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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_777/2011 
 
Urteil vom 10. April 2012 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Mathys, Präsident, 
Bundesrichter Schneider, Schöbi, 
Gerichtsschreiber C. Monn. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Marcel Bühler, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Versuchte Brandstiftung, ambulante Massnahme, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts 
des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 27. September 2011. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
1. 
X.________ schüttete am 16. September 2010, um ca. 12.40 Uhr, bei einem Mehrfamilienhaus in Kloten Benzin auf ein wegen eines Umzugs deponiertes Bettsofa und zündete es an. Das Sofa wurde durch das Feuer zerstört. Am 17. September 2010 betrat er um ca. 11.30 Uhr den Heizungsraum eines anderen Mehrfamilienhauses in Kloten, wo er Benzin über der Steuereinheit des Heizungsapparates ausschüttete und entzündete, was zu einer Stichflamme von einem Meter Höhe und anschliessend zu einem Wegbrennen der Steuereinheit und der elektronischen Bauteile sowie der Isolatoren mit starker Hitzeentwicklung und Flammen von zehn bis zwanzig Zentimetern Höhe führte. X.________ verliess das Gebäude, ohne jemanden über das Feuer zu informieren. Der Brand konnte erst durch die Feuerwehr gelöscht werden. 
 
Das Bezirksgericht Bülach stellte am 27. September 2011 fest, dass X.________ die Straftatbestände der versuchten Brandstiftung im Sinne von Art. 221 Abs. 2 und 3 StGB in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB (Vorfall vom 17. September 2010) und der Sachbeschädigung im Sinne von Art. 144 Abs. 1 StGB (Vorfall vom 16. September 2010) erfüllt habe, indessen im Sinne von Art. 19 Abs. 1 StGB nicht strafbar sei. Das Gericht ordnete eine stationäre therapeutische Massnahme bzw. eine Behandlung von psychischen Störungen im Sinne von Art. 59 StGB an. 
 
Im Berufungsverfahren beantragte X.________, es sei festzuhalten, dass sein Verhalten vom 17. September 2010 den Tatbestand der versuchten Brandstiftung im Sinne von Art. 221 Abs. 1 StGB in Verbindung mit Art. 22 StGB erfülle, er für diese Tat sowie für die Sachbeschädigung indessen nicht schuldfähig sei. Es sei eine ambulante Massnahme im Sinne von Art. 63 StGB auszusprechen. 
 
Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte am 27. September 2011 das Urteil des Bezirksgerichts. 
 
X.________ wendet sich ans Bundesgericht und beantragt, das Urteil des Obergerichts vom 27. September 2011 sei aufzuheben, und er sei vom Vorwurf der versuchten Brandstiftung im Sinne von Art. 221 Abs. 2 und 3 StGB in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB freizusprechen. Es sei festzustellen, dass er den Tatbestand der versuchten Brandstiftung im Sinne von Art. 221 Abs. 1 StGB in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB erfüllt habe. Es sei die Anordnung einer stationären Massnahme im Sinne von Art. 59 StGB aufzuheben und eine ambulante Massnahme im Sinne von Art. 63 StGB anzuordnen. 
 
2. 
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Anklageprinzips (vgl. Beschwerde S. 5-7 Ziff. 5). 
 
Die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland hatte den Vorfall vom 17. September 2010 in ihrem Antrag auf Anordnung einer Massnahme für eine schuldunfähige Person an das Bezirksgericht Bülach vom 4. Februar 2011 nur als versuchte nicht qualifizierte Brandstiftung im Sinne von Art. 221 Abs. 1 StGB in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB eingestuft, weil sie davon ausging, dass sich keine konkrete Gefahr für Leib und Leben der Bewohner des Mehrfamilienhauses eingestellt habe (angefochtener Entscheid S. 6 E. 2). Das Bezirksgericht erkannte demgegenüber auf den Versuch einer qualifizierten Brandstiftung im Sinne von Art. 221 Abs. 2 StGB, weil der Beschwerdeführer durch das Entzünden von Benzin in einem Heizungsraum eines Mehrfamilienhauses und das anschliessende Sich-allein-überlassen des Brandherdes wissentlich und willentlich den Zustand einer abstrakten Gefährdung Dritter geschaffen habe (angefochtener Entscheid S. 6/7 E. 3). Die Vorinstanz ist dieser Auffassung des Bezirksgerichts gefolgt (angefochtener Entscheid S. 7-9 E. 4-8). Der Beschwerdeführer rügt, die Änderung der Anklage sei prozessual unzulässig (Beschwerde S. 5). 
 
Unbestrittenermassen war der Sachverhalt, den das Bezirksgericht seiner rechtlichen Würdigung des Vorfalls als qualifizierte Brandstiftung zugrunde legte, vom Antrag auf Anordnung einer Massnahme der Staatsanwaltschaft nicht umfasst. Weil das Bezirksgericht dies übersehen hatte, gab die Vorinstanz der Anklagebehörde an der Berufungsverhandlung nachträglich noch Gelegenheit, die Anklage zu ändern, worauf der Vertreter der Staatsanwaltschaft den Antrag mit der Schlussbemerkung ergänzte, "womit er (der Beschwerdeführer) auch eine Lebensgefahr für die Hausbewohner verursachen wollte, wozu es aber letztlich nicht kam". Daraufhin konnte die Verteidigung zu der Ergänzung Stellung nehmen (angefochtener Entscheid S. 8/9 E. 7). 
 
Eine Verletzung des Anklageprinzips liegt nicht vor. Wenn nach Auffassung des Gerichts der in der Anklage umschriebene Sachverhalt einen anderen Straftatbestand als in der Anklage angegeben erfüllen könnte, die Anklage aber den gesetzlichen Anforderungen nicht entspricht, so gibt das Gericht der Staatsanwaltschaft Gelegenheit, die Anklage zu ändern (Art. 333 Abs. 1 StPO). Ein typisches und vom Beschwerdeführer erwähntes Beispiel dafür ist die Anklage, die auf Veruntreuung lautet, während das Gericht auch eine rechtliche Würdigung des eingeklagten Sachverhalts als Betrug für möglich erachtet, die Anklage indessen nicht sagt, durch welches Verhalten der Angeklagte sich arglistig verhalten haben soll. In solchen Fällen wird die Staatsanwaltschaft eingeladen, den Sachverhalt der Anklage in Bezug auf das Merkmal der Arglist zu ergänzen. Eine Ergänzung der Anklage kommt auch in Betracht, wenn das Gericht der Ansicht ist, der in der Anklage umschriebene Sachverhalt erfülle eine qualifizierte Variante des angeklagten Tatbestands, in der Anklage jedoch nur der Grundtatbestand dargestellt wird, während eine Darstellung des Qualifikationsmerkmals fehlt. In diesem Fall kann die Staatsanwaltschaft eingeladen werden, den Sachverhalt der Anklage in Bezug auf das Qualifikationsmerkmal zu ergänzen. 
 
Das Gericht kann die Staatsanwaltschaft auch erst an der Hauptverhandlung zur Ergänzung der Anklage auffordern (SCHMID, StPO Praxiskommentar, 2009, Art. 333 N 4; STEPHENSON/ZALUNARDO-WALSER, in: Basler Kommentar StPO, 2011, Art. 333 N 7). Solange es um einen im Berufungsverfahren strittigen Schuldpunkt geht, ist dies in Anwendung von Art. 379 StPO auch noch an der Berufungsverhandlung möglich. 
 
Voraussetzung dafür, dass das Gericht die geänderte Anklage seinem Urteil zugrunde legen darf, ist allerdings stets die Wahrung der Parteirechte des Beschuldigten (Art. 333 Abs. 4 StPO). Im vorliegenden Fall wurden diese Rechte und insbesondere der Anspruch auf rechtliches Gehör gewahrt. Der Beschwerdeführer wusste seit der Verhandlung vor Bezirksgericht, dass dieses den Sachverhalt eventuell als qualifizierte Brandstiftung würdigen würde (angefochtener Entscheid S. 8 E. 6). Und seit dem Erhalt des bezirksgerichtlichen Urteils wusste er, dass das Bezirksgericht davon ausging, er habe durch die Entzündung von Benzin im Heizungsraum eines Mehrfamilienhauses und den hernach sich allein überlassenen Brandherd wissentlich und willentlich einen Zustand der abstrakten Gefährdung von Leib und Leben geschaffen (Urteil vom 17. Mai 2011 S. 9). Bereits in seiner Berufungserklärung vom 20. Juni 2011 machte der Beschwerdeführer denn auch geltend, die Annahme im Urteil des Bezirksgerichts, er habe eine versuchte Brandstiftung im Sinne von Art. 221 Abs. 2 StGB begangen, sei rechtlich unzutreffend und unbewiesen (angefochtener Entscheid S. 7 E. 4 mit Hinweis auf KA act. 49a). An der Berufungsverhandlung begründete die Verteidigung die Rüge schon vor der Änderung der Anklage ausführlich (angefochtener Entscheid S. 7 E. 4 mit Hinweis auf KA act. 85 S. 6-11). Im Anschluss an die Anklageänderung erteilte das Gericht der Verteidigung nochmals das Wort (angefochtener Entscheid S. 9 E. 7 mit Hinweis auf KA act. 88A S. 10). Unter den gegebenen Umständen konnte sich der Beschwerdeführer zur ergänzten Anklage im Berufungsverfahren hinreichend äussern. 
 
3. 
Nach Auffassung des Beschwerdeführers ist der Vorfall vom 17. September 2010 nicht unter den qualifizierten, sondern unter den Grundtatbestand der Brandstiftung zu subsumieren (vgl. Beschwerde S. 7/8 Ziff. 6). 
 
In Anwendung von Art. 109 Abs. 3 BGG kann auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (vgl. angefochtenen Entscheid S. 6-8 E. 1 und 5). Nach ihren Feststellungen führte das Verhalten des Beschwerdeführers zunächst zu einer Stichflamme von einem Meter Höhe und dann zum Verbrennen verschiedener technischer Geräte mit einer starken Hitzeentwicklung und Flammen von zehn bis zwanzig Zentimetern Höhe. Bei dieser Sachlage kommt die Vorinstanz zu Recht zum Schluss, wer in einem Raum eines bewohnten Wohnhauses einen derart intensiven Brand lege, verursache die abstrakte Gefahr des Ausbruchs einer unkontrollierbaren Feuersbrunst. Dies war auch dem Beschwerdeführer bewusst. Der Brandherd musste denn auch durch die Feuerwehr gelöscht werden. Die Annahme einer versuchten qualifizierten Brandstiftung ist nicht zu beanstanden. 
 
4. 
Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, dass eine stationäre Massnahme im Sinne von Art. 59 StGB nicht in Betracht komme, sondern eine ambulante Massnahme im Sinne von Art. 63 StGB auszusprechen sei (vgl. Beschwerde S. 9 Ziff. 7). 
 
Auch in diesem Punkt kann in Anwendung von Art. 109 Abs. 3 BGG auf die einlässlichen und überzeugenden Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (vgl. angefochtenen Entscheid S. 9-15 E. III). Im Gegensatz zur Darstellung des Beschwerdeführers ist die Durchführung der stationären Massnahme an einem geeigneten Ort nicht unmöglich. Vielmehr konnte eine solche Platzierung nur innert einer vom Zwangsmassnahmegericht angesetzten Frist nicht vorgenommen werden, weshalb der Beschwerdeführer für eine gewisse Zeit nur Herointabletten und ein Medikament gegen die Schizophrenie erhielt, ansonsten jedoch überhaupt nicht therapeutisch betreut wurde. Dieser unbefriedigende Zustand ist heute behoben, da sich der Beschwerdeführer gemäss einer ihm sowie der Vorinstanz und dem Bundesgericht mitgeteilten Verfügung des Amtes für Justizvollzug des Kantons Zürich seit dem 13. Dezember 2011 mit seinem Einverständnis in der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen im regulären Vollzug der stationären Massnahme befindet (vgl. act. 9 und 10). Deren Anordnung ist nicht zu beanstanden. 
 
5. 
Die Beschwerde ist im Verfahren nach Art. 109 BGG abzuweisen. Bei diesem Ausgang sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist in Anwendung von Art. 64 BGG abzuweisen, weil die Rechtsbegehren von vornherein aussichtslos erschienen. Der finanziellen Lage des Beschwerdeführers ist bei der Bemessung der Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 10. April 2012 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Mathys 
 
Der Gerichtsschreiber: Monn