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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
1B_566/2018  
 
 
Urteil vom 21. Januar 2019  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Chaix, Präsident, 
Bundesrichter Kneubühler, Muschietti, 
Gerichtsschreiber Dold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Eric Stern, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen, Allgemeine Abteilung, Beckenstube 5, Postfach, 8200 Schaffhausen. 
 
Gegenstand 
Sicherheitshaft, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 23. November 2018 (50/2018/33). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________ reiste am 27. März 2017 zusammen mit einer weiteren Person am Grenzübergang Ramsen in die Schweiz ein. Bei der Kontrolle seines Autos wurden unter anderem 200 g einer weissen Substanz und ca. 1'600 Pillen gefunden. A.________ wurde festgenommen und am 30. März 2017 vom Zwangsmassnahmengericht Schaffhausen wegen des Verdachts der Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz in Untersuchungshaft versetzt. Die Haft wurde in der Folge mehrmals verlängert. 
Mit Urteil vom 1. Juni 2018 sprach das Kantonsgericht Schaffhausen A.________ der einfachen und qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, der Förderung der rechtswidrigen Einreise und des rechtswidrigen Aufenthalts sowie der mehrfachen Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes schuldig. Es verurteilte ihn, als Zusatzstrafe zu einem Urteil des Tribunal de police de Lausanne vom 9. August 2017, zu 26 Monaten Freiheitsstrafe und einer Busse von Fr. 300.--. An die Strafe rechnete es 432 Tage Untersuchungs- und Sicherheitshaft an. Weiter ordnete es bis zur Rechtskraft des Urteils oder bis zum Antritt einer freiheitsentziehenden Sanktion, längstens jedoch bis zum 30. November 2018, die Verlängerung der Sicherheitshaft an. A.________ wurde zudem für 5 Jahre des Landes verwiesen. 
A.________ erklärte gegen das Urteil vom 1. Juni 2018 Berufung. Das Berufungsverfahren ist derzeit vor dem Obergericht des Kantons Schaffhausen hängig. 
Eine von A.________ gegen die Anordnung von Sicherheitshaft erhobene Beschwerde wies das Obergericht mit Entscheid vom 19. Juni 2018 ab. Mit Urteil 1B_348/2018 vom 9. August 2018 wies das Bundesgericht eine dagegen erhobene Beschwerde ebenfalls ab. 
Am 17. September 2018 wurde A.________ der vorzeitige Strafvollzug bewilligt. Am 15. November 2018 stellte er ein Entlassungsgesuch. Mit Verfügung vom 23. November 2018 wies das Obergericht das Gesuch ab. Es ging davon aus, dass Fluchtgefahr bestehe. 
 
B.   
Mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht vom 21. Dezember 2018 beantragt A.________, der Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben und er selbst sei in Freiheit zu entlassen. Eventualiter sei die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Die Staatsanwaltschaft hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Das Obergericht beantragt die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Gegen den angefochtenen Entscheid ist die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 78 ff. BGG gegeben. Der Beschwerdeführer ist nach Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Auf sein Rechtsmittel ist grundsätzlich einzutreten.  
 
1.2. In seiner Replik kritisiert der Beschwerdeführer die Verfahrensführung des Obergerichts in verschiedener Hinsicht. Soweit er sich dabei überhaupt auf den Verfahrensgegenstand bezieht, hätte er seine Kritik bereits vor Ablauf der Beschwerdefrist vorbringen können, weshalb darauf nicht einzutreten ist (vgl. BGE 143 II 283 E. 1.2.3 S. 286 mit Hinweis).  
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer befindet sich im vorzeitigen Strafvollzug. Dies hindert ihn nicht daran, ein Gesuch um Haftentlassung zu stellen. Auf Gesuch um Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug hin ist zu prüfen, ob die Haftvoraussetzungen gegeben sind (BGE 143 IV 160 E. 2.3 S. 163; 139 IV 191 E. 4.1 f. S. 194; 117 Ia 72 E. 1d S. 79 f.; je mit Hinweisen).  
 
2.2. Nach Art. 221 StPO sind Untersuchungs- und Sicherheitshaft unter anderem zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie sich durch Flucht dem Strafverfahren oder der zu erwartenden Sanktion entzieht (Abs. 1 lit. a). An ihrer Stelle sind Ersatzmassnahmen anzuordnen, wenn sie den gleichen Zweck wie die Haft erfüllen (Art. 212 Abs. 2 lit. c und Art. 237 ff. StPO).  
 
