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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
8C_993/2009 
 
Urteil vom 31. August 2010 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard, 
Gerichtsschreiber Holzer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
B.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Dieter Kehl, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Kausalzusammenhang), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 30. September 2009. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Die 1977 geborene B.________ war als kaufmännische Angestellte der Firma H.________ AG bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen von Unfällen versichert, als sie am 5. Oktober 2006 einen Verkehrsunfall erlitt. Die SUVA anerkannte ihre Leistungspflicht für die Folgen dieses Ereignisses und erbrachte die gesetzlichen Leistungen, stellte diese jedoch mit Verfügung vom 24. Juli 2008 und Einspracheentscheid vom 15. Januar 2009 per 31. Juli 2008 ein, da die über dieses Datum hinaus anhaltend geklagten Beschwerden nicht durch das Unfallereignis vom 5. Oktober 2006 verursacht worden seien. 
 
B. 
Die von B.________ und von der CSS Kranken-Versicherung AG hiegegen erhobenen Beschwerden wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 30. September 2009 ab. Eine öffentliche Gerichtsverhandlung wurde trotz entsprechenden Antrags der Versicherten nicht durchgeführt. 
 
C. 
Mit Beschwerde beantragt B.________ sinngemäss, die SUVA sei unter Aufhebung des Einsprache- und des kantonalen Gerichtsentscheides zu verpflichten, ihre Leistungen auch über den 31. Juli 2008 hinaus zu erbringen; eventuell sei die Sache an die Beschwerdegegnerin oder an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
Während die SUVA und die Vorinstanz auf Abweisung der Beschwerde schliessen, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 132 II 257 E. 2.5 S. 262; 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen werden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). 
 
1.2 Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG). 
 
2. 
Die Beschwerdeführerin macht geltend, das kantonale Gericht habe Art. 6 Ziff. 1 EMRK verletzt, indem es keine öffentliche Verhandlung durchgeführt habe. Diese formellrechtliche Rüge ist zuerst zu behandeln. 
 
3. 
3.1 Nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jedermann Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht gehört wird, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat (Satz 1). Dieselbe Konventionsbestimmung sieht Ausnahmen vom Öffentlichkeitsgrundsatz vor im Interesse der Sittlichkeit, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit oder wenn die Interessen von Jugendlichen, der Schutz des Privatlebens von Prozessparteien oder die Gefahr einer Beeinträchtigung der Rechtspflege es gebieten (Satz 2). 
 
3.2 Im Sozialversicherungsprozess hat das erstinstanzliche Gericht grundsätzlich eine öffentliche Verhandlung anzuordnen, wenn eine solche beantragt wird. Als Gründe für eine Ausnahme von diesem Prinzip fallen nebst den im zitierten Art. 6 Ziff. 1 Satz 2 EMRK genannten Umständen namentlich in Betracht, dass der Antrag nicht frühzeitig genug gestellt wurde, als schikanös erscheint oder auf eine Verzögerungstaktik schliessen lässt und damit dem Grundsatz der Einfachheit und Raschheit des Verfahrens zuwider läuft oder gar rechtsmissbräuchlich ist. Weiter erscheint der Verzicht auf eine beantragte öffentliche Verhandlung durch das erstinstanzliche Gericht als zulässig, wenn sich auch ohne eine solche mit hinreichender Zuverlässigkeit erkennen lässt, dass eine Beschwerde offensichtlich unbegründet oder unzulässig ist. Dasselbe gilt, wenn eine Materie hochtechnischen Charakters zur Diskussion steht, wobei darunter etwa rein rechnerische, versicherungsmathematische oder buchhalterische Probleme zu verstehen sind, nicht aber andere dem Sozialversicherungsprozess inhärente Fragestellungen wie beispielsweise die Würdigung medizinischer Gutachten. Schliesslich kann von einem nachträglichen Verzicht auf eine zunächst verlangte öffentliche Verhandlung ausgegangen werden, wenn das kantonale Gericht allein schon aufgrund der Akten zum Schluss gelangt, den materiellen Rechtsbegehren der die Verhandlung beantragenden Partei sei zu entsprechen (BGE 122 V 47 E. 3b S. 55 ff.; Urteil 8C_67/2007 vom 25. September 2007 E. 2.2). 
 
3.3 Bildet Gegenstand in einer allfälligen Verhandlung einzig die Auseinandersetzung mit den vorhandenen Stellungnahmen von Ärztinnen und Ärzten zu Gesundheitsschaden und Grad der Arbeitsunfähigkeit, ist eine bessere Eignung des schriftlichen Verfahrens nicht erkennbar. Es handelt sich bei der Würdigung solcher medizinischen Berichte und der Beurteilung der Beweiskraft einander widersprechender ärztlicher Aussagen um eine auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts alltägliche und damit nicht um eine "hochtechnische" Thematik im Sinne der Rechtsprechung (BGE 9C_870/2009 E. 3.2 mit weiteren Hinweisen). Dasselbe gilt rechtsprechungsgemäss auch für Verfahren, in denen sich in erster Linie die Frage der Adäquanz eines Kausalzusammenhanges zwischen einem Unfallereignis und in der Folge geklagten, organisch nicht hinreichend nachweisbaren Beschwerden stellt (Urteil 8C_442/2009 vom 28. August 2009 E. 4.3). 
 
4. 
Im Lichte dieser Erwägungen sind die Voraussetzungen für einen Verzicht auf die von der Versicherten in der Replik an die Vorinstanz ausdrücklich beantragte Durchführung einer öffentlichen Verhandlung nicht gegeben. Weder ist der Antrag schikanös, noch läuft er dem Grundsatz der Einfachheit und Raschheit des Verfahrens zuwider. Sodann kann das Rechtsmittel nicht als offensichtlich unbegründet oder unzulässig bezeichnet werden, was denn auch seitens des kantonalen Gerichts nicht angenommen wurde. Von hoher Technizität kann im vorliegenden Fall des Weiteren ebenfalls nicht gesprochen werden: Streitig ist, ob die von der Versicherten über den 31. Juli 2008 hinaus anhaltend geklagten Beschwerden natürlich und adäquat kausal durch das Unfallereignis vom 5. Oktober 2006 verursacht wurden. Damit liegt ein Streit um die adäquate Kausalität vor, der keine Ausnahme von der Pflicht, eine öffentliche Verhandlung durchzuführen, begründet. Schliesslich war dem materiellen Rechtsbegehren der Versicherten allein auf Grund der Akten nicht ohne weiteres zu entsprechen. Alleine in Würdigung der Aktenlage gelangte das kantonale Gericht zum Schluss, die Beschwerde sei unbegründet. 
 
5. 
Indem die Vorinstanz unter diesen Umständen von der beantragten öffentlichen Verhandlung abgesehen hat, wurde dieser in Art. 6 Ziff. 1 EMRK gewährleisteten Verfahrensgarantie nicht Rechnung getragen. Es ist daher unumgänglich, die Sache an das kantonale Gericht zurückzuweisen, damit dieses den Verfahrensmangel behebt und die von der Beschwerdeführerin verlangte öffentliche Verhandlung durchführt. Hernach wird es über die Beschwerde materiell neu befinden. 
 
6. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Als unterliegende Partei hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG; BGE 133 V 642 E. 5). Diese hat der Beschwerdeführerin überdies eine Parteientschädigung zu entrichten (Art. 68 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Thurgau vom 30. September 2009 aufgehoben. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie im Sinne der Erwägungen verfahre und über die Beschwerde gegen den Einspracheentscheid vom 15. Januar 2009 neu entscheide. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3. 
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, dem Bundesamt für Gesundheit und der CSS Versicherung AG, Luzern, schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 31. August 2010 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Ursprung Holzer