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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6P.73/2002 /kra 
Urteil vom 7. November 2002 
Kassationshof 
 
Bundesrichter Schubarth, Präsident, 
Bundesrichter Schneider, Karlen, 
Gerichtsschreiber Näf. 
 
X.________, 
Y.________, 
Beschwerdeführer, 
beide vertreten durch Fürsprecher Dr. Francesco Bertossa, Zeughausgasse 29, Postfach 5460, 3001 Bern, 
 
gegen 
 
1. A.________, 
2. B.________, 
3. C.________, 
4. D.________, 
5. E.________, 
6. F.________, 
7. G.________, 
8. H.________, 
9. I.________,, 
10. K.________, 
11. L.________, 
12. M.________, 
Beschwerdegegner, 
alle vertreten durch Fürsprecher Thomas Marfurt, Advokatur Bubenberg, Schanzenstrasse 1, 3000 Bern 7, 
Obergericht des Kantons Bern, 1. Strafkammer, Postfach 7475, 3001 Bern. 
 
Art. 8 und 9 BV (Strafverfahren; Willkür, Rechtsverweigerung; Legitimation zur Appellation, Privatklägerschaft; Art. 47 und Art. 335 Ziff. 2 StrV/BE), 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern, 1. Strafkammer, vom 16. April 2002. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Am 26. September 1995 reichte das armenische Komitee für die "Gedenkfeier an den armenischen Völkermord vor 80 Jahren" eine mit etwa 5000 Unterschriften versehene Petition an die eidgenössischen Räte ein, in welcher diese aufgefordert wurden, "die nötigen politischen Schritte einzuleiten, um den Tatbestand des Genozids an den Armeniern als Völkermord anzuerkennen und zu verurteilen" (siehe AB 1996 N 41 f.). In der Petition wurde ausgeführt, dass im Jahre 1915 im Osmanischen Reich Hunderte armenische Intellektuelle verhaftet und hingerichtet worden seien und im Anschluss daran ein geplanter Völkermord stattgefunden habe, dem rund 1,5 Millionen Armenier zum Opfer gefallen seien. 
 
Als Reaktion darauf reichte die Koordinationsstelle der türkischen Verbände in der Schweiz am 30. Januar 1996 eine mit ca. 4200 Unterschriften versehene (Gegen-)Petition an die eidgenössischen Räte ein (siehe AB 1996 N 42 f.). Darin wird einleitend Folgendes ausgeführt: 
"Wir, die Unterzeichnenden, verurteilen die kürzlich initiierte Hetzkampagne des armenischen Komitees für die Gedenkfeier, die an den angeblichen 'armenischen Völkermord' vor 80 Jahren erinnern soll. Mit der Bezeichnung 'armenischer Völkermord' werden die historischen Tatsachen massiv verzerrt". 
B. 
Am 24. April 1997 erstattete der Verein "Gesellschaft Schweiz-Armenien (GSA)" wegen einzelnen in der (Gegen-)Petition vom 30. Januar 1996 enthaltenen Äusserungen Strafanzeige wegen Widerhandlung gegen Art. 261bis StGB. Am 18./19. September 1997 wurde gegen A.________ und gegen weitere Personen die Strafverfolgung wegen Rassendiskriminierung eröffnet durch Überweisung an das Strafeinzelgericht. 
 
Am 4. März 1998 konstituierte sich der Verein "Gesellschaft Schweiz-Armenien" als Privatkläger. Der Gerichtspräsident 16 des Gerichtskreises VIII Bern-Laupen wies den Verein mit Beschluss vom 16. Juli 1998 mangels Legitimation zur Privatklage aus dem Verfahren. Auf Appellation des Vereins bestätigte die 2. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern am 10. Februar 1999 den erstinstanzlichen Entscheid, wonach der Verein nicht zur Privatklage legitimiert sei. 
C. 
Am 18. April 2000 reichten X.________ und Y._______, beide armenischer Abstammung, eine Privatklage ein mit den Rechtsbegehren, die Beklagten seien in Anwendung von Art. 261bis StGB zu bestrafen; es sei festzustellen, dass die Kläger durch die Leugnung des Völkermords an den Armeniern durch die Beklagten in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt worden seien; die Beklagten seien zu verurteilen, den Klägern eine Genugtuung von Fr. 1.-- zu zahlen. 
D. 
Am 14. September 2001 sprach der Gerichtspräsident 16 des Gerichtskreises VIII Bern-Laupen die Beschuldigten unter Zurückweisung der Zivilklage vom Vorwurf der Rassendiskriminierung im Sinne von Art. 261bis Abs. 4 zweiter Satzteil StGB frei. 
 
