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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
U 175/04 
 
Urteil vom 7. Oktober 2005 
III. Kammer 
 
Besetzung 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Seiler; Gerichtsschreiber Ackermann 
 
Parteien 
H.________, Beschwerdeführer, vertreten durch die Gewerkschaft Unia, Rechtsanwalt Philip Thomas, Weltpoststrasse 20, 3000 Bern 15, 
 
gegen 
 
Winterthur Schweizerische Versicherungs-Gesellschaft, Generaldirektion, General Guisan-Strasse 40, 8400 Winterthur, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur 
 
(Entscheid vom 7. April 2004) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Mangels Vorliegens eines Unfalles oder einer unfallähnlichen Körperschädigung verneinte die Winterthur Schweizerische Versicherungs-Gesellschaft (Winterthur) mit Einspracheentscheid vom 3. Dezember 2003 den Anspruch des H.________ auf Leistungen der Unfallversicherung. 
B. 
Auf die dagegen erhobene Beschwerde trat des Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 7. April 2004 wegen verspäteter Eingabe nicht ein, nachdem sich H.________ vorher zur Frage der Rechtzeitigkeit der Beschwerde hatte äussern können. 
C. 
H.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei das kantonale Gericht anzuweisen, auf die Beschwerde einzutreten. 
 
Die Winterthur schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Die strittige Verfügung hat nicht die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen zum Gegenstand. Das Eidgenössische Versicherungsgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde (Art. 132 OG in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b OG sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
2. 
2.1 Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000 (ATSG) in Kraft getreten. Dieses Gesetz koordiniert das Sozialversicherungsrecht des Bundes, indem es unter anderem ein einheitliches Sozialversicherungsverfahren festlegt und die Rechtspflege regelt (Art. 1 Ingress und lit. b ATSG). Die allgemeinen Verfahrensbestimmungen finden sich im 4. Kapitel. Dessen 2. Abschnitt (Art. 34 ff. ATSG) regelt das Sozialversicherungsverfahren und enthält in Art. 38 die Vorschriften über die Berechnung und den Stillstand der Fristen. Nach Abs. 4 dieser Norm stehen gesetzliche oder behördliche Fristen, die nach Tagen oder Monaten bestimmt sind, still: 
 
a. vom siebten Tag vor Ostern bis und mit dem siebten Tag nach Ostern; 
b. vom 15. Juli bis und mit dem 15. August; 
c. vom 18. Dezember bis und mit dem 1. Januar. 
 
Im 3. Abschnitt des 4. Kapitels des ATSG finden sich die Bestimmungen zum Rechtspflegeverfahren, wozu auch Art. 60 ATSG gehört. Danach ist die Beschwerde innerhalb von dreissig Tagen nach der Eröffnung des Einspracheentscheides oder der Verfügung, gegen welche eine Einsprache ausgeschlossen ist, einzureichen (Abs. 1). Die Art. 38 bis 41 sind sinngemäss anwendbar (Abs. 2). 
2.2 Nach Art. 1 Abs. 1 UVG in der ab 1. Januar 2003 geltenden Fassung sind die Bestimmungen des ATSG auf die Unfallversicherung anwendbar, soweit das vorliegende Gesetz nicht ausdrücklich eine Abweichung vom ATSG vorsieht. Sie finden keine Anwendung in den in Absatz 2 dieser Vorschriften genannten, hier nicht einschlägigen Bereichen. Art. 106 UVG in der ab Januar 2003 geltenden Fassung ordnet die "Besondere Beschwerdefrist" wie folgt: In Abweichung von Art. 60 ATSG beträgt die Beschwerdefrist bei Einspracheentscheiden über Versicherungsleistungen drei Monate. 
2.3 Nach der Rechtsprechung sind neue Verfahrensvorschriften vorbehältlich anders lautender Übergangsbestimmungen in der Regel mit dem Tag des In-Kraft-Tretens sofort und in vollem Umfang anwendbar (BGE 129 V 115 Erw. 2.2 mit Hinweisen). Art. 82 Abs. 2 ATSG enthält eine hier einschlägige übergangsrechtliche Regelung formeller Natur: Gemäss dieser Norm haben die Kantone ihre Bestimmungen über die Rechtspflege diesem Gesetz innerhalb von fünf Jahren nach seinem In-Kraft-Treten anzupassen; bis dahin gelten die bisherigen kantonalen Vorschriften. 
 
Die im ATSG enthaltenen sowie die gestützt darauf im UVG auf den 1. Januar 2003 geänderten Verfahrensbestimmungen mit Bezug auf das gerichtliche Rechtsmittelverfahren sind deshalb hier grundsätzlich zu berücksichtigen (noch nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichte Urteile Z. und M. vom 26. August 2005, U 268/03, Erw. 3.3, und U 308/03, Erw. 2.3). 
2.4 Im Kanton Zürich wird das Verfahren in sozialversicherungsrechtlichen Streitigkeiten durch das Gesetz über das Sozialversicherungsgericht vom 7. März 1993 (GSVGer; LS 212.81) geregelt. Dieses bestimmt in § 13 Abs. 3 in der bis Ende 2004 geltenden Fassung, dass "die gesetzlichen und richterlichen Fristen, die nach Tagen bestimmt sind", stillstehen 
 
a) vom siebten Tag vor Ostern bis und mit dem siebten Tag nach Ostern, 
b) vom 15. Juli bis und mit dem 15. August, 
c) vom 18. Dezember bis und mit dem 1. Januar. 
 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich erkannte in einem früheren Entscheid, dass diese Norm nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck sowie den Besonderheiten des erstinstanzlichen Beschwerdeverfahrens nach UVG (längere Beschwerdefrist, vorausgehendes Einspracheverfahren) auf die nach Monaten bestimmte Frist des Art. 106 Abs. 1 UVG nicht anwendbar sei. Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat diese Beurteilung weder als willkürlich befunden noch darin einen Verstoss gegen Bundesrecht erblickt, nachdem seinerzeit gegen den kantonalen Entscheid Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben worden war (SVR 1998 UV Nr. 10 S. 27 Erw. 2c; vgl. noch nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichtes Urteil M. vom 26. August 2005, U 308/03, Erw. 2.4). 
3. 
3.1 Das kantonale Gericht geht davon aus, dass während der fünfjährigen Übergangsfrist gemäss Art. 82 Abs. 2 ATSG die kantonalen Rechtspflegebestimmungen denjenigen des ATSG vorgehen. Somit sei auf § 13 GSVGer abzustellen, welcher jedoch für nach Monaten bestimmte Fristen keinen Fristenstillstand vorsehe; diese Auffassung werde auch in der Literatur vertreten (Hinweis auf Ueli Kieser, Zwei aktuelle Fragen aus dem Fristenbereich/Fristenstillstand, HILL-2003-Fachartikel-4). Deshalb sei die Beschwerde verspätet erhoben worden. 
 
Der Versicherte ist demgegenüber der Auffassung, dass der Fristenstillstand gemäss Art. 38 Abs. 4 ATSG auch im erstinstanzlichen Verfahren zu berücksichtigen sei. Unter Berücksichtigung der "allgemein gültigen Rechtsgrundsätze der Rechtsgleichheit, der Rechtssicherheit und des Willkürverbots" genüge die "sehr vage formulierte Übergangsbestimmung" des Art. 82 Abs. 2 ATSG nicht, um eines der Hauptanliegen des ATSG (Vereinheitlichung) "fünf weitere Jahre aufzuschieben". 
3.2 Der Wortlaut des Art. 82 Abs. 2 ATSG ist insoweit klar, als Gegenstand der übergangsrechtlichen Ordnung bisherige kantonalrechtliche Bestimmungen zur Rechtspflege sind und sich die Übergangsfrist auf die Art. 56 bis 61 ATSG bezieht. Davon erfasst ist daher auch Art. 60 ATSG über die Beschwerdefrist, der in Abs. 2 die Art. 38 bis 41 ATSG für sinngemäss anwendbar erklärt. Art. 38 Abs. 4 ATSG normiert, wann gesetzliche oder behördliche Fristen, die nach Tagen oder Monaten bestimmt sind, still stehen. Die primäre Bedeutung des Art. 82 Abs. 2 ATSG liegt darin, dass die kantonalrechtlichen Verfahrensvorschriften über den 1. Januar 2003 hinaus Geltung beanspruchen dürfen und dass sich das Beschwerdeverfahren bis zur Änderung der kantonalen Gerichtsorganisation, spätestens bis zum 31. Dezember 2007, nach kantonalem Verfahrensrecht richtet. Darin erschöpft sich nun allerdings die Bedeutung des Art. 82 Abs. 2 ATSG nicht, denn mit dieser Norm wird auch die intertemporalrechtliche Anwendbarkeit der Rechtspflegebestimmungen der Art. 56 ff. ATSG entsprechend eingeschränkt, und zwar in dem Masse, als es den Kantonen erlaubt wird, gestützt auf Art. 82 Abs. 2 ATSG an ihren - allenfalls mit den Rechtspflegebestimmungen des ATSG kollidierenden - Verfahrensnormen festzuhalten. Dies wird durch die Materialien bestätigt (zum Ganzen: noch nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichte Urteile Z. und M. vom 26. August 2005, U 268/03, Erw. 5.2, und U 308/03, Erw. 4.2). 
 
Mit der einzigen verfahrensrechtlichen Übergangsbestimmung des Art. 82 Abs. 2 ATSG hat sich der Gesetzgeber für eine kantonal unterschiedliche Verfahrensordnung während längerer Zeit entschieden; dies gilt auch hinsichtlich des Fristenstillstandes. Es geht nicht darum, dass die Kantone damit befugt wären, über das In-Kraft-Treten des Bundesrechts zu bestimmen, denn spätestens am 1. Januar 2008 müssen die kantonalen Regelungen an das ATSG angepasst worden sein; der Bundesgesetzgeber hat die intertemporalrechtliche Weichenstellung in Art. 82 Abs. 2 ATSG vorgenommen. Das ATSG ist zwar darauf angelegt, dass formelle Bestimmungen (z.B. für das Verwaltungsverfahren) grundsätzlich sofort in Kraft treten, jedoch besteht eine Ausnahme in Art. 82 Abs. 2 ATSG, welche für das Rechtspflegeverfahren verbindlich ist, auch wenn damit während der Übergangszeit das angestrebte Ziel der Rechtseinheit (noch) nicht erreicht wird. Die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgebrachte Argumentation mit Sinn und Zweck des ATSG ist in diesem Zusammenhang untauglich, weil dieses Auslegungselement im intertemporalrechtlichen Kontext nicht mit der Wünschbarkeit einer einheitlichen Regelung der Fristberechnung inkl. Fristenstillstand gleichgesetzt werden darf (noch nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichtes Urteil M. vom 26. August 2005, U 308/03, Erw. 4.3). Angesichts des klaren Willens des Gesetzgebers (vgl. Art. 191 BV) kann der Beschwerdeführer auch aus der Berufung auf die Rechtsgleichheit, die Rechtssicherheit und das Willkürverbot nichts zu seinen Gunsten ableiten. 
3.3 Die "bisherigen kantonalen Vorschriften" über die Rechtspflege im Sinne des Art. 82 Abs. 2 Satz 2 ATSG umfassen nicht nur bisherige positive, sondern auch negative kantonale Regelungen, da es sich in beiden Fällen um bisherige kantonale Vorschriften handelt, unabhängig davon, ob der Kanton ein Rechtsinstitut gesetzlich normiert hat oder nicht (noch nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichte Urteile Z. und M. vom 26. August 2005, U 268/03, Erw. 5.2, und U 308/03, Erw. 4.2, jeweils mit Hinweisen auf die Materialien). 
 
§ 13 Abs. 3 GSVGer ZH in der bis Ende 2004 geltenden Fassung unterwirft lediglich die nach Tagen bestimmte Frist dem Fristenstillstand. Daraus hat sich eine konstante zürcherische und vom Eidgenössischen Versicherungsgericht geschützte Praxis entwickelt, dass Monatsfristen wie diejenige von drei Monaten gemäss Art. 106 Abs. 1 UVG in der bis Ende 2002 gültigen Fassung dem Regime des Fristenstillstandes nicht unterworfen sind (Erw. 2.4 hievor). Diese negative Regelung der Monatsfristen in § 13 Abs. 3 GSVGer ZH hat längstens bis Ende 2007 resp. bis zur vorher erfolgten Einführung des Fristenstillstands für Monatsfristen Bestand (noch nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichtes Urteil M. vom 26. August 2005, U 308/03, Erw. 4.4) und ist deshalb hier massgebend. 
3.4 Das kantonale Gericht hat für das Eidgenössische Versicherungsgericht verbindlich festgestellt (Art. 105 Abs. 2 OG), dass der Einspracheentscheid am 4. Dezember 2003 zugestellt und die erstinstanzliche Beschwerde am 9. März 2004 - d.h. nach Ablauf der dreimonatigen Beschwerdefrist - eingereicht worden ist. Die Vorinstanz ist deshalb zu Recht darauf nicht eingetreten. 
4. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Entsprechend dem Ausgang des Prozesses sind die Kosten dem unterliegenden Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 135 OG in Verbindung mit Art. 156 Abs. 1 OG). 
 
Die Winterthur als obsiegende Behörde hat keinen Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 135 OG in Verbindung mit Art. 159 Abs. 2 OG). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt. 
Luzern, 7. Oktober 2005 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Die Präsidentin der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: 
i.V.