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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_1464/2020  
 
 
Urteil vom 3. November 2021  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, als präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichterin Koch, 
Bundesrichter Hurni, 
Gerichtsschreiberin Unseld. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Florian Wick, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Rechtswidriger Aufenthalt (Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 13. Oktober 2020 (SB200194-O/U/cwo). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Das Bezirksgericht Zürich verurteilte A.________ am 11. Dezember 2019 wegen rechtswidrigen Aufenthalts im Sinne von Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG zu einer unbedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu Fr. 10.--. Von einem Widerruf der mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl vom 22. Dezember 2016 bedingt ausgesprochenen Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 10.-- und der mit Urteil des Bezirksgerichts Uster vom 28. März 2017 bedingt ausgesprochenen Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu Fr. 30.-- sah es ab und verlängerte stattdessen die Probezeit um je ein Jahr. 
 
B.  
Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte am 13. Oktober 2020 auf Berufung von A.________ das erstinstanzliche Urteil im Straf- und Schuldpunkt. 
 
C.  
A.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das Urteil vom 13. Oktober 2020 sei aufzuheben und das Strafverfahren sei einzustellen. Eventualiter sei er von Schuld und Strafe freizusprechen. Es sei ihm für die unschuldig erlittene Haft eine angemessene Genugtuung auszurichten. Subeventualiter sei die Geldstrafe auf 20 Tagessätze zu je Fr. 10.-- herabzusetzen und deren Vollzug bei einer Probezeit von einem Jahr aufzuschieben. A.________ ersucht um Erteilung der aufschiebenden Wirkung und unentgeltlichen Rechtspflege. 
 
D.  
Die Präsidentin der Strafrechtlichen Abteilung wies das Gesuch um Erteilung der aufschiebenden Wirkung mit Verfügung vom 18. Januar 2021 ab. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der Beschwerdeführer rügt, gemäss dem Entscheid des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in Sachen Sagor sei es mit der EU-Rückführungsrichtlinie (Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger; ABl. L 348 vom 24. Dezember 2008, S. 98 ff.) vereinbar, eine Geldstrafe durch eine Ausweisungsstrafe mit sofort vollstreckbarer Rückkehrverpflichtung zu ersetzen. Hingegen verstosse ein Hausarrest gegen die EU-Rückführungsrichtlinie. Unzulässig sei daher auch die Umwandlung einer Geldstrafe in eine Ersatzfreiheitsstrafe. BGE 143 IV 249 greife der Rechtsprechung des EuGH vor, der die Frage der Umwandlung der Geldstrafe in eine Freiheitsstrafe noch nicht behandelt habe. Mit ihrer Erwägung, wonach eine kurze Ersatzfreiheitsstrafe die Rückführung nicht konkret erschwere, weiche die Vorinstanz die Vorgaben des EuGH auf. Bei richtiger Lesart der Rechtsprechung des EuGH sei eine Geldstrafe wegen der möglichen Umwandlung in eine Ersatzfreiheitsstrafe nicht zulässig. Zudem müsse das administrative Rückführungsverfahren gemäss der ständigen Rechtsprechung des EuGH (und auch des Bundesgerichts) abgeschlossen sein. Dies sei vorliegend nicht der Fall, da kein solches Verfahren eingeleitet worden sei, obwohl die Zwangsrückführung nach Äthiopien ohne Weiteres möglich sei. Die Vorinstanz sei auf seine rechtlichen Einwände in Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht eingegangen.  
 
1.2.  
 
1.2.1. Die Verhängung einer Geldstrafe ist mit der EU-Rückführungsrichtlinie nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts vereinbar, vorausgesetzt sie erschwert das Verfahren der Entfernung nicht. Eine solche Sanktion kann unabhängig von den für die Umsetzung der Wegweisung erforderlichen Massnahmen ausgesprochen werden (BGE 145 IV 197 E. 1.4.3; 143 IV 249 E. 1.9; Urteile 6B_438/2020 vom 9. Februar 2021 E. 1.4; 6B_701/2019 vom 17. Dezember 2020 E. 1.4.1). Hingegen ist auf die Verhängung und den Vollzug einer Freiheitsstrafe zu verzichten, wenn gegen den Betroffenen mit illegalem Aufenthalt ein Wegweisungsentscheid erging und die erforderlichen Entfernungsmassnahmen, zu denen auch Zwangsmassnahmen im Sinne von Art. 8 der EU-Rückführungsrichtlinie gehören, noch nicht ergriffen wurden (BGE 145 IV 197 E. 1.4.3; 143 IV 249 E. 1.9; Urteil 6B_701/2019 vom 17. Dezember 2020 E. 1.4.1).  
 
1.2.2. Darauf zurückzukommen besteht kein Anlass. Das Bundesgericht befasste sich im Entscheid BGE 143 IV 249 mit der vom Beschwerdeführer zitierten Rechtsprechung des EuGH in Sachen Sagor (BGE, a.a.O., E. 1.4.3, 1.6.2 und 1.7). Daraus, dass im erwähnten Urteil des EuGH eine Geldstrafe zu beurteilen war, die nach italienischem Recht in eine Ausweisungsstrafe ("peine d'expulsion") umgewandelt werden konnte, was gemäss dem EuGH zulässig war, lässt sich entgegen der Kritik des Beschwerdeführers nicht ableiten, eine Geldstrafe, welche in eine Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelt werden kann, sei e contrario unzulässig. Gleiches gilt für die Tatsache, dass sich der EuGH zu letzterer Frage gemäss dem Beschwerdeführer bisher nicht explizit geäussert hat. Der Beschwerdeführer verkennt, dass auch die Schweizer Gerichte zur Auslegung der Bestimmungen der EU-Rückführungsrichtlinie befugt und verpflichtet sind (vgl. dazu Art. 9 Ziff. 1 des Schengen Assoziierungs-Abkommens vom 26. Oktober 2004 [SR 0.362.31]; BGE 143 IV 249 E. 1.2).  
 
1.2.3. Für die Vereinbarkeit von Geldstrafen im Sinne von Art. 35 f. StGB mit der EU-Rückführungsrichtlinie spricht, dass die Umwandlung der Geldstrafe in eine Ersatzfreiheitsstrafe nicht zwingend ist, da im Falle einer Nichtbezahlung auch die Möglichkeit besteht, die Geldstrafe auf dem Betreibungsweg erhältlich zu machen (vgl. Art. 35 Abs. 3 und Art. 36 Abs. 1 StGB). Zwar erfolgt die Umwandlung der von einem Gericht ausgesprochenen uneinbringlichen Geldstrafe gemäss Art. 36 Abs. 1 StGB von Gesetzes wegen, d.h. ein gerichtlicher Entscheid ist unter dem geltenden Recht nicht mehr notwendig (ANNETTE DOLGE, in: Basler Kommentar, Strafrecht I, 4. Aufl. 2019, N. 8 zu Art. 36 StGB). Erforderlich ist jedoch ein entsprechender Strafvollzugsbefehl (vgl. Art. 439 Abs. 2 StPO). Gegen eine allfällige Umwandlung der Geldstrafe in eine Ersatzfreiheitsstrafe kann sich der Beschwerdeführer daher gegebenenfalls mit Beschwerde gegen den entsprechenden Vollzugsbefehl zur Wehr setzen. Hingegen bildet die Frage der Umwandlung der Geldstrafe in eine Ersatzfreiheitsstrafe nicht Gegenstand des angefochtenen Entscheids und damit des vorliegenden Verfahrens (vgl. BGE 145 IV 197 E. 1.4.5; Urteil 6B_1081/2017 vom 21. Dezember 2017 E. 3.3), weshalb darauf nicht weiter einzugehen ist.  
 
1.2.4. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt entgegen der Kritik des Beschwerdeführers nicht vor. Die Vorinstanz setzt sich mit den Einwänden des Beschwerdeführers auseinander. Sie legt dar, weshalb an der bundesgerichtlichen Rechtsprechung festzuhalten ist. Nicht verlangt wird nach der Rechtsprechung im Übrigen, dass sich das Gericht mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann es sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken (BGE 143 III 65 E. 5.2; 142 III 433 E. 4.3.2; 141 III 28 E. 3.2.4; je mit Hinweisen).  
 
1.2.5. Die Rüge des Beschwerdeführers ist unbegründet, soweit darauf einzutreten ist.  
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer wendet sich weiter gegen die Strafzumessung. Er rügt, sein Verschulden sei gemäss der Vorinstanz leicht. Auch sei sein Geständnis strafmindernd zu berücksichtigen. Nicht nachvollziehbar sei zudem, weshalb die Geldstrafe nicht aufzuschieben sei. Er sei nach seiner subjektiven Einschätzung in seiner Heimat an Leib und Leben gefährdet. Daran ändere die nicht immer überzeugende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Asylrecht nichts.  
 
2.2. Es liegt im Ermessen des Sachgerichts, in welchem Umfang es die verschiedenen Strafzumessungsfaktoren (vgl. Art. 47 StGB) berücksichtigt. Das Bundesgericht greift auf Beschwerde hin in die Strafzumessung nur ein, wenn das Sachgericht den gesetzlichen Strafrahmen über- oder unterschritten hat, wenn es von rechtlich nicht massgebenden Kriterien ausgegangen ist oder wenn es wesentliche Gesichtspunkte ausser Acht gelassen bzw. in Überschreitung oder Missbrauch seines Ermessens falsch gewichtet hat (BGE 144 IV 313 E. 1.2; 136 IV 55 E. 5.6). Dass dies vorliegend der Fall sein soll, ist weder rechtsgenügend dargetan noch ersichtlich. Der Beschwerdeführer beschränkt sich darauf, den vorinstanzlichen Ermessensentscheid zu kritisieren, ohne jedoch aufzuzeigen, weshalb ein eigentlicher Ermessensmissbrauch vorliegen könnte. Darauf ist nicht einzutreten.  
 
2.3. Den Vollzug der Geldstrafe begründet die Vorinstanz damit, der Beschwerdeführer habe die Straftat während laufender Probezeit der beiden einschlägigen Vorstrafen begangen. Er habe sich von den beiden Vorstrafen offensichtlich nicht beeindrucken lassen (angefochtenes Urteil S. 15). Eine Verletzung von Bundesrecht (vgl. Art. 42 Abs. 1 StGB) ist auch insofern nicht ersichtlich. Dem Sachgericht steht bei der Beurteilung der Legalprognose ein Ermessensspielraum zu. Das Bundesgericht greift nur ein, wenn das Sachgericht sein Ermessen über- bzw. unterschritten oder missbraucht und damit Bundesrecht verletzt hat (BGE 145 IV 137 E. 2.2; 134 IV 140 E. 4.2).  
 
3.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist abzuweisen, weil die Beschwerde von vornherein aussichtslos war. Der finanziellen Lage des Beschwerdeführers ist mit herabgesetzten Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 3. November 2021 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Denys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Unseld