2.3. Der Beschwerdeführer bestreitet weder das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts noch die Fluchtgefahr. Er macht einzig geltend, das Beschleunigungsgebot sei verletzt (vgl. E. 3 hiernach) und es liege Überhaft vor (vgl. E. 4 hiernach).  
 
3.  
 
3.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, das Kantonsgericht habe in seinem Urteil vom 1. Juni 2018 die Sicherheitshaft bis zum 30. November 2018 befristet. Diese Frist sei bereits abgelaufen. Dies sei im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass zum einen das Kantonsgericht für die Urteilsredaktion lange Zeit benötigt und zum andern erst das Obergericht den Wechsel des amtlichen Verteidigers bewilligt habe.  
 
3.2. Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf Beurteilung innert angemessener Frist (Art. 29 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK). Befindet sich eine beschuldigte Person in Haft, so wird ihr Verfahren vordringlich durchgeführt (Art. 5 Abs. 2 StPO).  
 
3.3. Nach der Rechtsprechung ist in einem Haftprüfungsverfahren die Rüge, das Strafverfahren werde nicht mit der gebotenen Beschleunigung geführt, nur so weit zu beurteilen, als die Verfahrensverzögerung geeignet ist, die Rechtmässigkeit der Untersuchungshaft in Frage zu stellen und zu einer Haftentlassung zu führen. Dies ist nur der Fall, wenn sie besonders schwer wiegt und zudem die Strafverfolgungsbehörden, z.B. durch eine schleppende Ansetzung der Termine für die anstehenden Untersuchungshandlungen, erkennen lassen, dass sie nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, das Verfahren nunmehr mit der für Haftfälle gebotenen Beschleunigung voranzutreiben und zum Abschluss zu bringen (BGE 140 IV 74 E. 3.2 S. 80 mit Hinweisen). Weniger gravierende Verletzungen des Beschleunigungsgebots führen zu einer teilweisen Gutheissung der Beschwerde, einer entsprechenden Feststellung im Dispositiv und einer Berücksichtigung bei den Kosten- und Entschädigungsfolgen (BGE 137 IV 118 E. 2.2 S. 121 f.; Urteil 1B_490/2016 vom 24. Januar 2017 E. 5.3; je mit Hinweisen).  
 
3.4. Das Urteil des Kantonsgerichts vom 1. Juni 2018 wurde am 24. September 2018 versandt. Damit wurden zwar die Ordnungsfristen von Art. 84 Abs. 4 StPO nicht eingehalten, doch bedeutet diese Verzögerung keine besonders schwere Verletzung des Beschleunigungsgebots (vgl. dazu Urteil 1B_115/2018 vom 2. Mai 2018 E. 2.2 mit Hinweis). Im Übrigen bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die kantonalen Behörden nicht gewillt oder in der Lage wären, das Verfahren mit der gebotenen Beschleunigung zum Abschluss zu bringen. Dass sich die vom Beschwerdeführer als spät bezeichnete Bewilligung des Wechsels der amtlichen Verteidigung verfahrensverzögernd ausgewirkt hat, ist nicht erkennbar und wird auch nicht konkret dargelegt. Die Rüge ist deshalb unbegründet.  
 
4.  
 
4.1. Hinsichtlich der Rüge der Überhaft ist zu beachten, dass der Richter die Haft nur so lange erstrecken darf, als sie nicht in grosse zeitliche Nähe der (im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung) konkret zu erwartenden Dauer der freiheitsentziehenden Sanktion rückt (Art. 212 Abs. 3 StPO; BGE 139 IV 270 E. 3.1 S. 275; 133 I 270 E. 3.4.2 S. 281; je mit Hinweisen). Bei der Beurteilung der Verhältnismässigkeit der Haftdauer ist grundsätzlich auf das erstinstanzliche Urteil abzustellen, falls ein solches bereits ergangen ist (BGE 139 IV 270 E. 3.1 S. 275).  
 
4.2. Nach der Rechtsprechung ist bei der Prüfung der zulässigen Haftdauer der Umstand, dass die in Aussicht stehende Freiheitsstrafe bedingt ausgesprochen werden kann, wie auch die Möglichkeit einer bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Was die bedingte Entlassung anbelangt, hängt deren Gewährung vom Verhalten des Gefangenen im Strafvollzug und von der Prognose hinsichtlich seines zukünftigen Verhaltens in Freiheit ab (Art. 86 Abs. 1 StGB). Diese Fragen fallen in das Ermessen der zuständigen Behörde (Art. 86 Abs. 2 StGB) und es liegt in der Regel nicht am Haftrichter, eine solche Prognose anzustellen. Vom Grundsatz der Nichtberücksichtigung der Möglichkeit einer bedingten Entlassung ist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung indes dann eine Ausnahme zu machen, wenn es die konkreten Umstände des Einzelfalls gebieten, insbesondere wenn absehbar ist, dass eine bedingte Entlassung mit grosser Wahrscheinlichkeit erfolgen dürfte (zum Ganzen: BGE 143 IV 106 E. 4.2 S. 166 mit Hinweisen). In zwei Fällen, in denen die Prognose nach Art. 86 Abs. 1 StGB (Art. 38 Ziff. 1 aStGB) unsicher schien, hielt das Bundesgericht die Aufrechterhaltung der Sicherheitshaft nach Ablauf von drei Vierteln der Strafe, die im Rechtsmittelverfahren nur noch verkürzt, aber nicht erhöht werden konnte, für unverhältnismässig (vgl. die Nachweise in Urteil 1B_338/2010 vom 12. November 2010 E. 3.3).  
 
4.3. Der Beschwerdeführer wurde erstinstanzlich zu einer Freiheitsstrafe von 26 Monaten als Zusatzstrafe zu einer noch nicht verbüssten Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt. Insgesamt drohen ihm deshalb 32 Monate Freiheitsentzug. Da die Staatsanwaltschaft keine Berufung erhoben hat, kann die Strafe im Rechtsmittelverfahren nicht erhöht werden. Im Zeitpunkt des angefochtenen Entscheids hatte der Beschwerdeführer knapp 20 Monate in Haft oder im vorzeitigen Strafvollzug verbracht, im jetzigen Zeitpunkt sind es knapp 22 Monate. Zwei Drittel der gesamten zu erwartenden Freiheitsstrafe von 32 Monaten (21,3 Monate) wurden damit zwar noch nicht im vorinstanzlichen Verfahren, jedoch im Verfahren vor Bundesgericht erreicht.  
 
4.4. Das Obergericht hat sich in seiner Vernehmlassung im bundesgerichtlichen Verfahren kurz zur Prognose im Sinne von Art. 86 Abs. 1 StGB geäussert. Es legte dar, bereits wegen des aufgrund der Vorstrafen stark getrübten Leumunds könne nicht von einer günstigen Prognose ausgegangen werden. Hinzu komme die Suchtmittelabhängigkeit, die Gegenstand des in Auftrag gegebenen Gutachtens bilde. Der Beschwerdeführer behauptet zwar in seiner Replik, dass eine Abhängigkeit nicht mehr bestehe bzw. sehr weitgehend (psychisch) reduziert sei, konkretisiert dies jedoch nicht weiter.  
 
4.5. Es ist nicht Aufgabe des Bundesgerichts, im Rahmen der Haftprüfung die Voraussetzungen von Art. 86 Abs. 1 StGB als erste Instanz zu beurteilen. Dem Obergericht ist jedenfalls keine Bundesrechtsverletzung vorzuwerfen, wenn es im angefochtenen Entscheid, der klarerweise noch vor Ablauf von zwei Dritteln der zu erwartenden Strafe erging, keine Erwägungen zum Verhalten des Beschwerdeführers im vorzeitigen Strafvollzug und zur Prognose hinsichtlich seines zukünftigen Verhaltens in Freiheit anstellte (vgl. Urteile 1B_283/2015 vom 16. September 2015 E. 3.3; 1B_330/2013 vom 16. Oktober 2013 E. 2.3; je mit Hinweis). Zudem liegt es gestützt auf die Ausführungen in der Beschwerdeantwort des Obergerichts und die Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Replik nicht auf der Hand, dass die Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung mit grosser Wahrscheinlichkeit vorliegen.  
 
4.6. Aus diesen Gründen ist im jetzigen Zeitpunkt Überhaft noch zu verneinen. Die betreffende Rüge des Beschwerdeführers ist unbegründet.  
 
5.   
Die Beschwerde ist aus den genannten Erwägungen abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. 
Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und Rechtsverbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren. Da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, kann dem Gesuch entsprochen werden (Art. 64 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen. 
 
2.1. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.  
 
2.2. Rechtsanwalt Eric Stern wird zum unentgeltlichen Rechtsbeistand ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt.  
 
3.   
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen und dem Obergericht des Kantons Schaffhausen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 21. Januar 2019 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Chaix 
 
Der Gerichtsschreiber: Dold