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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5C.106/2003 /bnm 
 
Urteil vom 7. November 2003 
II. Zivilabteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Raselli, Präsident, 
Bundesrichterinnen Nordmann, Escher, 
Bundesrichter Meyer, Marazzi, 
Gerichtsschreiber Möckli. 
 
Parteien 
Versicherung X.________, 
Beklagte und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwalt Reto Zanotelli, Postfach 628, 8035 Zürich, 
 
gegen 
 
Y.________, 
Klägerin und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Atilay Ileri, St. Urbangasse 2, 8001 Zürich. 
 
Gegenstand 
Versicherungsvertrag, 
 
Berufung gegen das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 10. März 2003. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Der ehemalige Arbeitgeber der Klägerin hat bei der Beklagten eine Kollektivunfallversicherung zu Gunsten seiner Arbeitnehmer abgeschlossen. Am 19. Juli 1997 erlitt die Klägerin einen Verkehrsunfall und ist seither in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt. Nachdem ihr die Beklagte bis Ende Januar 2000 Leistungen aus der obligatorischen Unfallversicherung und der Unfall-Zusatzversicherung erbracht hatte, stellte sie ab dem 1. Februar 2000 die Taggeld-Leistungen aus der Zusatzversicherung ein. 
B. 
Mit Klage vom 16. Januar 2001 verlangte die Klägerin von der Beklagten die weiteren Taggelder aus der Zusatzversicherung im Umfang von Fr. 57'408.-- nebst Zins. Mit Urteil vom 10. März 2003 hiess das Handelsgericht des Kantons Zürich die Klage gut und verurteilte die Beklagte zur Bezahlung des geforderten Betrages. 
C. 
Dagegen hat die Beklagte beim Bundesgericht Berufung erhoben, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Urteils, die Abweisung der Klage und die Rückweisung der Sache zur Neuverteilung der Kosten und Entschädigungen für das kantonale Verfahren verlangt. Mit Berufungsantwort vom 10. August 2003 hat die Klägerin auf Abweisung der Berufung geschlossen. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Wie bereits im kantonalen Verfahren geht es um die Frage, ob die Taggeld-Leistungen aus der Zusatzversicherung zur Vermeidung einer Überentschädigung gekürzt bzw. gänzlich gestrichen werden können (Standpunkt der Beklagten) oder ob sie unabhängig von den anderen Versicherungsleistungen und der tatsächlich erlittenen Einbusse geschuldet sind (Standpunkt der Klägerin). 
 
 
 
 
Der massgebliche Art. 8 der AVB der Beklagten lautet wie folgt: 
1 Die Versicherung X.________ bezahlt bei voller Arbeitsunfähigkeit das auf der Police aufgeführte Taggeld. 
2 Das Taggeld wird soweit gekürzt, als es mit Sozialversicherungsleistungen zusammentrifft und den mutmasslich entgangenen Verdienst übersteigt. Der mutmasslich entgangene Verdienst entspricht jenem Verdienst, den der Versicherte ohne Unfall erzielen würde. 
3 Im übrigen gelten die Bestimmungen des UVG; die Versicherung X.________ verzichtet jedoch auf einen Abzug für Unterhaltskosten bei Aufenthalt in einer Heilanstalt. 
2. 
Das Handelsgericht hat erwogen, eine Kürzungsmöglichkeit wegen Überentschädigung bestehe nur bei einer Schaden-, nicht hingegen bei einer Summenversicherung. Taggeld-Versicherungen könnten sowohl als Summen- als auch als Schadenversicherung ausgestaltet sein, weshalb vorliegend der Versicherungsvertrag auszulegen sei. Die Formulierung in Art. 8 Abs. 2 der beklagtischen AVB spreche zwar eher gegen eine Summenversicherung, aber eine Kürzung des Taggeldes sei einzig für den Fall des Zusammentreffens mit Sozialversicherungsleistungen vorgesehen. Demgegenüber werde mit Bezug auf ein weiterhin erzieltes Erwerbseinkommen nichts geregelt, obwohl die Beklagte dies hätte tun können. Art. 8 der AVB lasse deshalb mehrere Auslegungsvarianten zu und sei insofern unklar. In Anwendung der Unklarheitsregel sei Art. 8 der AVB zu Lasten der Beklagten auszulegen, die diese Bestimmung aufgestellt habe. Folglich sei der Klägerin das Taggeld in vollem Umfang zuzusprechen, denn auf der Basis eines AHV-pflichtigen Lohnes von Fr. 104'480.-- betrage der entgangene Verdienst in der relevanten Zeit zwischen dem Unfall und dem 30. Juni 2002 Fr. 516'961.--, während sich die anrechenbaren Einnahmen aus UVG-Taggeldern auf Fr. 279'334.20, aus der IV-Rente auf Fr. 69'622.-- sowie aus den bis Ende Januar 2000 geleisteten Taggeldern aus der Zusatzversicherung auf Fr. 29'131.80 beliefen. 
3. 
Sowohl die Parteien als auch die Vorinstanz gehen stillschweigend davon aus, dass die AVB der Beklagten Bestandteil des zwischen dieser und der ehemaligen Arbeitgeberin der Klägerin geschlossenen Versicherungsvertrages bilden. Weil das Handelsgericht keinen übereinstimmenden wirklichen (subjektiven) Parteiwillen (Art. 18 Abs. 1 OR) festzustellen vermochte, legte es Art. 8 der AVB nach dem Vertrauensprinzip aus. Danach sind Vereinbarungen so zu deuten, wie sie nach ihrem Wortlaut und Zusammenhang sowie nach den gesamten Umständen verstanden werden durften und mussten (BGE 126 III 119 E. 2a S. 120). 
Nach dem klaren Wortlaut bezieht sich Art. 8 Abs. 1 der AVB einzig auf den Fall der vollständigen Arbeitsunfähigkeit. So ist es nichts als folgerichtig, dass der hierauf Bezug nehmende Abs. 2 einzig das Zusammentreffen mit Sozialversicherungen regelt und den mutmasslich entgangenen Verdienst mit demjenigen gleichsetzt, den der Versicherte ohne Unfall erzielen würde. Wenn Art. 8 Abs. 1 der AVB die teilweise Arbeitsunfähigkeit unerwähnt lässt, ist im Übrigen nicht von einer planwidrigen Unvollständigkeit bzw. von einer Regelungslücke auszugehen, verweist doch Abs. 3 für alle übrigen Fälle auf das UVG, das in Art. 16 Abs. 1 dem Versicherten einen Anspruch auf Taggeld nicht nur dann einräumt, wenn er infolge eines Unfalles voll, sondern auch wenn er teilweise arbeitsunfähig geworden ist. 
4. 
Zwischen den Parteien liegen einzig die Taggelder aus der Unfall-Zusatzversicherung im Streit, die an sich nicht dem UVG, sondern dem VVG untersteht (Graber, Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, N. 10 zu Art. 96 VVG; Maurer, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, Bern 1985, S. 544). Mit dem Verweis in Art. 8 Abs. 3 der AVB wurden jedoch die einschlägigen (öffentlich-rechtlichen) Normen des UVG zum Inhalt des (privatrechtlichen) Versicherungsvertrages gemacht. Den Parteien ist es auf Grund der Inhaltsfreiheit für Verträge denn auch unbenommen, für den dispositiven Bereich des VVG mit privatautonomer Abrede bzw. mit allgemeinen Versicherungsbedingungen auf die Regelung des UVG zu verweisen. Der Verweis deckt sich mit der Feststellung in Art. 1 Abs. 2 der AVB, der festhält, dass die AVB auf den Bestimmungen des UVG basieren. Damit wird offensichtlich eine Übereinstimmung mit dem UVG (unter Vorbehalt abweichender Regelungen in den AVB oder zwingender Normen des VVG) und gleichzeitig eine einheitliche Lösung für die obligatorische Unfallversicherung und die Zusatzversicherung angestrebt. 
 
