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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5A_815/2010 
 
Urteil vom 27. Januar 2011 
II. zivilrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin, 
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter von Werdt, 
Gerichtsschreiber Zingg. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
Betreibungsamt Oberland, Dienststelle Oberland West. 
 
Gegenstand 
Rechtsstillstand (Neuschätzung), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern, Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen, vom 8. November 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
X.________ ersuchte am 24. Juni 2010 um Neuschätzung ihrer Liegenschaft gemäss Art. 9 Abs. 2 der Verordnung des Bundesgerichts vom 23. April 1920 über die Zwangsverwertung von Grundstücken (VZG; SR 281.42). Das Obergericht des Kantons Bern als Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen beauftragte am 30. Sep-tember 2010 Y.________ mit der Neuschätzung. Dieser versuchte in der Folge vergebens, mit X.________ zwecks Besichtigung einen Termin zu vereinbaren. 
 
B. 
Am 4. November 2010 stellte X.________ beim Obergericht ein Gesuch um Aufschub der Neuschätzung ihrer Wohnung und Rechtsstillstand gemäss Art. 61 SchKG bis und mit 9. Januar 2011 wegen einer Tumorerkrankung. Am 7. November 2010 bat sie um Aufschub und Rechtsstillstand bis Anfang Februar 2011. Am 8. November 2010 wies das Obergericht das Gesuch um Rechtsstillstand ab und verpflichtete X.________, dem Sachverständigen Zugang zu den zu schätzenden Örtlichkeiten zu gewähren, unter Androhung der Abschreibung des Verfahrens um Neuschätzung vom Protokoll. 
 
C. 
Am 22. November 2010 (Postaufgabe) hat X.________ Beschwerde an das Bundesgericht erhoben. Sie beantragt einerseits die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und andererseits,"es sei der Vorinstanz bis 2011 der Rechtsstillstand nach Art. 61 SchKG zu gewähren". Zudem ersucht sie um aufschiebende Wirkung und mit separatem Gesuch vom 6. Dezember 2010 um unentgeltliche Rechtspflege. 
Das Betreibungsamt Oberland und das Obergericht haben Abweisung des Gesuchs um aufschiebende Wirkung beantragt. Mit Präsidialverfügung vom 7. Dezember 2010 ist der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt worden. 
Das Bundesgericht hat die Akten beigezogen, aber keine Vernehmlassungen in der Sache eingeholt. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Die Beschwerde in Zivilsachen ist gegen den Entscheid der Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen unabhängig vom Streitwert zulässig (Art. 72 Abs. 2 lit. a und Art. 74 Abs. 2 lit. c BGG). Sie wurde fristgemäss erhoben (Art. 100 Abs. 2 lit. a i.V.m. Art. 45 Abs. 1 BGG). 
Mit der Beschwerde in Zivilsachen können Rechtsverletzungen im Sinne von Art. 95 und Art. 96 BGG gerügt werden. Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Dabei bedeutet "offensichtlich unrichtig" willkürlich (BGE 135 III 127 E. 1.5 S. 130 mit Hinweis). 
Die Beschwerde ist zu begründen (Art. 42 Abs. 1 BGG). Nach Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Begründung in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Dies setzt voraus, dass sich der Beschwerdeführer wenigstens kurz mit den Erwägungen des angefochtenen Entscheids auseinandersetzt. Ansonsten kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden (BGE 134 II 244 E. 2.1 S. 245 f.). Strengere Anforderungen gelten, wenn die Verletzung von Grundrechten geltend gemacht wird (Art. 106 Abs. 2 BGG). Wird eine Verletzung des Willkürverbots - einschliesslich der Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung (BGE 133 II 249 E. 1.4.3 S. 255) - geltend gemacht, muss im Einzelnen aufgezeigt werden, in welcher Hinsicht der Entscheid an einem qualifizierten und offensichtlichen Mangel leidet (BGE 134 II 244 E. 2.2 S. 246 mit Hinweis). 
 
2. 
Der Antrag der Beschwerdeführerin ist unklar. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sie - wie mit ihrer Eingabe an das Obergericht vom 7. November 2010 - nach wie vor um Rechtsstillstand bis Anfang Februar 2011 ersucht. Begehren, die über das bisher Verlangte hinausgehen, wären ohnehin unzulässig (Art. 99 Abs. 2 BGG). 
 
3. 
Nach Art. 61 SchKG kann der Betreibungsbeamte einem schwerkranken Schuldner für eine bestimmte Zeit Rechtsstillstand gewähren. Gegen einen Schuldner, welchem der Rechtsstillstand gewährt wurde, dürfen keine Betreibungshandlungen vorgenommen werden (Art. 56 SchKG). 
 
3.1 Gemäss Wortlaut von Art. 61 SchKG ist zur Beurteilung eines Gesuches um Rechtsstillstand der Betreibungsbeamte sachlich zuständig und nicht die Aufsichtsbehörde. Gegen den Entscheid des Betreibungsamtes kann Beschwerde an die Aufsichtsbehörde geführt werden (Art. 17 SchKG). An dieser Verteilung der sachlichen und funktionellen Zuständigkeit ändert nichts, dass die Aufsichtsbehörde vorliegend mit einem Verfahren gemäss Art. 9 Abs. 2 VZG befasst ist. Ein Rechtsstillstand wirkt nicht nur hinsichtlich der konkreten Betreibung, die Anlass zum entsprechenden Gesuch gegeben haben mag, sondern hinsichtlich aller Betreibungshandlungen während der Sperrzeit. Ob das Obergericht seinen Entscheid auf seine Aufsichtskompetenz gemäss Art. 13 Abs. 1 SchKG und damit auf die Befugnis, mit konkreten Weisungen in ein Verfahren einzugreifen, hätte abstützen können, mag offenbleiben. Zu bedenken gilt es immerhin, dass keine Anzeichen für ein gesetzwidriges oder unangemessenes Verhalten des zuständigen Betreibungsamts bei der in Frage stehenden Grundpfandverwertung vorliegen und insoweit kein Anlass für aufsichtsrechtliches Eingreifen bestand, dass sich die nicht anwaltlich vertretene Gesuchstellerin - wenn sie tatsächlich einen Rechtsstillstand erwirken wollte - offensichtlich in der Zuständigkeit geirrt hat und dass ein entsprechendes Vorgehen der Aufsichtsbehörde den Rechtsmittelweg um eine Instanz verkürzt, wenn sie das bei ihr eintreffende Gesuch nicht an das Betreibungsamt weiterleitet. Da sich die Beschwerde jedoch als unzulässig herausstellen wird, könnte das Bundesgericht selbst dann nicht eingreifen, wenn der obergerichtliche Entscheid infolge Unzuständigkeit nichtig sein sollte (BGE 135 III 46 E. 4.2 S. 48 mit Hinweisen). 
 
3.2 Dem Obergericht hätte allerdings ein anderer Weg zur Beurteilung des Gesuchs der Beschwerdeführerin offen gestanden, welcher zudem ihren Intentionen näher kommen dürfte. Die Beschwerdeführerin verwendet zwar in ihren Eingaben vom 4. bzw. 7. November 2010 den Begriff des Rechtsstillstands und verweist auf Art. 61 SchKG. Dennoch sind sie aus den nachfolgenden Gründen eher als Gesuche um Sistierung des Schätzungsverfahrens denn als Gesuche um Rechtsstillstand zu interpretieren. Zunächst führen sie nicht nur den Begriff "Rechtsstillstand" im Titel, sondern sind zusätzlich mit "Gesuch um Aufschub der Neuschätzung meiner Wohnung" betitelt. In der Sache geht es ihr primär darum, während der zu Hause durchgeführten Therapie keine Besuche empfangen zu müssen. Dieses Ziel lässt sich mit einem Rechtsstillstand nicht erreichen. Betreibungshandlungen, die während eines Rechtsstillstandes nicht vorgenommen werden dürfen, sind Handlungen der Vollstreckungsbehörden, die auf die Einleitung oder Fortsetzung eines Verfahrens gerichtet sind, welches darauf abzielt, den Gläubiger auf dem Wege der Zwangsvollstreckung aus dem Vermögen des Schuldners zu befriedigen, und die in die Rechtsstellung des Schuldners eingreifen (BGE 115 III 6 E. 5 S. 10). Weder die Zustellung einer Schätzungsurkunde (BGE 120 III 57 E. 2b S. 59) noch die Anordnung der Neuschätzung gemäss Art. 9 Abs. 2 VZG (Urteil 7B.19/2004 vom 1. April 2004 E. 2.3.2) stellen Betreibungshandlungen dar. Erst recht fällt die Besichtigung des zu verwertenden Objekts durch den Liegenschaftsschätzer nicht darunter. Ein Rechtsstillstand hätte der Beschwerdeführerin somit nichts genützt. Die Vorinstanz als mit dem Verfahren gemäss Art. 9 Abs. 2 VZG befasste Behörde hätte ihre Eingaben somit als Sistierungsgesuch hinsichtlich der Neuschätzung deuten und behandeln können. 
 
3.3 Das Obergericht hat die Angelegenheit einzig unter dem Aspekt des Rechtsstillstands geprüft und offen gelassen, ob die Beschwerdeführerin an einer schweren Erkrankung leidet. Die eingereichten Arztzeugnisse würden belegen, dass sie in der Lage sei, ihre Interessen selber wahrzunehmen. Die Erkrankung wirke sich damit jedenfalls nicht so aus, dass ein Rechtsstillstand zu gewähren sei. 
Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Teilnahme an der Schätzung bzw. jeglicher Besuch sei ihr unzumutbar, da sie für ihre Therapie, die sie zu Hause durchführe, auf Ruhe angewiesen sei. Die Bestellung eines Vertreters stelle keine Alternative dar, da sie bei der Besichtigung ihrer Wohnung ohnehin anwesend sein würde. 
 
3.4 Die Vorinstanz hat zwar eine Literaturstelle angeführt, wonach sich eine Erkrankung dergestalt auswirken muss, dass der Schuldner nicht selbst handeln kann bzw. ihm die Bestellung eines Vertreters nicht möglich oder zuzumuten ist. Das Obergericht hat dann aber einzig darauf abgestellt, dass die Beschwerdeführerin ihre Interessen selber wahrnehmen könnte und ist nicht weiter auf die Frage der Vertretung eingegangen. Soweit die Beschwerdeführerin demnach kritisiert, dass ihr eine Vertretung nichts nützen würde, stossen ihre Vorbringen ins Leere. Darauf ist nicht einzugehen. Sie schildert im Übrigen ausführlich die Art ihrer Therapie. Die Sachverhaltsschilderungen sind weitgehend neu und damit grundsätzlich unzulässig (Art. 99 Abs. 1 BGG). Ausserdem sind sie appellatorischer Natur und es wird mit ihnen nicht aufgezeigt, inwiefern die vorinstanzlichen Feststellungen willkürlich sein sollen. Darauf kann nicht eingetreten werden. Auf die von der Vorinstanz als entscheidwesentlich erachteten Arztzeugnisse geht die Beschwerdeführerin nur am Rande ein. Es trifft zwar zu, dass sie darin teilweise als gerichtsverhandlungs- bzw. gerichtsunfähig bezeichnet wird. Sie legt jedoch nicht dar und es ist auch nicht ersichtlich, wieso diese Qualifikation sie hindern soll, dem Schätzer Einlass in ihre Wohnung und zu allen Räumen zu gewähren. Andere Obliegenheiten kommen ihr im Zusammenhang mit seinem Besuch nicht zu. Den in allen Zeugnissen zu findenden und von der Vorinstanz aufgegriffenen Satz, dass sie in der Lage sei, ihre Interessen wahrzunehmen, deutet sie schliesslich so, dass sie ihre Therapie selber führen könne. Damit vermag sie aber nicht aufzuzeigen, inwiefern das Verständnis der Vorinstanz fehlerhaft sein soll, welche den Satz auf ihre Fähigkeiten zur Handhabung rechtlicher Verfahren bezogen hat. Aufgrund des Kontexts des Satzes ist ihre Interpretation denn auch kaum zutreffend. Im Übrigen ist die Frage zwar für den Rechtsstillstand relevant, für die Zumutbarkeit eines Besuchs des Schätzers jedoch nicht. Ihre Beschwerde genügt somit insgesamt den Begründungsanforderungen nicht, weshalb auf sie nicht eingetreten werden kann. 
 
4. 
Angesichts der Umstände ist im konkreten Fall auf die Erhebung einer Gerichtsgebühr zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege erweist sich somit als gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird als gegenstandslos abgeschrieben. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Obergericht des Kantons Bern, Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 27. Januar 2011 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber: 
 
Hohl Zingg