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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess {T 7} 
B 69/05 
 
Urteil vom 7. September 2006 
IV. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Ursprung, Bundesrichter Schön und Frésard; Gerichtsschreiberin Berger Götz 
 
Parteien 
A.________, 1968, Beschwerdeführer, vertreten 
durch Rechtsanwältin Susanne Schaffner-Hess, Dornacherstrasse 10, 4600 Olten, 
 
gegen 
 
Pensionskasse X.________, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Isabelle Vetter-Schreiber, Seestrasse 6, 8002 Zürich 
 
Vorinstanz 
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau 
 
(Entscheid vom 19. April 2005) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Der 1968 geborene A.________ war ab 1. März 1997 bei der Genossenschaft Y.________ als Magaziner tätig und wurde mit Stellenantritt in die Pensionskasse X.________ (nachfolgend: Pensionskasse), aufgenommen. Vorgängig hatte er am 9. Februar 1997 eine Gesundheitserklärung für die Aufnahme in die Pensionskasse ausgefüllt, worin er unter anderem die Fragen, ob er gegenwärtig gesund und ohne Beschwerden voll arbeitsfähig sei, und ob er in den letzten zehn Jahren eine schwere Krankheit durchgemacht, einen schweren Unfall erlitten oder sich einer Operation unterzogen habe, verneint hat. Am 17. März 2000 meldete sich A.________ unter Hinweis auf seit rund zehn Jahren bestehende Ekzeme, Depressionen, Angst- und Minderwertigkeitsgefühle sowie psychosomatische Störungen zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung an. Mit Verfügung vom 6. August 2001 sprach ihm die IV-Stelle des Kantons Aargau mit Wirkung ab 1. Februar 2001 eine ganze Invalidenrente, basierend auf einem Invaliditätsgrad von 100 %, zu. 
Die Vorsorgeeinrichtung anerkannte mit Schreiben vom 12. August 2002 den Anspruch von A.________ auf Invalidenleistungen aus der obligatorischen beruflichen Vorsorge, trat aber gleichzeitig vom überobligatorischen Vorsorgevertrag zurück, weil er seine "vorbestandenen Leiden (Psyche, Ekzeme)" in der Gesundheitserklärung nicht angegeben habe. Eine Beschwerde des A.________ an den Stiftungsrat der Vorsorgeeinrichtung wurde mit Beschluss vom 29. April 2003 abgewiesen. 
B. 
A.________ liess am 11. August 2004 beim Versicherungsgericht des Kantons Aargau Klage einreichen mit dem Antrag, die Pensionskasse sei zu verpflichten, ihm rückwirkend ab 1. Oktober 2002 zusätzlich zur Invalidenrente aus obligatorischer Vorsorge eine solche aus der weitergehenden Vorsorge (nebst Kinderrenten) auszurichten, wobei die monatliche Rentendifferenz ab 1. Oktober 2002, beziehungsweise ab jeweiliger Fälligkeit mit 5 % zu verzinsen sei. Das kantonale Gericht wies die Klage ab (Entscheid vom 19. April 2005). 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt A.________ das vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren wiederholen. Ferner lässt er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung ersuchen. 
Die Vorsorgeeinrichtung lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1. 
Zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführer Anspruch auf Invalidenleistungen aus der überobligatorischen beruflichen Vorsorge hat. Dabei geht es insbesondere um die Frage, ob er seine Anzeigepflicht verletzt hat oder nicht. Unbestritten ist demgegenüber die Leistungspflicht der Pensionskasse im obligatorischen Bereich. 
2. 
2.1 Die Vorinstanz hat unter Hinweis auf die Rechtsprechung (BGE 119 V 286 Erw. 4) zutreffend dargelegt, dass sich die Verletzung der Anzeigepflicht und deren Folgen im Bereich der weitergehenden beruflichen Vorsorge nach den statutarischen und reglementarischen Bestimmungen der Vorsorgeeinrichtung, bei Fehlen entsprechender Normen analogieweise nach Art. 4 ff. VVG, beurteilen. 
2.2 Die Pensionskasse kann sich bei ihrem Vertragsrücktritt in Bezug auf die überobligatorische berufliche Vorsorge, wie vom kantonalen Gericht korrekt festgestellt, auf Art. 57 Ziffer 3 ihres Reglementes (eingefügt mit dem ab 1. Januar 1995 geltenden Nachtrag 2) stützen, wonach bei Anzeigepflichtverletzung alle Leistungen auf das Niveau des gesetzlichen Obligatoriums gekürzt werden; im Leistungsfall steht der Kasse für die Mitteilung der Kürzung an die versicherte Person eine Frist von sechs Monaten zu, wobei die Frist erst beginnt, wenn die Kasse zuverlässige Kunde von Tatsachen erhält, aus denen sich der sichere Schluss auf Verletzungen der Anzeigepflichtverletzung ziehen lässt. 
3. 
3.1 Gemäss dem zum Zwecke der Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit aus psychiatrischer Sicht verfassten Gutachten des Dr. med. B.________, Spezialarzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 12. Oktober 1992, gerichtet an das Bundesamt für Sanität, stand der Beschwerdeführer einer depressiven Entwicklung mit latenter Suizidialität bei Borderline-Persönlichkeitsstörung und Alkoholmissbrauchs wegen seit 23. August 1991 in seiner Behandlung. Der Psychiater geht von einer schweren Störung der Persönlichkeit aus und weist auf eine in Belastungssituationen bestehende Selbst- und Fremdgefährlichkeit hin. Er stellt deutliche Anzeichen einer schweren Beeinträchtigung des Kontakt- und Beziehungslebens und eine paranoide Entwicklung fest. In Würdigung der medizinischen Akten und insbesondere gestützt auf die gutachterlichen Angaben vom 12. Oktober 1992 gelangt die Vorinstanz zum Ergebnis, der Beschwerdeführer habe die Frage 5 in der Gesundheitserklärung vom 9. Februar 1997 ("Haben Sie in den letzten zehn Jahren eine schwere Krankheit durchgemacht, einen schweren Unfall erlitten oder sich einer Operation unterzogen?") nicht wahrheitsgemäss beantwortet. Es müsse davon ausgegangen werden, dass er im Zeitpunkt des 12. Oktober 1992 an einer psychischen Erkrankung von erheblicher Schwere, welche im Übrigen während längerer Zeit sowohl haus- als auch fachärztlich habe behandelt werden müssen, gelitten habe. Indem dieses Leiden in der Gesundheitserklärung nicht angegeben worden sei, habe der Beschwerdeführer eine Anzeigepflichtverletzung begangen, womit die Pensionskasse berechtigt gewesen sei, vom überobligatorischen Vorsorgevertrag zurückzutreten. 
3.2 Was in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgetragen wird, rechtfertigt keine andere Betrachtungsweise. Soweit darin die bereits im vorinstanzlichen Verfahren entkräfteten Rügen wiederholt werden, ist auf die zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Gerichtsentscheid zu verweisen. 
3.2.1 Sodann lässt sich - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - aus der Rücktrittserklärung der Pensionskasse vom 12. August 2002 klar entnehmen, worin die verschwiegene Gefahrstatsache nach Meinung der Pensionskasse bestand ("Psyche, Ekzeme"). Welche Ziffer der gesamthaft lediglich fünf Fragen umfassenden Gesundheitserklärung als falsch beantwortet erachtet wurde, ist auf Grund der Formulierung in der Rücktrittserklärung, wonach die bezeichneten "vorbestandenen Leiden" nicht angegeben worden seien, ebenfalls unzweifelhaft, beschäftigt sich doch einzig Ziffer 5 mit dem Gesundheitszustand in der Vergangenheit. Unter diesen Umständen steht die relativ offene Formulierung der Rücktrittserklärung der Wirksamkeit des Rücktrittes nicht entgegen. 
3.2.2 Ob der Versicherte im Zeitpunkt, in welchem er die Gesundheitserklärung ausgefüllt hatte (9. Februar 1997), bereits seit mehr als einem Jahr in keiner ärztlichen Behandlung mehr gestanden hatte, wie dem Schreiben des Dr. med. H.________, Facharzt für Allgemeine Medizin FMH, vom 31. August 2001 zu entnehmen ist, bleibt im vorliegenden Zusammenhang irrelevant. Ziffer 5 der Gesundheitserklärung bezieht sich auf den Gesundheitszustand in den letzten zehn Jahren. Wie aus dem Gutachten des Dr. med. B.________ vom 12. Oktober 1992 hervorgeht, litt der Beschwerdeführer jedenfalls in den Jahren 1991 und 1992 an einer schweren psychischen Krankheit, welche gemäss den zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Gerichtsentscheid in der Gesundheitserklärung hätte angegeben werden sollen. Obwohl dem Versicherten nach den Darlegungen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde die von Dr. med. B.________ gestellten Diagnosen nicht bekannt waren, musste ihm dennoch bewusst sein, dass er - zumindest in den Jahren 1991 und 1992 - unter erheblichen psychischen Gesundheitsbeschwerden gelitten hatte, welche längere Zeit andauerten und eine fachärztliche Begleitung notwendig machten. Der Psychiater hatte die Behandlung am 23. August 1991 aufgenommen und konnte seine Angaben vom 12. Oktober 1992 unter anderem auf 14 zwischenzeitlich geführte psychiatrische Gespräche stützen. Auch der damalige Hausarzt Dr. med. G.________, Facharzt für Allgemeine Medizin FMH, hatte den Versicherten bereits im Jahr 1991 (auch) seines psychischen Leidens wegen behandelt und versucht, die festgestellten Angststörungen und depressiven Zustände mit der Abgabe von Deanxit (Kombinationspräparat Antidepressivum/ Neuroleptikum) zu bessern. Dass der Beschwerdeführer um seine schwerwiegenden psychischen Probleme wusste, wird nicht zuletzt durch seine eigenen Angaben in der Anmeldung zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung vom 17. März 2000 bestätigt. Dort führt er zu "Angaben über die Behinderung" aus, dass er seit "rund 10 Jahren, nun aber stark zunehmend" unter Ekzemen, Depressionen, Angst- und Minderwertigkeitsgefühlen sowie psychosomatischen Störungen leide. 
3.2.3 Nichts zu ändern vermag auch der Einwand, Dr. med. B.________ sei lediglich aufgesucht worden, um von ihm ein Gutachten hinsichtlich der Dispensation vom Militärdienst zu erlangen, weshalb der Beschwerdeführer seine Situation diesem Facharzt gegenüber sehr übertrieben dargestellt habe. Wie bereits erwähnt, konnte der Psychiater sein Gutachten auf die eigene Wahrnehmung aus 14 Explorationsgesprächen abstützen. Ausserdem holte er unter anderem die Angaben zweier Hausärzte ein und wertete die durchgeführten psychodiagnostischen Tests zusammen mit einem Psychologen aus. Es ist, wie auch die Vorinstanz zu Recht bemerkt hat, mit Blick auf den Abklärungsaufwand zur Erstellung des Gutachtens vom 12. Oktober 1992 nicht wahrscheinlich, dass sich der Facharzt nur der übertriebenen Darstellungen des Versicherten wegen zu einer schwerwiegenden Diagnose in psychischer Hinsicht hat verleiten lassen. Gegen die Argumentation des Beschwerdeführers spricht auch, dass er damals bereits seit Jahren bei Dr. med. G.________ unter anderem funktioneller und psychosomatischer Beschwerden wegen in Behandlung war. An der Erheblichkeit der psychischen Störungen und der diesbezüglichen Deklarationspflicht in der Gesundheitserklärung ist in Anbetracht der gesamten Umstände nicht zu zweifeln. Es ist dem kantonalen Gericht beizupflichten, dass die Frage 5 in ihrem Aufbau nicht optimal ist, wenn zunächst (unter anderem) nach einer schweren Krankheit, nach der Art der Krankheit und im Anschluss daran nach dem Namen des Spitals, Sanatoriums oder der psychiatrischen Klinik und der Dauer des Aufenthaltes gefragt wird. Daraus mit dem Beschwerdeführer abzuleiten, eine schwere Krankheit liege nur vor, wenn sie einer stationären Behandlung bedürfe, geht allerdings nicht an. Mit Blick auf seine während längerer Zeit behandlungsbedürftigen psychischen Beschwerden durfte der Versicherte nicht annehmen, er habe nur unter einer nicht deklarationspflichtigen leichten Erkrankung gelitten. 
3.2.4 Ob die Erkrankung in den letzten zehn Jahren vor dem 9. Februar 1997 tatsächlich zu keiner Zeit eine Einschränkung in der Arbeitsfähigkeit nach sich gezogen hat, wie dies in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde behauptet wird, ist namentlich mit Blick darauf, dass der Versicherte während dieser Zeit nicht lückenlos erwerbstätig war und in der Zeit vom 1. Januar 1994 bis 28. Februar 1997 auf Grund der Angaben der Z.________ AG im Arbeitszeugnis vom 28. Februar 1997 nur eine 50%iges Pensum versah, offen. Wie es sich damit verhält, muss im vorliegenden Verfahren nicht beantwortet werden, weil einerseits die Borderline-Störung unter den gegebenen Umständen auch ohne begleitende Einschränkung in der Arbeitsfähigkeit als schwere Erkrankung zu gelten hat - es kann in diesem Zusammenhang auf die schlüssigen Ausführungen im angefochtenen Entscheid verwiesen werden - und nach der Arbeitsfähigkeit nicht unter Ziffer 5, sondern unter Ziffer 1 der Gesundheitserklärung gefragt wird. Ohne Einfluss auf den Ausgang des Prozesses ist schliesslich, ob in der Gesundheitserklärung weitere Fragen wahrheitswidrig beantwortet wurden, nachdem feststeht, dass die Vorsorgeeinrichtung auf Grund der wahrheitswidrigen Beantwortung von Ziffer 5 der Gesundheitserklärung vom überobligatorischen Vertrag zurücktreten durfte. 
4. 
Da es im vorliegenden Verfahren um Versicherungsleistungen geht, sind gemäss Art. 134 Satz 1 OG keine Gerichtskosten zu erheben. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im Sinne der Befreiung von den Gerichtskosten erweist sich daher als gegenstandslos. Die unentgeltliche Verbeiständung kann hingegen gewährt werden (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung geboten war (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird Rechtsanwältin Susanne Schaffner-Hess, Olten, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt. 
Luzern, 7. September 2006 
 
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Der Präsident der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: