Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6S.139/2005 /bri 
 
Urteil vom 24. Juni 2005 
Kassationshof 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Wiprächtiger, Zünd, 
Gerichtsschreiber Borner. 
 
Parteien 
Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg, 1700 Freiburg, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
W.________, 
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Pierre-Henri Gapany, 
 
Gegenstand 
Grobe Verletzung der Verkehrsregeln 
(Art. 90 Ziff. 2 SVG), 
 
Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Kantons-gerichts Freiburg, Strafappellationshof, vom 14. März 2005. 
 
Sachverhalt: 
A. 
W.________ fuhr am 4. Oktober 2002 um ca. 18.00 Uhr auf der Schwarzseemattstrasse von St. Ursen Richtung Tentlingen. In Giffers, auf der Höhe der Obermatt-Garage, prallte sie mit der linken Front ihres Personenwagens in die Fussgängerin V.________, welche den Fussgängerstreifen aus der Sicht der Autofahrerin von links nach rechts überquerte. V.________ erlitt Verletzungen, die einen zweimonatigen Spitalaufenthalt erforderten. 
B. 
Der Vize-Polizeirichter des Bezirksgerichts der Sense büsste W.________ am 17. Juni 2004 wegen einfacher Verkehrsregelverletzung (nicht angepasste Geschwindigkeit und Verletzung des Vortrittsrechts einer Fussgängerin auf Fussgängerstreifen) mit Fr. 1'000.--. 
 
Eine Berufung der Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg wies das Kantonsgericht Freiburg am 14. März 2005 ab, soweit es darauf eintrat. 
C. 
Die Staatsanwaltschaft führt Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
Das Kantonsgericht hat auf eine Stellungnahme verzichtet. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Die Beschwerdeführerin rügt, das Verhalten der Beschwerdegegnerin sei als grobfahrlässige Verkehrsregelverletzung zu beurteilen. 
 
Nach Art. 90 Ziff. 2 SVG wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft, wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt. Der Tatbestand ist nach der Rechtsprechung objektiv erfüllt, wenn der Täter eine wichtige Verkehrsvorschrift in objektiv schwerer Weise missachtet und die Verkehrssicherheit ernstlich gefährdet. Eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG ist bereits beim Vorliegen einer erhöhten abstrakten Gefährdung gegeben. Die erhöhte abstrakte Gefahr setzt die nahe liegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung oder Verletzung voraus. 
 
Subjektiv erfordert der Tatbestand ein rücksichtsloses oder sonst schwerwiegend regelwidriges Verhalten, d.h. ein schweres Verschulden, mindestens grobe Fahrlässigkeit. Dies ist immer zu bejahen, wenn der Täter sich der allgemeinen Gefährlichkeit seiner verkehrswidrigen Fahrweise bewusst ist. Grobe Fahrlässigkeit kann aber auch vorliegen, wenn der Täter die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer pflichtwidrig gar nicht in Betracht zieht, also unbewusst fahrlässig handelt. In solchen Fällen bedarf jedoch die Annahme grober Fahrlässigkeit einer sorgfältigen Prüfung (BGE 130 IV 32 E. 5.1 mit Hinweisen). Sie wird nur zu bejahen sein, wenn das Nichtbedenken der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ebenfalls auf Rücksichtslosigkeit beruht und daher besonders vorwerfbar ist (BGE 118 IV 285 E. 48). Mit dem Begriff der Rücksichtslosigkeit wird eine besondere Gleichgültigkeit bzw. ein bedenken- oder gewissenloses Verhalten gegenüber fremden Rechtsgütern umschrieben, das nicht nur im bewussten "Sich-hinwegsetzen", sondern auch im blossen Nichtbedenken der Gefährdung fremder Interessen liegen kann (Urteil des Bundesgerichts 6S.56/1994 vom 11. April 1994, E. 2b). 
2. 
Der Vize-Polizeirichter hielt in tatsächlicher Hinsicht fest, dass die Strasse nass war, dass das Unfallopfer die Strasse von links nach rechts auf dem Fussgängerstreifen überquerte und dass es in der Strassenmitte von der linken Vorderseite des Fahrzeugs erfasst wurde. Die Geschwindigkeit des Fahrzeugs von 50 km/h bewertete der Vize-Polizeirichter aufgrund der Licht- und Witterungsverhältnisse als leicht übersetzt. Eine gewisse Verantwortung für den Unfall trage das Opfer, weil es vor dem Überqueren des Fussgängerstreifens das Auto der Beschwerdegegnerin hätte sehen und allenfalls zuwarten müssen. Letztere habe die Situation wegen einer kurzfristigen Unauf-merksamkeit falsch eingeschätzt, weshalb sie sich einer einfachen Verkehrsregelverletzung schuldig gemacht habe. 
 
Die Vorinstanz, der in tatsächlicher Hinsicht lediglich eine beschränkte Kognition zukam, verneint Anhaltspunkte, wonach sich das Opfer in einer für die Beschwerdegegnerin nicht vorhersehbaren Weise verhalten habe. Sie hält zudem fest, die Sicht und Übersicht sei gut gewesen und dass die Strasse am Unfallort leicht abfällt. Gestützt auf die verbindliche Feststellung des Vize-Polizeirichters, wonach der Unfall auf eine kurzfristige Unaufmerksamkeit der Beschwerdegegnerin zurückzuführen sei, erachtet sie den subjektiven Tatbestand des Art. 90 Ziff. 2 SVG als nicht erfüllt. 
3. 
Diese Beurteilung ist einerseits widersprüchlich. Bei guter Sicht und guter Übersicht konnte die Beschwerdegegnerin das Opfer bereits von weitem erkennen, weshalb sie bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h das Fahrzeug selbst unter Annahme einer kurzfristigen Unauf-merksamkeit noch rechtzeitig vor dem Fussgängerstreifen hätte anhalten können. Die guten Sichtverhältnisse legen vielmehr nahe, dass entweder die Unaufmerksamkeit nicht bloss kurzfristig war oder die Geschwindigkeit höher als 50 km/h. Anderseits fehlen in den beiden kantonalen Urteilen wesentliche tatsächliche Feststellungen, die eine sorgfältige Prüfung ermöglichen, ob unbewusste Grobfahrlässigkeit vorliegt. 
 
So finden sich z.B. keine Angaben, auf welche Distanz die Beschwerdegegnerin das Opfer hätte erkennen können. Dies wäre aber wichtig, um die Dauer der Unaufmerksamkeit der Beschwerdegegnerin verlässlich beurteilen zu können. Dazu gehörten auch Feststellungen über die Breite der Strasse beim fraglichen Fussgängerstreifen und die Gehgeschwindigkeit des 1923 geborenen Opfers. Dieses hatte vor erster Instanz unter anderem ausgesagt, "ich hielt an, schaute zwei Mal links und zwei Mal rechts, da ich nichts sah, ging ich los" und, "ich hatte ein feurrotes Jäckchen an" (kantonale Akten, act. 84, S. 4). Die Beschwerdegegnerin gab zu Protokoll: "Ich sah sie zum ersten Mal als sie auf den Fussgängerstreifen ging, d.h. als sie links den Fussgängerstreifen betreten hat" (a.a.O., S. 3). Derartige Aussagen, die Rückschlüsse auf das Mass der Sorgfaltspflichtverletzungen der Beschwerdegegnerin zulassen, hätte bereits der Vize-Polizeirichter in seine Beweiswürdigung miteinbeziehen müssen. Ebenfalls unerwähnt blieb der nicht unwesentliche Umstand, dass der Fussgängerstreifen auf der rechten Strassenseite offenbar ordnungsgemäss signalisiert ist (vgl. a.a.O., act. 24). Da der Kassationshof an die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Entscheid gebunden ist, diese aber nicht ausreichen, um die Frage der Grobfahrlässigkeit zu überprüfen, ist der Entscheid gemäss Art. 277 BStP aufzuheben und an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ob diese angesichts ihrer beschränkten Kognition ihrerseits eine Rückweisung an den Vize-Polizeirichter beschliesst, ist eine Frage des kantonalen Rechts. 
 
 
Der Vize-Polizeirichter hatte aus dem Umstand der leicht übersetzten Geschwindigkeit gefolgert, dass die Kollision bei einer minim rascheren Reaktion der Beschwerdegegnerin oder einer geringeren Geschwindigkeit mit grösster Wahrscheinlichkeit hätte vermieden werden können. Das trifft als Hypothese zwar zu, ist aber für die Beurteilung des Masses der Sorgfaltspflichtverletzungen der Be-schwerdegegnerin nicht von Bedeutung. Entscheidend ist vielmehr, inwieweit sie die Gefährdung des Opfers hätte erkennen können und müssen. 
 
Aus den Akten ist ersichtlich, dass die Beschwerdegegnerin dem Opfer auf der Unfallstelle erklärte, es sei nicht im Fehler, dass sie es im Spital besuchte, ihm Blumen schickte und dass der Vorfall sie persönlich schwer belaste (kantonale Akten, act. 84 S. 4 f. und 8). Diese Umstände sprechen für die Beschwerdegegnerin und sind im Rahmen der Strafzumessung mitzuberücksichtigen. Auf die Frage jedoch, ob das Verhalten der Beschwerdegegnerin als einfache oder grobe Verkehrsregelverletzung einzustufen ist, haben sie keinen Einfluss. 
4. 
Bei der Aufhebung des angefochtenen Entscheids gemäss Art. 277 BStP werden keine Kosten erhoben. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gemäss Art. 277 BStP gutgeheissen, der Entscheid des Kantonsgerichts Freiburg vom 14. März 2005 aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Freiburg, Strafappellationshof, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 24. Juni 2005 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: