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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
1C_372/2013  
   
   
 
 
 
Urteil vom 15. November 2013  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident, 
Bundesrichter Aemisegger, Chaix, 
Gerichtsschreiber Uebersax. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1. A.A.________, 
2. B.A.________, 
beide vertreten durch Rechtsanwalt Martin Ingold, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Biomasse Jungfrau AG, Fabrikstrasse 8, 3800 Interlaken,  
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter Hollinger, 
Beschwerdegegnerin, 
 
Einwohnergemeinde Interlaken, Gemeindeverwaltung, General-Guisanstrasse 43, 3800 Interlaken,  
handelnd durch den Gemeinderat Interlaken, 
General-Guisanstrasse 43, 3800 Interlaken, 
Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern, Rechtsamt, Reiterstrasse 11, 3011 Bern.  
 
Gegenstand 
Baubewilligung; Neubau einer Biogasanlage, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, Einzelrichter, vom 22. März 2013. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Biomasse Jungfrau AG reichte am 12. Mai 2012 bei der Einwohnergemeinde Interlaken ein Baugesuch ein für eine Biogasanlage zur (Nass-) Vergärung von organischen Abfällen und Hofdünger zwecks Produktion von Biomethan auf der in der Zone für öffentliche Nutzung g (Kehrichtumladestation) liegenden und der Einwohnergemeinde Interlaken gehörenden Parzelle Interlaken Gbbl. Nr. 1093. Dagegen erhoben unter anderem A.A.________ und B.A.________ als Gesamteigentümer der mehr als 300 m entfernten Parzelle Interlaken Gbbl. Nr. xxx sowie letzterer überdies als Eigentümer der rund 350 m entfernten Liegenschaft Interlaken Gbbl. Nr. yyyy Einsprache. Mit Gesamtbauentscheid vom 22. Mai 2012 erteilte das Regierungsstatthalteramt Interlaken-Oberhasli für das Bauprojekt die Baubewilligung, die Gewässerschutzbewilligung und die Anlagegenehmigung. 
 
B.  
Gegen diesen Gesamtbauentscheid reichten A.A._____ und B.A.____ am 21. Juni 2012 Beschwerde bei der Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern ein. Diese wies die Beschwerde am 5. November 2012 ab, soweit sie darauf eintrat. 
 
C.  
Mit Urteil vom 22. März 2013 wies der Einzelrichter am Verwaltungsgericht des Kantons Bern eine dagegen erhobene Beschwerde von A.A.________ und B.A.________ ab, soweit er darauf eintrat. 
 
D.  
A.A._________ und B.A.________ führen Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht mit dem Antrag, das Urteil des Verwaltungsgerichts sowie den Gesamtbauentscheid aufzuheben und dem Bauvorhaben den Bauabschlag zu erteilen. 
 
E.  
Die Biomasse Jungfrau AG und das Verwaltungsgericht des Kantons Bern schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Die Einwohnergemeinde Interlaken äusserte sich ablehnend zur Beschwerde, ohne einen förmlichen Antrag zu stellen. Die Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern hat auf eine Stellungnahme verzichtet. 
 
F.  
In Replik und Duplik halten A.A._______ und B.A._______ einerseits sowie die Biomasse Jungfrau AG andererseits im Wesentlichen an ihren Standpunkten fest. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Gemäss Art. 82 lit. a BGG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden in Angelegenheiten des öffentlichen Rechts. Dieses Rechtsmittel steht auch auf dem Gebiet des Raumplanungs- und Baurechts zur Verfügung (vgl. Art. 34 Abs. 1 RPG sowie BGE 133 II 249 E. 1.2 S. 251; 133 II 409 E. 1.1 S. 411). Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um einen anfechtbaren kantonal letztinstanzlichen Endentscheid (vgl. Art. 86 Abs. 1 lit. d und Art. 90 BGG). Streitgegenstand bildet allerdings nur die Frage, ob die Einschätzung der Vorinstanz rechtmässig ist, die Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern sei zu Recht nicht auf die bei ihr erhobene Beschwerde eingetreten, soweit die Beschwerdeführer damit unter Verweis auf zwei neuere Brände in anderen Biomasseanlagen neu geltend gemacht hatten, die erteilte Baubewilligung beruhe auf ungenügenden Abklärungen zur Sicherheit und Brandgefährdung.  
 
1.2. Angesichts des beschränkten Streitgegenstandes ist der Antrag, die Baubewilligung zu verweigern, unzulässig. Wäre die Beschwerde gutzuheissen, müsste die Sache an die Direktion zurückgewiesen werden zur entsprechenden inhaltlichen Beurteilung.  
 
1.3. Anfechtbar ist überdies angesichts des Devolutiveffekts der Beschwerde an das Bundesgericht nur das Urteil des Verwaltungsgerichts selbst; dem Antrag der Beschwerdeführer auf Aufhebung der Gesamtbaubewilligung kann daher von vornherein nicht stattgegeben werden. Immerhin gelten Entscheide unterer Instanzen als inhaltlich mitangefochten (vgl. BGE 134 II 142 E. 1.4 S. 144; 129 II 438 E. 1 S. 441).  
 
1.4. Die Legitimation zur Beschwerde richtet sich nach Art. 89 Abs. 1 BGG. Nach der Rechtsprechung ist bei Bauprojekten insbesondere in räumlicher Hinsicht eine spezifische Beziehungsnähe erforderlich. Ein massgebliches schutzwürdiges Interesse liegt dann vor, wenn die tatsächliche oder rechtliche Situation der Beschwerdeführer durch den Ausgang des Verfahrens beeinflusst werden kann (BGE 137 II 30 E. 2.2.2 S. 33). Angesichts der örtlichen Distanz zwischen den Grundstücken der Beschwerdeführer und dem Bauvorhaben erscheint fraglich, ob die nötige Beziehungsnähe gegeben ist. Wie es sich damit verhält, kann jedoch offen bleiben.  
 
1.5. Gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Begründung in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Besondere Anforderungen gelten für die Verletzung von Grundrechten (einschliesslich der willkürlichen Anwendung von kantonalem Recht). Eine solche prüft das Bundesgericht grundsätzlich nur insoweit, als eine entsprechende Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4 S. 254 f.).  
 
2.  
 
2.1. Das Verwaltungsgericht ging davon aus, nach Art. 40 Abs. 2 des bernischen Baugesetzes vom 18. Juni 1997 (BauG) seien Einsprecher im Rahmen ihrer Einsprachegründe zur Beschwerde an die Direktion befugt. Der Streitgegenstand werde dabei inhaltlich in einem engen Sinne nach den erhobenen Rügen und nicht in einem weiteren Verständnis nach den gestellten Anträgen umschrieben. Würden später nicht bereits in der Einsprache erhobene Rügen geltend gemacht, bewirke dies eine unzulässige Erweiterung des Streitgegenstandes, weshalb es der Rechtsmittelinstanz, von hier nicht einschlägigen gesetzlichen Ausnahmen abgesehen, verwehrt sei, sich mit den neuen Beanstandungen auseinanderzusetzen. Dies sei mit Bundesrecht vereinbar, solange es nur um die Anwendung von kantonalem und kommunalem Recht gehe. Anders verhalte es sich bei der Anwendung von Bundesrecht, da insoweit nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung die Baubewilligung als solche unabhängig von den erhobenen Rügen den Streitgegenstand bilde. Die Beschwerdeführer hätten sich in ihrer Einsprache vom 1. bzw. 7. Juli 2011 zu verschiedenen rechtlichen Gesichtspunkten geäussert. Der Einwand, die Abklärungen zur Sicherheit und zum Brandschutz des Bauprojekts seien ungenügend gewesen, sei aber erst verspätet in den Schlussbemerkungen vom 22. Oktober 2012 und damit nach Abschluss der Einsprachefrist erhoben worden. Eine Verletzung von Bundesverwaltungsrecht sei damit nicht geltend gemacht worden, weshalb sich der Einwand als unzulässig erweise.  
 
2.2. Die Beschwerdeführer rügen, sie hätten sich in ihrer Beschwerde an die Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern auf das Vorsorgeprinzip gemäss dem Umweltschutzgesetz des Bundes berufen. Ihre Rüge, die tatsächlichen Abklärungen seien unvollständig gewesen, weil sie die Erkenntnisse aus zwei Bränden in Biogasanlagen in Seewen und in Altdorf nicht berücksichtigt hätten, sei auch in diesem Zusammenhang zu sehen, weshalb es Bundesrecht verletze, darauf nicht einzutreten.  
 
2.3. Wie die Vorinstanz in der Begründung des angefochtenen Entscheides unter Verweis auf entsprechende kantonale Urteile nachzeichnet, definiert sich der Streitgegenstand nach der Rechtsprechung des bernischen Verwaltungsgerichts bei Einsprachen gemäss Art. 40 Abs. 2 BauG nach den in der Einsprache erhobenen Rügen. Diese sind innert der Einsprachefrist zu erheben. Neue Tatsachen und Beweismittel (dazu Art. 25 des bernischen Gesetzes vom 23. Mai 1989 über die Verwaltungsrechtspflege [VRPG]) dürfen im Anwendungsbereich des kantonalen Rechts im Unterschied zu demjenigen des Bundesrechts (vgl. dazu BGE 126 II 26 E. 2 S. 28 f.) nur im Rahmen des Streitgegenstandes vorgebracht werden (vgl. MERKLI/AESCHLIMANN/HERZOG, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern, 1997, Art. 25 N. 15 und Art. 72 N. 9; MARKUS MÜLLER, Bernische Verwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., 2011, S. 69). Die Beschwerdeführer rügen nicht, die entsprechende bernische Rechtsprechung verletze Bundesrecht. Auf die Frage der Bundesrechtskonformität dieser prozessualen Praxis ist hier daher nicht einzugehen (vgl. E. 1.5).  
 
2.4. Sodann machen die Beschwerdeführer auch nicht geltend, sich bereits in der Einsprache auf das Vorsorgeprinzip des Bundesrechts berufen zu haben. Sie sind offenbar der Ansicht, es genüge, dass sie dies in der Beschwerdeschrift an die Direktion nachgeholt hätten. Auch insoweit legen sie freilich den Zusammenhang zwischen den nachträglich angerufenen Umständen, insbesondere den beiden in der Zwischenzeit aufgetretenen Bränden in zwei anderen vergleichbaren Anlagen, und der angeblichen Verletzung von Bundesrecht nicht dar. Die damals vorgetragenen Brandschutz- und Sicherheitsargumente bezogen sich offensichtlich nicht auf Fragen des Umweltschutz- und des Störfallrechts des Bundes, obwohl das wohl nicht von vornherein ausgeschlossen gewesen wäre, sondern auf solche der baurechtlichen Sicherheit der Anlage, wofür einzig kantonales Recht einschlägig ist. Die Beschwerdeführer zeichnen auch vor Bundesgericht nicht nachvollziehbar nach, weshalb bzw. inwiefern das bundesrechtliche Vorsorgeprinzip berührt sein sollte. Selbst wenn ein solcher Zusammenhang bestünde, so würde die Beschwerdeschrift insoweit die Anforderungen an eine rechtsgenügliche Begründung nicht erfüllen (vgl. E. 1.5). Es ist daher nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz davon ausging, die Beschwerdeführer hätten ihre neuen Argumente lediglich im Rahmen des Anwendungsbereichs des kantonalen Rechts vorgetragen, weshalb sie gemäss der bernischen prozessualen Praxis als unzulässige Noven nicht zu hören waren.  
 
3.  
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
Bei diesem Verfahrensausgang werden die Beschwerdeführer unter Solidarhaft kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 und 5, Art. 65 BGG). Überdies haben sie in solidarischer Haftbarkeit die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen (bzw. gemäss der entsprechenden dem Bundesgericht eingereichten Honorarnote) zu entschädigen (vgl. Art. 68 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden den Beschwerdeführern unter Solidarhaft auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerdeführer haben die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren unter Solidarhaft mit Fr. 1'800.-- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, der Einwohnergemeinde Interlaken, der Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern, und dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, Einzelrichter, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 15. November 2013 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Fonjallaz 
 
Der Gerichtsschreiber: Uebersax