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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
9C_432/2010 
 
Urteil vom 8. Juli 2010 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Kernen, Seiler, 
Gerichtsschreiber Fessler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
B.________, vertreten durch 
Rechtsanwältin Lotti Sigg Bonazzi, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Lagerhausstrasse 19, 8400 Winterthur, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (vorinstanzliches Verfahren, unentgeltliche Rechtspflege), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 15. April 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Mit Verfügung vom 31. März 2008 verneinte die IV-Stelle des Kantons Zürich den Anspruch des 1953 geborenen B.________ auf eine Rente der Invalidenversicherung. 
 
B. 
B.________ erhob beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich Beschwerde und beantragte die Zusprechung einer Invalidenrente. Nach Vernehmlassung der IV-Stelle liess er, nunmehr anwaltlich vertreten, sein Rechtsbegehren präzisieren und ergänzen sowie um Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung ersuchen. 
 
Mit einzelrichterlicher Verfügung vom 15. April 2010 wies das kantonale Sozialversicherungsgericht das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege mangels Bedürftigkeit ab. 
 
C. 
B.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 15. April 2010 sei aufzuheben und ihm die unentgeltliche Rechtspflege für das Verfahren vor dem kantonalen Sozialversicherungsgericht zu bewilligen. 
 
Die Vorinstanz verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Bei der angefochtenen Verfügung, welche die unentgeltliche Rechtspflege für das beim kantonalen Sozialversicherungsgericht hängige Verfahren betreffend den Anspruch des Beschwerdeführers auf eine Rente der Invalidenversicherung verweigert, handelt es sich um einen selbständig eröffneten Zwischenentscheid einer letzten kantonalen Instanz (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG), der einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 BGG; SVR 2009 UV Nr. 12, 8C_530/2008, E. 2). Auf die auch den übrigen formellen Gültigkeitserfordernissen genügende Beschwerde ist daher einzutreten. 
 
2. 
Nach Art. 61 lit. f ATSG muss im Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht das Recht, sich verbeiständen zu lassen, gewährleistet sein. Wo die Verhältnisse es rechtfertigen, wird der Beschwerde führenden Person ein unentgeltlicher Rechtsbeistand bewilligt. 
 
Nach der Rechtsprechung sind die Voraussetzungen für die Bewilligung der unentgeltlichen Verbeiständung im kantonalen Verfahren in Sozialversicherungsangelegenheiten erfüllt, wenn der Prozess nicht aussichtslos erscheint, die Partei bedürftig und die anwaltliche Verbeiständung notwendig oder doch geboten ist (Urteil 8C_679/2009 vom 22. Februar 2010 E. 1 mit Hinweis). 
 
3. 
Die Vorinstanz hat die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege mangels Bedürftigkeit verweigert. Aufgrund der finanziellen Verhältnisse des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau gemäss Steuererklärung 2007, ausweisend ein steuerbares Vermögen in der Höhe von Fr. 669'842.- und den Angaben im "Formular zur Abklärung der prozessualen Bedürftigkeit" sei nicht ersichtlich, weshalb er nicht in der Lage sein sollte, die Prozesskosten zu bestreiten. Zumindest dürfte er über genügend Vermögenswerte verfügen, mit denen innert nützlicher Frist hinreichend Liquidität zur Tilgung der Prozesskosten erhältlich gemacht werden könne. 
 
4. 
Der Beschwerdeführer bringt vor, die von der Vorinstanz berücksichtigte Liegenschaft und die unverteilte Erbschaft seien alleiniges Eigentum seiner Ehefrau. Diese Vermögenswerte hätten bei der Berechnung des prozessualen Notbedarfs ausser Acht zu bleiben. Seine Ehefrau, von welcher er aufgrund der Verfügung des Eheschutzgerichts vom 21. Oktober 2009 getrennt lebe, sei nicht bereit, einen freiwilligen Beitrag an die Prozesskosten zu leisten. Sodann habe die Vorinstanz aufgrund der schlechten Einkommensverhältnisse beider Ehegatten nicht ohne weiteres davon ausgehen dürfen, die Liegenschaft sei hypothekarisch weiter belastbar. Schliesslich sei beiden Parteien im Eheschutzverfahren trotz des vorhandenen Vermögens der Ehefrau die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt worden, was ein gewichtiges Indiz für seine Bedürftigkeit sei. Die vorinstanzliche Ablehnung der Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege beruhe auf einem infolge Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes nach Art. 61 lit. c ATSG ungenügend abgeklärten Sachverhalt. 
 
5. 
5.1 Bei der Beurteilung der prozessualen Bedürftigkeit sind das Einkommen und das Vermögen beider Ehegatten zu berücksichtigen (Urteil 9C_48/2010 vom 9. Juni 2010 E. 7.2.1 mit Hinweisen; SVR 2009 UV Nr. 12, 8C_530/2008, E. 4.1). Die familienrechtliche Verpflichtung des Ehegatten zur Bevorschussung von Prozesskosten geht der unentgeltlichen Rechtspflege grundsätzlich vor (BGE 119 Ia 11 E. 3a S. 12; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 491/02 vom 10. Februar 2003 E. 3.2.1; Alfred Bühler, Betreibungs- und prozessrechtliches Existenzminimum, in: AJP 2002 S. 644 ff., 658; vgl. auch BGE 127 I 202 E. 3b S. 205 mit Hinweisen). 
5.2 
5.2.1 Die familienrechtliche Verpflichtung zur Bevorschussung von Prozesskosten des anderen Ehegatten gilt grundsätzlich auch bei Getrenntleben. In einem solchen Fall ist jedoch eine Einzelrechnung vorzunehmen und zunächst nur das Einkommen und das Vermögen der Gesuch stellenden Person selbst sowie deren eigener Bedarf zu berücksichtigen. Nötigenfalls ist jener Anteil des Einkommens oder Vermögens des anderen Ehegatten hinzuzurechnen, den dieser entbehren kann, ohne selber prozessarm zu werden (Alfred Bühler, Die Prozessarmut, in: Gerichtskosten, Parteikosten, Prozesskaution, unentgeltliche Prozessführung [und Modelle zur Beschränkung ihrer Kosten], 2001, S. 143 f. mit Hinweisen; vgl. auch Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 713/01 vom 22. April 2002 E. 3b). 
5.2.2 Bei den finanziellen Verhältnissen der Gesuch stellenden Person ist ein allfälliger - vom Sozialversicherungsgericht grundsätzlich nicht selbständig zu prüfender (Heinz Hausheer und andere, Berner Kommentar, 2. Aufl. 1999, N. 38 zu Art. 159 ZGB sowie N.15 und 15a zu Art. 163 ZGB) - Unterhaltsanspruch gegenüber dem getrennt lebenden Ehegatten zu berücksichtigen. Hängt die prozessuale Bedürftigkeit vom Bestehen und der Höhe des Unterhaltsanspruchs ab, bieten sich die folgenden Vorgehensweisen an: Das Verfahren betreffend unentgeltliche Rechtspflege und allenfalls auch im materiell streitigen Punkt kann sistiert und der Gesuch stellenden Person Frist zur Anhebung des eherechtlichen Verfahrens betreffend Unterhalt angesetzt werden. Möglich ist auch, die unentgeltliche Rechtspflege unter der Bedingung der Einleitung eines Eheschutzverfahrens zwecks Festsetzung des vom anderen Ehegatten zu erbringenden Prozesskostenvorschusses zu gewähren und deren rückwirkenden Widerruf nach rechtskräftiger Erledigung des Verfahrens oder bei Verletzung der diesbezüglichen Meldepflicht vorzubehalten (Bühler, a.a.O., S. 145). In jedem Fall hat das Sozialversicherungsgericht einen bereits gefällten Entscheid der zuständigen eherechtlichen Instanz zu berücksichtigen (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 491/02 vom 10. Februar 2003 E. 3.2.2). Schliesslich kann die unentgeltliche Rechtspflege bei Nachweis, dass der entsprechende Unterhaltsbeitrag vom anderen Ehegatten nicht erhältlich zu machen ist, bewilligt werden (Hausheer und andere, a.a.O., N. 15a zu Art. 163 ZGB; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 713/01 vom 22. April 2002 E. 3d). 
 
5.3 In der Steuererklärung des Ehepaares für das Jahr 2007 wurden beim Vermögen u.a. ein Anteil an einer unverteilten Erbschaft (Fr. 275'000.-) und eine Liegenschaft (Fr. 641'000.-) angegeben. Weder die Tatsache, dass die Ehegatten bei Einreichung des Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege gerichtlich getrennt waren und seit 1. April 2010 nicht mehr im selben Haushalt leben, noch der Umstand, dass diese Vermögenswerte zum Eigengut seiner Ehegattin gehören, schliessen deren allfällige Berücksichtigung bei der Beurteilung der prozessualen Bedürftigkeit des Beschwerdeführers aus. Jedoch ist eine getrennte Berechnung des Notbedarfs vorzunehmen, wobei die familienrechtlichen Unterstützungsleistungen zu berücksichtigen sind. Gemäss der Verfügung des Eheschutzgerichts vom 21. Oktober 2009 hat der Beschwerdeführer spätestens ab 1. April 2010 für die beiden jüngeren Kinder Unterhaltsbeiträge von monatlich je Fr. 575.- zu bezahlen. Die Verfügung enthält aber - naturgemäss - nur eine provisorische Zuteilung von Vermögensgegenständen und sagt nichts darüber, inwieweit die Ehefrau verpflichtet ist, aus ihrem Vermögen den Ehemann im Rentenstreit zu unterstützen. Unter diesen Umständen durfte die Vorinstanz die prozessuale Bedürftigkeit nicht ohne weiteres verneinen, sondern hätte in einer der in E. 5.2.2 genannten Weisen vorgehen müssen. Die Sache ist daher zu diesem Zweck und allenfalls zur Prüfung der übrigen Anspruchsvoraussetzungen an das kantonale Gericht zurückzuweisen. 
 
6. 
Die unterliegende Vorinstanz resp. der Kanton Zürich hat keine Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 4 BGG), jedoch dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG). Dessen Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das Verfahren vor dem Bundesgericht ist demzufolge gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Dispositiv-Ziffer 1 der Verfügung des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 15. April 2010 wird aufgehoben. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie über den Anspruch des Beschwerdeführers auf unentgeltliche Rechtspflege für das bei ihr hängige Verfahren betreffend eine Rente der Invalidenversicherung neu entscheide. 
 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3. 
Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.- zu entschädigen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der IV-Stelle des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 8. Juli 2010 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Meyer Fessler