Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
2C_1055/2021  
 
 
Urteil vom 26. Juli 2022  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin, 
Bundesrichter Beusch, 
Bundesrichter Hartmann, 
Gerichtsschreiber Seiler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1. A.________, 
2. B.________, 
3. C.________, 
Beschwerdeführer, 
alle drei vertreten durch Rechtsanwalt Bernhard Jüsi, 
 
gegen  
 
Migrationsamt des Kantons Zürich, 
Berninastrasse 45, 8090 Zürich. 
 
Gegenstand 
Familiennachzug, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 2. Abteilung, vom 10. November 2021 (VB.2021.00466). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. A.________ (geb. 1941, Staatsangehörige des Kosovos) ist Mutter von sechs erwachsenen Kindern und seit dem 24. August 2017 verwitwet. Von ihren sechs Kindern leben B.________, D.________ (beide in S.________), C.________ (in T.________), E.________ (in U.________) und F.________ (in V.________) in der Schweiz, während ihr Sohn G.________ in W.________ wohnhaft ist. Am 5. Dezember 2018 reiste A.________ in die Schweiz ein, wo sie um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib bei ihrem 1972 geborenen Sohn B.________ ersuchte, der italienisch-schweizerischer Doppelbürger ist. Das Migrationsamt wies das Nachzugsgesuch am 22. Juli 2019 ab und setzte eine Ausreisefrist bis zum 21. August 2019 an. Diese Verfügung erwuchs unangefochten in Rechtskraft. Eigenen Angaben zufolge verblieb A.________ gleichwohl und unter Missachtung ihrer Ausreiseverpflichtung in der Schweiz. Am 12. Februar 2021 ersuchte B.________ erneut um den Nachzug seiner Mutter A.________. Auf dieses Gesuch trat das Migrationsamt mangels neuer Tatsachen mit Verfügung vom 29. März 2021 nicht ein. Zugleich hielt es fest, dass A.________ die Schweiz unverzüglich zu verlassen und ansonsten mit Zwangsmassnahmen zu rechnen habe. Die kantonalen Rechtsmittel, welche A.________ und ihre Söhne B.________ und C.________ hiergegen ergriffen, blieben erfolglos (Rekursentscheid der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich vom 1. Juni 2021; Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 10. November 2021).  
 
1.2. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten sowie subsidiärer Verfassungsbeschwerde vom 29. Dezember 2021 beantragen A.________, B.________ und C.________, der Entscheid des Verwaltungsgerichts und die Verfügung des Migrationsamts seien aufzuheben. Das Migrationsamt sei anzuweisen, A.________ eine Aufenthaltsbewilligung nach den Bestimmungen über den Familiennachzug, eventualiter direkt gestützt auf Art. 8 EMRK zu erteilen. Eventualiter sei die Sache zur materiellen Prüfung und Entscheidung an das Migrationsamt - subeventualiter an das Verwaltungsgericht - zurückzuweisen. Im Sinne einer vorsorglichen Massnahme sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzugestehen und sei das Migrationsamt anzuweisen, den Aufenthalt von A.________ für die Dauer des Beschwerdeverfahrens zu gestatten. Weiter sei auf die Erhebung eines Kostenvorschusses zu verzichten.  
Die Vorinstanz und das Migrationsamt beantragen die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. 
 
1.3. Mit Verfügung vom 30. Dezember 2021 hat das Bundesgericht der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Das Gesuch auf Verzicht auf Erhebung eines Kostenvorschusses hat das Bundesgericht dagegen mit Verfügung vom 4. Januar 2022 (sinngemäss) abgewiesen.  
 
2.  
 
2.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist auf dem Gebiet des Ausländerrechts ausgeschlossen, wenn sie sich gegen Entscheide richtet, welche Bewilligungen betrifft, auf die das Bundes- und das Völkerrecht keinen Anspruch vermitteln (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG). Für das Eintreten genügt bereits, wenn die betroffene Person in vertretbarer Weise dartut, dass potenziell ein Anspruch aus Bundes- oder Völkerrecht besteht (vgl. BGE 139 I 330 E. 1.1 mit Hinweisen; 136 II 177 E. 1.1). Ob die Beschwerdeführer dieser Anforderung mit ihren Ausführungen zu Art. 8 EMRK und Art. 3 Anhang I des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA; SR 0.142.112.681) gerecht werden, ist zwar zweifelhaft. Angesichts des Verfahrensausgangs kann die Frage aber offenbleiben. Aus demselben Grund kann offenbleiben, ob der im Kanton Genf wohnhafte Sohn der Beschwerdeführerin ein schutzwürdiges Interesse an der Beschwerdeführung hat und nach Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde legitimiert ist.  
 
2.2. Wegen offensichtlicher Unzulässigkeit nicht einzutreten ist allerdings auf den Antrag der Beschwerdeführer auf Aufhebung der Verfügung des Migrationsamtes. Die Nichteintretensverfügung wurde durch die anschliessenden Rechtsmittelentscheide ersetzt und kann daher nicht selbständig angefochten werden, gilt aber als inhaltlich mitangefochten (Devolutiveffekt; vgl. BGE 134 II 142 E. 1.4). Offensichtlich unzulässig ist die Beschwerde auch, soweit die Beschwerdeführer beantragen, es sei der Beschwerdeführerin eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen. Wie bereits die Vorinstanz erläutert hat, ist der Streitgegenstand auf die Frage beschränkt, ob das Migrationsamt auf das erneute Familiennachzugsgesuch vom 12. Februar 2021 zu Recht nicht eingetreten ist. Falls diese Frage im Sinne der Beschwerdeführer zu beantworten wäre, könnte das Bundesgericht die Sache daher lediglich an die kantonalen Instanzen zurückweisen, nicht aber in der Sache selbst entscheiden (vgl. Urteile 2C_446/2018 vom 22. August 2019 E. 1.2; 2C_856/2018 vom 8. Juli 2019 E. 1.2).  
 
2.3. Wird die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten materiell behandelt, ist auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde nicht einzutreten (Art. 113 BGG).  
 
3.  
Die Beschwerdeführer werfen der Vorinstanz Verletzungen des Rechtsverweigerungsverbots (Art. 29 Abs. 1 BV), des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) und des Willkürverbots (Art. 9 BV) vor, weil sie im Zusammenhang mit dem freizügigkeitsrechtlichen Familiennachzug ausschliesslich auf den Nachweis von Unterhaltszahlungen abstelle und Noven wie die neue angemessene Wohnung und die tatsächliche Situation der Beschwerdeführerin während des Aufenthalts in der Schweiz unbeachtet lasse. Diese Rügen sind allesamt offensichtlich unbegründet. 
 
3.1. Wurde ein Gesuch rechtskräftig abgewiesen, ist eine Verwaltungsbehörde nach der Rechtsprechung von Verfassungs (Art. 29 BV) wegen nur dann verpflichtet, auf ein neues Gesuch in derselben Sache einzutreten, wenn die Umstände sich seit dem ersten Entscheid wesentlich geändert haben oder wenn ein Revisionsgrund vorliegt, d.h. der Gesuchsteller erhebliche Tatsachen und Beweismittel namhaft macht, die ihm im früheren Verfahren nicht bekannt waren oder die schon damals geltend zu machen für ihn rechtlich oder tatsächlich unmöglich war oder keine Veranlassung bestand (BGE 146 I 185 E. 4.1; 136 II 177 E. 2.2.1; Urteil 2C_89/2022 vom 3. Mai 2022 E. 4.2 mit Hinweisen). Die betroffene Person hat glaubhaft zu machen und mit geeigneten Beweismitteln zu belegen, dass und allenfalls welche tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse sich seit dem ersten Entscheid derart verändert haben, dass es sich gestützt darauf rechtfertigt, die Situation wegen der nunmehr absehbaren Erfolgsaussicht neu zu beurteilen (Urteile 2C_89/2022 vom 3. Mai 2022 E. 4.2; 2C_393/2019 vom 18. September 2019 E. 3.2; 2C_883/2018 vom 21. März 2019 E. 4.3, je mit Hinweisen).  
 
3.2. Das ursprüngliche Familiennachzugsgesuch für die Beschwerdeführerin war abgewiesen worden, weil keine Unterhaltszahlungen seitens des Sohns mit italienischer Staatsangehörigkeit gemäss Art. 3 Abs. 2 lit. b Anhang I FZA belegt worden waren und die alterstypischen gesundheitlichen Probleme der Beschwerdeführerin kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis zu ihren Kindern begründete, wie dies für einen Familiennachzug gestützt auf Art. 8 EMRK ausserhalb der Kernfamilie (Eltern und ihre minderjährigen Kinder; vgl. BGE 139 II 393 E. 5.1; 137 I 154 E. 3.4.2; Urteil 2C_385/2018 vom 29. November 2018 E. 3.2; vgl. auch BGE 145 I 227 E. 5.3; 144 II 1 E. 6.1) erforderlich wäre (vgl. angefochtenes Urteil E. 2.1.2).  
 
3.3. In Bezug auf den freizügigkeitsrechtlichen Familiennachzug behaupten die Beschwerdeführer, dass Unterhaltszahlungen von Fr. 300.-- bis Fr. 1'000.-- geleistet worden seien, wobei sie auch vor Bundesgericht offenlassen, in welchen Zeitabständen diese Beträge jeweils ausgerichtet worden sein sollen. Zum Beweis haben sie eine "übereinstimmende Erklärung der Unterhaltsgewährung" der Kinder der Beschwerdeführerin eingereicht. Das Migrationsamt hatte die Beschwerdeführerin allerdings bereits im ersten Familiennachzugsverfahren auf die Relevanz von Unterhaltszahlungen hingewiesen, sodass sie schon damals allen Anlass gehabt hätte, solche Zahlungen zu behaupten (vgl. angefochtenes Urteil E. 2.2.2). Es ist daher äusserst zweifelhaft, ob dieses unechte Novum ein Eintreten zu rechtfertigen vermöchte. Auf jeden Fall ist aber nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz der genannten Erklärung der Kinder der Beschwerdeführerin keinen massgeblichen Beweiswert beigemessen hat. Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführer auch vor Bundesgericht die angeblichen Zahlungen nicht auf die Kinder aufschlüsseln, sodass unklar bleibt, in welchem Umfang der Sohn mit italienischer Staatsangehörigkeit Unterhalt gezahlt haben soll. Entgegen den Beschwerdeführern ist daher von vornherein unerheblich, dass nun eine genügende Wohnung zur Verfügung stehen soll. Ohnehin war die neue Wohnung im ersten Verfahren bereits berücksichtigt worden (vgl. angefochtenes Urteil E. 2.2.3).  
 
3.4. Im Zusammenhang mit Art. 8 EMRK behaupten die Beschwerdeführer, dass sich der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin verschlechtert habe. Sie haben dies vor den kantonalen Instanzen mit einem Bericht eines kosovarischen Internisten zu belegen versucht. Dieser Darstellung hat die Vorinstanz jedoch keinen Glauben geschenkt und darauf hingewiesen, dass sich die Beschwerdeführerin nun seit mehreren Jahren (illegal) in der Schweiz aufhalte. Es sei daher nicht ersichtlich, inwiefern ein kosovarischer Arzt zu ihrem aktuellen Gesundheitszustand verlässlich Auskunft geben könne (vgl. angefochtenes Urteil E. 2.2.5). Diese Beweiswürdigung erscheint jedenfalls nicht als offensichtlich unrichtig, sodass das Bundesgericht daran gebunden ist (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). Dass sich der Sachverhalt noch in anderer Hinsicht potenziell wesentlich verändert hätte, behaupten die Beschwerdeführer nicht. Wie bereits die kantonalen Instanzen angedeutet haben, genügt der blosse Zeitablauf und die damit einhergehende zunehmende Entfremdung der Beschwerdeführerin von ihrer Heimat für sich alleine jedenfalls nicht. Dies gilt umso mehr, als die Beschwerdeführerin nicht nur ihre Ausreiseverpflichtung missachtet, sondern sich der Wegweisung durch (vorübergehendes) Untertauchen entzogen und sich damit qualifiziert rechtsmissbräuchlich verhalten hat (vgl. angefochtenes Urteil E. 2.2.6.1).  
 
3.5. Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz also weder das Verbot des überspitzten Formalismus (Art. 29 Abs. 1 BV), noch den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) noch das Willkürverbot (Art. 9 BV) verletzt, indem sie das Nichteintreten des Migrationsamts geschützt hat. Nicht näher einzugehen ist auf die Vorbringen der Beschwerdeführer, soweit sie keine wesentlich veränderte Faktenlage behaupten, sondern lediglich das Ergebnis des ersten Familiennachzugsverfahren infrage stellen.  
 
4.  
Die Beschwerde ist offensichtlich unbegründet und im vereinfachten Verfahren (Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG) abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Das Gesuch der Beschwerdeführer um unentgeltliche Rechtspflege bezog sich ausdrücklich nur auf den Kostenvorschuss (vgl. Beschwerde S. 14) und wurde insoweit (sinngemäss) mit Verfügung vom 4. Januar 2022 abgewiesen. Die Gerichtskosten sind den Beschwerdeführern zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu auferlegen (Art. 66 Abs. 1 und 5 BGG). Es ist keine Parteientschädigung geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 
 
2.  
Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden den Beschwerdeführern zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, der Sicherheitsdirektion, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 2. Abteilung, und dem Staatssekretariat für Migration mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 26. Juli 2022 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin 
 
Der Gerichtsschreiber: Seiler