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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_241/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 11. Juli 2017  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Chaix, Kneubühler, 
Gerichtsschreiber Stohner. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Advokat Christoph Dumartheray, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, 
Binningerstrasse 21, Postfach 1348, 4001 Basel. 
 
Gegenstand 
Sicherheitshaft, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid vom 7. Juni 2017 des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt, Einzelgericht. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt führt gegen A.________ ein Strafverfahren wegen zahlreicher Delikte, darunter diverse Gewaltdelikte. Nach einem Vorfall vom 14. Januar 2017 wurde A.________ am 25. Januar 2017 festgenommen. Mit Verfügung vom 27. Januar 2017 ordnete das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Basel-Stadt Untersuchungshaft bis zum 21. April 2017 an. Ein am 16. Februar 2017 gestelltes Haftentlassungsgesuch von A.________ wurde vom Zwangsmassnahmengericht am 24. Februar 2017, eine dagegen erhobene Beschwerde vom Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt am 10. März 2017 abgewiesen. Mit Verfügung vom 20. April 2017 verlängerte das Zwangsmassnahmengericht die Untersuchungshaft bis zum 12. Mai 2017. 
Am 8. Mai 2017 erhob die Staatsanwaltschaft beim Strafgericht Basel-Stadt Anklage gegen A.________ unter anderem wegen versuchter schwerer Körperverletzung (eventualiter Angriff), einfacher Körperverletzung mit einem gefährlichem Gegenstand (eventualiter fahrlässige Körperverletzung), mehrfacher Tätlichkeiten, gewerbs- und bandenmässigen Diebstahls, mehrfachen Hausfriedensbruchs, versuchter räuberischer Erpressung, mehrfacher Drohung, Sachbeschädigung und mehrfacher Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Die Anklageschrift umfasst insgesamt 13 Anklagepunkte und eine Vielzahl vorgeworfener Delikte. Gleichzeitig ersuchte die Staatsanwaltschaft beim Zwangsmassnahmengericht um Anordnung von Sicherheitshaft. Mit Verfügung vom 11. Mai 2017 ordnete das Zwangsmassnahmengericht Sicherheitshaft bis zum 3. August 2017 an. 
Die von A.________ am 19. Mai 2017 erhobene Beschwerde wies das Appellationsgericht mit Entscheid vom 7. Juni 2017 ab. 
 
B.   
Mit Beschwerde in Strafsachen vom 19. Juni 2017 an das Bundesgericht beantragt A.________, den Entscheid der Vorinstanz aufzuheben und ihn (eventuell unter Anordnung von Ersatzmassnahmen) aus der Sicherheitshaft zu entlassen. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege. 
Die Vorinstanz und die Staatsanwaltschaft haben auf Vernehmlassungen verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Haftentscheid des Appellationsgerichts. Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen nach den Art. 78 ff. BGG gegeben. Der Beschwerdeführer ist durch die Verweigerung der Haftentlassung in seinen rechtlich geschützten Interessen betroffen und damit zur Beschwerde befugt (Art. 81 Abs. 1 BGG). Er macht die Verletzung von Bundesrecht geltend, was zulässig ist (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht kann nach Art. 107 Abs. 2 BGG bei Gutheissung der Beschwerde in der Sache selbst entscheiden. Der Antrag auf Haftentlassung (eventuell unter Anordnung von Ersatzmassnahmen) ist daher zulässig. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde einzutreten ist. 
 
2.  
 
2.1. Nach den Grundvoraussetzungen von Art. 221 StPO ist Untersuchungs- und Sicherheitshaft nur zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ein im Gesetz genannter Haftgrund vorliegt. Dazu zählt namentlich die sog. Wiederholungsgefahr (Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO).  
Der Beschwerdeführer bestreitet den dringenden Tatverdacht nicht. Er macht jedoch geltend, es liege keine Wiederholungsgefahr vor. 
 
2.2. Sinn und Zweck der Anordnung von Haft wegen Wiederholungsgefahr ist die Verhütung von Delikten. Die Haft ist somit überwiegend Präventivhaft. Die Notwendigkeit, die beschuldigte Person an der Begehung einer strafbaren Handlung zu hindern, anerkennt Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK ausdrücklich als Haftgrund. Die Anordnung von Haft wegen Wiederholungsgefahr dient auch dem strafprozessualen Ziel der Beschleunigung, indem verhindert wird, dass sich das Verfahren durch immer neue Delikte kompliziert und in die Länge zieht. Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr ist restriktiv zu handhaben (BGE 137 IV 84 E. 3.2 S. 85).  
Der besondere Haftgrund der Wiederholungsgefahr ist gegeben, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass die beschuldigte Person durch Verbrechen oder schwere Vergehen (vgl. dazu BGE 137 IV 84 E. 3.2 S. 85 f.) die Sicherheit anderer erheblich gefährdet, nachdem sie bereits früher gleichartige Straftaten verübt hat (Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO). 
Nach dem Gesetz sind somit folgende Elemente für das Vorliegen von Wiederholungsgefahr konstitutiv: Es muss grundsätzlich das Vortaterfordernis erfüllt sein (vgl. E. 2.3 hiernach) und es müssen schwere Vergehen oder Verbrechen drohen (vgl. E. 2.4 hiernach). Zudem muss hierdurch die Sicherheit anderer erheblich gefährdet sein (vgl. E. 2.5 hiernach). Schliesslich muss die Tatwiederholung ernsthaft zu befürchten sein, was anhand einer Rückfallprognose zu beurteilen ist (vgl. E. 2.6 hiernach). 
 
2.3. Bei den in Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO verlangten Vortaten muss es sich um Verbrechen oder schwere Vergehen gegen gleiche oder gleichartige Rechtsgüter gehandelt haben, wie sie im hängigen Untersuchungsverfahren massgeblich sind. Die früher begangenen Straftaten können sich aus rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahren ergeben. Sie können jedoch auch Gegenstand eines noch hängigen Strafverfahrens bilden, in dem sich die Frage der Untersuchungs- und Sicherheitshaft stellt, sofern mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass die beschuldigte Person solche Straftaten begangen hat. Der Nachweis, dass die beschuldigte Person eine Straftat verübt hat, gilt bei einem glaubhaften Geständnis oder einer erdrückenden Beweislage als erbracht (BGE 143 IV 9 E. 2.3.1 S. 12 f.; 137 IV 84 E. 3.2 S. 86 mit Hinweisen).  
 
2.4. Bei der Beurteilung der Schwere der Tat sind neben der abstrakten Strafdrohung gemäss Gesetz insbesondere auch das betroffene Rechtsgut und der Kontext einzubeziehen. Je höherwertig ein geschütztes Rechtsgut ist, desto eher werden Eingriffe in dieses als schwer zu qualifizieren sein. Dem Kontext, insbesondere der konkret vom Beschuldigten ausgehenden Gefährlichkeit bzw. dem bei ihm vorhandenen Gewaltpotenzial, das aus den Umständen der Tatbegehung hervorgehen kann, ist ebenfalls angemessen Rechnung zu tragen (vgl. BGE 143 IV 9 E. 2.6 S. 14 f.).  
 
2.5. Die drohenden Delikte müssen die Sicherheit anderer erheblich gefährden. Im Vordergrund stehen Delikte gegen die körperliche und sexuelle Integrität (vgl. BGE 143 IV 9 E. 2.7 S. 15).  
 
2.6. Nach dem Gesetz muss schliesslich "ernsthaft zu befürchten" sein, dass der Beschuldigte bei einer Freilassung erneut schwere Vergehen oder Verbrechen begehen würde. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, ist anhand einer Legal- bzw. Rückfallprognose zu beurteilen. Massgebliche Kriterien bei der Beurteilung der Rückfallgefahr sind nach der Rechtsprechung insbesondere die Häufigkeit und Intensität der untersuchten Delikte sowie die einschlägigen Vorstrafen. Bei dieser Bewertung sind allfällige Aggravationstendenzen, wie eine zunehmende Eskalation respektive Gewaltintensität oder eine raschere Kadenz der Taten, zu berücksichtigen. Notwendig, aber auch ausreichend ist grundsätzlich eine ungünstige Rückfallprognose (vgl. BGE 143 IV 9 E. 2.8 ff. S. 16 ff.).  
 
3.   
Die Vorinstanz hat zusammenfassend erwogen, der Beschwerdeführer sei mit Strafbefehl vom 9. Dezember 2013 insbesondere wegen einfacher Körperverletzung und versuchter Nötigung zu 60 Stunden Arbeitsleistung nach Jugendstrafrecht verurteilt worden. Zudem würden in der Anklageschrift sechs fremdaggressive Vergehen bzw. Verbrechen aufgeführt (Ziffern 2, 4, 5, 7, 9 und 10 der Anklageschrift). Die Beweislage sei grösstenteils erdrückend. Das Erfordernis der schweren Vortaten sei somit zu bejahen. Die dem Beschwerdeführer in der Anklageschrift vorgeworfenen Körperverletzungsdelikte stellten eine erhebliche Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar. Die Art, Anzahl und Häufigkeit der angeklagten Taten zeigten das Bild eines jungen Mannes von erschreckender Gewaltbereitschaft, welcher beim kleinsten Anlass zuschlage und drohe. Hinzu komme, dass die vorgeworfenen Delikte zunehmend gravierender geworden seien. Es sei daher eine sehr ungünstige Rückfallprognose zu stellen (angefochtenes Urteil E. 4.2). Der Beschwerdeführer sei bereits als 18-Jähriger, vom 28. Dezember 2013 bis 7. Januar 2014, in Untersuchungshaft gewesen, was ihn aber ab August 2014 nicht von der Begehung weiterer Straftaten abgehalten habe. Er habe während hängiger Verfahren stetig weiter delinquiert, was für eine erhebliche Unbelehrbarkeit spreche. Der Beschwerdeführer sei in der Vergangenheit bereits mehrmals therapeutisch behandelt worden und habe zeitweilig eine Arbeitsbeschäftigung ausgeübt, ohne dass dies zu einer nachhaltigen Änderung seines Verhaltens geführt hätte. Wiederholungsgefahr sei zu bejahen (angefochtenes Urteil E. 4.3). 
 
4.   
Die Erwägungen der Vorinstanz überzeugen. Der Beschwerdeführer bringt nichts vor, was die vorinstanzliche Beurteilung in Frage stellen würde. 
Im zu beurteilenden Fall ist das Vortaterfordernis erfüllt. Der Beschwerdeführer ist (nach Jugendstrafrecht) einschlägig vorbestraft und die in der Anklageschrift erhobenen Vorwürfe werden von ihm nicht grundsätzlich bestritten. Vielmehr wendet er einzig ein, dass die rechtliche Qualifikation bei der Ziffer 5 (einfache Körperverletzung mit gefährlichem Gegenstand, eventualiter fahrlässige Körperverletzung) und bei der Ziffer 10 (versuchte schwere Körperverletzung, eventualiter Angriff) der Anklageschrift umstritten sei. Beim Tatbestand des Angriffs (Art. 134 StGB), dessen Vorliegen vom Beschwerdeführer nicht in Frage gestellt wird, lautet die Strafdrohung auf Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. Es handelt sich mithin um ein Verbrechen im Sinne von Art. 10 Abs. 2 StGB. Der Beschwerdeführer bestreitet auch die Ausführungen der Vorinstanz nicht, wonach die Beweislage grösstenteils erdrückend ist (insbesondere Videoaufnahmen und diverse Zeugenaussagen als Beweismittel). 
Die drohenden Delikte - insbesondere Körperverletzungsdelikte - sind von erheblicher Sicherheitsrelevanz; das Rechtsgut der körperlichen Integrität wiegt sehr hoch. 
Ein Rückfall ist aufgrund der gesamten Umstände und der Vielzahl vorgeworfener Delikte ernsthaft zu befürchten. Dem Beschwerdeführer ist eine ungünstige Rückfallprognose zu stellen. Ins Gewicht fällt insbesondere, dass er einschlägig vorbestraft ist und dass die aktuellen Tatvorwürfe in der Gesamtschau auf eine Steigerung bzw. Ausweitung des deliktischen Verhaltens hinweisen. Der gravierendste Vorwurf wegen schwerer Körperverletzung, eventualiter Angriff, bezieht sich auf einen Vorfall vom 14. Januar 2017. Es ist vor diesem Hintergrund auch nicht auszuschliessen, dass es bei einem Rückfall zu (noch) schwerer wiegenden Delikten kommen könnte. 
Die Vorinstanz hat das Vorliegen von Wiederholungsgefahr zu Recht bejaht. Die Beteuerung des Beschwerdeführers, die Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft habe ihn nachhaltig beeindruckt, da er zum ersten Mal in seinem Leben zu spüren bekommen habe, dass Straftaten auch tatsächlich Konsequenzen haben könnten, vermag an dieser Einschätzung nichts zu ändern. Dies gilt auch für sein Vorbringen, er habe für die Zeit nach der Haft eine Arbeitsstelle zugesichert erhalten. 
 
5.  
 
5.1. Das zuständige Gericht ordnet an Stelle der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft eine oder mehrere mildere Massnahmen an, wenn sie den gleichen Zweck wie die Haft erfüllen (Art. 237 Abs. 1 StPO). Als mögliche Ersatzmassnahme fällt insbesondere die Auflage, sich einer ärztlichen Behandlung oder einer Kontrolle zu unterziehen (Art. 237 Abs. 2 lit. f StPO), in Betracht.  
 
5.2. Die Vorinstanz hat geschlossen, die bestehende Wiederholungsgefahr lasse sich nicht durch mildere Massnahmen als die Fortsetzung der Haft abwenden. Soweit der Beschwerdeführer eine Auflage, sich nach der Haftentlassung in psychiatrische/psychologische Behandlung zu begeben, als geeignet erachte, könne ihm nicht gefolgt werden, zumal ihn eine psychiatrische/psychologische Begleitung auch in der Vergangenheit nicht von weiterer Delinquenz habe abhalten können (angefochtenes Urteil E. 5.1).  
 
5.3. Den Ausführungen der Vorinstanz ist zuzustimmen. Hinzu kommt, dass eine psychiatrische/psychologische Behandlung, wie sie vom Beschwerdeführer auch im bundesgerichtlichen Verfahren als Massnahme vorgeschlagen wird, ihre Wirkung nicht sofort, sondern erst nach einiger Zeit entfalten kann, weshalb sie keine wirksame Ersatzmassnahme bei einer sofortigen Haftentlassung darstellt.  
Inwiefern der Beschwerdeführer kurzfristig in geeigneter Weise mit einer milderen Massnahme als mit der Fortsetzung der Sicherheitshaft von weiterem Delinquieren abgehalten werden könnte, ist weder dargetan noch ersichtlich. 
 
6.   
Die Beschwerde ist abzuweisen. Da sie sich als zum Vornherein aussichtslos erweist, ist auch das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege abzuweisen (Art. 64 Abs. 1-2 BGG). Auf die Erhebung von Gerichtskosten kann (angesichts der angespannten finanziellen Verhältnisse des Gesuchstellers) jedoch ausnahmsweise verzichtet werden (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
4.   
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, Einzelgericht, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 11. Juli 2017 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Stohner