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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1P.643/2005 /gij 
 
Urteil vom 8. November 2005 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Féraud, Präsident, 
Bundesrichter Nay, Reeb, 
Gerichtsschreiber Thönen. 
 
Parteien 
X.M.________, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
Kreisgerichtspräsidium St. Gallen, Bohl 1, Postfach, 9004 St. Gallen, 
Kantonsgericht St. Gallen, Vizepräsident der II. Zivilkammer, Klosterhof 1, 9001 St. Gallen. 
 
Gegenstand 
Ausstand; unentgeltliche Rechtspflege, 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Vizepräsident der II. Zivilkammer, vom 30. August 2005. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Das Amtsgericht München schied am 19. Dezember 2001 die Ehe von X.M.________ und Y.S.________; das Urteil wurde am 31. Januar 2003 rechtskräftig. Über die Kinderzuteilung und weitere Nebenfolgen der Scheidung ist am Kreisgericht St. Gallen ein Verfahren hängig. 
 
Der Präsident des Kreisgerichts St. Gallen (René Suhner) wies am 29. November 2004 ein Ausstandsbegehren von X.M.________ gegen die Kreisrichterin Annelies Bösch ab. Das Kantonsgericht St. Gallen bestätigte dies mit Entscheid vom 18. Januar 2005 (Vizepräsident der II. Zivilkammer Martin Baumann). 
 
Am 21. Juni 2005 wies der Präsident des Kreisgerichts (Thomas Mettler) ein weiteres Ausstandsbegehren von X.M.________ gegen die genannte Kreisrichterin sowie ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung ab. Das Kantonsgericht bestätigte dies mit Entscheid vom 30. August 2005 (Vizepräsident Martin Baumann), setzte jedoch die Kosten für das Ausstandsverfahren vor dem Kreisgericht herab. 
B. 
Gegen den Entscheid des Kantonsgerichts vom 30. August 2005 führt X.M.________ gleichzeitig staatsrechtliche Beschwerde und zivilrechtliche Nichtigkeitsbeschwerde. Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und die Korrektur des Namens ihrer Tochter A.________. Ferner ersucht sie um Gewährung der aufschiebenden Wirkung. 
 
Es sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid über ein Gesuch um Ausstand und unentgeltliche Rechtspflege, der sich auf das kantonale Gerichtsgesetz vom 2. April 1987 und das Zivilprozessgesetz vom 20. Dezember 1990 (ZPG/SG) stützt. Da dieser Entscheid keine Zivilsache im Sinne von Art. 68 Abs. 1 OG behandelt, ist die Nichtigkeitsbeschwerde von vornherein unzulässig. Die Beschwerde richtet sich gegen einen kantonal letztinstanzlichen Zwischenentscheid über ein Begehren um Ausstand und unentgeltliche Rechtspflege für das Ausstandsverfahren. Dagegen steht die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte offen (Art. 84 Abs. 1 lit. a, Art. 87 Abs. 1 OG). 
2. 
Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, da ihr das Kreisgerichtspräsidium während laufender Frist für die staatsrechtliche Beschwerde nicht rechtzeitig Akteneinsicht gewährt habe. Auf die Rüge ist nicht einzutreten; sie bezieht sich nicht auf den angefochtenen Entscheid, sondern auf ein später gestelltes Akteneinsichtsgesuch bei der ersten Instanz. 
3. 
Die Beschwerdeführerin rügt sinngemäss eine Verletzung der Garantie des unabhängigen Richters durch die Ablehnung ihres Ausstandsgesuches gegen die Kreisrichterin Annelies Bösch. Sie begründet dies mit angeblichen Pflichtverletzungen der Kreisrichterin. 
3.1 Nach der Garantie des verfassungsmässigen Richters hat der Einzelne Anspruch darauf, dass seine Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richter ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird (Art. 30 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK). Liegen bei objektiver Betrachtungsweise Gegebenheiten vor, die den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen, so ist die Garantie verletzt. Der rein subjektive Eindruck einer Partei reicht dagegen nicht aus (BGE 131 I 24 E. 1.1 S. 25). Verfahrens- oder andere Rechtsfehler, die einem Richter unterlaufen, können nach der Rechtsprechung den Anschein der Befangenheit allerdings nur begründen, wenn sie besonders schwer wiegen oder wiederholt begangen werden, so dass sie Amtspflichtverletzungen darstellen (BGE 116 Ia 135 E. 3a S. 138). 
 
Die Beschwerdeführerin macht als Pflichtverletzung geltend, die Kreisrichterin habe der Prozessbeiständin ihrer Kinder vertrauliche Dokumente zugesandt, bevor deren Ernennung rechtskräftig geworden sei. Nach den unbestrittenen Ausführungen des Kantonsgerichts wartete die Kreisrichterin - bei einer Rechtsmittelfrist von zehn Tagen - rund acht Wochen und erkundigte sich zuvor beim Vormundschaftsamt, ob eine Beschwerde gegen die Ernennung erhoben worden sei, bevor sie der Prozessbeiständin die Dokumente zusandte. Unter diesen Umständen kann von einem schwerwiegenden Verfahrensfehler keine Rede sein. 
3.2 Die Beschwerdeführerin erhebt den Vorwurf, die Kreisrichterin habe sich widersprüchlich geäussert, indem sie die Verfahrensinstruktion entgegen ihren früheren Ausführungen als nicht abgeschlossen betrachtete (Stellungnahme vom 26. Mai 2005). Ein halbes Jahr zuvor hatte sie die Instruktion als abgeschlossen bezeichnet (Stellungnahme vom 8. November 2004). 
 
Nach der Darstellung des Kantonsgerichts dauerte die Instruktion länger, weil Gerichtspräsident Peter Hold in den Ausstand treten musste und damit der Verfahrensvorsitz wechselte. Dies wirkte sich auf die Verfahrensinstruktion aus, weshalb die zweite Stellungnahme der Kreisrichterin anders ausfiel. Eine Pflichtverletzung ist daher nicht ersichtlich. 
3.3 Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Kreisrichterin habe das Verfahren verzögert und ihre Fragepflicht nicht rechtzeitig wahrgenommen. Als Beleg dafür führt sie lediglich eine Stelle des - nicht von der Kreisrichterin Bösch stammenden - erstinstanzlichen Entscheids an. 
 
Am angegebenen Ort führt das Kreisgericht aus, es gehe nach einer längeren Unterbrechung des Verfahrens darum, einen Überblick über die grundlegenden Verhältnisse des Beklagten (d.h. des früheren Ehemanns der Beschwerdeführerin) zu erlangen. Dort heisst es aber auch, das Verfahren werde "gerade durch Interventionen der Klägerin [d.h. der Beschwerdeführerin] immer wieder verzögert". Damit lassen sich die Vorwürfe jedenfalls nicht der Kreisrichterin anlasten. Das Vorbringen ist unbehelflich. 
3.4 Die Beschwerdeführerin bringt vor, die Kreisrichterin habe das Recht am Namen ihrer Tochter A.________ verletzt, weil sie die Bezeichnung "A.________ und B.________ S.________" verwendet habe, obwohl ihre Tochter "M.________" und nicht "S.________" heisse. 
 
Das Vorbringen ist nicht zu hören, da in diesem Verfahren weder eine Prüfung noch eine Änderung des Namens möglich ist. Wie die Vorinstanz ausführt, lässt sich der richtige Name der Tochter den Akten nicht eindeutig entnehmen. Die angefochtene Bezeichnung stützt sich aber auf bestimmte Akten ab - unter anderem auf eine Eingabe des früheren Anwalts der Beschwerdeführerin -, deren Bestand diese nicht bestreitet. Die Namensbezeichnung erweist sich damit als haltbar und stellt keinen Ausstandsgrund dar. 
3.5 Insgesamt ist festzuhalten, dass aus objektiver Sicht keine Gründe für den Anschein einer Befangenheit vorliegen. 
4. 
Die Beschwerdeführerin rügt - hinsichtlich des Ausstandsverfahrens - eine Verletzung des Anspruchs auf unentgeltliche Rechtspflege sowie eine willkürliche Bemessung der Gerichtsgebühren. Beide Fragen weisen einen engen Zusammenhang zum Ausstandsgesuch auf. Sie sind daher als Nebenpunkte gemeinsam mit der Hauptsache (Ausstand) zu behandeln; d.h. die Zulässigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde ergibt sich aus Art. 87 Abs. 1 OG
4.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, das kantonale Gericht habe ihr die unentgeltliche Rechtspflege verweigert, obwohl sie bedürftig sei. Sie stützt ihr Vorbringen mit einem Fehlzitat. Die Behauptung, der Kreisgerichtspräsident Mettler habe im Entscheid vom 21. Juni 2005 festgehalten, das Verfahren könne nicht von vornherein als aussichtslos bezeichnet werden, ist an der bezeichneten Stelle nicht zu finden. 
 
In der Sache verkennt die Beschwerdeführerin, dass in ihrem Falle die Bedürftigkeit nicht einzige Voraussetzung für die Gewährung der unentgeltlichen Rechtpflege darstellt. Nach dem Wortlaut sowohl des kantonalen wie auch des Bundesrechts darf das Rechtsbegehren bzw. das Verfahren nicht aussichtslos erscheinen (Art. 281 Abs. 2 lit. a ZPG/SG; Art. 29 Abs. 3 BV). Wie das Kantonsgericht ausführt, hätte die Beschwerdeführerin die Voraussetzungen für den Ausstand von ihrem früheren Ausstandsbegehren gegen die Kreisrichterin kennen müssen. Da ihre Gewinnaussichten beträchtlich geringer erschienen als die Verlustgefahren, galt die Beschwerde nach der Rechtsprechung als aussichtslos (BGE 129 I 129 E. 2.3.1 S. 135 f.). 
 
Das Kantonsgericht hat weder das kantonale Prozesskostenrecht willkürlich ausgelegt noch den Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege gemäss Art. 29 Abs. 3 BV verletzt. Die Rüge ist demnach unbegründet. 
4.2 Die Beschwerdeführerin rügt, die Gerichtsgebühren des Kreisgerichts (Entscheid über den Ausstand) und des Kantonsgerichts seien zu hoch. 
 
Der Vizepräsident des Kantonsgerichts hat die Entscheidgebühr des Kreisgerichts für die Beurteilung des Ausstandsgesuchs von Fr. 2'000.-- auf Fr. 1'000.-- herabgesetzt. Zuzüglich der Gebühr für den Entscheid über die unentgeltliche Prozessführung (Fr. 500.--) betragen die Gesamtkosten vor Kreisgericht Fr. 1'500.--. Das Kantonsgericht hat für seinen Entscheid eine Gebühr von Fr. 1'200.-- erhoben. 
 
Gemäss Art. 262 Abs. 1 ZPG/SG sind bei der Festsetzung der Entscheidgebühr die Art des Streitfalles, der Streitwert, die Umtriebe, die Vermögensverhältnisse des Kostenpflichtigen und die Art der Prozessführung der Parteien zu berücksichtigen. Der kantonale Gerichtskostentarif vom 21. Oktober 1997 (GKT/SG) in der Fassung gemäss Nachtrag vom 13. Mai 2003 sieht für einen Zwischenentscheid des Kreisgerichtspräsidiums einen Kostenrahmen von Fr. 100.-- bis 2000.-- vor (Ziff. 311.1 GKT/SG), für einen entsprechenden Entscheid des Kantonsgerichts Fr. 200.-- bis 2000.-- (Ziff. 321.1 GKT/SG). Diese Ausführungsbestimmungen schränken die Entscheidgebühr nach Instanz, Art der Streitigkeit und Art des Entscheids ein. Beide Gerichte haben ihre Kosten innerhalb des vorgegebenen Rahmens erhoben. Angesichts der klaren Aussichtslosigkeit des wiederholt gestellten Ausstandsgesuches sind ihre Kostenentscheide auch in Anbetracht der vom Kantonsgericht erwähnten "nicht besten finanziellen Verhältnisse der Beschwerdeführerin" nicht willkürlich. 
5. 
Auf das Begehren um Korrektur des Namens der Tochter A.________ ist nicht einzutreten, da ihr Name - wie erwähnt - nicht Gegenstand des angefochtenen Entscheids ist. 
 
Das Gesuch um Erteilung der aufschiebenden Wirkung ist mit dem vorliegenden Urteil gegenstandslos geworden. 
6. 
Die Beschwerdeführerin ersucht um unentgeltliche Rechtspflege für das Verfahren vor Bundesgericht. Das Gesuch ist abzuweisen, da sich die Beschwerde - wie erwähnt - als aussichtslos erweist (Art. 152 Abs. 1 OG). Bei diesem Ausgang trägt die Beschwerdeführerin die Kosten des Verfahrens (Art. 156 Abs. 1 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht 
im Verfahren nach Art. 36a OG
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt. 
3. 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Kreisgerichtspräsidium und dem Kantonsgericht St. Gallen, Vizepräsident der II. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 8. November 2005 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: