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[AZA 7] 
I 713/01 Vr 
 
III. Kammer 
 
Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; 
Gerichtsschreiber Flückiger 
 
Urteil vom 22. April 2002 
 
in Sachen 
M.________, 1964, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Häfliger, Schwanenplatz 7, 6004 Luzern, 
 
gegen 
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, Hirschengraben 19, 6002 Luzern, Beschwerdegegner 
 
A.- Mit Verfügungen vom 11. Juli und 12. September 2001 sprach die IV-Stelle Luzern dem 1964 geborenen M.________ für die Zeit vom 1. November 1998 bis 31. August 1999 eine halbe Rente, vom 1. Januar bis 29. Februar 2000 eine Viertelsrente, vom 1. bis 31. März 2000 eine halbe und vom 1. April 2000 bis 31. Mai 2001 eine ganze Rente zu. 
 
B.- Der Versicherte erhob gegen beide Verfügungen Beschwerde. Nach Einholung zusätzlicher Angaben vereinigte die Einzelrichterin des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern die Verfahren und wies das in beiden Beschwerdeschriften gestellte Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung ab (Ziffer 2 des Zwischenentscheids vom 2. November 2001). 
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt M.________ die Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung für das vorinstanzliche sowie der unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung für das letztinstanzliche Verfahren beantragen. 
Die Vorinstanz schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- a) Der kantonale Entscheid über die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege gehört zu den Zwischenverfügungen, die einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können. Er kann daher selbstständig mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Eidgenössischen Versicherungsgericht angefochten werden (Art. 5 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 45 Abs. 1 und 2 lit. h VwVG sowie Art. 97 Abs. 1 und 128 OG; BGE 100 V 62 Erw. 1, 98 V 115; SVR 1998 UV Nr. 11 S. 31 Erw. 4a, 1994 IV Nr. 29 S. 75). 
 
b) Im Beschwerdeverfahren über die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege durch das kantonale Versicherungsgericht sind keine Versicherungsleistungen streitig, weshalb das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen hat, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG; BGE 100 V 62 Erw. 2). 
 
2.- a) Gemäss Art. 69 IVG in Verbindung mit Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG ist die unentgeltliche Verbeiständung vor der kantonalen Rekursbehörde zu bewilligen, wenn die Verhältnisse es rechtfertigen. Ob und unter welchen Voraussetzungen darauf ein Anspruch besteht, beurteilt sich somit nach Bundesrecht (vgl. BGE 110 V 57 Erw. 3a). Nach der Rechtsprechung sind in der Regel die Voraussetzungen für die Bewilligung der unentgeltlichen Verbeiständung erfüllt, wenn der Prozess nicht aussichtslos, die Partei bedürftig und die Verbeiständung durch einen Anwalt notwendig oder doch geboten ist (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). 
 
b) Die Bedürftigkeit als eine der Voraussetzungen für die Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung, wie sie Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG verlangt, ist ebenso auszulegen wie der Begriff der Bedürftigkeit im Sinne von Art. 152 Abs. 1 OG. Eine Person gilt demnach als bedürftig, wenn sie ohne Beeinträchtigung des für sie und ihre Familie nötigen Lebensunterhaltes nicht in der Lage ist, die Prozesskosten zu bestreiten (BGE 108 V 269 Erw. 4). Dabei sind nicht nur die Einkommenssituation, sondern die gesamten finanziellen Verhältnisse zu berücksichtigen (SVR 1998 UV Nr. 11 S. 34 Erw. 7a). Grundsätzlich obliegt der Gesuchstellerin oder dem Gesuchsteller, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse umfassend darzustellen und soweit möglich auch zu belegen (BGE 120 Ia 181 f. Erw. 3a mit Hinweis). 
 
c) Die aus der Unterhalts- und Beistandspflicht (Art. 159 Abs. 3 und Art. 163 Abs. 1 ZGB) der Ehegatten fliessende Prozesskostenvorschusspflicht geht dem Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege vor (BGE 119 Ia 12 Erw. 3a; Alfred Bühler, Die Prozessarmut, in: Schöbi [Hrsg], Gerichtskosten, Parteikosten, Prozesskaution, unentgeltliche Prozessführung, Bern 2001, S. 143 f., mit Hinweisen). 
Unberücksichtigt bleiben müssen allerdings Einkommen und Vermögensanteile, deren Wert und Verfügbarkeit im Ungewissen liegen (vgl. BGE 118 Ia 371) oder bezüglich welchen keine Möglichkeit besteht, sie zeitgerecht verfügbar zu machen (vgl. BGE 108 Ia 109; Merkli/Aeschlimann/Herzog, Kommentar zum bernischen VRPG, Bern 1997, N 8 zu Art. 111; Kley-Struller, Der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, AJP 2/1995 S. 181). 
 
3.- a) aa) Das kantonale Gericht hat das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung mit der Begründung abgewiesen, das Einkommen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau belaufe sich auf Fr. 5532.- pro Monat, während die für die Beurteilung des Anspruchs auf unentgeltliche Rechtspflege relevanten Ausgaben Fr. 3092. 50 betrügen (Grundbetrag für ein Ehepaar Fr. 1550.-, Zuschlag [15 %] Fr. 232. 50, Mietzins Fr. 1250.-, Berufsunkosten Ehefrau Fr. 60.-). Unter diesen Umständen liege keine Bedürftigkeit vor. 
 
bb) Der Beschwerdeführer lässt geltend machen, er wohne schon seit zwei Jahren nicht mehr mit seiner Ehefrau zusammen, sondern nächtige bei Kollegen, weshalb die Bedürftigkeit für ihn allein (und nicht für das Ehepaar als Ganzes) zu beurteilen sei. Zudem weigere sich seine Ehefrau, ihm einen Unterhaltsbeitrag zu bezahlen. Dessen gerichtliche Durchsetzung sei bisher aus aufenthalts- und bürgerrechtlichen Gründen nicht erfolgt, wäre jedoch ohnehin nicht zeitgerecht möglich gewesen. Selbst wenn die Ehefrau den ihr obliegenden Unterhaltsbeitrag leiste, ergebe sich ein Ausgabenüberschuss. 
 
b) Für die Ermittlung des prozessualen Zwangsbedarfs einer verheirateten Person ist danach zu differenzieren, ob die Ehegatten in einer Haushaltsgemeinschaft leben oder nicht (Bühler, a.a.O., S. 143 f.). Trifft Erstes zu, ist auf Grund der familienrechtlichen Pflicht, die Prozesskosten des anderen Ehegatten mitzufinanzieren, eine Gesamtrechnung vorzunehmen. Bei getrennt lebenden Ehegatten hingegen ist eine Einzelrechnung zu tätigen und nur das Einkommen des Gesuchstellers selbst sowie dessen eigener Bedarf zu berücksichtigen (Bühler, a.a.O., S. 144). 
c) Durch das der Vorinstanz eingereichte Schreiben des Bundesamtes für Ausländerfragen vom 12. Juni 2001 ist hinreichend dokumentiert, dass der Beschwerdeführer ungefähr seit Mitte 1999 nicht mehr mit seiner Ehefrau zusammenlebt. 
Die Bedürftigkeit des Beschwerdeführers ist daher auf Grund einer ihn allein erfassenden Einzelrechnung zu prüfen. Indem die Vorinstanz trotz des faktischen Getrenntlebens eine Gesamtrechnung vorgenommen hat, hat sie Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG und damit Bundesrecht verletzt. Der kantonale Entscheid ist daher aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
d) Nach dem Gesagten ist die Bedürftigkeit des Beschwerdeführers auf Grund einer nur ihn betreffenden Einzelrechnung zu beurteilen. Dabei sind zunächst die ihm persönlich zufliessenden Einnahmen dem prozessualen Zwangsbedarf gegenüberzustellen. Sollte sich daraus kein Überschuss ergeben, welcher die Tragung der notwendigen Anwaltskosten ermöglicht, stellt sich die Frage, ob und wie ein allfälliger Unterhaltsanspruch gegenüber der getrennt lebenden Ehefrau zu berücksichtigen wäre. Eine selbstständige Prüfung des Bestehens und gegebenenfalls der Höhe eines Unterhaltsanspruchs durch das Sozialversicherungsgericht (als Instanz in einem nicht eherechtlichen Verfahren) wird in der Lehre abgelehnt (Hausheer/Reusser/ Geiser, Berner Kommentar, 2. Auflage, N 38 zu Art. 159 ZGB sowie N 15 und 15a zu Art. 163 ZGB; vgl. auch Bühler, a.a.O., S. 144 f.). Für den Fall, dass die prozessuale Bedürftigkeit vom Bestehen und der Höhe des Unterhaltsanspruchs abhängt, werden die folgenden möglichen Vorgehensweisen erwähnt: Das sozialversicherungsrechtliche UP-Verfahren kann ausgesetzt und dem Gesuchsteller Frist zur Anhebung des eherechtlichen Verfahrens angesetzt werden, wobei der materielle Sozialversicherungsprozess gegebenenfalls bis zur rechtskräftigen Erledigung des zivilrechtlichen Verfahrens sistiert wird. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die unentgeltliche Rechtspflege unter der Voraussetzung des Nachweises zu bewilligen, dass der Gesuchsteller den entsprechenden Unterhaltsbeitrag von seinem Ehegatten nicht erhältlich machen kann (Hausheer/ Reusser/Geiser, a.a.O., N 15a zu Art. 163 ZGB). Schliesslich wird vorgeschlagen, die unentgeltliche Rechtspflege unter der Bedingung zu gewähren, dass der getrennt lebende Ehegatte innert Frist ein Eheschutzverfahren zwecks Festsetzung des vom leistungsfähigen Ehegatten zu erbringenden Prozesskostenvorschusses einleitet, und den rückwirkenden Widerruf (Entzug) der unentgeltlichen Rechtspflege (mit Wirkung ex tunc) nach rechtskräftiger Erledigung des Eheschutzverfahrens oder bei Verletzung der diesbezüglichen Meldepflicht vorzubehalten (Bühler, a.a.O., S. 145). 
 
4.- Streitigkeiten im Zusammenhang mit der unentgeltlichen Rechtspflege unterliegen grundsätzlich nicht der Kostenpflicht, weshalb keine Gerichtskosten zu erheben sind (SVR 1994 IV Nr. 29 S. 76 Erw. 4). 
Dem obsiegenden Beschwerdeführer steht für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung zu (Art. 159 Abs. 1 OG in Verbindung mit Art. 135 OG). Diese geht zu Lasten des Kantons Luzern, da der Gegenpartei des Hauptprozesses im Verfahren um die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege keine Parteistellung zukommt (SVR 1996 UV Nr. 40 S. 124 Erw. 4 mit Hinweisen). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I.In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird 
Ziffer 2 des Entscheids des Verwaltungsgerichts des 
Kantons Luzern vom 2. November 2001 aufgehoben, und es 
wird die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit 
diese über den Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung 
neu befinde. 
 
II.Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
III. Der Kanton Luzern hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1000.- zu bezahlen. 
 
 
 
IV.Dieses Urteil wird den Parteien, der IV-Stelle Luzern, der Ausgleichskasse Luzern, dem Bundesamt für Sozialversicherung und dem Kanton Luzern zugestellt. 
 
 
Luzern, 22. April 2002 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der III. Kammer: 
 
Der Gerichtsschreiber: