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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_459/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 14. November 2017  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Fonjallaz, Kneubühler, 
Gerichtsschreiber Mattle. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Till Gontersweiler, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich, 
Weststrasse 70, Postfach 9717, 8036 Zürich. 
 
Gegenstand 
Aufhebung von Ersatzmassnahmen (Pass- und Schriftensperre), 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 20. September 2017 (UB170107). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich führt gegen A.________ eine Strafuntersuchung wegen Veruntreuung etc. Im Hinblick auf die bevorstehende Entlassung von A.________ aus der Untersuchungshaft ordnete das Zwangsmassnahmengericht des Bezirks Zürich am 5. Mai 2017 Ersatzmassnahmen an, namentlich Kontaktverbote, eine Ausweis- und Schriftensperre sowie die Auflage, sich regelmässig bei einer Amtsstelle zu melden. Am 10. Mai 2017 wurde A.________ aus der Untersuchungshaft entlassen. 
 
B.   
Am 17. Juli 2017 ersuchte A.________ um Aufhebung der Ausweis- und Schriftensperre sowie der Auflage der Meldepflicht. Mit Verfügung vom 26. Juli 2017 hiess das Zwangsmassnahmengericht des Bezirks Zürich das Gesuch von A.________ insoweit gut, als es die Auflage der Meldepflicht aufhob. Hingegen wies es das Gesuch um Aufhebung der Ausweis- und Schriftensperre ab. 
Gegen die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 26. Juli 2017 erhob A.________ Beschwerde ans Obergericht des Kantons Zürich mit dem Antrag, die Ausweis- und Schriftensperre sei aufzuheben. Mit Beschluss vom 20. September 2017 wies die III. Strafkammer des Obergerichts die Beschwerde ab. 
 
C.   
Gegen den Beschluss des Obergerichts vom 20. September 2017 hat A.________ am 25. Oktober 2017 Beschwerde ans Bundesgericht erhoben. Er beantragt, der angefochtene Beschluss und die Pass- und Schriftensperre seien aufzuheben. Die Staatsanwaltschaft und die Vorinstanz haben auf Vernehmlassung verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Der angefochtene Entscheid des Obergerichts ist ein kantonal letztinstanzlicher Zwischenentscheid, der geeignet ist, einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil zu bewirken. Gegen ihn steht grundsätzlich die Beschwerde in Strafsachen offen (vgl. Art. 78 Abs. 1, Art. 80 Abs. 1 und 2 sowie Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). Der Beschwerdeführer, der im Strafverfahren beschuldigt wird und dessen Gesuch um Aufhebung der Ausweis- und Schriftensperre abgewiesen wurde, ist zur Beschwerde befugt (Art. 81 Abs. 1 BGG). Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde in Strafsachen einzutreten. 
Streitgegenstand im bundesgerichtlichen Verfahren bildet nur die verweigerte Aufhebung der Ausweis- und Schriftensperre, zumal das Zwangsmassnahmengericht die Auflage der Meldepflicht aufgehoben hat und der Beschwerdeführer - wie schon vor der Vorinstanz - nicht um eine Aufhebung der verfügten Kontaktverbote ersucht. 
 
2.   
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 197 i.V.m. Art. 221 und Art. 237 Abs. 1 und 2 StPO
 
2.1. Zwangsmassnahmen sind Verfahrenshandlungen der Strafbehörden, die in die Grundrechte der Betroffenen eingreifen und dazu dienen, Beweise zu sichern, die Anwesenheit von Personen im Verfahren sicherzustellen und die Vollstreckung des Endentscheids zu gewährleisten (Art. 196 StPO). Zwangsmassnahmen können nur ergriffen werden, wenn sie gesetzlich vorgesehen sind, wenn ein hinreichender Tatverdacht vorliegt und wenn sie verhältnismässig sind (Art. 197 Abs. 1 StPO sowie Art. 10 Abs. 2 i.V.m. Art. 36 BV).  
 
2.2. Untersuchungs- und Sicherheitshaft sind unter anderem zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie sich durch Flucht dem Strafverfahren oder der zu erwartenden Sanktion entzieht (Art. 221 Abs. 1 lit. a StPO). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes darf die Schwere der drohenden Sanktion zwar als ein Indiz für Fluchtgefahr gewertet werden. Sie genügt jedoch für sich allein nicht, um einen Haftgrund zu bejahen. Vielmehr müssen die konkreten Umstände des betreffenden Falles, insbesondere die gesamten Lebensverhältnisse der beschuldigten Person, in Betracht gezogen werden (BGE 125 I 60 E. 3a S. 62; 117 Ia 69 E. 4a S. 70, je mit Hinweisen; Urteil 1B_322/2017 vom 24. August 2017 E. 3.1).  
Gemäss Art. 237 Abs. 1 bzw. Art. 212 Abs. 2 lit. c StPO ordnet das zuständige Gericht anstelle der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft eine oder mehrere mildere Massnahmen an, wenn sie den gleichen Zweck wie die Haft erfüllen. Als mögliche Ersatzmassnahme kommt unter anderem eine Ausweis- und Schriftensperre (Art. 237 Abs. 2 lit. b StPO) in Frage. Zwar sind Ersatzmassnahmen bei ausgeprägter Fluchtgefahr regelmässig nicht ausreichend. Sie können aber geeignet sein, einer gewissen (niederschwelligen) Fluchtneigung ausreichend Rechnung zu tragen (vgl. Urteil 1B_322/2017 vom 24. August 2017 E. 3.1 mit Hinweisen). Nach der bundesgerichtlichen Praxis ist bei blossen Ersatzmassnahmen für Haft grundsätzlich ein weniger strenger Massstab an die erforderliche Intensität des besonderen Haftgrunds der Fluchtgefahr anzulegen als bei strafprozessualem Freiheitsentzug (BGE 133 I 27 E. 3.3 S. 31; Urteil 1B_64/2016 vom 10. Mai 2016 E. 4.3). 
 
2.3. Die Auslegung und die Anwendung der in der StPO geregelten Voraussetzungen für Grundrechtsbeschränkungen prüft das Bundesgericht mit freier Kognition (Art. 95 lit. a BGG). Die nach Art. 98 BGG vorgeschriebene Beschränkung der Rügegründe ist auf strafprozessuale Zwangsmassnahmen nicht anwendbar (BGE 140 IV 57 E. 2.2 S. 60; 138 IV 186 E. 1.2 S. 189; 137 IV 122 E. 2 S. 125; 340 E. 2.4 S. 346). Dies gilt auch für eine Ausweis- und Schriftensperre nach Art. 237 Abs. 2 lit. b StPO (vgl. Urteil 1B_64/2016 vom 10. Mai 2016 E. 4.4). Soweit jedoch reine Sachverhaltsfragen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
3.   
Die Vorinstanz bestätigte die gegenüber dem Beschwerdeführer angeordnete Ausweis- und Schriftensperre und begründete dies damit, dass ein dringender Tatverdacht vorliege, eine gewisse Fluchtgefahr bestehe und die angeordnete Massnahme verhältnismässig sei. Der Beschwerdeführer bestreitet das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts nicht. Er macht jedoch geltend, es liege keine Fluchtgefahr vor, sowie sinngemäss, die angeordnete Massnahme sei nicht verhältnismässig. 
 
3.1. Die Vorinstanz hat im angefochtenen Entscheid ausführlich dargelegt, welche Elemente vorliegend für und welche gegen Fluchtgefahr sprechen. Dagegen sprechen würden die familiären Verhältnisse des Beschwerdeführers, dass er Schweizer Bürger sei, dass sich sein Lebensmittelpunkt in der Schweiz befinde, dass er nicht über ausreichende Fremdsprachenkenntnisse verfügen solle und dass er bislang im Strafverfahren offenbar sämtlichen Anordnungen und insbesondere der mittlerweile aufgehobenen Meldepflicht nachgekommen sei. Die Wohn- und Arbeitssituation des Beschwerdeführers könne nicht als derart bezeichnet werden, dass sie ihn von einer allfälligen Flucht abhalten würde, zumal er angegeben habe, auf Probe zu arbeiten, er mit einem Paar in einer Wohngemeinschaft wohne und am Wohnort erst seit kurzem angemeldet sei. Für die Annahme von Fluchtgefahr spreche zunächst der Umstand, dass der Beschwerdeführer mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe sowie mit Schadenersatzforderungen zu rechnen habe. Zudem habe der Beschwerdeführer im Juni 2016 (noch vor seiner Verhaftung) einen Chat mit einer Frau geführt, welcher zeige, dass er grundsätzlich die Bereitschaft habe, sich abzusetzen, wenn er denn die Möglichkeit dazu hätte. Schliesslich seien die finanziellen Verhältnisse des Beschwerdeführers unklar, nachdem er im Jahr 2014 BVG-Gelder in der Höhe von fast Fr. 500'000.-- bezogen habe, sodass es möglich erscheine, dass er die notwendigen Mittel besitze, um sich ins Ausland abzusetzen.  
 
3.2. Der Beschwerdeführer wendet ein, dass er erst seit kurzem bei einem Temporärbüro arbeite und in einer Wohngemeinschaft wohne, spreche gegen Fluchtgefahr, weil er sich nicht wünsche, in Kürze schon wieder auf Arbeits- und Wohnungssuche zu sein. Die schlimmstenfalls mögliche Freiheitsstrafe stelle für ihn kein derart erschreckendes Szenario dar, dass er deswegen an eine Flucht denken würde. Sodann könne aus dem angesprochenen Chat nicht auf eine Bereitschaft für eine mögliche Flucht geschlossen werden. Weiter sei - auch wenn man den Ausführungen der Vorinstanz folge - klar, dass ein grosser Teil der bezogenen BVG-Gelder verbraucht sei. Selbst falls er noch über einen fünf- oder gar sechsstelligen Betrag verfügen würde, würde dies Fluchtgefahr nicht nahelegen.  
Der Umstand, dass die Vorinstanz die Wohn- und Arbeitssituation des Beschwerdeführers als nicht gegen die Annahme von Fluchtgefahr sprechend eingeschätzt hat, ist nicht zu beanstanden. Die weiteren Einwände des Beschwerdeführers mögen untermauern, dass insgesamt keine ausgeprägte Fluchtgefahr besteht, welche die Anordnung von Untersuchungshaft rechtfertigen würde. Sie ändern indessen nichts daran, dass die Vorinstanz die für und gegen Fluchtgefahr sprechenden Elemente überzeugend dargelegt hat und zu Recht zum Schluss gekommen ist, es sei jedenfalls von einer gewissen Fluchtgefahr bzw. von einer niederschwelligen Fluchtneigung auszugehen. Es kann hierzu auf die vorinstanzlichen Erwägungen zum Chat-Austausch über ein "abtauchen in ein Paradies" (E. 5.4 des angefochtenen Entscheids) und zur Verwendung der bezogenen ca. Fr. 500'000.-- (E. 5.5 des angefochtenen Entscheids) verwiesen werden (Art. 109 Abs. 2 und 3 BGG). 
 
3.3. Die angeordnete Ausweis- und Schriftensperre ist unter den gegebenen Umständen geeignet, die Wahrscheinlichkeit einer Flucht zu verringern. Mögliche mildere Massnahmen, die den gleichen Zweck erfüllen könnten, sind nicht ersichtlich. Zudem ist die Ausweis- und Schriftensperre angesichts der Bedeutung der Straftat gerechtfertigt und dem Beschwerdeführer zumutbar. Daran ändern die Einwände des Beschwerdeführers nichts, die angeordnete Massnahme entfalte eine mentale Blockade bzw. ein Gefühl, eingesperrt zu sein.  
 
4.   
Die Beschwerde erweist sich als offensichtlich unbegründet. Sie ist im Verfahren nach Art. 109 BGG abzuweisen. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege inklusive unentgeltliche Verbeiständung im Verfahren vor Bundesgericht ist wegen Aussichtslosigkeit abzuweisen (vgl. Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Indessen kann auf eine Kostenauflage verzichtet werden (vgl. Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege inklusive unentgeltliche Verbeiständung wird abgewiesen. 
 
3.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
4.   
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 14. November 2017 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Mattle