Kraft des Verweises in Art. 8 Abs. 3 der AVB richten sich demnach die Folgen eines Zusammentreffens von Leistungen aus der Zusatzversicherung mit solchen der Sozialversicherung nach Art. 40 aUVG, der bis Ende 2002 in Kraft war und folglich problemlos auf den unbestrittenermassen per Ende Juni 2002 abgeschlossenen Sachverhalt Anwendung finden kann. Art. 40 aUVG lautete wie folgt: Wenn keine Koordinationsregel dieses Gesetzes eingreift, so werden Geldleistungen, ausgenommen Hilflosenentschädigungen, soweit gekürzt, als sie mit den anderen Sozialversicherungsleistungen zusammentreffen und den mutmasslich entgangenen Verdienst übersteigen. 
 
Die Argumentation, das Zusammentreffen mit verbleibendem Erwerbseinkommen sei in dieser Norm nicht geregelt, geht an der Sache vorbei: Nach übereinstimmender Lehre und Rechtsprechung zu Art. 40 aUVG ist zwar von einer vollen Erwerbsfähigkeit und dem entsprechenden Verdienst auszugehen; hiervon sind jedoch diejenigen Einkünfte in Abzug zu bringen, welche die versicherte Person bei ihrer teilweisen Arbeitsfähigkeit effektiv noch erzielt hat (BGE 117 V 394 E.4b S. 400; Maurer, a.a.O., S. 538 Fn. 1398a; Rumo-Jungo, Bundesgesetz über die Unfallversicherung, 3. Aufl., S. 237). Diese in der amtlichen Sammlung publizierte Rechtsprechung ist lange vor Abschluss des Versicherungsvertrages ergangen, dessen Bestandteil die AVB unbestrittenermassen sind, und entsprechend ist sie vom Verweis in Art. 8 Abs. 3 der AVB erfasst. 
 
Die Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts zum UVG stimmt aber ohnehin auch mit derjenigen des Bundesgerichtes zum VVG überein, dessen dispositive Normen ohne anders lautende Parteivereinbarung auf die Zusatzversicherung anwendbar wären: In BGE 104 II 44 E. 4 S. 47 ff., bestätigt in BGE 119 II 361 E. 4 S. 364 f., ist das Bundesgericht von seiner früheren, insbesondere zu den Heilungskosten ergangenen Rechtsprechung, wonach die Personenversicherung als Gegensatz zur Sachversicherung angesehen und im Ergebnis als Summenversicherung qualifiziert worden ist (vgl. BGE 94 II 173 E. 8b S. 186 ff.; 100 II 453 E. 3 und 4 S. 457 ff.), abgekommen und hat befunden, die Rechtsnatur der zu erbringenden Leistung sei im Einzelfall zu prüfen. Sobald die vermögensrechtliche Einbusse eine selbständige Bedingung des Anspruchs auf Leistung sei, liege eine Schadenversicherung vor. Dies ist bei einer durch die Arbeitgeberin für den Fall der Erwerbsunfähigkeit ihrer Angestellten abgeschlossenen Versicherung selbstredend der Fall, handelt es sich doch hierbei stets um eine Lohnausfallversicherung. Diese stellt bei Unselbständigerwerbenden in jedem Fall eine Schadenversicherung dar (Ileri, Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, N. 68 f. zu Art. 88 VVG). Folglich kann sich die Versicherung darauf berufen, bei der Versicherungsnehmerin sei bereits eine Überentschädigung (dazu E. 5) eingetreten. 
 
 
Kommt bei teilweiser Erwerbsunfähigkeit als Kollisionsnorm nicht Art. 8 Abs. 2 der AVB, sondern kraft vertraglichen Verweises Art. 40 aUVG und damit eine Gesetzesnorm zum Tragen, beschränkt sich im Übrigen der Anwendungsbereich der Unklarheitsregel auf die verweisende Parteiabrede. Angesichts der beiden vorangehenden Absätze sind jedoch Umfang und Inhalt von Art. 8 Abs. 3 der AVB klar, weshalb kein Raum besteht, diese Verweisnorm contra stipulatorem auszulegen. 
5. 
Das Handelsgericht hat zum tatsächlich erzielten Einkommen der Klägerin keine Feststellungen getroffen. Indes kann das Bundesgericht den Sachverhalt in nebensächlichen Punkten vervollständigen, sofern dies auf Grund der vorhandenen Akten möglich ist (Art. 64 Abs. 2 OG). 
 
Die Beklagte gibt das Arbeitseinkommen der Klägerin nach dem Unfall in der Berufungsschrift wie auch schon im kantonalen Verfahren mit Fr. 145'239.40 an. Zwar hat die anwaltlich vertretene Klägerin die Richtigkeit dieses Betrages in der Berufungsantwort nicht ausdrücklich bestritten, aber sie hat auf Abweisung der Berufung geschlossen. In der Klageschrift vom 15. Januar 2001 hat sie ihr Arbeitseinkommen für die Zeit zwischen dem Unfall und der Auflösung des Arbeitsverhältnisses per Ende Mai 2000 mit Fr. 145'070.-- angegeben (S. 10). In der Replik vom 14. September 2001 hat sie es auf Fr. 136'302.-- korrigiert (S. 4). Zuzüglich den UVG-Taggeldern von Fr. 279'334.20, den IV-Renten von Fr. 69'622.-- sowie den bis Ende Januar 2000 geleisteten Taggeldern aus der Zusatzversicherung von Fr. 29'131.80 ergäbe sich ein Betrag von Fr. 514'390.-- und damit gegenüber dem mutmasslichen Verdienst bei voller Erwerbstätigkeit von Fr. 516'961.-- eine Unterentschädigung von Fr. 2'571.--. Hingegen würden die Berechnung in der Klage sowie diejenige der Beklagten zu einer Überentschädigung in der Grössenordnung von Fr. 6'000.-- führen. 
 
Mag schon fraglich sein, ob es sich bei der Feststellung des Invalideneinkommens der Klägerin überhaupt um einen nebensächlichen Punkt i.S.v. Art. 64 Abs. 2 OG handelt, so scheitert eine definitive Beurteilung durch das Bundesgericht jedenfalls am Erfordernis, dass die Vervollständigung auf Grund der Akten möglich sein muss. Dies ist vorliegend nicht der Fall, da in den kantonalen Akten nirgend eine Abrechnung über das erzielte Arbeitseinkommen oder doch wenigstens eine taugliche Grundlage hierfür ersichtlich ist. 
6. 
Zusammenfassend ergibt sich, dass der angefochtene Entscheid in Gutheissung der Berufung aufzuheben und die Sache zur Feststellung des Arbeitseinkommens der Klägerin und zur neuen Beurteilung unter Einbezug dieses Einkommens an die Vorinstanz zurückzuweisen ist. 
 
Da die Klägerin ganz oder jedenfalls zum grössten Teil unterliegen wird, rechtfertigt es sich, sie für das bundesgerichtliche Verfahren vollumfänglich kosten- und entschädigungspflichtig zu erklären (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 2 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
In Gutheissung der Berufung wird das Urteil des Handelsgerichts vom 10. März 2003 aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
2. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 4'000.-- wird der Klägerin auferlegt. 
3. 
Die Klägerin hat die Beklagte für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 4'000.-- zu entschädigen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Handelsgericht des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 7. November 2003 
Im Namen der II. Zivilabteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: