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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_799/2022  
 
 
Urteil vom 3. Oktober 2022  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichter Muschietti, 
Bundesrichterin Koch, 
Gerichtsschreiberin Andres. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, Maurerstrasse 2, 8510 Frauenfeld, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Wiederherstellung der Einsprachefrist, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 14. April 2022 (SW.2022.21). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft Frauenfeld erklärte A.________ mit Strafbefehl vom 21. August 2020 des Betrugs schuldig und bestrafte ihn mit einer bedingten Freiheitsstrafe von 14 Tagen, als Zusatzstrafe zum Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 5. Dezember 2018, und einer Busse von Fr. 300.--. 
 
B.  
Am 16. Februar 2022 stellte A.________ bei der Staatsanwaltschaft Frauenfeld ein "Wiedererwägungsgesuch", das die Staatsanwaltschaft als Gesuch um Wiederherstellung der Einsprachefrist betreffend Strafbefehl vom 21. August 2020 entgegennahm und am 24. Februar 2022 abwies. 
Die gegen diese Verfügung gerichtete Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Thurgau am 14. April 2022 ab. 
 
C.  
A.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das obergerichtliche Urteil sei aufzuheben, es sei der rechtserhebliche Sachverhalt festzustellen, die Staatsanwaltschaft Frauenfeld sei anzuweisen, die Einsprachefrist wiederherzustellen, und es sei festzustellen, das sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden sei. Ferner ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Anfechtungs- und Beschwerdeobjekt im bundesgerichtlichen Verfahren ist einzig der vorinstanzliche Entscheid (vgl. Art. 80 Abs. 1 BGG). Die Vorinstanz führt zunächst aus, auf die Beschwerde des Beschwerdeführers sei insoweit nicht einzutreten, als er das Strafbefehlsverfahren kritisiere, indem er vorbringe, er sei in Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht angehört worden und ihm sei zu Unrecht keine amtliche Verteidigung gewährt worden. Verfahrensgegenstand könne ausschliesslich die Frage sein, ob die offensichtlich versäumte Frist zur Einsprache gegen den Strafbefehl vom 21. August 2020 gemäss Art. 94 StPO wiederherzustellen sei (Entscheid S. 6). Der Beschwerdeführer wiederholt diesbezüglich vor Bundesgericht wörtlich das bereits im kantonalen Beschwerdeverfahren Ausgeführte (vgl. kantonale Akten, act. 1 S. 5 ff.; Beschwerde S. 5 ff.), macht jedoch nicht geltend, dass die Vorinstanz in diesem Punkt auf seine Beschwerde zu Unrecht nicht eintrete. Dies ist denn auch nicht ersichtlich. Es kann im vorliegenden Verfahren daher nur um die Frage gehen, ob die Vorinstanz die Voraussetzungen für eine Fristwiederherstellung gemäss Art. 94 StPO zu Recht verneint. Auf die Kritik in der Beschwerde am Strafbefehlsverfahren kann ebenso wenig eingetreten werden, wie auf den in diesem Zusammenhang erhobenen Antrag, es sei die Verletzung des Gehörsanspruchs festzustellen. 
Nicht weiter einzugehen ist auch auf die Verfahren, die gemäss dem Beschwerdeführer in dieser Sache noch hängig seien, und den von ihm diesbezüglich eingereichten Beleg. 
 
2.  
 
2.1. In Zusammenhang mit dem Fristwiederherstellungsgesuch erwägt die Vorinstanz, die Verfahrenshandlung, die der Beschwerdeführer hätte vornehmen müssen, sei sehr einfach gewesen. Aus dem im Beschwerdeverfahren eingereichten Austrittsbericht einer Psychiatrischen Universitätsklinik vom 14. August 2020 ergebe sich, dass der Beschwerdeführer vom 25. Juni 2020 bis am 3. August 2020 wegen seiner depressiven Störung, in jener Zeit schwer mit psychotischen Symptomen, stationär behandelt worden sei. Jedoch sei weder damit noch mit dem Beleg der daran anschliessenden psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung bei einem Psychiater und Psychotherapeuten sowie krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit zu 100 % ansatzweise, geschweige denn rechtsgenüglich dargetan, dass der Beschwerdeführer in der Zeit nach seiner Entlassung aus dem stationären Klinikaufenthalt zu keiner Zeit in der Lage gewesen sei, den Satz "Ich erhebe Einsprache." zu schreiben und den Brief der Staatsanwaltschaft einzureichen oder durch eine Drittperson einreichen zu lassen. Komme hinzu, dass der Beschwerdeführer im erwähnten Austrittsbericht als wach, bewusstseinsklar, vielfach orientiert und formalgedanklich geordnet beschrieben werde. Selbst wenn man zugunsten des Beschwerdeführers davon ausginge, es habe bei dessen Klinikaustritt am 3. August 2020 ein Säumnisgrund vorgelegen, wäre dieser spätestens einige Wochen danach, mithin also im Herbst 2020, weggefallen. Die 30-tägige Frist gemäss Art. 94 Abs. 2 StPO wäre damit spätestens Ende 2020 abgelaufen. Das Wiederherstellungsgesuch vom 16. Februar 2022 sei damit auch klar verspätet (Entscheid S. 8 ff.).  
 
