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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
1C_144/2014  
   
   
 
 
 
Urteil vom 28. Oktober 2014  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident, 
Bundesrichter Aemisegger, Merkli, 
Gerichtsschreiberin Gerber. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________ GmbH, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Fürsprecher Guy Emmenegger, 
 
gegen  
 
1. B.________ 
2. C.________, 
3. D.________, 
4. E.________, 
Beschwerdegegner, 
alle vier vertreten durch Fürsprecher Hans Horlacher, 
 
Einwohnergemeinde Lauterbrunnen, handelnd durch die Baupolizeibehörde, Gemeindeverwaltung, Gemeindehaus Adler, 3822 Lauterbrunnen,  
Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern, Rechtsamt, Reiterstrasse 11, 3011 Bern.  
 
Gegenstand 
Baubewilligung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 10. Februar 2014 des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die A.________ GmbH reichte am 8. Juni 2011 ein Baugesuch ein für das Verschieben der bestehenden Scheune und den Neubau eines Mehrfamilienhauses auf dem in der Wohn- und Gewerbezone WG2 liegenden Grundstück Lauterbrunnen Gbbl. Nr. 6299 in Mürren. Die Scheune ist als erhaltenswertes Baudenkmal im Bauinventar der Einwohnergemeinde Lauterbrunnen verzeichnet. Gegen das Projekt erhoben unter anderen B.________, C.________, D.________ und E.________ Einsprache (im Folgenden: die Einsprecher). Mit Gesamtentscheid vom 20. Juli 2012 bewilligte das Regierungsstatthalteramt Interlaken-Oberhasli das Vorhaben und wies die Einsprachen ab. 
 
B.   
Dagegen reichten die Einsprecher am 21. August 2012 Beschwerde bei der Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern (BVE) ein. Diese wies die Beschwerde am 25. Oktober 2012 ab, soweit darauf einzutreten war. 
 
C.   
Gegen diesen Entscheid führten die Einsprecher am 26. November 2012 Beschwerde an das Verwaltungsgericht Bern. 
Das Verfahren wurde bis zum Vorliegen der Grundsatzurteile des Bundesgerichts zur Anwendbarkeit des am 11. März 2012 in Kraft getretenen Art. 75b BV betreffend Zweitwohnungen sistiert und am 18. Juli 2013 wieder aufgenommen. 
Am 10. Februar 2014 hiess das Verwaltungsgericht die Beschwerde gut, soweit es darauf eintrat, hob den Entscheid der BVE auf und verweigerte die Baubewilligung. 
 
D.   
Dagegen hat die A.________ GmbH am 17. März 2014 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht erhoben. Sie beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und es sei ihr die Baubewilligung gemäss Baugesuch vom 8. Juni 2011 zu erteilen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen. 
 
E.   
Die Beschwerdegegner beantragen, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Die BVE schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) kommt in seiner Vernehmlassung zum Ergebnis, das Verwaltungsgericht habe die Baubewilligung zu Recht verweigert. 
 
F.  
Im weiteren Schriftenwechsel halten die Parteien an ihren Anträgen fest. 
 
 
Erwägungen:  
 
 
1.   
Gegen den kantonal letztinstanzlichen Endentscheid des Verwaltungsgerichts steht grundsätzlich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht offen (Art. 82 lit. a, 86 Abs. 1 lit. d und 90 BGG). Die Beschwerdeführerin ist als Baugesuchstellerin zur Beschwerde legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG). Auf die rechtzeitig erhobene Beschwerde (Art. 100 Abs. 1 BGG) ist daher einzutreten. 
 
2.   
Das Verwaltungsgericht ging, in Übereinstimmung mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 139 II 243 E. 9 ff. S. 249 ff.), davon aus, dass Art. 75b Abs. 1 BV seit seinem Inkrafttreten am 11. März 2012 anwendbar ist und ein Baubewilligungsverbot für Zweitwohnungen in Gemeinden wie Lauterbrunnen enthält, in denen der 20 %-Zweitwohnungsanteil bereits überschritten ist (vgl. Anhang zur Verordnung über Zweitwohnungen vom 22. August 2012, Gemeinde Nr. 584 [ZwV; SR 702]). Das Verwaltungsgericht hielt fest, dass die Beschwerdeführerin weiterhin klassische Zweitwohnungen erstellen wolle, was nicht mehr zulässig sei. 
Die Beschwerdeführerin beanstandet zunächst die bundesgerichtliche Rechtsprechung, wonach die neue Verfassungsbestimmung auch auf am 11. März 2012 bereits hängige Baugesuche Anwendung finde, soweit nicht besondere Gründe des Vertrauensschutzes oder eine Rechtsverzögerung vorliegen (vgl. dazu unten, E. 3 und 4). Es hänge oft vom Zufall ab, ob ein Baugesuch noch vor oder erst nach dem 11. März 2012 bewilligt worden sei. Zumindest bei radikalen und für den Bürger unvorhersehbaren Rechtsänderungen wie der Zweitwohnungsinitiative gebiete der Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 9 BV) und die Rechtssicherheit eine Übergangsregelung für Baugesuche, die unter der Geltung des alten Rechts gestellt wurden. 
Im Urteil BGE 139 II 263 E. 6 f. S. 267 ff. hat sich das Bundesgericht ausführlich mit dem zeitlichen Anwendungsbereich der neuen Verfassungsbestimmung befasst, unter Berücksichtigung des Prinzips des Vertrauensschutzes und des öffentlichen Interesses an der Anwendung des neuen Rechts. Darauf ist nicht zurückzukommen. Selbst wenn auf den Zeitpunkt der Gesuchstellung abgestellt würde, wie es der Beschwerdeführerin vorschwebt, könnte es von Zufälligkeiten abhängen, ob ein Baugesuch gerade noch rechtzeitig deponiert wird oder bereits unter das neue Recht fällt, mit der Folge, dass sich die Projektierungskosten als nutzlos erweisen. Im Übrigen bewirkt Art. 75b BV kein Bauverbot, wird doch lediglich die Errichtung von Zweitwohnungen beschränkt; Erstwohnungen sowie Gewerbebauten dürfen weiterhin errichtet werden. 
 
3.   
Vorliegend sind keine besonderen Gründe des Vertrauensschutzes erkennbar, die nach Treu und Glauben (Art. 9 BV) berücksichtigt werden müssten. Hierfür kann auf die zutreffenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts verwiesen werden (E. 4). Die dagegen vorgebrachten Einwände der Beschwerdeführerin sind unbehelflich: 
Zwar geht die Projektierung des Bauvorhabens auf das Jahr 2004 zurück; das damalige Baugesuch für drei Mehrfamilienhäuser wurde jedoch (nach Erlass einer Planungszone für einen Teil der Bauparzelle durch den Gemeinderat Lauterbrunnen) zurückgezogen und ein neues Baugesuch für zwei Mehrfamilienhäuser eingereicht, welches am 22. Juni 2006 bewilligt wurde. Damals verzichtete die Beschwerdeführerin somit selbst auf die Realisierung des dritten Mehrfamilienhauses, mit der Folge, dass die dafür aufgewendeten Projektierungskosten vergebens waren. 
Ein neues Baugesuch für das dritte Mehrfamilienhaus wurde erst am 8. Juni 2011 eingereicht. Dieses Datum liegt zwar kurz vor dem Beschluss der Bundesversammlung vom 17. Juni 2011, mit der die Initiative "Schluss mit uferlosem Bau von Zweitwohnungen" zur Ablehnung empfohlen wurde, aber erhebliche Zeit nach der Publikation des Zustandekommens der Volksinitiative im Bundesblatt vom 18. Januar 2008 (BBl 2008 1113). Insofern musste die Beschwerdeführerin damals bereits mit der Möglichkeit der Annahme der Initiative rechnen. 
Dass die kantonalen Amtsstellen auch nach dem Abstimmungstermin noch davon ausgingen, dass Art. 75b BV nicht unmittelbar anwendbar sei bzw. keine Anwendung auf hängige Baugesuche finde, und das Baubewilligungsverfahren daher nicht sistierten, spielt keine Rolle: Zum einen ist nicht ersichtlich, inwiefern sich die Beschwerdeführerin auf diese Rechtsauffassung verlassen durfte; zum anderen belegt sie auch nicht, welche erheblichen Dispositionen sie im Vertrauen darauf getätigt hat. 
 
4.   
Schliesslich verneinte das Verwaltungsgericht auch das Vorliegen einer Rechtsverzögerung bei der Behandlung des Baugesuchs durch die zuständige Behörde, die es rechtfertigen würde, noch auf das alte, der Bauherrschaft günstigere Recht abzustellen (BGE 139 II 263 E. 8.2 S. 269). Die diesbezüglichen Erwägungen (E. 5) sind aus bundesrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. 
Insbesondere lässt sich aus der Absage des ursprünglich vereinbarten Bereinigungsgesprächs vom 22. Dezember 2011 infolge einer Terminkollision und der Neuansetzung des Termins auf den 14. Februar 2012 nichts zugunsten der Beschwerdeführerin ableiten. Wie das Verwaltungsgericht festhielt, handelte es sich um eine freiwillige Dienstleistung des Regierungsstatthalteramts. Dass Termine mit mehreren Teilnehmern vor allem am Jahresende, in der Vorweihnachtszeit, kurzfristig verschoben werden müssen, gehört zum normalen und vorhersehbaren Lauf der Dinge. Die Beschwerdeführerin nahm dieses Risiko in Kauf, in dem sie die von der Denkmalpflege verlangte Projektänderung nicht gleich (d.h. nach Erhalt des Berichts am 6. September 2011) vornahm, sondern zunächst zuwartete und erst am 25. November 2011 ein Bereinigungsgespräch verlangte, bevor sie (am 27. Februar 2012) die Projektänderung einreichte. 
 
5.   
Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als unbegründet und ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 und 68 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdeführerin hat die privaten Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit insgesamt Fr. 4'000.-- zu entschädigen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, der Einwohnergemeinde Lauterbrunnen, der Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion und dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern sowie dem Bundesamt für Raumentwicklung schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 28. Oktober 2014 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Fonjallaz 
 
Die Gerichtsschreiberin: Gerber