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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1C_200/2011 
 
Urteil vom 5. September 2011 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident, 
Bundesrichter Raselli, Merkli, 
Gerichtsschreiber Stohner. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
Solothurnische Gebäudeversicherung, 
Baselstrasse 40, Postfach 448, 4501 Solothurn. 
 
Gegenstand 
Baubewilligung; Brandschutzauflagen, 
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 31. März 2011 des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Am 7. März 2003 erteilte die Bau- und Werkkommission Küttigkofen den Eheleuten A.________ die Bewilligung für den Um- und Ausbau des Dachgeschosses ihrer Liegenschaft (Grundbuchblatt Nr. 65), wobei insbesondere die Einhaltung der Brandverhütungsvorschriften der Solothurnischen Gebäudeversicherung vorbehalten wurde. 
 
Am 1. Juni 2004 verfügte die Gebäudeversicherung gestützt auf die eingereichte Bauversicherungsanmeldung der Eheleute A.________ vom 17. Mai 2004 Brandschutzauflagen für den betreffenden Umbau. 
 
Am 10. Juni 2005 verkauften die Eheleute A.________ die Liegenschaft an X.________. 
 
Am 30. Dezember 2005 erfolgte die Endabnahme der Umbauarbeiten durch den Kreiskaminfeger der Gebäudeversicherung. Im erstellten Rapport wurde festgehalten, dass die Dachflächenfenster nicht die erforderliche Grösse von 78x118 cm aufweisen und die Räume im Dachgeschoss deshalb nicht als Schlafzimmer genutzt werden dürfen. 
 
B. 
Am 23. April 2007 reichte X.________ der Gebäudeversicherung überarbeitete Projektpläne ein. Am 2. Mai 2007 verfügte die Gebäudeversicherung gegenüber X.________ folgende Brandschutzauflagen fürs Dachgeschoss: 
In diesen Räumen ist mindestens 1 Fenster nötig, das folgende Anforderungen erfüllt: 
Dachflächenfenster haben eine Grösse von mindestens 78x118 cm (b x h) aufzuweisen. Sie müssen als Klappflügelfenster (Drehpunkt oben) mit einem Öffnungswinkel von mindestens 45° ausgeführt sein. 
Die Ausstiegshöhe (OK fertig Boden bis Rahmenlicht) darf 120 cm nicht übersteigen. 
Bei diesen Dachflächenfenstern ist zwischen Ausstieg und Traufe eine dachleiterähnliche Auf- bzw. Abstiegsmöglichkeit zu schaffen. Dazu sind beispielsweise Schneefangrohre zu verwenden, die in einem Abstand von ca. 60 cm (max. 2 Ziegellängen) angebracht werden." 
Diese mit einer Rechtsmittelbelehrung versehene Verfügung vom 2. Mai 2007 erwuchs unangefochten in Rechtskraft. Am 15. Mai 2007 erteilte die kommunale Baubehörde eine Bewilligung für den Umbau der Fenster. 
 
C. 
Am 24. September 2009 stellte die Gebäudeversicherung bei einer Nachkontrolle fest, dass keines der Dachflächenfenster die erforderliche Grösse von 78x118 cm aufweist. 
Mit Verfügung vom 6. Oktober 2009 setzte die Gebäudeversicherung X.________ Frist bis zum 30. Juni 2010 zur Vergrösserung der Dachflächenfenster. 
 
Gegen diese Verfügung erhob X.________ mit Schreiben vom 27. Oktober 2009 Beschwerde an die Verwaltungskommission der Gebäudeversicherung. Diese wies die Beschwerde mit Beschluss vom 5. Mai 2010 ab. 
 
Hiergegen reichte X.________ am 4. Juni 2010 Beschwerde ans Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn ein. Mit Urteil vom 31. März 2011 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde ab und setzte der Beschwerdeführerin zur Umsetzung der Auflagen gemäss der Verfügung der Gebäudeversicherung vom 2. Mai 2007 (Ersatz einzelner Dachflächenfenster durch grössere) eine Nachfrist bis zum 30. Juni 2011. 
 
D. 
Mit Eingabe vom 9. Mai 2011 führt X.________ Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht mit den Rechtsbegehren, das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 31. März 2011 aufzuheben und den Sachverhalt neu zu beurteilen. Des Weiteren sei festzustellen, dass die Verfügung der Gebäudeversicherung vom 2. Mai 2007 zu spät erfolgt und somit nichtig sei bzw. erst für künftige Bauvorhaben gelten könne, sodass die vorhandenen Dachflächenfenster nicht angepasst werden müssten. Eventualiter sei ihr eine längere Frist zur Umsetzung der Umbauarbeiten anzusetzen. Überdies sei ein allfälliger Schadenersatzanspruch gegen die Gebäudeversicherung zu prüfen. Schliesslich seien die vom Kaminfegermeister gegenüber den früheren Eigentümern der Liegenschaft gemachten Zugeständnisse (Aufschub der Realisierung der Rettungsmöglichkeiten, solange die Räume nicht als Schlafzimmer genutzt werden) aus Gründen der Rechtsgleichheit auch ihr zu gewähren. 
Das Verwaltungsgericht beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit auf diese eingetreten werden könne. Die Gebäudeversicherung stellt Antrag auf Beschwerdeabweisung. In ihrer Stellungnahme vom 15. August 2011 hält die Beschwerdeführerin an ihrem Standpunkt fest. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG) Entscheid in einer Bausache und damit in einer öffentlich-rechtlichen Angelegenheit im Sinne von Art. 82 lit. a BGG. Ein Ausschlussgrund nach Art. 83 BGG besteht nicht. Als Verfügungsadressatin und Eigentümerin der Liegenschaft, auf welche sich die Brandschutzauflagen beziehen, ist die Beschwerdeführerin im Sinne von Art. 89 Abs. 1 BGG beschwerdebefugt. Auf die Beschwerde ist grundsätzlich einzutreten. 
 
2. 
2.1 Eine Verfügung, mit der ein früherer, rechtskräftiger Entscheid vollzogen oder ohne sachliche Überprüfung bestätigt wird, kann grundsätzlich nur soweit angefochten werden, als die gerügte Rechtswidrigkeit in der Vollstreckungsverfügung selbst begründet ist. Grundsätzlich ausgeschlossen ist die Rüge, die frühere (materielle) Verfügung sei rechtswidrig. Eine solche Rüge ist verspätet. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz macht das Bundesgericht allenfalls dann, wenn eine beschwerdeführende Person die Verletzung von unverzichtbaren oder unverjährbaren Grundrechten geltend macht oder wenn die Nichtigkeit der ursprünglichen Verfügung zur Diskussion steht (unter bisherigem Recht vgl. BGE 129 I 410 E. 1.1 S. 412). Die in Art. 101 lit. c aOG enthaltene Regel, wonach ein Vollstreckungsakt nicht angefochten werden kann, ist im BGG nicht ausdrücklich aufgenommen worden, ergibt sich aber daraus, dass kein schutzwürdiges Interesse daran bestehen kann, ein Staatshandeln, welches bloss einen rechtskräftigen Entscheid vollstreckt, erneut anzufechten. Die Rechtsprechung zum bisherigen Bundesrechtspflegegesetz, wonach das materielle Urteil im Rahmen der Anfechtung des Vollzugsaktes grundsätzlich nicht überprüft werden kann, gilt auch unter neuem Recht (Urteil 8C_300/2008 vom 28. November 2008 E. 3; vgl. zudem Urteil 1C_399/2009 vom 8. Dezember 2009 E. 1.5). 
 
2.2 Die Verfügung der Solothurnischen Gebäudeversicherung vom 6. Oktober 2009 dient dem Vollzug der in der Verfügung vom 2. Mai 2007 angeordneten Brandschutzauflage, wonach pro Raum (Galerie, Schlafzimmer und Büro) wenigstens eines der Dachflächenfenster eine Grösse von mindestens 78x118 cm aufzuweisen hat. In dieser Konstellation sind mithin nur Einwände gegen die Rechtmässigkeit der Vollstreckungsverfügung selber zulässig, ausser die materielle Verfügung wäre - wie die Beschwerdeführerin vorbringt - geradezu nichtig. 
 
2.3 Fehlerhafte Entscheide sind nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nichtig, wenn der ihnen anhaftende Mangel besonders schwer wiegt, wenn er sich als offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar erweist und die Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet wird. Inhaltliche Mängel einer Entscheidung führen nur ausnahmsweise zur Nichtigkeit. Als Nichtigkeitsgründe fallen vorab funktionelle und sachliche Unzuständigkeit der entscheidenden Behörde sowie krasse Verfahrensfehler in Betracht (BGE 133 II 366 E. 3.2 S. 367). 
 
Die Gebäudeversicherung ist mit dem Vollzug der Brandverhütungsvorschriften betraut. Sie übt die Aufsicht über das Brandverhütungswesen aus und trifft zum Schutz von Personen und Sachen alle Massnahmen, welche zur Verhütung und Einschränkung von Brandausbrüchen und Explosionen nötig sind (§ 59 des Gebäudeversicherungsgesetzes des Kantons Solothurn vom 24. September 1972 [GVG/SO; BGS/SO 618.111] i.V.m § 38 der Vollzugsverordnung zum Gebäudeversicherungsgesetz des Kantons Solothurn vom 13. Januar 1987 [VV/SO; BGS/SO 618.112]). Die Verfügung vom 2. Mai 2007 ist somit von der zuständigen Behörde erlassen worden. 
 
In der Verfügung vom 2. Mai 2007 wird ausdrücklich auf die von der Beschwerdeführerin am 23. April 2007 eingereichten Projektpläne Bezug genommen. Der Umstand, dass die Verfügung erst rund drei Jahre nach der Bauversicherungsanmeldung der früheren Eigentümer und erst rund eineinhalb Jahre nach der Bauabnahme ergangen ist, führt entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht zur Nichtigkeit, liegt doch darin jedenfalls kein krasser Verfahrensfehler begründet. Ebenso wenig weist die Verfügung gravierende inhaltliche Mängel auf. Nicht einsichtig ist im Übrigen, weshalb die Verfügung - wie die Beschwerdeführerin geltend macht - nur für künftige Bauvorhaben gelten sollte. 
 
Die keineswegs nichtige Verfügung vom 2. Mai 2007 ist damit mangels Anfechtung in Rechtskraft erwachsen, und die von der Beschwerdeführerin gegen die Rechtmässigkeit der verfügten Brandschutzauflagen erhobenen Einwände sind verspätet. Folglich ist auch nicht auf das Rechtsbegehren der Beschwerdeführerin einzugehen, es sei zu klären, ob die Gebäudeversicherung aufgrund ihres späten Einschreitens schadenersatzpflichtig werde. 
 
2.4 Zu prüfen sind die gegen die Rechtmässigkeit der Vollstreckungsverfügung vom 6. Oktober 2009 vorgebrachten Rügen. 
 
Soweit sich die Beschwerdeführerin zwecks Verhinderung der Vollstreckung unter Hinweis auf die ihren Rechtsvorgängern gemachten Zugeständnisse sinngemäss auf einen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht beruft, dringt sie mit ihrer Beschwerde nicht durch. Ein Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht wird nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nur ausnahmsweise anerkannt, nämlich wenn eine ständige rechtswidrige Praxis einer rechtsanwendenden Behörde vorliegt und die Behörde zu erkennen gibt, dass sie auch in Zukunft nicht von dieser Praxis abzuweichen gedenke (BGE 136 I 65 E. 5.6 S. 78). Diese Voraussetzungen sind vorliegend offensichtlich nicht erfüllt. 
 
Schliesslich ist die von der Gebäudeversicherung in der Verfügung vom 6. Oktober 2009 bestimmte Umsetzungsfrist von über sechs Monaten entgegen dem nicht näher substanziierten Vorbringen der Beschwerdeführerin als angemessen zu beurteilen; nicht zu beanstanden ist auch die von der Vorinstanz neu angesetzte Frist von drei Monaten ab Entscheiddatum. 
 
3. 
Zusammenfassend ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Da der von der Vorinstanz festgelegte Stichtag für die Umsetzung abgelaufen ist, ist eine neue Frist bis zum 31. Dezember 2011 anzusetzen. 
 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen sind keine zuzusprechen (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2. 
Zur Umsetzung der Auflagen gemäss der Verfügung der Solothurnischen Gebäudeversicherung vom 2. Mai 2007 (Ersatz einzelner Dachflächenfenster durch grössere) wird der Beschwerdeführerin eine Nachfrist bis zum 31. Dezember 2011 gesetzt. 
 
3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
4. 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Solothurnischen Gebäudeversicherung und dem Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 5. September 2011 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Fonjallaz 
 
Der Gerichtsschreiber: Stohner