2.2. Hat eine Partei eine Frist versäumt und würde ihr daraus ein erheblicher und unersetzlicher Rechtsverlust erwachsen, so kann sie gemäss Art. 94 Abs. 1 StPO die Wiederherstellung der Frist verlangen. Das Gesuch ist innert 30 Tagen nach Wegfall des Säumnisgrundes schriftlich und begründet bei der Behörde zu stellen, bei welcher die versäumte Verfahrenshandlung hätte vorgenommen werden sollen. Innert der gleichen Frist muss die versäumte Verfahrenshandlung nachgeholt werden (Art. 94 Abs. 2 StPO).  
Die gesuchstellende Partei hat glaubhaft zu machen, dass sie an der Säumnis kein Verschulden trifft. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts kann die Wiederherstellung nur bei klarer Schuldlosigkeit gewährt werden. Jedes Verschulden einer Partei, ihres Vertreters oder beigezogener Hilfspersonen, so geringfügig es sein mag, schliesst die Wiederherstellung aus. Unverschuldet ist die Säumnis nur, wenn sie durch einen Umstand eingetreten ist, der nach den Regeln vernünftiger Interessenwahrung auch von einer sorgsamen Person nicht befürchtet werden muss oder dessen Abwendung übermässige Anforderungen gestellt hätte. Allgemein wird vorausgesetzt, dass es in der konkreten Situation unmöglich war, die Frist zu wahren oder jemanden damit zu betrauen (vgl. BGE 143 I 284 E. 1.3; Urteile 6B_1329/2020 vom 20. Mai 2021 E. 1.3.3; 6B_390/2020 vom 23. Juli 2020 E. 1.3.1; 6B_1167/2019 vom 16. April 2020 E. 2.4.2; 6B_1108/2017 vom 20. April 2018 E 1.2; je mit Hinweisen). Die Rechtskraft eines strafrechtlichen Urteils darf nicht leicht durchbrochen werden. Bei Versäumnis gesetzlicher Fristen sind strengere Anforderungen zu stellen (Urteile 6B_1329/2020 vom 20. Mai 2021 E. 1.3.3; 6B_390/2020 vom 23. Juli 2020 E. 1.3.1; 6B_1039/2016 vom 21. Dezember 2016 E. 3.2; 6B_968/2014 vom 24. Dezember 2014 E. 1.3; je mit Hinweisen). 
Wie Art. 94 Abs. 1 StPO lassen auch Art. 50 Abs. 1 BGG, Art. 13 Abs. 1 BZP und Art. 33 Abs. 4 SchKG die Wiederherstellung einer Frist nur bei Fehlen jeglichen Verschuldens zu (Urteil 6B_1329/2020 vom 20. Mai 2021 E. 1.3.3 mit Hinweis). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 50 Abs. 1 BGG kann Krankheit ein unverschuldetes Hindernis darstellen, sofern sie derart ist, dass sie die rechtsuchende Person davon abhält, innert Frist zu handeln oder dafür einen Vertreter beizuziehen (BGE 119 II 86 E. 2a; Urteil 6B_659/2021 vom 24. Februar 2022 E. 2.1; je mit Hinweisen). Die Erkrankung muss die rechtsuchende Person davon abhalten, selbst innert Frist zu handeln oder eine Drittperson mit der Vornahme der Prozesshandlung zu betrauen. Dass es sich so verhält, muss mit einschlägigen Arztzeugnissen belegt werden, wobei die blosse Bestätigung eines Krankheitszustandes und regelmässig selbst einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit zur Anerkennung eines Hindernisses im Sinne von Art. 50 Abs. 1 BGG nicht genügt (vgl. Urteile 6B_659/2021 vom 24. Februar 2022 E. 2.1; 6B_1329/2020 vom 20. Mai 2021 E. 1.3.3; 6B_28/2017 vom 23. Januar 2018 E. 1.3; je mit Hinweisen). 
 
2.3. Der Beschwerdeführer argumentiert, er sei damals - wohl zum Zeitpunkt der Zustellung des Strafbefehls - weder psychisch noch physisch in der Lage gewesen, den Inhalt des Strafbefehls festzustellen, da er - wie heute - in der Klinik gewesen sei. Seine Korrespondenz erledige seine Ehefrau, deren Sprachkenntnisse jedoch begrenzt seien. Damals habe sie nicht feststellen können, dass es sich um ein strafrechtliches Anliegen gehandelt habe. Damit bekräftigt er seinen bereits vor der Vorinstanz vertretenen Standpunkt, ohne sich jedoch mit den vorinstanzlichen Ausführungen auseinanderzusetzen und darzulegen, inwiefern die Vorinstanz die Voraussetzungen von Art. 94 Abs. 1 StPO zu Unrecht verneint. Insbesondere legt er nicht dar, dass die Vorinstanz den Sachverhalt offensichtlich unrichtig, mithin willkürlich, feststellt (vgl. Art. 97 und Art. 105 Abs. 1 sowie 2 BGG; zur Willkür BGE 147 IV 73 E. 4.1.2 mit Hinweisen), womit sich sein Antrag auf Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts von vornherein als unbegründet erweist. Insgesamt ist zwar bereits zweifelhaft, ob die Beschwerde hinreichend begründet ist (vgl. Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG), jedoch kann die Frage offenbleiben, da die vorinstanzliche Beurteilung im Ergebnis nicht zu beanstanden ist.  
Mit der Abholung der Sendung durch die im selben Haushalt lebende Ehefrau am 25. August 2020 wurde der Strafbefehl gültig zugestellt (vgl. Art. 85 Abs. 3 StPO; kantonale Akten, act. 3A pag. 94). Die Wichtigkeit der Sendung war bereits dadurch erkennbar, dass sie eingeschrieben erfolgte. Dass die Ehefrau des Beschwerdeführers der deutschen Sprache nur beschränkt mächtig sein soll, ändert daran nichts. Sollte sie - was sich aus der Beschwerde nicht ergibt - es unterlassen haben, den Beschwerdeführer über den Strafbefehl zu informieren bzw. diesen ihm zu übergeben, würde ihr Verschulden eine Wiederherstellung der Einsprachefrist ausschliessen. Inwiefern der Beschwerdeführer physisch nicht in der Lage gewesen sein soll, den Inhalt des Strafbefehls zur Kenntnis zu nehmen und Einsprache zu erheben, ergibt sich weder aus der Beschwerde noch aus den von ihm ins Recht gelegten Akten. Wie die Vorinstanz zutreffend festhält, trat der Beschwerdeführer am 3. August 2020 aus der Klinik, in der er stationär behandelt wurde, aus. Mangels anderweitiger Angaben ist davon auszugehen, dass er in der Folge und damit auch zum Zeitpunkt der Zustellung des Strafbefehls zu Hause lebte. Was die geltend gemachte psychische Beeinträchtigung betrifft, ist die vorinstanzliche Auffassung, wonach der Beschwerdeführer nicht glaubhaft mache, dass es ihm nach seinem Klinikaustritt am 3. August 2020 unmöglich gewesen sei, die Einsprachefrist zu wahren oder jemanden damit zu betrauen, nicht zu beanstanden. Der Beschwerdeführer macht denn auch nicht geltend, handlungsunfähig gewesen zu sein. Schliesslich gelangt die Vorinstanz zutreffend zum Schluss, dass das Fristwiederherstellungsgesuch verspätet erfolgte. Weder aus der Beschwerde noch aus den Akten ergibt sich, dass der Beschwerdeführer von August 2020 bis zum 16. Februar 2022 bzw. 30 Tage zuvor dauerhaft nicht in der Lage war, vom Strafbefehl Kenntnis zu nehmen und die Staatsanwaltschaft um Wiederherstellung der Einsprachefrist zu ersuchen sowie Einsprache zu erheben. Insgesamt ist nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz die Voraussetzungen für die Fristwiederherstellung gemäss Art. 94 Abs. 1 und 2 StPO nicht als erfüllt erachtet und die Beschwerde abweist. 
 
3.  
Die Beschwerde ist im Verfahren nach Art. 109 BGG abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
Die Gerichtskosten sind ausgangsgemäss dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dessen Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist in Anwendung von Art. 64 BGG abzuweisen, weil die Rechtsbegehren aussichtslos erschienen. Der finanziellen Lage des Beschwerdeführers und dem verhältnismässig geringen Aufwand ist durch eine herabgesetzte Gerichtsgebühr Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 3. Oktober 2022 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Die Gerichtsschreiberin: Andres