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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess {T 7} 
I 58/06 
 
Urteil vom 13. Juni 2006 
IV. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Ursprung, Bundesrichter Schön und Frésard; Gerichtsschreiber Grunder 
 
Parteien 
S.________, 1960, Beschwerdeführer, vertreten 
durch Rechtsanwältin Nadine Kieser Blöchlinger, Ilgenstrasse 22, 8032 Zürich, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur 
 
(Entscheid vom 30. November 2005) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Der 1960 geborene S.________ erlitt am 6. Juli 2001 bei einem Auffahrunfall ein Distorsionstrauma der Halswirbelsäule (HWS). Seither ist er nicht mehr arbeitstätig gewesen. Am 21. Juni 2002 meldete er sich wegen eines Schleudertraumas, starken Schmerzen, Lähmungen und Versteifungen in Arm und Nacken bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich nahm berufliche Abklärungen vor (unter anderem Arbeitgeberbericht der Firma Y.________ vom 19. Juli 2002), zog die Akten der Unfallversicherung (worunter der Austrittsbericht der Rehaklinik X.________ vom 18. September 2002 mitsamt einem neurologischen [vom 2. September 2002] und psychosomatischen Konsilium [vom 3. September 2002]) bei und holte einen Bericht des Dr. med. T.________, Spezialarzt FMH für Innere Medizin, vom 24. August 2004 sowie ein multidisziplinäres Gutachten des ABI Ärztliches Begutachtungsinstitut vom 29. April 2004 ein. Danach leidet der Versicherte aus somatisch-neurologischer Sicht an einem chronischen zervikozephalen und rechts zervikobrachialen Schmerzsyndrom mit Generalisierungstendenz im Sinne eines panvertebralen Schmerzsyndroms (ICD-10 M54.8) bei klinisch leichtem Zervikalsyndrom (ICD-10 M53.0) ohne radikuläre und/oder spinale Funktionsstörungen, degenerativen Veränderungen der HWS, Status nach Verkehrsunfall mit HWS-Distorsionstrauma und unspezifischen Schwindelbeschwerden (wahrscheinlich schmerzassoziiert). In der bis zum Unfall ausgeübten Erwerbstätigkeit als Rayon-Leiter Getränke bei der Firma Y.________ ist er zu 50 % eingeschränkt. Für körperlich leichte bis intermittierend wechselbelastende Tätigkeiten, die ohne Heben, Stossen oder Ziehen von Lasten über 10 kg und ohne Überkopfarbeiten verrichtet werden können, besteht volle Leistungsfähigkeit. Hingegen ist der Versicherte wegen der psychiatrischen Befunde (Angst und depressive Störung gemischt [ICD-10 F41.2]) im Umfang von (höchstens) 20 % arbeitsunfähig. Mit Verfügung vom 11. Mai 2004 verneinte die IV-Stelle einen Anspruch auf Invalidenrente, weil der ermittelte Invaliditätsgrad unter 40 % liege. Eine Einsprache lehnte sie ab (Einspracheentscheid vom 6. September 2004). 
B. 
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 30. November 2005 ab. 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt S.________ beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids seien "die Arbeitsfähigkeit respektive der Invaliditätsgrad des Beschwerdeführers sowie die ihm zustehende Rente (...) aufgrund des Ausmasses der somatoformen Schmerzstörung sowie der weiteren Beeinträchtigungen (...) zu bestimmen." Eventualiter sei die Sache zur weiteren Abklärung des Sachverhalts zurückzuweisen. Ferner wird um unentgeltliche Verbeiständung ersucht. 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1. 
Streitig ist, ob ein Anspruch auf Invalidenrente besteht. 
1.1 Die Vorinstanz hat die Bestimmungen über die Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG), Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG und Art. 4 Abs. 1 IVG), den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 IVG in der bis Ende 2003 gültig gewesenen als auch der am 1. Januar 2004 in Kraft getretenen Fassung) und die Bemessung des Invaliditätsgrades bei Erwerbstätigen (Art. 16 ATSG, seit 1. Januar 2004 in Verbindung mit Art. 28 Abs. 2 IVG) richtig wiedergegeben. Zutreffend sind auch die Ausführungen zur Bedeutung ärztlicher Auskünfte im Rahmen der Invaliditätsbemessung und zum Beweiswert ärztlicher Berichte und Gutachten. Darauf wird verwiesen. 
1.2 Die Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde richten sich gegen die vorinstanzliche Beurteilung der gesundheitlich bedingten Arbeitsunfähigkeit als einem wesentlichen Faktor für die Bemessung des Invalideneinkommens. Dabei wird gerügt, der psychiatrische Experte des ABI habe den Versicherten, ohne Beizug eines Dolmetschers und ohne Erhebung einer Fremdanamese, aufgrund einer Untersuchung, welche nur eine Stunde dauerte, begutachtet. Dieses Vorgehen widerspreche den für die Begutachtung erarbeiteten Qualitätsrichtlinien der Schweizerischen Gesellschaft für Versicherungspsychiatrie. Das kantonale Gericht habe unberücksichtigt gelassen, dass eine schwerwiegende somatoforme Schmerzstörung vorliege, welche sich invalidisierend auswirke. 
2. 
2.1 Die Leitlinien der Schweizerischen Gesellschaft für Versicherungspsychiatrie für die Begutachtung psychischer Störungen (publiziert als Anhang 8 bei Meyer-Blaser, Der Rechtsbegriff der Arbeitsunfähigkeit und seine Bedeutung in der Sozialversicherung, in: Schmerz und Arbeitsunfähigkeit, St. Gallen 2003, S. 111 ff.) stellen gemäss Ziffer I.2. blosse Handlungsempfehlungen dar und haben keinen rechtlich verbindlichen Charakter. Daher ist ein psychiatrisches Gutachten nicht schon dann als unzulänglich zu betrachten, wenn der Sachverständige von diesen Leitlinien abweicht. 
2.2 Der Zeitaufwand für eine psychiatrische Untersuchung schwankt in weiten Grenzen, je nach Fragestellung und zu beurteilender Psychopathologie. Die Diagnose einer Demenz oder einer akuten schizophrenen Psychose ist bei deutlicher Ausprägung der Symptomatik häufig rasch möglich, während ein sehr hoher Zeitaufwand erforderlich sein kann, um den Verdacht auf eine Simulation einer psychischen Störung zu klären, eine schwierige Persönlichkeitspathologie zu erhellen oder problematische Zusammenhangsfragen zwischen traumatischen äusseren Ereignissen und nachfolgender Symptomatik zu erörtern. Daher lässt sich ein genereller Zeitrahmen für eine Untersuchung nicht verbindlich angeben (Klaus Foerster/Peter Winckler, Forensich-psychiatrische Untersuchung, in: Venzlaff/Foester [Hrsg.], Psychiatrische Begutachtung, München 2004, S. 18; vgl. auch Leitlinien der Schweizerischen Gesellschaft für Versicherungspsychiatrie für die Begutachtung psychischer Störungen, a.a.O., S. 116, Ziffer IV.4.). 
Die anlässlich der Exploration des Versicherten durch den psychiatrischen Experten des ABI erhobenen Befunde (Gutachten vom 29. April 2004) stimmen im Wesentlichen mit den im psychosomatischen Konsilium der Rehaklinik X.________ vom 3. September 2003 aufgeführten überein. Es lagen weder eine posttraumatische (psychotraumatologische) Belastungsstörung vor noch schwere depressive Verstimmungen. Die Angstzustände und -träume im Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall liessen nicht auf eine als schwerwiegend zu bezeichnende Psychopathologie schliessen, zumal der Explorand weiterhin Auto fuhr. Bei dieser Ausgangslage liess sich die psychiatrische Begutachtung des ABI ohne eine zweite Untersuchung verantworten. 
2.3 Fremdanamestische Abklärungen sind bei der psychiatrischen Begutachtung nicht unerlässlich. Eine Fremdanamnese kann zwar eine zentrale Erfahrungsquelle für den Arzt darstellen, allerdings muss sich der medizinische Sachverständige von entsprechenden Erhebungen einen wesentlichen Erfahrungsgewinn versprechen können. Die Art der Begutachtung und insbesondere ihr Umfang können nicht losgelöst vom konkreten Fall bestimmt werden, sondern müssen in Zusammenhang mit der Fragestellung und vom Krankheitsbild her gesehen werden (Urteil Z. vom 14. September 2001 [6P.40/2001] Erw. 4d/bb mit Hinweisen auf die medizinische Literatur; vgl. auch Leitlinien der Schweizerischen Gesellschaft für Versicherungspsychiatrie für die Begutachtung psychischer Störungen, a.a.O., S. 117, Ziff. IV.6.). 
Vorliegend konnte der psychiatrische Gutachter des ABI auf umfangreiche medizinische Unterlagen, insbesondere das psychosomatische Konsilium der Rehaklinik X.________, zurückgreifen. Nachdem die subjektiven Angaben des Beschwerdeführers stets kohärent waren, drängten sich weitere fremdanamnestische Abklärungen (insbesondere Befragung von Angehörigen) nicht auf. Somit ist das Gutachten des ABI auch in dieser Hinsicht klar und nachvollziehbar. 
2.4 Einzuräumen ist, dass der neurologische Experte des ABI erwähnt, aus sprachlichen Gründen sei die Evaluation von Sensibilitätsstörungen erschwert gewesen. Dennoch war es ihm unbestrittenermassen möglich, eine zuverlässige fachmedizinische Beurteilung abzugeben. Davon ist auch in Bezug auf die psychiatrische Begutachtung des ABI auszugehen. Die Befunde und Ergebnisse der spezialärztlichen Untersuchungen sind multidisziplinär diskutiert worden. Es finden sich im Gutachten des ABI vom 29. April 2004 keine Anhaltspunkte, dass der psychiatrische Experte wegen Verständigungsschwierigkeiten Fragen offen lassen musste oder hinsichtlich der Befunde sowie Schlussfolgerungen Unsicherheiten bestanden. Der Beschwerdeführer legt denn auch mit der - erstmals in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgebrachten - Rüge, es hätte ein Dolmetscher beigezogen werden müssen, nicht dar, inwiefern ihn der Gutachter missverstanden haben soll. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts, wonach es grundsätzlich Sache des Versicherten ist, rechtzeitig einen Antrag bei der Verwaltung oder allenfalls beim Gericht zu stellen, die Durchführung medizinischer Abklärungen habe in seiner Muttersprache zu erfolgen (Urteile Y. vom 23. November 1999 [I 542/99] Erw. 5 und S. vom 8. März 1999 [I 222/98] Erw. 3b, je mit Hinweisen). 
2.5 Nach dem Gesagten erweist sich das Gutachten des ABI nicht als mangelhaft. Was die übrigen Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde anbelangt, wird auf die zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Entscheid verwiesen. 
3. 
Die Vorinstanz hat gestützt auf einen Einkommensvergleich einen Invaliditätsgrad von 10 % ermittelt. Dabei hat sie hinsichtlich der Bestimmung des ohne Gesundheitsschadens erzielbaren Verdienstes (Valideneinkommen) übersehen, dass die letzte Arbeitgeberin dreizehn und nicht lediglich zwölf Monatsgehälter ausbezahlte. Wird der hypothetisch im Jahre 2002 erzielbare Lohn von Fr. 52'000.- dem unbestritten gebliebenen Invalideneinkommen von Fr. 43'355.- gegenübergestellt, ergibt sich ein deutlich unter 40 % liegender Invaliditätsgrad (17 %), weshalb kein Anspruch auf Invalidenrente besteht. Der kantonale Entscheid ist daher im Ergebnis nicht zu beanstanden. 
4. 
Da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht aussichtslos und die Vertretung geboten war (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen), wird die unentgeltliche Verbeiständung gewährt. Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird Rechtsanwältin Nadine Kieser Blöchlinger, Zürich, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 13. Juni 2006 
 
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: