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[AZA 7] 
H 252/01 Go 
 
I. Kammer 
 
Präsident Schön, Bundesrichter Borella, Rüedi, Ursprung und 
Frésard; Gerichtsschreiber Hadorn 
 
Urteil vom 14. Mai 2002 
 
in Sachen 
Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8087 Zürich, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
1. S.________, 
2. H.________, Beschwerdegegner, beide vertreten durch Rechtsanwalt Peter Rütimann, Oberer Graben 28, 8004 Winterthur, 
 
und 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur 
 
A.- Mit Verfügungen vom 27. Juli 2000 verpflichtete die Ausgleichskasse des Kantons Zürich S.________ und H.________, laut Handelsregister Geschäftsführer mit Kollektivunterschrift zu Zweien bei der in Konkurs gefallenen Firma H.________ GmbH, W.________, für nicht mehr erhältliche Sozialversicherungsbeiträge zuzüglich Verzugszinsen und Mahngebühren in solidarischer Haftbarkeit Schadenersatz im Umfang von Fr. 25'496. 55 zu leisten. 
 
B.- Auf Einspruch der Belangten klagte die Kasse gegen beide auf Bezahlung von Fr. 21'851. 80. Mit Entscheid vom 11. Juni 2001 wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die Klage ab, da S.________ und H.________ in der in Konkurs gefallenen Firma keine Organstellung im Bereich des Finanzwesens zugekommen sei. 
 
 
C.- Die Ausgleichskasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der kantonale Entscheid sei aufzuheben und die beiden Genannten seien zur Bezahlung von Fr. 21'851. 80 zu verpflichten. 
S.________ und H.________ lassen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- a)Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann nur so weit eingetreten werden, als Schadenersatz kraft Bundesrechts streitig ist. Im vorliegenden Verfahren ist deshalb auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde in dem Umfang nicht einzutreten, als sie sich auf die Schadenersatzforderung für entgangene Beiträge an die kantonale Familienausgleichskasse bezieht (vgl. BGE 119 V 80 Erw. 1b, 118 V 69 Erw. 1b mit Hinweis). 
 
b)Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
 
2.- Das kantonale Sozialversicherungsgericht hat unter Hinweis auf Gesetz (Art. 52 AHVG) und Rechtsprechung (vgl. 
statt vieler BGE 123 V 15 Erw. 5b) die Voraussetzungen richtig dargelegt, unter welchen Organe juristischer Personen den der Ausgleichskasse wegen Verletzung der Vorschriften über die Beitragsabrechnung und -zahlung (Art. 14 Abs. 1 AHVG; Art. 34 ff. AHVV) qualifiziert schuldhaft verursachten Schaden zu ersetzen haben. Zutreffend sind ferner die Ausführungen zur Rechtsprechung über den materiellen Organbegriff (BGE 114 V 214 ff. Erw. 3 und 4). Darauf wird verwiesen. 
 
 
3.- a) Die Vorinstanz hat erwogen, die Haftung der Beschwerdegegner sei analog zu derjenigen von Geschäftsführern einer AG zu beurteilen. Gemäss BGE 114 V 218 hafteten solche Personen (z. B. Prokuristen) in der AG nur insoweit, als ihnen materielle Organstellung zukomme. Hingegen genüge die bloss formelle Organstellung (Eintrag im Handelsregister) nicht, es sei denn, diese Personen seien zugleich Mitglieder des Verwaltungsrates. Was in einer AG gelte, sei ohne Weiteres auf die GmbH übertragbar. Die Beschwerdegegner seien lediglich formell als Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen gewesen. Hingegen sei ihnen keine materielle Organstellung zugekommen, da sie wegen ihrer firmenintern eingeschränkten Kompetenzen weder die Aufgabe noch die Möglichkeit gehabt hätten, auf die Finanzen Einfluss zu nehmen. 
 
b) Im Falle der GmbH hat das Eidgenössische Versicherungsgericht festgehalten, dass die Stellung eines blossen Gesellschafters für sich alleine keine Kontroll- oder Überwachungspflichten begründet. Dies ergibt sich aus Art. 819 Abs. 1 OR, der von der Geschäftsführung ausgeschlossenen Gesellschaftern lediglich ein Einsichtsrecht einräumt (BGE 126 V 238 Erw. 4 mit zahlreichen Hinweisen auf die Lehre). 
Folgerichtig sieht Art. 827 OR bezüglich der auf Pflichtverletzungen beruhenden Verantwortlichkeit nur für bei der Gesellschaftsgründung beteiligte und mit der Geschäftsführung und der Kontrolle betraute Personen sowie für die Liquidatoren eine Haftung vor: für diese gelten die Bestimmungen des Aktienrechts. Wenn daher ein nicht geschäftsführender Gesellschafter die Einhaltung der sozialversicherungsrechtlichen Abrechnungs- und Beitragszahlungspflichten (Art. 14 Abs. 1 AHVG; Art. 34 ff. AHVV) durch die Firma nicht überprüft, kann er für den der Kasse wegen der Beitragsausfälle erwachsenen Schaden auch nicht haftbar gemacht werden. Ist er indessen statutarisch zur Kontrolle oder Überwachung der Geschäftsführertätigkeit verpflichtet, hat er wegen unterlassener oder unzureichender Kontrolle genauso einzustehen, wie wenn er in Kenntnis der mangelhaften Geschäftsführung keine Vorkehren trifft. Hat er innerhalb der GmbH gar eine Stellung inne, die einem Geschäftsführer entspricht, ist er weiter gehenden Pflichten unterworfen (BGE 126 V 239 Erw. 4 mit zahlreichen Hinweisen), deren Verletzung ebenfalls eine Verantwortlichkeitsklage nach sich ziehen kann (Art. 827 in Verbindung mit Art. 754 OR). Als mit der Geschäftsführung befasst gelten nicht nur Personen, die ausdrücklich als Geschäftsführer ernannt worden sind (sog. formelle Organe), sondern auch solche, die faktisch die Funktion eines Geschäftsführers ausüben, indem sie etwa diesem vorbehaltene Entscheide treffen oder die eigentliche Geschäftsführung besorgen und so die Willensbildung der Gesellschaft massgebend beeinflussen (materielle oder faktische Organe; BGE 117 II 441 Erw. 2, 571 Erw. 
3, 114 V 78, 213). Darunter fallen typischerweise Personen, die kraft ihrer Stellung (z.B. Mehrheitsgesellschafter) dem formell eingesetzten Geschäftsführer Weisungen über die Geschäftsführung erteilen (BGE 126 V 240 Erw. 4 in fine). 
 
c) Die Haftungsgrundsätze bei der AG (BGE 114 V 218; vgl. lit. a)können nicht unbesehen auf die GmbH angewendet werden. Nach Art. 716 Abs. 2 OR führt der Verwaltungsrat die Geschäfte der AG, soweit er diese nicht der Geschäftsführung übertragen hat. Wesentliche, in Art. 716a OR umschriebene Aufgaben bleiben indessen unübertragbar. 
Nach der gesetzlichen Regelung steht bei der AG somit die Verantwortung des Verwaltungsrates im Vordergrund. Demgegenüber können Gesellschafter einer GmbH von Gesetzes wegen die Geschäftsführung als Ganzes übertragen (Drittorganschaft nach Art. 812 OR). Für auf diese Weise eingesetzte Geschäftsführer gelten die Verantwortlichkeitsvorschriften von geschäftsführenden Gesellschaftern (Art. 812 Abs. 2 OR). Mithin können Geschäftsführer einer AG, die nicht zugleich Verwaltungsräte sind, nicht mit denjenigen einer GmbH verglichen werden, welche nicht Gesellschafter sind. 
Die Verantwortlichkeit der Geschäftsführung bei der GmbH geht weiter, weshalb es sich rechtfertigt, sie auch der formellen Organhaftung zu unterstellen. 
 
d) An der mit BGE 126 V 239 begründeten Rechtsprechung ist demnach festzuhalten. Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass den beiden Beschwerdegegnern entgegen den Erwägungen der Vorinstanz Organstellung zukommt. Denn sie waren nicht nur formelle Gesellschafter einer GmbH mit blossem Einsichtsrecht, sondern mit der Geschäftsführung betraute Personen und damit Organe im materiellen Sinn, für welche die erwähnten Verantwortlichkeitsvorschriften gelten. 
Die Vorinstanz durfte daher ihre Haftung nicht mit dem Hinweis auf die fehlende Organstellung verneinen. 
Da bisher nicht geprüft wurde, ob die übrigen Haftungsvoraussetzungen nach Art. 52 AHVG erfüllt sind, wird die Sache an das kantonale Gericht zurückgewiesen, damit es dies nachhole und hernach erneut über die Schadenersatzklage der Kasse urteile. 
 
4.- Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Da die Gutheissung einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit Rückweisung zu näherer Abklärung als Obsiegen gilt, haben die demgemäss unterliegenden Beschwerdegegner die Gerichtskosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG). 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I.In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, 
soweit darauf einzutreten ist, wird der 
Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons 
Zürich vom 11. Juni 2001 aufgehoben, und die Sache 
wird an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie im 
Sinne der Erwägungen verfahre. 
 
II.Die Gerichtskosten von total Fr. 1600.- werden den Beschwerdegegnern je zur Hälfte auferlegt. 
III. Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 1600.- wird der 
 
Ausgleichskasse des Kantons Zürich zurückerstattet. 
 
IV.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
 
 
Luzern, 14. Mai 2002 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der I. Kammer: 
 
Der Gerichtsschreiber: