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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_145/2022  
 
 
Urteil vom 5. August 2022  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Viscione, 
Gerichtsschreiber Cupa. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Matthias Horschik, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Aargau, 
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente; Arbeitsunfähigkeit), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Versicherungs 
gerichts des Kantons Aargau vom 20. Januar 2022 (VBE.2021.228). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________, geboren 1961, ist gelernte Hebamme und war zuletzt für die Spitex X.________ als Pflegefachfrau tätig. Am 30. Juni 2015 meldete sie sich bei der IV-Stelle des Kantons Aargau (nachfolgend: IV-Stelle oder Beschwerdegegnerin) unter Hinweis auf eine Depression zum Leistungsbezug an. Nach erwerblichen und medizinischen Abklärungen führte letztere in Rücksprache mit dem Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD) verschiedene berufliche Eingliederungsmassnahmen durch, die sie mit Mitteilung vom 2. Mai 2017 erfolglos abschloss. Einen Rentenanspruch verneinte sie (Verfügung vom 31. Oktober 2018). Eine dagegen erhobene Beschwerde der Versicherten hiess das Versicherungsgericht des Kantons Aargau teilweise gut, indem es die Sache zwecks weiterer Abklärungen an die IV-Stelle zurückwies (Urteil vom 20. August 2019). Diese holte hierauf bei der Medizinischen Abklärungsstelle Zentralschweiz ein polydisziplinäres Gutachten ein (internistische, neurologische, neuropsychologische und psychiatrische Expertise vom 15. September 2020; nachfolgend: MEDAS-Gutachten). Gestützt darauf sprach die IV-Stelle A.________ unter Berücksichtigung des Arbeitslosentaggelds eine vom 1. Februar 2016 bis 29. Februar 2020 befristete ganze Invalidenrente zu (Verfügung vom 31. März 2021). 
 
B.  
Die hiergegen erhobene Beschwerde der A.________ hiess das Versicherungsgericht des Kantons Aargau teilweise gut, indem es ihr eine vom 1. Januar 2016 bis 31. März 2020 befristete ganze Rente zusprach (Urteil vom 20. Januar 2022). 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ beantragen, in Aufhebung des angefochtenen Urteils seien ihr weiterhin die gesetzlichen Versicherungsleistungen, insbesondere eine über den 31. März 2020 hinausgehende Rente, zuzusprechen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz oder die IV-Stelle zurückzuweisen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG) und legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Deren Sachverhaltsfeststellungen können von Amtes wegen oder auf Rüge hin berichtigt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig (vgl. E. 1.2 hernach) sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 105 Abs. 2 und Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. BGE 148 V 209 E. 2.2). Unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) prüft das Bundesgericht - offensichtliche Fehler vorbehalten - grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen (vgl. BGE 147 I 73 E. 2.1; 145 V 304 E. 1.1).  
 
1.2. Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und augenfällig unzutreffend ist. Es liegt noch keine offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung ebenfalls in Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erscheint. Diese Grundsätze gelten auch in Bezug auf die konkrete Beweiswürdigung; in diese greift das Bundesgericht auf Beschwerde hin nur bei Willkür ein (siehe zum Willkürbegriff: BGE 147 V 194 E. 6.3.1), insbesondere wenn die Vorinstanz offensichtlich unhaltbare Schlüsse zieht, erhebliche Beweise übersieht oder solche grundlos ausser Acht lässt. Derartige Mängel sind in der Beschwerde aufgrund des strengen Rügeprinzips (Art. 106 Abs. 2 BGG) klar und detailliert aufzuzeigen (vgl. BGE 144 V 50 E. 4.2). Dazu genügt es nicht, einen von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz abweichenden Sachverhalt zu behaupten oder die eigene Beweiswürdigung zu erläutern. Dass die von der Vorinstanz gezogenen Schlüsse nicht mit der Darstellung der beschwerdeführenden Partei übereinstimmen, belegt keine Willkür (BGE 142 II 433 E. 4.4).  
 
 
2.  
Streitig ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie einen über den 31. März 2020 hinausgehenden Rentenanspruch verneinte. Im Zentrum steht dabei die Frage nach dem Beweiswert des MEDAS-Gutachtens. 
 
3.  
 
3.1. Was die massgeblichen Rechtsgrundlagen und insbesondere die vorinstanzlichen Ausführungen zur Beweiswürdigung und zum Beweiswert ärztlicher Gutachten (vgl. BGE 143 V 124 E. 2.2.2; 137 V 210 E. 6.2.2; 134 V 231 E. 5.1; 125 V 351 E. 3; je mit Hinweisen) anbelangt, kann auf die zutreffende Wiedergabe im angefochtenen Urteil verwiesen werden (Art. 109 Abs. 3 Satz 2 BGG).  
 
3.2. Am 1. Januar 2022 trat das revidierte Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) in Kraft (Weiterentwicklung der IV [WEIV]; Änderung vom 19. Juni 2020, AS 2021 705, BBl 2017 2535). Die dem hier angefochtenen Urteil zugrunde liegende Verfügung erging vor dem 1. Januar 2022. Nach den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Rechts und des zeitlich massgebenden Sachverhalts (statt vieler: BGE 144 V 210 E. 4.3.1; 129 V 354 E. 1 mit Hinweisen) sind daher die Bestimmungen des IVG und diejenigen der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV; SR 831.201) in der bis 31. Dezember 2021 gültig gewesenen Fassung anwendbar (BGE 148 V 174 E. 4.1).  
 
4.  
Die Vorinstanz mass dem MEDAS-Gutachten vollen Beweiswert zu und stellte gestützt darauf fest, die Beschwerdeführerin sei spätestens seit dem 1. Januar 2020 in sämtlichen Tätigkeiten zu 70 % arbeitsfähig. Die Gutachter hätten mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit unter anderem folgende Diagnosen erhoben: rezidivierende depressive Störung mit gegenwärtig leichter Episode (ICD-10 F33.0), Status nach Panikstörung (ICD-10 F41.0) und Zwangshandlungen in der Kindheit (ICD-10 F42.1) sowie Verdacht auf Status nach posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS; ICD-10 F43.1). Für die Zeit von Sommer 2014 bis Frühjahr 2015 sei aus gesamtmedizinischer Sicht von einer hochgradigen Arbeitsunfähigkeit von bis zu 100 % für sämtliche Tätigkeiten auszugehen. Im Zuge einer Remission der Panikstörung habe dann eine Arbeitsunfähigkeit von 80 % bis 90 % vorgelegen. Seit 2019 sei die Versicherte wieder zu 70 % arbeitsfähig, wobei eine genaue Datierung angesichts der Aktenlage nicht möglich sei. Die Befunderhebung sei unter Beachtung der rechtsprechungsgemäss relevanten Indikatoren und gestützt auf diverse Tests (AMDP und Mini-ICF) erfolgt. Insbesondere habe sich die in den letzten Jahren im Vordergrund stehende kognitive Leistungseinschränkung weder psychiatrisch noch neuropsychologisch objektiv erfassen und erklären lassen. 
 
5.  
Was die Beschwerdeführerin dagegen vorbringt, verfängt nicht, soweit ihre Einwände überhaupt hinreichend begründet sind (vgl. E. 1.2 hiervor) und sich nicht in einer appellatorisch gehaltenen Wiedergabe der eigenen Sichtweise erschöpfen. 
 
5.1. Zunächst ist hervorzuheben, dass sich die vorinstanzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit der versicherten Person im Rahmen der konkreten Beweiswürdigung grundsätzlich auf Tatfragen beziehen, die das Bundesgericht seiner Urteilsfindung zugrunde zu legen hat (vgl. BGE 132 V 393 E. 3.2; SVR 2021 IV Nr. 16 S. 45, 9C_174/2020 E. 2.3, nicht publ. in: BGE 147 V 79). Bei deren Anfechtung gilt es das strenge Rügeprinzip (Art. 106 Abs. 2 BGG) zu beachten (vgl. E. 1.2 hiervor). Praxisgemäss ist auf ein nach Art. 44 ATSG eingeholtes, versicherungsexternes Gutachten abzustellen, falls nicht konkrete Indizien gegen dessen Zuverlässigkeit sprechen (vgl. BGE 137 V 210 E. 1.3.4; 125 V 351 E. 3b/bb; SVR 2021 IV Nr. 16 S. 45, 9C_174/2020 E. 8.1, nicht publ. in: BGE 147 V 79; je mit Hinweisen).  
 
5.2. Des Weiteren ist im Prüfkontext eines allfälligen Rentenanspruchs an den hier gegebenen Streitgegenstand zu erinnern, wonach einzig die medizinische Seite der Invaliditätsbemessung ab dem 1. Januar 2020 strittig ist. Bereits mit Blick auf diese zeitliche Dimension ist nicht ersichtlich, dass die von der Vorinstanz erwähnten und von der IV-Stelle mit Mitteilung vom 2. Mai 2017 erfolglos abgeschlossenen Eingliederungsversuche (Belastbarkeits- und Aufbautrainings) geeignet sein könnten, die Beurteilung der Leistungsfähigkeit nach dem 31. Dezember 2019 direkt zu beeinflussen. Zur Zeit, als die Eingliederungsmassnahmen stattfanden, war die Beschwerdeführerin laut dem MEDAS-Gutachten für sämtliche Tätigkeiten bis zu 100 % arbeitsunfähig (vgl. E. 4 hiervor). Der beschwerdeweise erhobene Vorwurf, die MEDAS-Gutachter würden auf diesen Aspekt bei ihrer Beurteilung nicht eingehen, trifft nicht zu. Die einzelnen Eingliederungsmassnahmen finden je separat aufgelistet im Aktenauszug des Gutachtens mit Wiedergabe der entscheidwesentlichen Informationen Erwähnung. Inwiefern sie darüber hinaus indirekt Auskunft zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin ab dem Jahr 2020 geben sollten, vermag letztere nicht aufzuzeigen.  
 
5.3. Dasselbe gilt für die mit Beschwerde behauptete Missachtung diverser Kriterien des strukturierten Beweisverfahrens, indem die Gutachter weder mit der behandelnden Psychiaterin, Dr. med. B.________, Rücksprache genommen noch sich mit ihren Berichten auseinander gesetzt haben sollen. Das kantonale Gericht zeigte auf, dass deren Arztberichte, die von einer rezidivierenden depressiven Symptomatik mit gegenwärtig leichter Episode, Teilsymptomen einer PTBS und einem Anfallsleiden ausgehen, im MEDAS-Gutachten hinreichend Berücksichtigung fanden. Insbesondere der ins Recht gelegte Arztbericht vom 24. April 2021, welcher der Beschwerdeführerin in einer angepassten Tätigkeit seit 2019 eine Arbeitsfähigkeit von ca. 50 % attestiert, enthält nach zutreffender Auffassung der Vorinstanz keine neuen Diagnosen, sondern wiederholt ihre bereits zuvor geäusserte eigene Auffassung. Ein Administrativgutachten ist nicht stets dann schon in Frage zu stellen und zum Anlass weiterer Abklärungen zu nehmen, wenn behandelnde Ärzte zu einem anderen Ergebnis gelangen; vorbehalten bleiben Fälle, in denen sich eine abweichende Beurteilung aufdrängt, weil sie wichtige Aspekte benennen, die im Rahmen der Begutachtung unerkannt oder ungewürdigt geblieben sind (vgl. SVR 2017 IV Nr. 49 S. 148, 9C_338/2016 E. 5.5; Urteil 8C_804/2021 vom 1. Juni 2022 E. 2.3). Inwiefern solche Aspekte aus den medizinischen Akten hervorgehen sollten, ist weder ersichtlich noch in der Beschwerde rechtsgenüglich dargetan, zumal die Gutachter das Vorliegen einer so spät auftretenden PTBS nicht nachvollziehen konnten und der beigezogene Neurologe Dr. med. C.________ eine Epilepsie verneinte.  
 
5.4. Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass weder Art. 29 Abs. 2 BV noch Art. 6 Ziff. 1 EMRK einen Anspruch der Partei vorsehen, sich mündlich zur Sache zu äussern. Es genügt, wenn die Partei schriftlich Stellung nehmen kann (vgl. BGE 142 I 188 E. 3.2.2; 130 II 425 E. 2.1; Urteil 8C_40/2022 vom 15. Juli 2022; je mit Hinweisen). Es ist bei einer lediglich leichten bis mittelschweren Depression Aufgabe der medizinischen Sachverständigen, nicht aber des Gerichts, zu prüfen, ob funktionelle Leistungseinschränkungen bestehen, die sich auf die Arbeitsfähigkeit auswirken (vgl. BGE 148 V 49 E. 6.2.2). Deshalb ist es nicht nötig, dass das Gericht einen persönlichen Eindruck von der Partei gewinnt (vgl. BGE 142 I 188 E. 3.3.1 mit Hinweisen).  
 
 
6.  
Zusammenfassend liegen keine konkreten Indizien vor, die gegen die Zuverlässigkeit des MEDAS-Gutachtens sprechen. Gestützt darauf durfte die Vorinstanz bundesrechtskonform einen über den 31. März 2020 hinausgehenden Rentenanspruch verneinen. 
 
7.  
Die Beschwerde ist offensichtlich unbegründet, weswegen sie im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG ohne Schriftenwechsel und mit summarischer Begründung (Art. 109 Abs. 3 Satz 1 BGG) erledigt wird. Die unterliegende Beschwerdeführerin trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau, der Pensionskasse D.________ und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 5. August 2022 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Der Gerichtsschreiber: Cupa