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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_651/2022  
 
 
Urteil vom 18. Juli 2023  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichterinnen Heine, Viscione, 
Gerichtsschreiberin Berger Götz. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA), Rechtsdienst, Industriestrasse 24, 6300 Zug, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
A.________, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Arbeitslosenversicherung (Einstellung in der Anspruchsberechtigung), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug vom 13. Oktober 2022 (S 2022 99). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Der 1986 geborene A.________ meldete sich am 5. März 2020 beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum Zug (RAV) zur Arbeitsvermittlung an. Das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zug (nachfolgend: AWA oder Beschwerdeführer) stellte ihn wegen ungenügender persönlicher Arbeitsbemühungen im Oktober 2020 für die Zeit ab 1. November 2020 für 7 Tage in der Anspruchsberechtigung ein (Verfügung vom 15. Dezember 2020). Die hiergegen geführte Einsprache hiess es teilweise gut, indem es die Einstellung in der Anspruchsberechtigung auf 5 Tage reduzierte (Einspracheentscheid vom 19. Januar 2021). 
 
B.  
 
B.a. In teilweiser Gutheissung der dagegen erhobenen Beschwerde änderte das Verwaltungsgericht des Kantons Zug, Sozialversicherungsrechtliche Kammer, den Einspracheentscheid vom 19. Januar 2021 dahingehend ab, dass es die Dauer der Einstellung in der Anspruchsberechtigung auf 2 Tage herabsetzte (Urteil vom 16. November 2021).  
Nachdem der Präsident des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug den Parteien am 23. Juni 2022 mitgeteilt hatte, dass ein an der Urteilsfindung beteiligt gewesenes Mitglied des Gerichts die im Kanton Zug geltende gesetzliche Wohnsitzpflicht für die Wahl und Ausübung des Richteramtes im Zeitpunkt der Urteilsfällung nicht mehr erfüllt habe, ersuchte das AWA um einen neuen Entscheid. Mit Gesamtgerichtsentscheid vom 16. August 2022 hiess das Verwaltungsgericht das Revisionsgesuch gut, hob das Urteil vom 16. November 2021 auf und wies die Sache zu neuem Entscheid an die Sozialversicherungsrechtliche Kammer des Verwaltungsgerichts zurück. 
Das Bundesgericht schrieb die vom AWA gegen das Urteil vom 16. November 2021 erhobene Beschwerde infolge Gegenstandslosigkeit ab (Verfügung 8C_821/2021 vom 8. September 2022). 
 
B.b. In neuer Besetzung hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Zug, Sozialversicherungsrechtliche Kammer, die Beschwerde wiederum teilweise gut und änderte den Einspracheentscheid vom 19. Januar 2021 dahingehend ab, dass es die Dauer der Einstellung in der Anspruchsberechtigung auf 2 Tage herabsetzte (Urteil vom 13. Oktober 2022).  
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten stellt das AWA das Rechtsbegehren, das Urteil des kantonalen Gerichts vom 13. Oktober 2022 sei aufzuheben. 
Das kantonale Gericht beantragt ohne weitere Ausführungen, lediglich unter Hinweis auf die Erwägungen im angefochtenen Urteil, die Abweisung der Beschwerde. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) verzichtet auf eine Stellungnahme. A.________ lässt sich in abweisendem Sinn vernehmen, ohne einen Antrag zu stellen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), nur die geltend gemachten Vorbringen, sofern allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (vgl. BGE 147 I 73 E. 2.1; 145 V 304 E. 1.1). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 148 V 209 E. 2.2). 
 
2.  
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie die von der Verwaltung im Einspracheentscheid auf 5 Tage herabgesetzte Einstellungsdauer auf 2 Tage reduzierte. 
 
3.  
 
3.1.  
 
3.1.1. Der Versicherte, der Versicherungsleistungen beanspruchen will, muss gemäss Art. 17 Abs. 1 und 2 AVIG unter anderem seine Arbeitsbemühungen nachweisen können und die Kontrollvorschriften des Bundesrates befolgen. Nach Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG ist der Versicherte beispielsweise dann in der Anspruchsberechtigung einzustellen, wenn er die Kontrollvorschriften oder die Weisungen der zuständigen Amtsstelle nicht befolgt. Art. 26 Abs. 2 AVIV sieht vor, dass der Nachweis der Arbeitsbemühungen für jede Kontrollperiode spätestens am fünften Tag des folgenden Monats oder am ersten auf diesen Tag folgenden Werktag einzureichen ist.  
 
3.1.2. Die Dauer der Einstellung in der Anspruchsberechtigung bemisst sich nach dem Grad des Verschuldens und beträgt je Einstellungsgrund höchstens 60 Tage (Art. 30 Abs. 3 AVIG). Der Bundesrat kann eine Mindestdauer der Einstellung vorschreiben (Art. 30 Abs. 3bis AVIG). Die Einstellung dauert nach Art. 45 Abs. 3 AVIV bei leichtem Verschulden ein bis 15 Tage (lit. a), bei mittelschwerem Verschulden 16 bis 30 Tage (lit. b) und bei schwerem Verschulden 31 bis 60 Tage (lit. c). Wird die versicherte Person wiederholt in der Anspruchsberechtigung eingestellt, so wird die Einstellungsdauer gemäss Art. 45 Abs. 5 AVIV angemessen verlängert. Für die Verlängerung werden die Einstellungen der letzten zwei Jahre berücksichtigt.  
Im Übrigen hat das SECO diesbezüglich weitergehende Vorgaben für die Verwaltung publiziert (AVIG-Praxis ALE). Die Verwaltungsweisungen sind für das Gericht grundsätzlich nicht verbindlich. Dieses soll sie bei seiner Entscheidung aber berücksichtigen, sofern sie eine dem Einzelfall angepasste und gerecht werdende Auslegung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen zulassen. Das Gericht weicht also nicht ohne triftigen Grund von Verwaltungsweisungen ab, wenn diese eine überzeugende Konkretisierung der rechtlichen Vorgaben darstellen. Insofern wird dem Bestreben der Verwaltung, durch interne Weisungen eine rechtsgleiche Gesetzesanwendung zu gewährleisten, Rechnung getragen (BGE 148 V 144 E. 3.1.3). Gemäss Einstellraster des SECO unter Ziffer D79 der AVIG-Praxis ALE (1.E, 1-3) gilt das Verschulden bei zu spät eingereichten Nachweisen über die Arbeitsbemühungen erstmals als leicht (5-9 Einstelltage), zweitmals als leicht bis mittel (10-19 Einstelltage) und beim dritten Mal ist die Sache an die kantonale Amtsstelle zum Entscheid zu überweisen. 
 
3.2. Die Festlegung der Einstellungsdauer beschlägt eine typische Ermessensfrage, deren Beantwortung letztinstanzlicher Korrektur nur mehr dort zugänglich ist, wo das kantonale Gericht sein Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt hat, also bei Ermessensüberschreitung oder -unterschreitung sowie bei Ermessensmissbrauch. Ermessensmissbrauch ist gegeben, wenn die Behörde zwar im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens bleibt, sich aber von unsachlichen, dem Zweck der massgebenden Vorschriften fremden Erwägungen leiten lässt, oder allgemeine Rechtsprinzipien, wie das Verbot von Willkür und von rechtsungleicher Behandlung, das Gebot von Treu und Glauben sowie den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verletzt (BGE 143 V 369 E. 5.4.1 mit Hinweisen).  
 
3.3. Im Gegensatz zur Kognition des Bundesgerichts ist diejenige der Vorinstanz in diesem Zusammenhang nicht auf Rechtsverletzung beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf die Beurteilung der Angemessenheit der Verwaltungsverfügung. Bei der Angemessenheit geht es um die Frage, ob der zu überprüfende Entscheid, den die Behörde nach dem ihr zustehenden Ermessen im Einklang mit den allgemeinen Rechtsprinzipien in einem konkreten Fall getroffen hat, nicht zweckmässigerweise anders hätte ausfallen sollen. Allerdings darf das kantonale Gericht sein Ermessen nicht ohne triftigen Grund an die Stelle desjenigen der Verwaltung setzen; es muss sich somit auf Gegebenheiten abstützen können, die seine abweichende Ermessensausübung als naheliegender erscheinen lassen (BGE 137 V 71 E. 5.2; 126 V 75 E. 6; Urteil 8C_747/2018 vom 20. März 2019 E. 4.3).  
 
4.  
 
4.1. Mit dem vorinstanzlichen Urteil steht unbestritten fest, dass der Beschwerdegegner den Nachweis seiner im Oktober 2020 getätigten Arbeitsbemühungen nicht fristgerecht innert der Kontrollperiode (Art. 26 Abs. 2 Satz 1 AVIV) eingereicht hatte. Der Nachweis ging dem AWA erst am 17. Dezember 2020 mit der Einsprache gegen die Einstellungsverfügung vom 15. Dezember 2020 zu.  
 
4.2. Nach Ansicht des kantonalen Gerichts hat das AWA mit 5 Einstelltagen den konkreten Umständen zu wenig Rechnung getragen und das Verschulden des Beschwerdegegners nicht angemessen berücksichtigt. Der Beschwerdegegner habe namentlich seit seiner Anmeldung am 5. März 2020 die erforderlichen Arbeitsbemühungen stets tadellos erbracht und ihm habe nie ein Fehlverhalten vorgeworfen werden können. Die zwölf aufgeführten Arbeitsbemühungen für den Monat Oktober 2020 seien zudem als qualitativ und quantitativ genügend qualifiziert worden. Schliesslich sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Beschwerdegegner die Frist zur Einreichung des Nachweises nicht absichtlich versäumt habe, sondern lediglich deshalb, weil er nicht sichergestellt habe, dass die Zustellung des Nachweises (mittels einer E-Mail vom 2. November 2020) erfolgreich gewesen sei. Zu erwähnen sei, dass die Datenmenge dieser nicht zugestellten E-Mail wohl nur deshalb zu gross für eine Zustellung gewesen sei, weil das RAV verlangt habe, mit den Arbeitsbemühungen vom Oktober 2020 ebenfalls jene von August und September 2020 einzureichen. Da das Verschulden als sehr gering bezeichnet werden müsse und angesichts des Zwecks der verwaltungsrechtlichen Sanktion entspreche die Einstellung in der Anspruchsberechtigung von 5 Tagen nicht dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit. Die Anspruchseinstellung sei auf 2 Tage herabzusetzen.  
 
5.  
 
5.1. Die Rechtsfolge eines verspätet erbrachten Nachweises über die Arbeitsbemühungen ist in Art. 26 Abs. 2 Satz 2 AVIV geregelt: Die Arbeitsbemühungen werden nicht mehr berücksichtigt, wenn die versicherte Person die Frist verstreichen lässt und keinen entschuldbaren Grund geltend macht. Nach der Rechtsprechung kann die Einstellung des Anspruchs auf Arbeitslosenentschädigung ohne Nachweis eines triftigen Grundes ausgesprochen werden, wenn die Beweise nicht innerhalb der Frist von Art. 26 Abs. 2 AVIV erbracht werden, ohne dass hierfür eine Nachfrist gesetzt werden müsste. Dabei ist es unerheblich, ob die Beweise später, zum Beispiel im Einspracheverfahren, vorgelegt werden (vgl. BGE 145 V 90 E. 3.1; 139 V 164 E. 3.3; Urteile 8C_683/2021 vom 13. Juli 2022 E. 3.3.2 und 8C_675/2018 vom 31. Oktober 2019 E. 2.2).  
 
5.2.  
 
5.2.1. Das AWA hatte im Einspracheentscheid die Einstellung in der Anspruchsberechtigung "unter Berücksichtigung des individuellen Verschuldensgrades und der konkreten Umstände des Einzelfalls", namentlich weil der Beschwerdegegner seit seiner Anmeldung per 15. März 2020 die erforderlichen Arbeitsbemühungen stets tadellos erbracht habe und ihm nie ein Fehlverhalten habe vorgeworfen werden können, auf 5 Tage gesenkt. Diese Festsetzung ist, nicht zuletzt unter Berücksichtigung der AVIG-Praxis ALE des SECO und angesichts der Vorgaben des Art. 45 Abs. 3 AVIV (E. 3.1.2 hiervor), nachvollziehbar.  
 
5.2.2. Die Vorinstanz begründete die Reduktion der Einstelldauer auf 2 Tage im Wesentlichen mit den gleichen Motiven wie das AWA. Sie strich dabei insbesondere hervor, dass sich der Beschwerdegegner zuvor noch kein Fehlverhalten zuschulden habe kommen lassen. Diesem Umstand wird allerdings mit den im Einstellraster des SECO vorgeschlagenen 5-9 Einstelltagen bei erstmals zu spät eingereichtem Nachweis der Arbeitsbemühungen gemäss AVIG-Praxis ALE bereits Rechnung getragen. Gegebenheiten, die ihre abweichende Ermessensausübung als naheliegender erscheinen lassen würden, nannte sie nicht. Der Verwaltung kommt bei der Sanktionszumessung ein Ermessensspielraum zu, den die richterliche Beschwerdeinstanz grundsätzlich zu respektieren hat, falls ein Eingreifen nicht aus triftigen Gründen angezeigt ist (vgl E. 3.3 hiervor; Urteil 8C_297/2022 vom 15. Februar 2023 E. 5.3 mit Hinweisen; siehe ferner KUPFER BUCHER, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum AVIG, 5. Aufl. 2019, S. 239 f.). Ohne entschuldbaren Grund sind verspätet eingereichte Nachweise zudem nicht mehr inhaltlich daraufhin zu prüfen, wie die Arbeitsbemühungen in quantitativer und qualitativer Hinsicht zu beurteilen wären. Nach Ablauf der Kontrollfrist eingereichte Nachweise über allfällig getätigte Arbeitsbemühungen bleiben diesfalls unbeachtlich (vgl. E. 5.1 hiervor). Der Umstand, dass das kantonale Gericht trotz allem eine materielle Prüfung der Unterlagen vornahm, verletzt die in Art. 26 Abs. 2 AVIV enthaltenen Vorgaben des Bundesrechts. Aus welchem Grund die Einstelldauer von 5 Tagen im Widerspruch zum Verhältnismässigkeitsgrundsatz stehen soll, geht schliesslich aus den vorinstanzlichen Erwägungen nicht hervor.  
 
5.3. Zusammenfassend hätte das kantonale Gericht bei korrekter Anwendung des Bundesrechts keinen Anlass für eine weitere Reduktion der Einstelldauer auf 2 Tage gehabt. Entsprechend ist die Beschwerde gutzuheissen und das angefochtene Urteil in Bestätigung des Einspracheentscheids des AWA aufzuheben.  
 
6.  
Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdegegner auferlegt (Art. 65 Abs. 4 lit. a in Verbindung mit Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Das AWA, welches in seinem amtlichen Wirkungskreis obsiegt, hat keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug vom 13. Oktober 2022 wird aufgehoben und der Einspracheentscheid des Amtes für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zug vom 19. Januar 2021 wird bestätigt. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 18. Juli 2023 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Die Gerichtsschreiberin: Berger Götz