Dagegen erhoben X.________ und Y.________ Appellation. 
E. 
Der Generalprokurator des Kantons Bern erklärte mit Eingabe vom 15. Januar 2002, dass er auf eine Teilnahme am Verfahren verzichte und die Vertretung der Anklage den Privatklägern überlasse. 
F. 
Am 13. Februar 2002 verfügte die 1. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern, dass die Frage der Legitimation der Privatkläger vorweg in einem separaten Verfahren geprüft werde. 
G. 
Mit Entscheid vom 16. April 2002 trat das Obergericht des Kantons Bern auf die Appellation nicht ein. 
H. 
X.________ und Y.________ führen eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde und staatsrechtliche Beschwerde. Mit der Letzteren beantragen sie, der Entscheid des Obergerichts vom 16. April 2002 sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen. 
I. 
Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Nach Art. 335 Ziff. 2 StrV/BE ist zur Appellation unter anderem die Privatklägerschaft befugt, ausser hinsichtlich der ausgesprochenen Sanktion. Gemäss Art. 47 Abs. 1 StrV/BE kann sich als Privatklägerin oder Privatkläger am Strafverfahren beteiligen, wer durch eine strafbare Handlung unmittelbar in eigenen rechtlich geschützten Interessen verletzt worden ist. Als in ihren rechtlich geschützten Interessen verletzt gilt auch die zum Strafantrag berechtigte Person. Gemäss Art. 47 Abs. 3 StrV/BE gilt auch als Privatklägerin oder Privatkläger, wer sich im Sinne von Art. 8 Abs. 1 OHG am Strafverfahren beteiligen will. 
1.1 Das Obergericht ist auf die Appellation nicht eingetreten, da die Beschwerdeführer weder als Privatkläger im Sinne von Art. 47 StrV/BE noch als Opfer im Sinne von Art. 2 OHG anzusehen und daher weder gemäss Art. 335 Ziff. 2 StrV/BE noch gestützt auf Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG befugt seien, gegen das Urteil, das die Beschwerdegegner mangels Erfüllung jedenfalls des subjektiven Tatbestands vom Vorwurf der Rassendiskriminierung im Sinne von Art. 261bis Abs. 4 zweiter Satzteil StGB freispreche, eine Appellation zu ergreifen. Zur Begründung führt das Obergericht in eingehender Auseinandersetzung insbesondere mit der Lehre im Wesentlichen aus, dass die hier einzig zur Diskussion stehende Tatbestandsvariante der Leugnung von Völkermord oder von anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne von Art. 261bis Abs. 4 zweiter Satzteil StGB ein Delikt gegen den öffentlichen Frieden und damit gegen die Allgemeinheit sei. Durch Art. 261bis Abs. 4 zweiter Satzteil StGB werde mithin das allgemeine Rechtsgut des öffentlichen Friedens geschützt; individuelle Rechtsgüter, etwa die Menschenwürde des Einzelnen, welcher einer Gruppe von Personen angehöre, die allenfalls wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion verfolgt worden sei, würden höchstens indirekt und mittelbar geschützt. Daher werde der Einzelne durch die angebliche Leugnung eines Völkermords nicht im Sinne von Art. 47 Abs. 1 StrV/BE unmittelbar in eigenen rechtlich geschützten Interessen verletzt bzw. nicht gemäss Art. 2 Abs. 1 OHG unmittelbar beeinträchtigt. 
1.2 Die Auffassung des Obergerichts, dass die Beschwerdeführer durch die den Beschwerdegegnern zur Last gelegte Straftat nicht im Sinne von Art. 47 Abs. 1 StrV/BE unmittelbar in eigenen rechtlich geschützten Interessen verletzt worden seien, ist weder willkürlich noch aus andern Gründen verfassungswidrig. Wie der Kassationshof in seinem Urteil zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde ausführt, werden durch die hier einzig zur Diskussion stehende Straftat der Leugnung von Völkermord oder anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne von Art. 261bis Abs. 4 zweiter Satzteil StGB das allgemeine Rechtsgut des öffentlichen Friedens verletzt und individuelle Rechtsgüter von andern, etwa deren psychische Integrität, höchstens mittelbar beeinträchtigt. Das in Art. 47 Abs. 1 StrV/BE - wie auch in Art. 2 Abs. 1 OHG - vorausgesetzte Merkmal der Unmittelbarkeit ist somit nicht gegeben. 
2. 
2.1 Die Beschwerdeführer machen geltend, die Feststellungen des Obergerichts betreffend ihre persönliche Betroffenheit bei der Lektüre der inkriminierten Äusserungen und ihre mit der Einreichung der Klage verfolgten Ziele beruhten auf willkürlicher Beweiswürdigung. Sie verfolgten entgegen der Meinung des Obergerichts keineswegs nur ein "überindividuelles" Interesse. Dass es ihnen mit dem Prozess (auch) um die Anerkennung der historischen Wahrheit gehe, ändere nichts daran, dass sie durch die inkriminierte Petition in ihren persönlichen Gefühlen verletzt worden seien, was sie denn auch deutlich zum Ausdruck gebracht hätten (staatsrechtliche Beschwerde S. 22 f.). Der Einwand geht an der Sache vorbei. 
2.2 Die in der Beschwerde beanstandeten Ausführungen im angefochtenen Urteil (S. 24 f.) stellen lediglich ergänzende Erwägungen dar. Das Obergericht hat nämlich an anderer Stelle ausdrücklich Folgendes festgehalten (angefochtener Entscheid S. 23 f.): 
 
"Leugnung oder Verharmlosung von Völkermord vermag unbestrittenermassen insbesondere bei Überlebenden oder Angehörigen Getöteter tiefe Betroffenheit auszulösen. Diese ist aber nicht Schutzobjekt von Art. 261bis StGB. Rassendiskriminierung in Form von 'blossem' Leugnen von Völkermord kann ein einzelnes Individuum - unabhängig von seiner persönlichen Lebensgeschichte - nicht im Rechtssinne verletzen...". 
 
Damit bringt das Obergericht deutlich zum Ausdruck, dass es seines Erachtens bei der Straftat der Leugnung von Völkermord oder andern Verbrechen gegen die Menschlichkeit, auch wenn sie bei Einzelnen, etwa wegen der persönlichen Lebensgeschichte, tiefe Betroffenheit auslösen mag, keine Verletzten im strafprozessrechtlichen Sinne geben kann. Diese Auffassung ist, wie dargelegt, nicht willkürlich. 
3. 
Die Beschwerdeführer rügen schliesslich mit gleich lautenden Begründungen eine materielle Rechtsverweigerung (staatsrechtliche Beschwerde S. 23 ff.) bzw. eine Vereitelung von Bundesrecht (eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde S. 24 ff.). Die Rüge ist offensichtlich unbegründet. Es kann auf die Erwägungen im Urteil zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde verwiesen werden. 
4. 
Da die staatsrechtliche Beschwerde somit abzuweisen ist, haben die beiden Beschwerdeführer, je zur Hälfte und unter solidarischer Haftung für den ganzen Betrag, die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen. Den Beschwerdegegnern ist keine Entschädigung auszurichten, da ihnen im Verfahren vor dem Bundesgericht keine Umtriebe entstanden sind. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird den Beschwerdeführern je zur Hälfte, unter solidarischer Haftung für den ganzen Betrag, auferlegt. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Bern, 1. Strafkammer, dem Generalprokurator des Kantons Bern und dem Bundesamt für Polizei schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 7. November 2002 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: