseinstrumente erstrecken (vgl. auch Urteil 6B_772/2007 vom 9. April 2008 E. 4.3). Das Gericht muss im Ergebnis eine eigenständige Beurteilung des Sachverständigenbeweises im Hinblick auf die Einbeziehung aller für die Begutachtung relevanten Umstände vornehmen, damit es gestützt darauf einen eigenverantwortlichen Entscheid in der Sache zur Gefährlichkeit treffen kann (vgl. MARIANNE HEER, Basler Kommentar, Strafrecht, Band I, N. 50, N. 53, N. 64d sowie N. 75 zu Art. 56 StGB).  
 
2.4. Das Gericht würdigt Gutachten grundsätzlich frei (vgl. Art. 10 Abs. 2 StPO). Es darf in Fachfragen allerdings nicht ohne triftige Gründe von unabhängigen Gutachten abweichen und muss Abweichungen begründen. Erscheint dem Gericht die Schlüssigkeit eines Gutachtens in wesentlichen Punkten zweifelhaft, hat es nötigenfalls ergänzende Beweise zur Klärung dieser Zweifel zu erheben. Das Abstellen auf eine nicht schlüssige Expertise bzw. der Verzicht auf die gebotenen zusätzlichen Beweiserhebungen kann gegen das Verbot der Willkür verstossen (BGE 138 III 193 E. 4.3.1; 136 II 539 E. 3.2; 133 II 384 E. 4.2.3; je mit Hinweisen).  
 
3.  
 
3.1. Die Vorinstanz gibt im angefochtenen Entscheid das Gutachten vom 24. Dezember 2012 und dessen Ergänzung vom 9. Februar 2015 insbesondere zur Diagnose, Behandlungsindikation und Legalprognose wieder (Entscheid, S. 10). Sie bezeichnet die Gutachten insgesamt als "lege artis erstellt", "nachvollziehbar begründet" und "in sich schlüssig" (Entscheid, S. 11), ohne im Urteil allerdings anzugeben, weshalb sie zu dieser Beurteilung gelangt. Ihrem Entscheid betreffend Verweigerung der bedingten Entlassung legt sie in der Folge ohne weiterführende Begründung die legalprognostische Einschätzung der Gutachterin zugrunde, wonach beim Beschwerdeführer nach wie vor ein deutliches bis sehr hohes strukturelles Rückfallrisiko für Sexual- und Gewaltdelikte im Sinne der Anlasstaten besteht (Entscheid, S. 11). Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Gutachten findet im angefochtenen Entscheid nicht statt. Auf die Kritik des Beschwerdeführers namentlich zur (fehlenden) Überprüf- und Nachvollziehbarkeit der erstellten Legalprognose im Zusammenhang mit den angewandten Prognoseinstrumenten geht sie nicht ein. Sie stellt sich insofern auf den Standpunkt, die "vom Beschwerdeführer angeführte Diskussion" zur Validität von Prognoseinstrumenten bzw. deren Tauglichkeit für die Beurteilung möglicher Rückfälle "sei nicht auf dieser Stufe zu führen" (Entscheid, S. 11). Die Vorinstanz verkennt damit, dass ein Gericht die gutachterliche Beurteilungsgrundlage umfassend auf ihre Nachvollziehbarkeit hin überprüfen muss, wobei es - insbesondere bei Vorliegen entsprechender Rügen - im Urteil sorgfältig und klar darzulegen hat, warum es einem Sachverständigen folgt oder auch nicht folgt. Diesen Anforderungen wird der angefochtene Entscheid nicht gerecht.  
Es ist im Folgenden auf die Gutachten, insbesondere die gutachterlich beurteilte Legalprognose, und die dagegen erhobenen, bereits vor Vorinstanz vorgebrachten Einwände des Beschwerdeführers einzugehen. 
 
3.2. Die Einschätzung der zu beurteilenden Legalprognose stützt sich gemäss den Angaben der Gutachterin einerseits auf operationalisierte Prognoseverfahren wie FOTRES, VRAG, SORAG, Static 2002 und die Psychopathy-Checklist (PCL-R), andererseits auf eine zusammenfassende klinische Einzelfallanalyse. Nach der Sachverständigen zeigen alle angewandten Prognoseinstrumente ein konsistentes Bild der Rückfallgefahr für die analysierten Deliktkategorien (Gutachten vom 24. Dezember 2012, S. 73 und 78). So besteht nach FOTRES ein deutliches bis sehr hohes strukturelles Rückfallrisiko für die Zieldelikte Sexual- und Gewaltstraftaten (Gutachten, S. 60 ff. sowie die FOTRES Auswertungsübersicht, kantonale Akten, pag. 1225 ff. und pag. 1230 ff.). Bei der Psychopathy-Checklist erreicht der Beschwerdeführer 31 von 40 möglichen Punkten (Gutachten, S. 56 ff.). Beim VRAG erzielt er einen Summenwert von 4 Punkten, was der Risikokategorie 5 entspricht. Das Rückfallrisiko für erneute Anklagen und Verurteilungen wegen eines Gewalt- einschliesslich Sexualdelikts liegt bei Straftätern mit vergleichbarer Merkmalkombination innerhalb von 7 Jahren bei 35% und innerhalb von 10 Jahren bei 48% (Gutachten, S. 58 f.). Beim SORAG erreicht der Beschwerdeführer einen Summenwert von 18 Punkten, was der Risikokategorie 6 entspricht. Das Rückfallrisiko für erneute Anklagen und Verurteilungen wegen eines Gewalt- einschliesslich Sexualdelikts liegt bei Straftätern mit vergleichbarer Merkmalkombination innerhalb von 7 Jahren bei 58% und innerhalb von 10 Jahren bei 76% (Gutachten, S. 59). Und schliesslich erzielt der Beschwerdeführer beim Static 2002 10 Punkte, was der Kategorie hohes Rückfallrisiko entspricht (Gutachten, S. 59 f.). Ausgehend hievon hält die Gutachterin fest, aufgrund der fehlenden therapeutischen Auseinandersetzung mit den Anlasstaten könnten aktuell für die Sexualdelikte keine deliktpräventiven Effekte identifiziert werden. Für die Deliktkategorie der Gewaltstraftaten könne hingegen eine sehr geringe deliktpräventive Wirkung im Sinne einer gewissen Offenheit und Verantwortungsübernahme festgehalten werden, die jedoch nicht genüge, um das deutliche bis sehr hohe strukturelle Rückfallrisiko für Gewaltstraftaten im bisherigen Spektrum aufzuwiegen. Das aktuelle Risiko für sämtliche Deliktkategorien sei folglich nach wie vor deutlich bis sehr hoch. Dass der 1948 geborene Beschwerdeführer die Taten vor 20 Jahren begangen, er nach seiner Flucht auf die Philippinen mehrere Jahre deliktfrei gelebt habe und an einer schweren, chronisch obstruktiven Lungenerkrankung mit leichter Verschlechterung gegenüber den Vorbefunden seit 2012 leide (Gold Stadium II zu Gold Stadium III), ändert laut der Gutachterin nichts an der Gesamteinschätzung der Legalprognose. Zum einen würde es zu kurz greifen, die Legalprognose nur auf die körperlichen Kräfte des Beschwerdeführers abzustützen. Es bestehe weiterhin die Gefahr von Gewaltdelikten unter Einsatz von Waffen, wobei er an einer Frau, wenn auch eingeschränkt, sexuelle Handlungen vornehmen könnte. Auch die deliktfreie Zeit auf den Philippinen erlaube keine Anpassung der Legalprognose, zumal der Beschwerdeführer - folge man seinen Schilderungen - aufgrund seiner europäischen Herkunft und finanziellen Mittel viel Respekt und Anerkennung erfahren habe, und sein Dominanzstreben, nicht zuletzt in der Beziehung zu seiner damaligen Partnerin, habe ausleben können (Gutachten, S. 79, Ergänzungsgutachten vom 9. Februar 2015, S. 14 f.).  
 
3.3. Soweit der Beschwerdeführer die Verwendung von Prognoseinstrumenten generell als "psychiatrische Fehlleistung" bezeichnet, weil mittels statistischem Material die individuelle Gefährlichkeit einer Person zu bestimmen versucht werde, geht seine Kritik am Wesen dieser Instrumente vorbei. Standardisierte Prognoseinstrumente beruhen auf einer Verallgemeinerung von empirischen Befunden. Sie können deshalb für die Prognose zwar Anhaltspunkte über die Ausprägung eines strukturellen Grundrisikos eines Betroffenen liefern ("Verortung des Einzelfalls im kriminologischen Erfahrungsraum"), sind indes für sich allein nicht geeignet, eine fundierte individuelle Gefährlichkeitsprognose tragfähig zu begründen. Zur Erstellung einer individuellen Prognose bedarf es über die Anwendung derartiger Instrumente hinaus daher zusätzlich einer differenzierten Einzelfallanalyse durch den Sachverständigen. Denn jedes Instrument kann nur ein Hilfsmittel sein, eines von mehreren Werkzeugen, mit denen sich der Gutachter die Prognosebeurteilung erarbeitet (vgl. Urteil 6B_772/2007 vom 9. April 2008 E. 4.2; BOETTICHER ET AL., Zum richtigen Umgang mit Prognoseinstrumenten durch psychiatrische und psychologische Sachverständige und Gerichte, in: Neue Zeitschrift für Strafrecht [NStZ], 29. Jahrgang 2009, S. 479 f.; NORBERT NEDOPIL, Forensische Psychiatrie, 3. Aufl., Stuttgart 2007, S. 295; NORBERT LEYGRAF, Die Begutachtung der Gefährlichkeitsprognose, in: Psychiatrische Begutachtung, Venzlaff/Foerster/Dressing/Habermeyer [Hrsg.], 6. Aufl., München 2015, S. 414 ff., S. 420; ARNULF MÖLLER, Forensisch-psychiatrische Prognose: quo vadis, in: AJP 2008 S. 928).  
 
3.4. Eine fachgerechte Anwendung der Prognoseinstrumente kann mithin wohl dazu beitragen, eine Risikoeinschätzung zu verbessern. Die Arbeit des Gutachters, welcher sich zur Erarbeitung der Individualprognose auf Prognoseinstrumente stützt, besteht dann darin, die derart ermittelten Werte bzw. Befunde im Gutachten auszuwerten, diese nachvollzieh- und überprüfbar zu erläutern und den Bezug zur Gutachtenfragestellung herzustellen (vgl. BOETTICHER ET AL., a.a.O., S. 480). Mit andern Worten hat er nach der insoweit begründeten Auffassung des Beschwerdeführers darzulegen, aufgrund welcher Informationsgrundlagen und Datenselektionen er die Bewertung der Einzelmerkmale eines Instruments vornimmt, zumal diese Merkmale in ihrer Summe die Grundlage für die Angabe der Wahrscheinlichkeit bilden, mit der ein Rückfall eines Täters im Sinne eines Basisrisikos zu erwarten ist. Die einzelnen Merkmale eines Instruments, die der Sachverständige mit einer Punktvergabe zu bewerten hat, bilden die massgebende Tatsachengrundlage für die Prognoseentscheidung. Diese Tatsachengrundlage muss einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich sein (vorstehend E. 2; ähnlich ANNE-LUISE DÖBELE, Standardisierte Prognoseinstrumente zur Vorhersage des Rückfallrisikos von Straftätern, Diss. 2014 Hamburg, S. 131 ff.).  
 
3.5. So hat die sachverständige Person beispielsweise bei der Psychopathy Checklist 20 Einzelmerkmale auf einer 3-Punkte-Skala von 0 bis 2 zu bewerten. Es ergibt sich ein maximal möglicher Punktwert von 40. Eine steigende Punktzahl impliziert ein zunehmendes Rückfallrisiko. Die zu bewertenden Einzelmerkmale umfassen einerseits statische Elemente wie zum Beispiel "jugendliche Delinquenz" oder "Widerruf bedingter Entlassung", andererseits dynamische Merkmale wie beispielsweise "oberflächlicher Charme", "pathologisches Lügen", "parasitärer Lebensstil", "Verantwortungslosigkeit" oder "Impulsivität" (vgl. Gutachten vom 24. Dezember 2012, S. 57). Letztere Einzelmerkmale sind aufgrund ihrer Unbestimmtheit (was bedeutet "oberflächlicher Charme", "pathologisches Lügen", "parasitärer Lebensstil", "Impulsivität"?) kaum greifbar, was Raum für eine nicht nachprüfbare Einschätzung des Risikos schafft. Der Sachverständige hat im Gutachten daher darzulegen, von welcher Begriffsbestimmung er bezüglich eines Merkmals ausgeht, an welchen Sachverhalt er im zu beurteilenden Einzelfall diesbezüglich konkret anknüpft und weshalb er das zu beurteilende Item wie bewertet. Nur unter diesen Voraussetzungen ist die Anwendung und das Ergebnis eines Prognoseinstruments als Teil der Risikoeinschätzung nachvollzieh- und überprüfbar. Entsprechend reicht es unter dem Aspekt der Nachvollziehbarkeit und Transparenz eines Gutachtens nicht aus, wenn sich der Experte damit begnügt, die Ergebnisse der eingesetzten Prognoseinstrumente im Gutachten als Teil der legalprognostischen Einschätzung zu präsentieren (vgl.eingehend DÖBELE, a.a.O., S. 211 ff.).  
 
3.6. Die vorliegenden Gutachten erweisen sich im Lichte der vorstehenden Ausführungen im Zusammenhang mit der Verwendung von Prognoseinstrumenten als ungenügend. Im Wesentlichen werden darin lediglich diverse Gesamtscores ausgewiesen, ohne zu erläutern, auf welcher Grundlage die einzelnen Items wie bewertet werden (vgl. Gutachten vom 24. Dezember 2012, S. 56 ff., kantonale Akten, S. 1224 ff.). So bleibt unklar, an welche Begriffsbestimmung und welche sachverhaltliche Tatsachen die Gutachterin im Hinblick auf die Bewertung der Einzelmerkmale eines Instruments (beispielsweise bei der Psychopathy Checklist "oberflächlicher Charme", "pathologisches Lügen" oder "parasiter Lebensstil") jeweils anknüpft und weshalb sie diese wie beurteilt (bei der Psychopathy Checklist beispielsweise 0 bis 2 Punkte). Darüber hinaus fällt auf, dass die Gutachterin insgesamt fünf Prognoseinstrumente einsetzt, welche laut ihr ein konsistentes Bild der Rückfallgefahr für die analysierten Deliktkategorien zeigen würden. Die Anwendung möglichst vieler oder mehrerer Instrumente in einer prognostischen Beurteilung erhöht die Sicherheit der Prognose allerdings nicht. Eine solche Annahme wäre unzutreffend. Es kommt nicht darauf an, möglichst viele Verfahren anzuwenden, sondern diejenigen, welche für den Einzelfall am besten geeignet sind ( BOETTICHER ET AL., a.a.O., S. 480; vgl. auch NORBERT NEDOPIL, Prognosen in der Forensischen Psychiatrie - ein Handlbuch für die Praxis, 2005, S. 131 ff., und S. 196). Für die Auswahl der Instrumente muss entscheidend sein, was konkret prognostiziert werden soll und ob das einzelne Instrument hierfür in Bezug auf den zu beurteilenden Täter tauglich ist (vgl. DÖBELE, a.a.O., S. 161). Die Gutachterin spricht sich (auch) hierüber nicht weiterführend aus. Sie beschränkt sich auf die Feststellung, die verwendeten Testinstrumente seien forensisch anerkannt und erlaubten Aussagen über das Risiko für Gewaltdelikte, Sexualdelikte und allgemeine Straftaten (Gutachten vom 24. Dezember 2012, S. 73 und 78). Dies ist für die konkrete Fragestellung nicht aufschlussreich.  
 
3.7. Die auf diverse Prognoseinstrumente gestützte gutachterliche Einschätzung der Legalprognose ist damit nicht hinreichend nachvollziehbar und überprüfbar. Nichts anderes gilt für die "klinische Einzelfallanalyse", die sich - bei Lichte besehen - auf eine Wiedergabe der gefundenen Erkenntnisse bei FOTRES beschränkt. So wird insofern - entsprechend den diesbezüglichen "Ratings" für die Zieldelikte Gewaltdelikte (kantonale Akten, pag. 1225 ff.) und Sexualdelikte (kantonale Akten, pag. 1230 ff.) - insgesamt von einem deutlichen bis sehr hohen Rückfallrisiko ausgegangen sowie davon, dass für Sexualdelikte keine deliktpräventiven Effekte bzw. für Gewaltdelikte geringe deliktpräventive Wirkung identifiziert werden konnten, dass das aktuell ermittelte Risiko für sämtliche Deliktskategorien ohne therapeutische Interventionen (mittelfristig) nicht veränderbar ist und dass die Behandlungsaussichten gering sind (vgl. kantonale Akten, FOTRES, "Darstellung und Interpretation der Ergebnisse", pag. 1228 [Rückseite] und 1229. sowie pag. 1233 [Rückseite]). Dass die in den Jahren 1992/1993 verübten Delikte mittlerweile mehr als 20 Jahre zurückliegen, der Beschwerdeführer anlässlich seiner Flucht auf die Philippinen mehrere Jahre (23. April 1994 bis 13. April 2001) deliktfrei gelebt hat und er an einer schweren Lungenerkrankung mit leichter Verschlechterung seit dem Vorgutachten leidet, wirkt sich laut der Gutachterin nicht auf die Gesamteinschätzung der Legalprognose aus (Ergänzungsgutachten vom 9. Februar 2015, S. 15). Ihre diesbezüglichen knappen Ausführungen sind nur schwer nachvollziehbar, da sie das fortgeschrittene Alter des Beschwerdeführers - er ist heute 67 Jahre alt - nicht erkennbar in ihre Beurteilung miteinbezieht. Unabhängig von den Beurteilungsmöglichkeiten anhand von Prognoseinstrumenten kann das Alter aber nämlich als protektiver Faktor gewertet werden, der etwa ab dem 50. Lebensjahr zunehmend an Bedeutung zu gewinnen beginnt und ab dem 70. Lebensjahr insbesondere bei Gewalt- und Sexualdelikten vermutlich ein so ausschlaggebendes Gewicht erhält, dass alle anderen Risikofaktoren zu vernachlässigen sind ( NEDOPIL, a.a.O., Prognosen in der Forensischen Psychiatrie, S.127 ff., S. 129). Ein vertieftes Auseinandersetzen mit dem Faktor Alter wäre daher angezeigt (gewesen). Die Gutachterin befasst sich auch nicht ersichtlich mit den situativen Rahmenbedingungen der früheren sowie der fraglichen künftigen Delinquenz; sie setzt sich insofern nicht damit auseinander, in welchem Rahmen der Beschwerdeführer die Anlasstaten begangen hat (Drogenszene) und inwiefern dies für künftige Delinquenz massgebend sein könnte. Prognostische Beurteilungen beziehen sich aber immer auch auf ein spezifisches situatives Bedingungsgefüge ( LEYGRAF, a.a.O., S. 420). Schliesslich setzt sie sich auch nicht weitergehend damit auseinander, wie der Beschwerdeführer tatsächlich auf den Philippinen gelebt hat. Diesbezügliche Erhebungen bestehen nicht. Nach eigenen Schilderungen hat der Beschwerdeführer mit viel Fleiss und wenig Mitteln gemeinsam mit seiner damaligen Partnerin ein Haus gebaut ("gekrampft") und sich einen gewissen Lebensstandard erarbeitet (vgl. Gutachten vom 24. Dezember 2012, S. 33, S. 43).  
 
3.8. Nach dem Gesagten ist die gutachterliche Einschätzung der Legalprognose insgesamt nicht hinreichend nachprüfbar. Die Vorinstanz hätte gestützt darauf nicht entscheiden dürfen. Ihre Vorgehensweise, die Gutachten als "lege artis" erstellt, "nachvollziehbar" und "in sich schlüssig" zu bezeichnen, ohne sich damit inhaltlich zu befassen, hält vor den durch den Beschwerdeführer als verletzt gerügten Verfassungsbestimmungen nicht stand (vorstehend E. 1 und 3.1). Der angefochtene Entscheid ist daher aufzuheben. Die Vorinstanz wird die gutachterliche legalprognostische Einschätzung im Sinne der vorstehenden Erwägungen ergänzen lassen müssen und im neu zu fällenden Entscheid unter Berücksichtigung allfällig dagegen erhobener Einwände des Beschwerdeführers prüfen und umfassend darzulegen haben, warum sie der gutachterlichen Beurteilung im Rahmen der Prognoseentscheidung folgt oder auch nicht folgt.  
 
4.  
Die Beschwerde ist im Sinne der Erwägungen gutzuheissen. Der Entscheid vom 25. März 2015 ist aufzuheben und die Angelegenheit zur Einholung ergänzender gutachterlicher Abklärungen und zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Bern hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Die Entschädigung ist praxisgemäss seinem Rechtsvertreter auszurichten. Damit wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gegenstandslos. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 25. März 2015 wird aufgehoben und die Angelegenheit zur Einholung ergänzender gutachterlicher Abklärungen und zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.   
Der Kanton Bern hat dem Vertreter des Beschwerdeführers, Advokat Dr. Stefan Suter, eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- auszurichten. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, Strafabteilung, 1. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 4. Dezember 2015 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill