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[AZA 7] 
C 236/00 Vr 
 
II. Kammer 
 
Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter 
Ursprung; Gerichtsschreiberin Berger Götz 
 
Urteil vom 23. Mai 2002 
 
in Sachen 
 
1. M.________, 1961, 
2. Firma X.________, Beschwerdeführer, beide vertreten durch Fürsprecher Dr. René Müller, Steinackerstrasse 7, 5200 Brugg, 
 
gegen 
Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn, Untere Sternengasse 2, 4500 Solothurn, Beschwerdegegner, 
 
und 
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn 
 
A.- Mit Verfügung vom 5. Oktober 1999 lehnte das Regionale Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) das Gesuch des 1961 geborenen M.________ vom 28. Juli 1999 um Gewährung von Ausbildungszuschüssen für den Lehrgang zum Hörgeräte-Akustiker mit eidgenössischem Fachausweis mit praktischem Ausbildungsplatz in der Firma X.________ ab. 
B.- Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn ab (Entscheid vom 6. Juli 2000). 
 
 
C.- M.________ und die Firma X.________ lassen Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides sei die Sache zur Festlegung der Ausbildungszuschüsse an das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn (AWA) zurückzuweisen. 
Das AWA verzichtet auf eine Stellungnahme. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. 
 
D.- Im Rahmen des Instruktionsverfahrens ist das AWA aufgefordert worden, dem Eidgenössischen Versicherungsgericht mitzuteilen, ob und in welcher Form der Kanton Solothurn eine Übertragung der Verfügungskompetenz bezüglich Genehmigung oder Ablehnung von Ausbildungszuschüssen von der kantonalen Amtsstelle an die RAV vorgenommen hat. 
Auf das in der Folge eingegangene Schreiben des AWA vom 8. April 2002 hin hat das seco den Antrag gestellt, die Verfügung vom 5. Oktober 1999 sei aufzuheben und die Sache sei zur Neubeurteilung an die kantonale Amtsstelle zu überweisen. 
Das kantonale Gericht hat auf eine Stellungnahme verzichtet und ein an das AWA gerichtetes Schreiben vom 26. Juni 2000 bezüglich der Verfügungsbefugnis der RAV zu den Akten gereicht. 
 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Arbeitslose Versicherte haben Anspruch auf Ausbildungszuschüsse, wenn sie die in Art. 66a und 66b AVIG umschriebenen persönlichen und sachlichen Voraussetzungen erfüllen. 
Nach Art. 67 AVIG ist die kantonale Amtsstelle unter anderem zuständig, über Gesuche um Ausbildungszuschüsse zu verfügen. Gemäss Art. 85b Abs. 1 AVIG können die Kantone den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) Aufgaben der kantonalen Amtsstellen und der Gemeindearbeitsämter übertragen. Die den RAV übertragenen Aufgaben und Kompetenzen melden die Kantone der Ausgleichsstelle (Art. 85b Abs. 3 AVIG). Die Kantone erlassen die Ausführungsbestimmungen und legen sie dem Bund zur Genehmigung vor (Art. 113 Abs. 1 zweiter Satz AVIG), wobei sie insbesondere die zuständigen Amtsstellen und Beschwerdeinstanzen bezeichnen (Art. 113 Abs. 2 lit. b AVIG) und die Verfahrensvorschriften erlassen (Art. 113 Abs. 2 lit. e AVIG). 
 
2.- a) Vorliegend hat das RAV die ablehnende Verfügung über Ausbildungszuschüsse vom 5. Oktober 1999 erlassen. Der Kanton Solothurn hat indessen weder in seinem Gesetz vom 4. Dezember 1983 über die Arbeitslosenversicherung und die Arbeitslosenfürsorge (EGAVIG; BGS 834. 11) noch in der dazugehörigen Verordnung vom 10. Juli 1984 (VOALV; BGS 834. 12) eine entsprechende Delegation an die RAV vorgenommen (zur Überprüfung kantonalen Verfahrensrechts durch das Eidgenössische Versicherungsgericht: BGE 126 V 149 Erw. 2b). 
Im Rahmen seiner Stellungnahme vom 8. April 2002 hat das AWA angegeben, der Kanton Solothurn habe RAV eingeführt, als das AVIG diese noch gar nicht vorgesehen habe, und sei insofern ein Pilotkanton gewesen. Nach § 1 VOALV obliege der Vollzug des AVIG dem Regierungsrat, dem kantonalen Arbeitsamt, den regionalen Arbeitsämtern und den Gemeindearbeitsämtern. In § 6 lit. h und m VOALV sei vorgesehen, dass das kantonale Arbeitsamt Stellung zu Gesuchen um Beiträge an Präventivmassnahmen nehme und die erforderliche Zustimmung für Einarbeitungszuschüsse gebe. Seit der Einführung der RAV im Kanton hätten diese Aufgaben der kantonalen Amtsstelle wahrgenommen, ohne dass das EGAVIG oder die VOALV abgeändert worden seien. Dieser Zustand habe auch im Jahr 1999 angedauert. 
 
Mit Blick auf diese Rechtslage hat das kantonale Gericht zu Recht festgestellt, dem RAV komme im zu beurteilenden Fall keine Verfügungskompetenz zu. Indem es allerdings mit der Begründung, das Verfahren nicht ungebührlich verzögern zu wollen, die ablehnende Verfügung des RAV vom 5. Oktober 1999 dennoch einer materiellen Prüfung unterzog, hat es den formellen Gesichtspunkten nicht die gebührende Beachtung geschenkt. Daran ändert nichts, dass es dem AWA mit Schreiben vom 26. Juni 2000 - unter Hinweis auf das Fehlen kantonaler Rechtsgrundlagen, die den RAV Verfügungskompetenz einräumen würden - ankündigte, es würde auf Beschwerden gegen bis Ende Juni 2000 erlassene Verfügungen der RAV kulanterweise noch eintreten, bei später ergangenen Verwaltungsakten der RAV jedoch deren Nichtigkeit feststellen. 
Denn aus Gründen der Rechtssicherheit ist als Rechtsgrundlage für eine Kompetenzdelegation von der kantonalen Amtsstelle an die RAV stets ein formeller, den Publikationsvorschriften des jeweiligen Kantons unterliegender Erlass erforderlich. Bloss verwaltungsintern vorgenommene Zuständigkeitsübertragungen, wie sie im Kanton Solothurn in der faktischen Aufgabenteilung zwischen RAV und kantonaler Amtsstelle zum Ausdruck kommen, genügen nicht (gleicher Meinung offenbar auch Gerhards, Grundriss des neuen Arbeitslosenversicherungsrechts, Bern 1996, S. 180 Fn 2). 
 
 
b) Liegt nach dem Gesagten keine rechtsgenügliche Kompetenzübertragung vor, hat eine weder sachlich noch funktionell zuständige Behörde die Verfügung vom 5. Oktober 1999 erlassen. Praxisgemäss bildet die funktionelle und sachliche Unzuständigkeit einen Nichtigkeitsgrund, es sei denn, der verfügenden Behörde komme - was hier nicht der Fall ist - auf dem betreffenden Gebiet allgemeine Entscheidungsgewalt zu (BGE 127 II 47, 119 V 314 Erw. 3b, 114 V 327 Erw. 4b; vgl. auch Imboden/Rhinow, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 
6. Aufl. , Basel/Frankfurt a.M. 1986, Bd. I, Nr. 40 B V a1 S. 242, sowie Rhinow/Krähenmann, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband, Basel/Frankfurt a.M. 1990, Nr. 40 S. 120). Die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes ist jederzeit und von sämtlichen rechtsanwendenden Behörden von Amtes wegen zu beachten (BGE 127 II 48 mit Hinweisen). Auf Grund dieses Rechtsmangels sind der vorinstanzliche Gerichtsentscheid vom 6. Juli 2000 aufzuheben und die Verfügung über Ausbildungszuschüsse vom 5. Oktober 1999 als nichtig zu erklären. 
 
 
3.- Im Übrigen sei angemerkt, dass im vorliegenden Fall kein Ausbildungsvertrag im Sinne von Art. 66b Abs. 1 AVIG vorliegt, welcher zu Ausbildungszuschüssen berechtigen würde. Indem Art. 90a Abs. 2 AVIV vorsieht, dass der Ausbildungsvertrag nach dem Berufsbildungsgesetz (BBG; SR 412. 10) als Lehrvertrag auszugestalten ist, werden die Zuschüsse auf eidgenössisch anerkannte Ausbildungen eingeschränkt (Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Bd. Soziale Sicherheit, S. 227 Rz 615). Bei der Ausbildung zum Hörgeräte-Akustiker handelt es sich nicht um eine anerkannte Grundausbildung, welche nach der gesetzgeberischen Zielsetzung mit Zuschüssen gefördert werden könnte, sondern um eine höhere Fachausbildung, die eine abgeschlossene Berufslehre, eine Matura oder einen gleichwertigen Ausweis voraussetzt. 
 
4.- Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem Prozessausgang entsprechend steht den Beschwerdeführern eine reduzierte Parteientschädigung zu (Art. 159 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 135 OG). 
Angesichts des Ausganges des vorinstanzlichen Verfahrens hat das kantonale Gericht keine Parteientschädigung zugesprochen. Weil auf dem Gebiet der Arbeitslosenversicherung kein bundesrechtlicher Anspruch auf Parteientschädigung für das erstinstanzliche Verfahren besteht (vgl. 
Art. 103 AVIG), ist davon abzusehen, die Akten zum allfälligen Entscheid über eine Parteientschädigung dem kantonalen Gericht zuzustellen. Hingegen ist es den letztinstanzlich obsiegenden Beschwerdeführern unbenommen, mit Blick auf den Ausgang des Prozesses vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht bei der Vorinstanz einen entsprechenden Antrag zu stellen. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I.Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne 
teilweise gutgeheissen, dass der Entscheid des Versicherungsgerichts 
des Kantons Solothurn vom 6. Juli 
2000 aufgehoben und festgestellt wird, dass die Verfügung 
des Regionalen Arbeitsvermittlungszentrums 
vom 5. Oktober 1999 nichtig ist. 
 
II.Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
III. Das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn hat den Beschwerdeführern für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung 
 
 
von Fr. 1500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) 
zu bezahlen. 
 
IV.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, dem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum der Öffentlichen Arbeitslosenkasse 
 
 
des Kantons Solothurn und dem Staatssekretariat für 
Wirtschaft zugestellt. 
Luzern, 23. Mai 2002 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident Die Gerichts- der II. Kammer: schreiberin: