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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
1B_72/2020  
 
 
Urteil vom 10. Juli 2020  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Haag, Müller, 
Gerichtsschreiberin Dambeck. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Advokat Dr. Nicolas Roulet, 
 
gegen  
 
Jugendanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt. 
 
Gegenstand 
Jugendstrafverfahren; Verweigerung der Bewilligung der amtlichen Verteidigung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt, Einzelgericht, vom 16. Dezember 2019 (BES.2019.190). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Jugendanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt führt gegen A.________ein Jugendstrafverfahren wegen Nötigung, Landfriedensbruchs, Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung, begangen am 8. Juli 2019 anlässlich einer Kundgebung im Rahmen der sogenannten Collective Climate Justice-Tage. Am 21. August 2019 ersuchte A.________ die Jugendanwaltschaft Basel-Stadt um Anordnung der amtlichen Verteidigung. Die Jugendanwaltschaft Basel-Stadt wies das Gesuch mit Verfügung vom 28. August 2019 ab. 
Diese Verfügung focht A.________ beim Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt an, welches die Beschwerde mit Entscheid vom 16. Dezember 2019 abwies. 
 
B.  
Gegen diesen Entscheid gelangt A.________ mit Eingabe vom 12. Februar 2020 an das Bundesgericht und beantragt, der Entscheid des Appellationsgerichts sei vollumfänglich aufzuheben. Ihm sei für das gesamte gegen ihn geführte Jugendstrafverfahren die amtliche Verteidigung in der Person seines Rechtsvertreters zu bewilligen. Eventualiter ersucht er in prozessualer Hinsicht um Gewährung der unent geltlichen Rechtspflege. 
Das Appellationsgericht und die Jugendanwaltschaft Basel-Stadt beantragen die Abweisung der Beschwerde, verzichten im Übrigen aber auf eine Vernehmlassung. Die Staatsanwaltschaft weist jedoch darauf hin, dass in der Zwischenzeit ein Strafbefehl gegen den Beschwerdeführer ergangen sei. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Mit dem angefochtenen Entscheid wurde die Abweisung des Gesuchs um Anordnung der amtlichen Verteidigung bestätigt. Dabei handelt es sich um einen kantonal letztinstanzlichen, selbstständig eröffneten Zwischenentscheid in einer Strafsache, der einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken kann (BGE 140 IV 202 E. 2.2 S. 205; 133 IV 335 E. 4 S. 338; je mit Hinweisen). Dagegen steht grundsätzlich die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht offen (vgl. Art. 78 Abs. 1 und Art. 80 BGG). Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und lit. b Ziff. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, weshalb auf die Beschwerde einzutreten ist.  
 
1.2. Mit der Beschwerde in Strafsachen kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Dieses wendet das Bundesgericht grundsätzlich von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Die Verletzung von Grundrechten wird vom Bundesgericht allerdings nur insofern geprüft, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Hierzu gelten qualifizierte Begründungsanforderungen: In der Beschwerde ist klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids darzulegen, inwiefern die angerufenen Rechte verletzt worden sein sollen (BGE 145 I 121 E. 2.1 S. 133; 142 V 577 E. 3.2 S. 579; je mit Hinweis).  
 
2.  
 
2.1. Vorliegend ist umstritten, ob dem Beschwerdeführer gestützt auf Art. 24 lit. b i.V.m. Art. 25 Abs. 1 lit. c JStPO (SR 312.1) die amtliche Verteidigung zu gewähren ist.  
 
2.2. Art. 24 JStPO regelt die notwendige Verteidigung. Demzufolge muss die oder der beschuldigte Jugendliche insbesondere dann verteidigt werden, wenn sie oder er die eigenen Verfahrensinteressen nicht ausreichend wahren kann und auch die gesetzliche Vertretung dazu nicht in der Lage ist (lit. b). Dafür können persönliche Gründe sprechen, wie beispielsweise mangelnde Sprach- oder Fachkenntnisse, fehlende intellektuelle Fähigkeiten, Unkenntnis der hiesigen Gepflogenheiten, Interessenkonflikte oder eine spezifische Unterstützungsbedürftigkeit, oder auch fallbezogene sachliche Gründe, wie eine besondere Schwierigkeit oder Komplexität des Verfahrens oder die Schwere des Tatvorwurfs. Je komplizierter der zu beurteilende Sachverhalt und dessen rechtliche Würdigung sind, desto eher ist das Unvermögen zur Verteidigung zu bejahen (BGE 138 IV 35 E. 6.3 S. 38 f. mit Hinweisen; JOSITSCH/RIESEN-KUPPER, Schweizerische Jugendstrafprozessordnung, Kommentar, 2. Aufl. 2018, N. 11 zu Art. 24 JStPO; DIETER HEBEISEN, in: Basler Kommentar StPO/JStPO, N. 3 f. zu Art. 24 JStPO). Gemäss Art. 25 Abs. 1 JStPO ordnet die zuständige Behörde sodann eine amtliche Verteidigung an, wenn bei notwendiger Verteidigung die oder der beschuldigte Jugendliche und die gesetzliche Vertretung nicht über die erforderlichen Mittel verfügen (lit. c).  
 
2.3. Der Beschwerdeführer macht geltend, nicht nur gegen ihn, sondern auch gegen seine Mutter werde in derselben Angelegenheit eine Strafuntersuchung geführt. Es sei daher eine Interessenkollision gegeben, weswegen seine Mutter ihn zur polizeilichen Einvernahme vom 4. September 2019 nicht habe begleiten können. In jenem Zeitpunkt sei er knapp 13 Jahre alt gewesen, womit noch nicht von einer gefestigten Persönlichkeitsstruktur habe ausgegangen werden können. Eine Begleitung zur Einvernahme zumindest durch seine Mutter als gesetzliche Vertreterin wäre notwendig gewesen. Dieser wäre hinsichtlich der Art und Weise der durchgeführten Einvernahme eine Kontrollfunktion zugekommen, die sie nun nicht habe wahrnehmen können, womit die Grundsätze des fairen Verfahrens nicht eingehalten worden seien. Im Gegensatz zu Erwachsenen könne auch in Bagatellfällen bei Kindern nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass diese in der Lage seien, sich selber zu verteidigen.  
 
2.4. Entsprechend den Vorbringen des Beschwerdeführers ist im Rahmen der persönlichen Gründe vorliegend zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer und seine Mutter am 8. Juli 2019 zusammen an der besagten Kundgebung teilgenommen haben und in der gleichen Sache auch gegen die Mutter ein Strafverfahren geführt wird. Die bloss abstrakte oder theoretische Möglichkeit des Auftretens gegensätzlicher Interessenlagen zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Mutter vermag eine Verteidigung des Ersteren jedoch noch nicht als notwendig im Sinne von Art. 24 lit. b JStPO erscheinen zu lassen. Dass der Beschwerdeführer und seine Mutter gegenläufige Interessen verfolgen würden bzw. ein konkreter Interessenkonflikt gegeben wäre, wird sodann weder vom Beschwerdeführer geltend gemacht noch ergibt sich dies mit Blick auf die vorliegende Konstellation. Zudem geht aus den Akten hervor, dass sich die Mutter um die Rechtsvertretung ihres Sohnes gekümmert und sich dafür eingesetzt hat, an dessen Einvernahme teilnehmen zu können. Zwar ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Beschwerdeführer mit seinen damals knapp 13 Jahren noch jung war. Allerdings können urteilsfähige beschuldigte Jugendliche ihre Parteirechte gemäss Art. 19 Abs. 2 JStPO selbstständig wahrnehmen und besteht gestützt auf Art. 13 JStPO die Möglichkeit, eine Vertrauensperson beizuziehen. Dem angefochtenen Entscheid ist in Bezug auf den Beschwerdeführer und seine Mutter zu entnehmen, dass keine Defizite in intellektuell-sprachlicher Hinsicht bestehen würden und beide auch physisch und psychisch zur Wahrung seiner Interessen in der Lage seien. Dies wird vom Beschwerdeführer nicht bestritten. Er hält selber fest, dass er in seinen intellektuellen Fähigkeiten nicht eingeschränkt sei und diese seinem Alter entsprechen würden.  
Hinsichtlich der sachlichen Gründe erwog die Vorinstanz, der zu beurteilende Sachverhalt und dessen rechtliche Würdigung erwiesen sich nicht als ausserordentlich kompliziert. Auch diese Ausführungen werden vom Beschwerdeführer nicht bestritten; er macht keine besondere Schwierigkeit oder Komplexität des Verfahrens geltend. Der Stellungnahme der Jugendanwaltschaft an die Vorinstanz ist sodann zu entnehmen, dass weder Befragungen von Zeugen oder Auskunftspersonen noch Konfrontationseinvernahmen oder das Einholen von Gutachten etc. vorgesehen seien. Schliesslich weisen die Tatvorwürfe im Fall des Beschwerdeführers auch keine besondere Schwere auf, wie sich im Übrigen zwischenzeitlich durch den gegen diesen ergangenen Strafbefehl, mit welchem dem Beschwerdeführer wegen Nöti gung, Haus- und Landfriedensbruchs ein Verweis erteilt wurde, gezeigt hat. 
Nach dem Gesagten ergibt sich, dass, auch wenn gegen die Mutter ein Strafverfahren in derselben Sache geführt wird und der Beschwerdeführer noch jung ist, die Voraussetzungen für eine notwendige Verteidigung gestützt auf Art. 24 lit. b JStPO mit Blick auf die gesamten Umstände vorliegend nicht gegeben sind. 
 
3.  
Der Beschwerdeführer macht geltend, gegen diverse Erwachsene werde in derselben Angelegenheit ein reguläres Strafverfahren geführt, wobei mit Blick auf die erhobenen Vorwürfe Freiheitsstrafen von mehr als vier Monaten nicht von vornherein ausgeschlossen werden könnten und Strafbefehle mit Geldstrafen von 150-180 Tagessätzen erlassen worden seien. Wenn in der gleichen Angelegenheit im Erwachsenenstrafverfahren eine amtliche Verteidigung geboten erscheine, im Jugendstrafverfahren hingegen nicht, sei das Rechtsgleichheitsgebot verletzt. Dieses gebiete, jugendliche Straftäterinnen und Straftäter sicher nicht schlechter zu stellen als erwachsene. 
Indes legt der Beschwerdeführer nicht rechtsgenüglich dar, dass gleiche Sachverhalte ohne vernünftigen Grund ungleich behandelt würden. Damit erfüllt er die bei Rügen von Grundrechtsverletzungen bestehende qualifizierte Begründungspflicht nicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl. obe n E. 1.2); es ist daher nicht darauf einzugehen. Soweit sich der Beschwerdeführer jedoch auch in diesem Zusammenhang auf sein noch junges Alter beruft, ist festzuhalten, dass dieses bereits im Rahmen der Prüfung der notwendigen Verteidigung berücksichtigt wurde (vgl. oben E. 2.4). 
 
4.  
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und ist abzuweisen. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens würde der Beschwerdeführer an sich kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er stellt indessen ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege, welches gutzuheissen ist, da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 64 Abs. 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen. 
 
2.1. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.  
 
2.2. Advokat Dr. Nicolas Roulet wird zum unentgeltlichen Rechtsbeistand ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.-- aus der Bundesgerichtskasse entschädigt.  
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Jugendanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, Einzelgericht, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 10. Juli 2020 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Kneubühler 
 
Die Gerichtsschreiberin: Dambeck