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[AZA 7] 
H 379/99 Vr 
 
II. Kammer 
 
Bundesrichter Meyer, Ferrari und nebenamtlicher Richter Maeschi; Gerichtsschreiber Grünvogel 
 
Urteil vom 8. September 2000 
 
in Sachen 
 
M.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Dr. Guido Fischer, Frey-Herosé-Strasse 20, Aarau, 
 
gegen 
 
Ausgleichskasse SPIDA, Bergstrasse 21, Zürich, Beschwerdegegnerin, 
 
und 
 
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau 
 
A.- M.________ war Verwaltungsratspräsident mit Einzelzeichnungsberechtigung und zugleich Geschäftsführer der Firma O.________ AG. Am 11. Dezember 1996 wurde über die Firma der Konkurs eröffnet. Der Kollokationsplan lag ab 1. September 1997 zur Einsichtnahme auf. Mit Verfügung vom 14. Oktober 1997 verlangte die Ausgleichskasse SPIDA, Zürich, von M.________ Schadenersatz für nicht entrichtete paritätische AHV/IV/EO/ALV-Beiträge in Höhe von Fr. 150'995. 75. Der Betroffene erhob hiegegen Einspruch. 
 
B.- Am 5. Dezember 1997 reichte die Ausgleichskasse beim Versicherungsgericht des Kantons Aargau Klage ein mit dem Begehren, M.________ sei zur Bezahlung von Schadenersatz in der verfügten Höhe zu verpflichten. 
In Gutheissung der Klage verpflichtete das kantonale Gericht den Beklagten, der Ausgleichskasse Schadenersatz im Betrag von Fr. 150'995. 75 zu bezahlen (Entscheid vom 21. September 1999). 
 
C.-M.________lässtdagegenVerwaltungsgerichtsbeschwerdeführenmitdem Rechtsbegehren, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben. 
Während die Ausgleichskasse Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt, hat sich das Bundesamt für Sozialversicherung nicht vernehmen lassen. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG; vgl. BGE 119 V 391 Erw. 2a). 
 
2.- a) Das kantonale Gericht hat unter Hinweis auf Gesetz (Art. 52 AHVG) und Rechtsprechung (BGE 108 V 183) die Voraussetzungen zutreffend dargelegt, unter denen ein verantwortliches Organ einer juristischen Person der Ausgleichskasse den durch qualifiziert schuldhafte Missachtung der Vorschriften über die Beitragsbezahlung (Art. 14 Abs. 1 AHVG und Art. 34 AHVV, Art. 66 Abs. 1 IVG, Art. 21 Abs. 2 EOG, Art. 88 Abs. 2 AVIG; BGE 113 V 186) entstandenen Schaden zu ersetzen hat. Darauf ist zu verweisen. 
 
b) Soweit in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde eine Überprüfung dieser Rechtsprechung beantragt wird, sind die Voraussetzungen für eine Rechtsprechungsänderung (BGE 125 V 207 Erw. 2 mit Hinweisen) nicht gegeben (vgl. auch BGE 114 V 219 ff.). 
 
3.- a) Es steht fest und ist unbestritten, dass die konkursite Firma in vorsätzlicher Verletzung der gesetzlichen Beitragszahlungspflicht des Arbeitgebers (Art. 14 AHVG und Art. 34 AHVV) die paritätischen Beiträge im Jahre 1995 nur noch teilweise und 1996 gar nicht entrichtet hat. Die Ausgleichskasse ist durch dieses Verhalten zu Schaden gekommen. Der Beschwerdeführer bestreitet sodann zu Recht nicht, dass ihm in Anwendung der rechtsprechungsgemässen Grundsätze als subsidiär haftendem Organ der ehemaligen Firma O.________ AG grundsätzlich das fehlerhafte Verhalten des Arbeitgebers anzurechnen ist. Streitig ist dagegen, ob Exkulpations- oder Rechtfertigungsgründe vorliegen. 
 
b) Die Vorinstanz hat dies in zutreffender Weise verneint. Namentlich hat sie dargelegt, dass der in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneut angeführte Einsatz persönlicher finanzieller Mittel für das Unternehmen als solcher das Organ nicht zu entlasten vermag (nicht veröffentlichtes Urteil A. und weitere vom 8. September 1995, H 37/95). Es bedarf vielmehr besonderer Umstände, auf Grund derer die Firma zum massgebenden Zeitpunkt (ZAK 1992 S. 248 Erw. 4b) objektiv gesehen damit rechnen durfte, mit der Zurückbehaltung der Sozialversicherungsbeiträge das Überleben der Firma zu sichern und die Forderung gegenüber der Ausgleichskasse innert nützlicher Frist tilgen zu können (BGE 108 V 188; ZAK 1992 S. 248 Erw. 4b, 1985 S. 577 Erw. 3a). Des Weitern lässt auch der Entzug der Bankkredite durch die Bank X.________ am 12. November 1996 das Verschulden des Beschwerdeführers nicht in einem milderen Licht erscheinen: Einerseits konnte ihn die Kündigung der bis anhin gewährten Bankkredite in Anbetracht der sich verschlimmernden finanziellen Situation der Firma nicht überraschen; zum andern hatten sich die Verstösse gegen die Beitragszahlungspflicht längst ereignet, bevor die Bank X.________ die Geschäftsbeziehungen aufkündigte. Fehlte es an konkreten Anhaltspunkten für ein aus AHV-rechtlicher Hinsicht gerechtfertigtes Nichtbezahlen der Sozialversicherungsbeiträge, so durfte das kantonale Gericht ohne weiteres auf zusätzliche Beweiserhebungen in diese Richtung verzichten. Der Vorinstanz kann unter diesen Umständen keine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes, geschweige denn des Anspruchs auf rechtliches Gehör, vorgeworfen werden (BGE 125 V 334 Erw. 3a, 120 V 360 Erw. 1a, 117 V 283 Erw. 4a in fine, 110 V 52 f. mit Hinweisen; AHI 1994 S. 212 Erw. 4a). 
 
c) Eine Herabsetzung oder Aufhebung der Schadenersatzpflicht wegen Mitverschuldens der Verwaltung (BGE 122 V 185; SZS 2000 S. 91; Pra 1997 Nr. 48 S. 251 Erw. 3a) steht angesichts der durch die Akten ausgewiesenen ständigen und intensiven Betreibungsbemühungen der Ausgleichskasse seit 1994 ausser Frage. 
 
4.- Was die Höhe des Schadenersatzes anbelangt, ist die Vorinstanz ihrer Pflicht zur Überprüfung der erst nach der Konkurseröffnung erstellten Schlussabrechnungen vom 16. Januar 1997 nachgekommen (vgl. AHI 1993 S. 172 Erw. 3a; ZAK 1991 S. 126 Erw. II/1b). 
Ihre in diesem Zusammenhang getroffenen Feststellungen, namentlich dass der Beschwerdeführer für entgangene kantonale FAK-Beiträge gar nicht belangt wird und dass die für die eingeklagten Beitragsperioden 1995/96 vom Beschwerdeführer ausgewiesenen Zahlungen gesamthaft den von der Ausgleichskasse als bezahlt betrachteten Betrag von Fr. 69'009. 30 nicht erreichen, erscheinen in Anbetracht der dagegen gerichteten Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht als offensichtlich unrichtig (vgl. Erw. 1 hievor). So hat die Vorinstanz die vom Beschwerdeführer angerufene, in der Revision vom 11. Juli 1995 enthaltene Position "Familienausgleichskasse" in der Höhe von Fr. 2461. 35 im von ihr vorgenommenen Vergleich der geleisteten FAK-Beiträge mit den Gutschriften aus der FAK (Absenzenentschädigung, Kinderzulagen und Lohnersatz bei Dienstleistenden) berücksichtigt, ansonsten sie für die Beitragsperiode 1995 nicht auf einen Leistungsüberschuss von Fr. 1059. 10 geschlossen hätte (21'806. 25 - 4144. 35 - 14'700. 00 - 6482. 35 + 2461. 35 = 1059. 10). Sodann belegt die Zusammenstellung des Betreibungsamtes Auenstein vom 12. September 1996 über die bis zu diesem Zeitpunkt an die Ausgleichskasse vergüteten Beträge zusammen mit dem Schreiben der Ausgleichskasse an das Betreibungsamt vom 11. Juli 1995, worin die Löschung der Betreibung Nr. 84/95 über den Betrag von Fr. 10'303. 95 infolge Bezahlung anbegehrt wird, für die streitigen Beitragsperioden zwar Zahlungen in der Höhe von Fr. 56'024. 45 (12'540. 20 + 12'642. 30 + 10'269. - + 10'269. - + 10'303. 95) und nicht, wie von der Vorinstanz angenommen, Fr. 54'163. 50. Der vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang geltend gemachte Betrag von etwa Fr. 64'400. - ist dagegen nicht nachvollziehbar. Indessen ist dies ohnehin nicht entscheidend, da selbst dieser unter der Summe von Fr. 69'009. 30 liegt. 
Hingegen trifft zu, dass bezüglich Verwaltungskosten, Mahngebühren und Verzugszinsen zwischen den Schlussabrechnungen für 1995 und 1996 vom 16. Januar 1997 einerseits (Verwaltungskosten: 1196. 95 + 802. 10; Mahngebühren: 600. - + 500. -; Verzugszins: 8267. 30 + 4129. -), der der verfügten und eingeklagten Schadenersatzsumme zu Grunde liegenden Aufstellung vom 4. Dezember 1997 anderseits (Verwaltungskosten: 2086. 70; Mahngebühren: 1150. -; Verzugszins: 13'905. 45) eine anhand der Akten nicht schlüssig nachvollziehbare Differenz von insgesamt Fr. 1646. 80 besteht. Wenn die Vorinstanz in diesem Zusammenhang ausführt, dieser Differenzbetrag sei in den beiden Veranlagungsverfügungen vom 16. Januar 1997 (bereits) enthalten, so spricht dies eben gerade gegen und nicht für die Richtigkeit der von der Ausgleichskasse geltend gemachten Verwaltungskosten, Mahngebühren und Verzugszinsen. Folglich ist die Schadenersatzsumme im Umfang von Fr. 1646. 80 herabzusetzen. 
 
5.- Da es nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen geht, ist das Verfahren kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Dem Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer und der Beschwerdegegnerin im Verhältnis zwölf zu eins aufzuerlegen; der Beschwerdeführer hat Anspruch auf eine reduzierte Parteientschädigung (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 2 und 3 in Verbindung mit Art. 135 OG). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I.In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 21. September 1999 dahingehend abgeändert, das der Beschwerdeführer verpflichtet wird, der Ausgleichskasse SPIDA den Betrag von 
Fr. 149'348. 95 zu bezahlen. 
 
II. Von den Gerichtskosten von insgesamt Fr. 6000. - werden dem Beschwerdeführer Fr. 5500. - und der Beschwerdegegnerin Fr. 500. - auferlegt. Der Anteil des Beschwerdeführers ist durch den geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 6000. - gedeckt; der Differenzbetrag von Fr. 500. - wird zurückerstattet. 
 
III. Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 500. - (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
 
IV.Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wird über die Parteientschädigung für das kantonale Verfahren, entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses, neu entscheiden. 
 
V.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
 
Luzern, 8. September 2000 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Vorsitzende der II. Kammer: 
 
Der Gerichtsschreiber: