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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
6B_1051/2019  
 
 
Urteil vom 9. April 2020  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichterinnen van de Graaf, Koch, 
Gerichtsschreiber Held. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Grobe Verletzung von Verkehrsregeln, willkürliche Beweiswürdigung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 9. Mai 2019 (SB180518-O/U/cwo). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________ wird zusammengefasst vorgeworfen, am frühen Morgen des 18. März 2016 einen Personenwagen mit völlig vereisten Scheiben gelenkt zu haben. Lediglich die Frontscheibe sei für ein Guckloch von ca. 15 cm x 30 cm vom Eis befreit und die Seitenscheibe der Fahrerseite herunter gekurbelt gewesen. Aufgrund der stark eingeschränkten Sicht sei er nicht in der Lage gewesen, den Strassen- und Verkehrsverhältnissen die erforderliche Aufmerksamkeit zu widmen, wodurch er eine abstrakte Unfallgefahr geschaffen habe, was er zumindest billigend in Kauf genommen habe. 
 
Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte A.________ am 21. September 2017 in Bestätigung des erstinstanzlichen Schuldspruchs wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln zu einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 85. - sowie einer Verbindungsbusse von Fr. 300.- respektive einer Ersatzfreiheitsstrafe von drei Tagen im Falle schuldhafter Nichtbezahlung der Busse. Die hiergegen erhobene Beschwerde hiess das Bundesgericht am 23. November 2018 (Urteil 6B_1342/2017) aus prozessualen Gründen teilweise gut und wies die Sache zu neuer Entscheidung an das Obergericht zurück. 
 
B.   
Das Obergericht verurteilte A.________ mit Urteil vom 9. Mai 2019 erneut wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln zu einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 85. - sowie einer Verbindungsbusse von Fr. 300.- respektive einer Ersatzfreiheitsstrafe von drei Tagen im Falle schuldhafter Nichtbezahlung der Busse. 
 
C.   
A.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und er sei vom Vorwurf der schweren Verkehrsregelverletzung freizusprechen. Eventualiter sei (das Urteil aufzuheben und) die Sache an das Obergericht mit der Anweisung zurückzuweisen, den abgelehnten Beweisanträgen stattzugeben und in gänzlich neuer Besetzung zu entscheiden. A.________ ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und aufschiebende Wirkung seiner Beschwerde. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Anfechtungsobjekt des bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahrens bildet ausschliesslich der Entscheid der Vorinstanz vom 9. Mai 2019als letztinstanzlicher kantonaler Entscheid (vgl. Art. 80 Abs. 1, Art. 90 BGG). Auf die vom Beschwerdeführer erhobenen Rügen gegen das erstinstanzliche Urteil des Bezirksgerichts Pfäffikon vom 19. Januar 2017 ist nicht einzutreten. 
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer wendet sich unter verschiedenen Titeln gegen die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung. Er rügt zum einen, die Vorinstanz habe in Verletzung ihrer Aufklärungs- und Untersuchungspflicht die von ihm gestellten Beweisanträge auf Einsicht in die Falldossiers des als Zeugen einvernommenen Polizeibeamten zu Unrecht in antizipierter Beweiswürdigung abgelehnt. Der Schuldspruch basiere einzig auf den Aussagen des Zeugen, weshalb die Vorinstanz dessen Glaubwürdigkeit umfassend hätte abklären und insbesondere mögliche Motive für die (falsche) Anschuldigung erheben müssen. Der angefochtene Entscheid verstosse auch gegen den Grundsatz "in dubio pro reo". Die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers und des Zeugen seien auf gleicher Stufe anzusiedeln, jedoch hätte die Vorinstanz an den Zeugenaussagen zweifeln müssen. Der Beschwerdeführer habe gegen den Zeugen eine Dienstaufsichtsbeschwerde erstattet, was bei objektiver Betrachtung nicht grundlos erfolgt sein könne. Auch sei es nicht Aufgabe des Beschwerdeführers, seine Unschuld zu beweisen. Den Beweis, die Scheiben ordnungsgemäss vom Eis befreit zu haben, habe er nicht führen können, da der Zeuge ihn erst etliche Stunden nach dem vermeintlichen Vorfall kontaktiert habe, anstatt ihn an Ort und Stelle anzuhalten.  
 
2.2. Die Vorinstanz erwägt zusammengefasst, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Zeuge den Beschwerdeführer zu Unrecht belaste. Namentlich die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Unterstellung der Ausländerfeindlichkeit und der falschen Aussage entbehrten jeglicher Grundlage. Der Zeuge habe die Ermittlungen aufgenommen, bevor er Kenntnis vom Beschwerdeführer und dessen ausländischen Wurzeln gehabt habe. Hingegen wirkten manche Aussagen des Beschwerdeführers stereotyp, übersteigert und enthielten Widersprüche. Dessen persönliche Angriffe und Anschuldigungen gegen den Zeugen seien Lügensignale. Insgesamt sei auf die glaubhaften Aussagen des Zeugen abzustellen.  
 
3.  
Das Bundesgericht legt seinem Urteil grundsätzlich den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG; BGE 144 V 50 S. 52 f. mit Hinweisen). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Offensichtlich unrichtig ist eine Sachverhaltsfeststellung, wenn der angefochtene Entscheid unhaltbar ist oder mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht (BGE 143 IV 500 E. 1.1, 241 E. 2.3.1; je mit Hinweisen). Überdies muss die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein (Art. 97 Abs. 1 BGG). 
Das Sachgericht verfügt bei der Würdigung der Beweise über einen weiten Beurteilungsspielraum, weshalb es im Rahmen der Sachverhaltsrüge nicht genügt, einen von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz abweichenden Sachverhalt zu behaupten oder die eigene Beweiswürdigung zu erläutern (BGE 143 IV 241 E. 2.3.1; 141 IV 369 E. 6.3; Urteile 6B_986/2017 vom 26. Februar 2018 E. 2.4.1; 6B_800/2016 vom 25. Oktober 2017 E. 10.3.1, nicht publiziert in BGE 143 IV 397). Das Sachgericht verstösst gegen die Unschuldsvermutung und den daraus abgeleiteten Grundsatz "in dubio pro reo", wenn es die beschuldigte Person mit der Begründung verurteilt, diese habe ihre Unschuld nicht nachgewiesen oder trotz offensichtlich erheblicher bzw. schlechterdings nicht zu unterdrückender Zweifel an der Schuld der beschuldigten Person zu einer Verurteilung gelangt (BGE 144 IV 345 E. 2.2.3.3; Urteil 6B_1248/2017 vom 21. Februar 2019 E. 4.2.3; je mit Hinweisen). 
 
4.  
Soweit die Rügen den Begründungsanforderungen genügen und auf sie eingetreten werden kann, erweisen sie sich als unbegründet. 
 
4.1. Der Beschwerdeführer setzt sich mit der vorinstanzlichen Beweiswürdigung und Sachverhaltsfeststellung allenfalls oberflächlich auseinander. Er beschränkt sich über weite Strecken darauf, der Beweiswürdigung der Vorinstanz seine eigenen Tatsachenbehauptungen gegenüberzustellen und frei zum Beweisergebnis zu plädieren. Damit ist er im bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahren nicht zu hören. Das Bundesgericht als oberste Recht sprechende Behörde (Art. 1 Abs. 1 BGG) ist keine Appellationsinstanz, die eine freie Prüfung in tatsächlicher Hinsicht vornimmt oder die vorinstanzliche Beweiswürdigung mit freier Kognition überprüft (vgl. Art. 105 Abs. 1 BGG; BGE 140 III 264 E. 2.3). Dass die Vorinstanz als erkennendes Sachgericht unhaltbare Schlüsse gezogen, erhebliche Beweise übersehen oder solche willkürlich ausser Acht gelassen hat, ergibt sich aus den ohne Bezug zum angefochtenen Urteil gemachten Ausführungen des Beschwerdeführers nicht.  
 
4.2. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers verstösst die Vorinstanz auch nicht gegen ihre gesetzliche Untersuchungspflicht, die die Strafbehörden verpflichtet, von Amtes wegen (oder auf Antrag) alle für die Beurteilung der Tat und der beschuldigten Person bedeutsamen Tatsachen abzuklären (Art. 6 Abs. 1 StPO) und zur Wahrheitsfindung alle nach dem Stand von Wissenschaft und Erfahrung geeigneten Beweismittel einzusetzen, die rechtlich zulässig sind (Art. 139 Abs. 1 StPO).  
 
Der Vorwurf, die Vorinstanz habe in Verletzung von Bundesrecht ohne inhaltliche Auseinandersetzung und mit widersprüchlicher Begründung in antizipierter Beweiswürdigung seinen "Beweisantrag" auf Aktenbeizug und Akteneinsicht abgelehnt, erweist sich als unzutreffend. Der Beschwerdeführer verkennt, dass es sich bei seinem Antrag, sämtliche Akten derjenigen Verfahren, die der Zeuge in seiner beruflichen Tätigkeit als Polizeibeamter (mit-) bearbeitet hat, nach Hinweisen auf eine mögliche, vom ihm behauptete Fremdenfeindlichkeit zu untersuchen, nicht um einen Beweisantrag (im engeren Sinne), sondern um einen Beweisermittlungsantrag handelt. Im Gegensatz zu einem Beweisantrag, der dadurch gekennzeichnet ist, dass er eine bestimmte Beweistatsache und ein bestimmtes Beweismittel bezeichnet, zielt der Antrag des Beschwerdeführers allein darauf ab, die von ihm behauptete Beweistatsache der angeblichen Falschaussage und Ausländerfeindlichkeit zu ermitteln (vgl. zur Unterscheidung zwischen Beweisantrag und Beweisermittlungsantrag: WOLFGANG WOHLERS, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 2. Aufl. 2014, N. 7 zu Art. 139 StPO; DERS.: Bemerkungen zum Urteil des Bundesgerichts 6B_663/2011 vom 2. Februar 2012 in: forumpoenale, 4/2012 S. 210 f.). Diesen Beweiserhebungsantrag konnte die Vorinstanz ohne Bundesrecht zu verletzen ablehnen, da für die vom Beschwerdeführer geäusserte Vermutung keine Anhaltspunkte vorlagen und weitere Beweiserhebungen zur Wahrheitserforschung nicht als geboten erschienen. Die Vorinstanz weist insoweit zutreffend darauf hin, dass der Zeuge die Ermittlungen aufgenommen hatte, ohne zu wissen, wer das Fahrzeug geführt hat und dass der Beschwerdeführer ausländische Wurzeln hat. Auch der beigezogene Strafregisterauszug des Zeugen wies keine Vorstrafen oder Untersuchungen wegen falschen Zeugnisses oder "Ausländerfeindlichkeit" auf. Zudem kommt der allgemeinen Glaubwürdigkeit einer einvernommenen Person im Sinne einer dauerhaften personalen Eigenschaft gegenüber der Glaubhaftigkeit der konkreten Aussage für die Wahrheitsfindung nur untergeordnete Bedeutung zu (vgl. BGE 133 I 33 E. 4.3 S. 45; Urteil 6B_1094/2017 vom 11. Juni 2019 E. 3.1). Auf die vom Zeugen zum angeklagten Vorfall gemachten Aussagen und deren umfangreiche Würdigung durch die Vorinstanz geht der Beschwerdeführer inhaltlich nicht ein und zeigt nicht auf, inwieweit diese Anhaltspunkte dafür bieten sollen, dass die Schilderungen der inkriminierten Autofahrt nicht auf tatsächlich Erlebtem beruhen. 
 
Nicht zu beanstanden ist, dass die Vorinstanz die Fragen des Beschwerdeführers in Bezug auf einen Unfall des Zeugen mit einem Personenwagen mangels Relevanz für das vorliegende Verfahren abgelehnt hat. Inwieweit der Umstand, dass der Zeuge in der Vergangenheit von einem Personenwagen angefahren wurde, im Hinblick auf dessen Wahrnehmungen zur Fahrt des Beschwerdeführers mit vereisten Scheiben von Bedeutung sein soll, zeigt der Beschwerdeführer nicht auf und ist auch nicht ersichtlich. 
 
5.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist infolge Aussichtslosigkeit der Rechtsbegehren abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Dem Beschwerdeführer sind reduzierte Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 i.V.m. Art. 65 Abs. 2 BGG). Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegenstandslos. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.   
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 9. April 2020 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Held