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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5A_668/2010 
 
Urteil vom 14. Oktober 2010 
II. zivilrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin, 
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter L. Meyer, 
Gerichtsschreiber von Roten. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
z.Zt. Psychiatriezentrum P.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Obergericht des Kantons Bern, kantonale Rekurskommission für fürsorgerische Freiheitsentziehungen, 
 
Regierungsstatthalteramt Bern-Mittelland. 
 
Gegenstand 
Fürsorgerische Freiheitsentziehung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, kantonale Rekurskommission für fürsorgerische Freiheitsentziehungen, vom 14. September 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
X.________, Jahrgang 1978, wurde am 6. September 2010 wegen wiederholter aggressiver Ausbrüche mit Fremdgefährdung in das Psychiatriezentrum P.________ eingewiesen. Die ärztliche Einweisungsanordnung erfolgte als fürsorgerische Freiheitsentziehung im Sinne einer vorsorglichen Massnahme. Es lagen ihr mehrere Gefährdungsmeldungen zugrunde, wonach X.________ seine Ehefrau tätlich angegriffen, Sachen beschädigt, Drittpersonen bedroht und sich in einem insgesamt verwirrten Zustand befunden haben soll. 
 
B. 
Am 10. September 2010 entschied das Regierungsstatthalteramt Bern-Mittelland, (1.) dass X.________ zur Begutachtung für vorläufig sechs Wochen im Psychiatriezentrum P.________ zurückbehalten wird, (2.) dass X.________ nur mit Bewilligung des Regierungsstatthalteramtes entlassen werden darf und (3.) dass die Direktion der Klinik dem Regierungsstatthalteramt bis spätestens am 11. Oktober 2010 ein Gutachten zuzustellen hat, das sechs vorformulierte Fragen beantwortet, namentlich zum Zustandsbild und zur Diagnose sowie zur Notwendigkeit einer stationären Behandlung in einer psychiatrischen Klinik. X.________ war vor der Entscheidung angehört worden. 
 
C. 
X.________ legte gegen die Einweisungsanordnung und gegen den Entscheid des Regierungsstatthalteramtes kantonalen Rekurs ein. Nach Anhörung und Befragung von X.________ wies das Obergericht des Kantons Bern den Rekurs ab. Es stellte fest, dass die gesetzliche Frist von sechs Wochen am 17. Oktober 2010 abläuft (Urteil vom 14. September 2010). 
 
D. 
Mit Eingabe vom 21. September 2010 (Postaufgabe) erklärt X.________ (im Folgenden: Beschwerdeführer), er sehe keinen Grund, die Freiheitsentziehung weiter zu dulden. Er beantragt dem Bundesgericht damit sinngemäss seine Entlassung aus der psychiatrischen Klinik. Das Obergericht hat die kantonalen Akten eingereicht und stellt den Antrag, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Das Bundesgericht hat dem Beschwerdeführer die Vernehmlassung des Obergerichts angezeigt. Von Seiten des Regierungsstatthalteramtes ist keine Stellungnahme eingegangen. 
Erwägungen: 
 
1. 
Angefochten ist ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid (Art. 75 Abs. 1 BGG) betreffend fürsorgerische Freiheitsentziehung, gegen den die Beschwerde in Zivilsachen gegeben ist (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 6 BGG). Die fürsorgerische Freiheitsentziehung besteht für eine Dauer von sechs Wochen bis zum 17. Oktober 2010, so dass der Beschwerdeführer, der zur Zeit in der psychiatrischen Klinik gegen seinen Willen zurückbehalten wird, zur Beschwerde berechtigt ist (Art. 76 Abs. 1 BGG). Auf die Beschwerde kann eingetreten werden. 
 
2. 
Eine mündige oder entmündigte Person darf wegen Geisteskrankheit, Geistesschwäche, Trunksucht, anderen Suchterkrankungen oder schwerer Verwahrlosung in einer geeigneten Anstalt untergebracht oder zurückbehalten werden, wenn ihr die nötige persönliche Fürsorge nicht anders erwiesen werden kann (Art. 397a Abs. 1 ZGB). Die Zurückbehaltung in einer Anstalt kann nur unter den in Art. 397a Abs. 1 ZGB aufgeführten Voraussetzungen erfolgen. Wie bei der Einweisung in eine Anstalt ist somit auch bei der Zurückbehaltung des oder der Betroffenen als der anderen Form des Freiheitsentzuges das Prinzip der Verhältnismässigkeit zu berücksichtigen; vorausgesetzt ist mit anderen Worten, dass der oder die Betroffene infolge der im Gesetz umschriebenen Schwächezustände persönlicher Fürsorge bedarf, die ihm bzw. ihr nur in einer Anstalt gewährt werden kann. Zu berücksichtigen ist ferner die Belastung, welche die Person für ihre Umgebung bedeutet (Art. 397a Abs. 2 ZGB). Nach der ausdrücklichen Vorschrift des Art. 397a Abs. 3 ZGB muss denn auch die von der fürsorgerischen Freiheitsentziehung betroffene Person entlassen werden, sobald ihr Zustand es erlaubt (BGE 134 III 289 E. 4 S. 292). 
 
3. 
Gemäss Art. 397e Ziff. 5 ZGB darf bei psychisch Kranken nur unter Beizug von Sachverständigen entschieden werden. Ein Gutachten zum psychischen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers hat nicht vorgelegen. Das Obergericht hat den Beschwerdeführer vielmehr gerade zum Zweck der Begutachtung in die psychiatrische Klinik eingewiesen und die Zurückbehaltung für die Dauer von sechs Wochen bis zum 17. Oktober 2010 angeordnet. 
 
3.1 Wie das Bundesgericht bereits mehrfach entschieden hat, ist eine Einweisung zwecks Begutachtung der betroffenen Person mit Art. 397a Abs. 1 ZGB vereinbar, soweit eine fürsorgerische Freiheitsentziehung ernsthaft in Betracht gezogen werden kann, aber wichtige Grundlagen für einen definitiven Einweisungsentscheid fehlen. Die Einweisung zu diesem Zweck kommt somit nur infrage, wenn die Krankheitsursache des bereits festgestellten Verhaltens der betroffenen Person nur im Rahmen eines Aufenthalts in einer psychiatrischen Klinik sorgfältig abgeklärt werden kann. Die lediglich zur stationären Begutachtung eingewiesene Person darf nicht länger gegen ihren Willen in der Anstalt zurückbehalten werden, als es zur Begutachtung erforderlich ist (vgl. Urteil 5A_250/2010 vom 14. April 2010 E. 2.3 und Verfügung 5A_432/2010 vom 26. Juli 2010 E. 4.2; SPIRIG, Zürcher Kommentar, 1995, N. 114-117 und N. 285-290, und GEISER, Basler Kommentar, 2006, N. 16, je zu Art. 397a ZGB). 
 
3.2 Das Obergericht hat die Voraussetzungen einer vorsorglichen Einweisung zwecks psychiatrischer Begutachtung bejaht. Es hat dafürgehalten, sowohl die Meldungen von Nachbarn und der Ehefrau des Beschwerdeführers beim Sozialdienst als auch die polizeiliche Gefährdungsmeldung belegten in ihrer Gesamtheit wiederholte aggressive Ausbrüche des Beschwerdeführers und einen Verdacht auf einen abklärungsbedürftigen geistigen Schwächezustand. Gemäss Aufnahmebefund habe im Zeitpunkt der Einweisung der Verdacht auf eine emotional instabile Persönlichkeit bestanden. Die ärztliche Stellungnahme attestiere dem Beschwerdeführer weiter eine zunehmend paranoide Entwicklung mit aggressiven Entäusserungen unklarer Ursache. Eine Selbst- und Fremdgefährdung mit fehlender Krankheitseinsicht und Ablehnung einer Medikation sei danach nicht ausgeschlossen. An der Rekursverhandlung - so hat das Obergericht weiter dargelegt - seien die Bedenken betreffend das Vorliegen eines geistigen Schwächezustandes nicht zerstreut worden. Der Beschwerdeführer habe ein paranoides Verhalten mit aggressiven Zügen an den Tag gelegt. Ausserdem bestehe der Verdacht auf Cannabis-Missbrauch. Es stehe damit fest, dass auch heute noch der Verdacht auf eine psychische Erkrankung bestehe und diese mittels Begutachtung abgeklärt werden müsse. Eine stationäre Begutachtung sei angezeigt, weil der Beschwerdeführer im Falle einer ambulanten Behandlung/Begutachtung einerseits in alte (Krankheits-)Muster zurückfalle und andererseits auch entsprechende Termine nicht wahrnehmen würde (E. III S. 3 f. des angefochtenen Urteils). 
 
3.3 Auf Grund der obergerichtlichen Tatsachenfeststellungen und der weiteren Begleitumstände, wie sie den im angefochtenen Urteil verwiesenen Akten entnommen werden können, erscheint die fürsorgerische Freiheitsentziehung zwecks psychiatrischer Untersuchung nicht als bundesrechtswidrig: 
3.3.1 Behördliches Handeln war dringlich geboten. Nach Eingang mehrerer Gefährdungsmeldungen über gewalttätige Übergriffe des Beschwerdeführers auf Personen und Sachen suchte die zuständige Sozialkommission das Gespräch mit dem Beschwerdeführer. Da der Beschwerdeführer einer ersten Einladung auf den 2. September 2010 nicht nachkam, wurde er zu einer Besprechung auf den 9. September 2010 eingeladen. In der Zeit dazwischen häuften sich indes die Ereignisse bis hin zum Morgen des 6. September 2010, an dem der Beschwerdeführer dem Postboten ein Beil nachwarf. Am Abend des gleichen Tages erging die ärztliche Einweisungsanordnung (vgl. act. 23, Bericht der Sozialkommission). Dass der Beschwerdeführer das Beil nach eigenen Angaben nur dem Auto des wegfahrenden Postboten und nicht dem Postboten selbst nachgeworfen haben will (act. 9, E. 4 S. 2 der Verfügung des Regierungsstatthalteramtes), ändert nichts daran, dass ein dringender und ausreichender Grund dafür bestand, den zur Gewalttätigkeit neigenden Beschwerdeführer sofort ärztlich untersuchen zu lassen und zu diesem Zweck vorläufig gegen seinen Willen in einer Anstalt unterzubringen. 
3.3.2 Die Einweisung erfolgte auf Grund medizinischer Beurteilungen und Abklärungen. Die Einweisungsanordnung vom 6. September 2010 wurde von einem Arzt mit Praxisbewilligung erlassen (act. 17). Am Abend des gleichen Tages nahm ein Assistenzarzt des Psychiatriezentrums den Status auf und beurteilte den Beschwerdeführer als "emotional instabile Persönlichkeit" (act. 51). Zwei Tage später bestätigte ein Oberarzt des Psychiatriezentrums eine offenbar "seit 2 Jahren zunehmende paranoide Entwicklung mit aggressiven Entäusserungen" (act. 65). Der ernsthafte Verdacht, beim Beschwerdeführer bestehe eine psychische Erkrankung, die durch Sachverständige umfassend und vertieft abgeklärt werden müsse, wie auch die vorläufige Einweisung zwecks Begutachtung für eine zeitlich begrenzte Dauer beruhen somit auf einem allgemein- und fachärztlichen Befund, von dem abzuweichen ein sachlicher Grund weder ersichtlich noch dargetan ist. 
3.3.3 Die zeitlich befristete Unterbringung in einer Anstalt ist notwendig, zumal die Begutachtung ambulant nicht durchgeführt werden kann. Seit der Trennung von seiner Frau und den drei Kindern im Sommer 2010 lebt der Beschwerdeführer offenbar allein auf seinem Bauernhof. Zu einem sozialen Netz und zu Kontakten zu Eltern und Brüdern oder anderen Bezugspersonen hat der Beschwerdeführer ausdrücklich keine Angaben machen wollen (act. 75, S. 3 des Protokolls vom 14. September 2010). Gemäss der Mitteilung seiner Ehefrau hat der Beschwerdeführer zu niemandem mehr Kontakt, weder zu seinen Freunden noch zu seinem Bruder oder zu seinen Eltern (act. 27, Telefonnotiz vom 6. September 2010). In Anbetracht dessen kann die Annahme nicht beanstandet werden, es sei kein soziales Umfeld vorhanden, das für eine ambulante Begutachtung Gewähr bieten könnte. Es kommt hinzu, dass der Beschwerdeführer seiner Meinung nach nicht krank ist (act. 75, S. 3 des Protokolls vom 14. September 2010) und dass ihm gemäss Arztbericht vom 8. September 2010 die Krankheitseinsicht fehlt (act. 65). Auch unter diesem Blickwinkel durfte angenommen werden, eine ambulante Begutachtung sei nicht erfolgversprechend und die vorläufige Einweisung in eine Anstalt zur Untersuchung erforderlich. 
 
3.4 Was der Beschwerdeführer vor Bundesgericht gegen die Beurteilung einwendet, ist unbegründet: 
3.4.1 Entgegen seiner Darstellung wurde der Beschwerdeführer im Verfahren sowohl vor dem Regierungsstatthalter (act. 13-15, Protokoll vom 10. September 2010) als auch vor Obergericht (act. 73-77, Protokoll vom 14. September 2010) angehört. Er hat sich dabei umfassend zu seiner Einweisung, zum Verdacht einer psychischen Krankheit und zur Notwendigkeit einer Begutachtung in der Anstalt äussern können. Richtig ist, dass er dabei Schriftstücke, insbesondere betreffend Diebstahlsanzeigen und betreffend Scheidung bzw. Trennung von seiner Ehefrau nicht vorlegen konnte. Die entsprechenden Belege durften jedoch ohne weiteres als unerheblich betrachtet werden für die Beurteilung der Frage, ob der psychische Gesundheitszustand des Beschwerdeführers im Rahmen eines Anstaltsaufenthalts begutachtet werden muss. 
3.4.2 Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, der zuständige Arzt sei befangen, zumal Dr. D.________ seine Sicht nicht wahrnehme und den Fall voreingenommen bewerte. Bei Dr. D.________ handelt es sich um den Oberarzt des Psychiatriezentrums, der den Bericht vom 8. September 2010 unterzeichnet hat (act. 65). Inwiefern der genannte Arzt befangen sein könnte, ist weder ersichtlich noch dargetan. Hervorzuheben ist, dass es sich nicht um den Sachverständigen im Sinne von Art. 397e Ziff. 5 ZGB gehandelt hat, sondern um einen behandelnden Arzt und damit einen Zeugen oder eine Auskunftsperson mit Fachkenntnissen. 
3.4.3 Schliesslich rügt der Beschwerdeführer den Vollzug seiner Einweisung vom 6. September 2010 als unverhältnismässig. Da der Beschwerdeführer an den Tagen vor der Einweisung durch sein aggressives Verhalten gegenüber Personen und Sachen aufgefallen ist und noch am Morgen des 6. September 2010 dem Postboten ein Beil nachgeworfen hat, erscheint es nicht als unverhältnismässig, dass ihn die Behörden am Abend des 6. September 2010 mit einem starken Aufgebot zu Hause abgeholt haben. Weitere Rügen erhebt der Beschwerdeführer in der Sache nicht. Er wendet namentlich nichts gegen die vorgesehene Dauer seines Aufenthalts in der Klinik zwecks Begutachtung ein. Das Bundesgericht hat sich deshalb zur Frage nicht zu äussern, inwiefern die angeordnete Befristung auf sechs Wochen bundesrechtlichen Anforderungen genügt (Art. 42 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389; 135 III 397 E. 1.4 S. 400 f.). 
 
3.5 Aus den dargelegten Gründen muss die Beschwerde abgewiesen werden, soweit darauf einzutreten ist. Auf die Erhebung von Gerichtskosten wird angesichts der finanziellen Situation des Beschwerdeführers verzichtet (vgl. Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht geschuldet (vgl. Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Regierungsstatthalteramt Bern-Mittelland und dem Obergericht des Kantons Bern, kantonale Rekurskommission für fürsorgerische Freiheitsentziehungen, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 14. Oktober 2010 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber: 
 
Hohl von Roten