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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
2C_937/2012  
   
   
 
 
 
 
Urteil vom 31. Mai 2013  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Zünd, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, Kneubühler, 
Gerichtsschreiberin Dubs. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________,  
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Eidgenössische Steuerverwaltung, Hauptabteilung Mehrwertsteuer, Schwarztorstrasse 50, 3003 Bern.  
 
Gegenstand 
Mehrwertsteuer; Beginn Steuerpflicht, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung I, vom 20. August 2012. 
 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
X.________ führt seit 1991 ein Advokatur- und Notariatsbüro in A.________/BE. Während einiger Jahre bis Ende 2010 bezog sie offenbar eine 50%ige Invalidenrente und bezieht heute eine AHV-Rente, wobei sie weiterhin zu 50% berufstätig ist. 
 
 Mit Schreiben vom 25. Mai 2010 ersuchte X.________ die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit als Rechtsanwältin und Notarin um Eintragung ins Register der Mehrwertsteuerpflichtigen per 1. Juli 2010 und reichte unter anderem den ausgefüllten und mit 23. Juni 2010 datierten "Fragebogen zur Abklärung der Mehrwertsteuerpflicht" ein. Gestützt auf die im Fragebogen enthaltenen Umsatzangaben betreffend die Jahre 2004 bis 2008 teilte die ESTV X.________ am 15. Juli 2010 mit, die Eintragung erfolge rückwirkend auf den 1. Januar 2007. Bereits am 13. Juli 2010 hatte ihr die ESTV, rückwirkend auf den 1. Januar 2007, die vereinfachte Abrechnung mit der Saldosteuersatzmethode zu einem Satz von 6% bewilligt. 
 
 Mit Eingabe vom 15. August 2010 ersuchte X.________ die ESTV um "Überprüfung der Unterstellung unter die Mehrwertsteuerpflicht", wobei sie insbesondere für die Jahre 2007 und 2008 gegenüber ihren Angaben im Fragebogen vom 23. Juni 2010 reduzierte Umsatzzahlen geltend machte und zusätzlich den im Jahr 2009 erzielten Umsatz bekannt gab. 
 
B.  
Die ESTV stellte mit Verfügung vom 21. Februar 2011 fest, X.________ sei zu Recht rückwirkend auf den 1. Januar 2007 ins Register der Mehrwertsteuerpflichtigen eingetragen worden. 
 
 Die dagegen erhobene Einsprache hiess die ESTV mit Entscheid vom 23. Juni 2011 gestützt auf neue (reduzierte) Umsatzangaben von X.________ vom 25. Mai 2011 sowie vom 7. Juni 2011 teilweise gut, unterstellte X.________ rückwirkend erst auf den 1. Januar 2008 der Mehrwertsteuerpflicht (Ziff. 2) und setzte die für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis zum 31. Dezember 2009 geschuldete Mehrwertsteuer auf Fr. 8'637.-- zuzüglich Verzugszins ab 31. Mai 2009 fest (Ziff. 3). 
 
C.  
Mit Beschwerde vom 25. August 2011 an das Bundesverwaltungsgericht beantragte X.________ die Aufhebung der Ziffern 2 und 3 des Dispositives des Einspracheentscheids. Sie machte geltend, sie sei vor dem Jahre 2010 zu keinem Zeitpunkt mehrwertsteuerpflichtig gewesen. Zur Begründung brachte sie unter anderem und erstmals vor, die bei ihr mit einem Teilzeitpensum angestellte Y.________ sei in den Räumen der Kanzlei teilweise auch selbständig erwerbstätig gewesen. So habe Y.________ dort den "Q.________ " betrieben und dabei für verschiedene Kunden hauptsächlich Dienstleistungen im administrativen Bereich erbracht. Die von Y.________ selbständig erzielten Einnahmen seien daher von den im Einspracheverfahren am 25. Mai 2011 sowie am 7. Juni 2011 gemachten Umsatzangaben in Abzug zu bringen. 
 
 Mit Vernehmlassung vom 10. November 2011 beantragte die ESTV eine reformatio in peius des Einspracheentscheids. Es sei festzustellen, dass X.________ rückwirkend auf den 1. Januar 2007 der Mehrwertsteuerpflicht unterliege. Ausserdem sei für die Steuerperioden 1. Semester 2007 bis 2. Semester 2009 unter Vorbehalt einer Kontrolle durch die ESTV auf eine Nachforderung von Fr. 16'618.-- Mehrwertsteuer zuzüglich Verzugszins von 5% ab 31. Dezember 2008 bis 31. Dezember 2009 sowie von 4,5% ab 1. Januar 2010 zu erkennen. Zur Begründung führte die ESTV aus, sie habe es bei ihrer Berechnung der massgeblichen Umsätze irrtümlicherweise unterlassen, die Debitoren per 31. Dezember jeweils im Folgejahr zum verbuchten Ertrag hinzuzurechnen. 
 
 Das Bundesverwaltungsgericht wies mit Urteil vom 20. August 2012 die Beschwerde von X.________ ab, hob den Einsprachenentscheid der ESTV auf und hielt fest, X.________ schulde für die Steuerperioden 1. Semester 2007 bis 2. Semester 2009 Fr. 16'618.-- Mehrwertsteuer zuzüglich gesetzlich geschuldeter Verzugszins. 
 
D.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 24. September 2012 beantragt X.________, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. August 2012 aufzuheben und der Beschwerde aufschiebende Wirkung zu erteilen. In der Folge ersuchte sie zudem um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung. 
 
 Die Eidgenössische Steuerverwaltung schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden kann. Das Bundesverwaltungsgericht verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
E.  
Mit Verfügung vom 19. Oktober 2012 erteilte der Präsident der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts der Beschwerde die aufschiebende Wirkung. 
 
 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Gegen verfahrensabschliessende Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht gegeben (Art. 82 lit. a i.V.m. Art. 83, Art. 86 Abs. 1 lit. a sowie Art. 90 BGG). Die Beschwerdeführerin ist im vorinstanzlichen Verfahren unterlegen und damit zur vorliegenden Beschwerde legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdeführerin beschränkt sich im Verfahren vor Bundesgericht darauf, die Aufhebung des angefochtenen Entscheids zu beantragen. Abgesehen davon, dass ein solcher kassatorischer Antrag im Rahmen der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten grundsätzlich zulässig wäre (BGE 133 II 409 E. 1.4 S. 414 f. mit Hinweisen), ergibt sich aus der Begründung der Beschwerde, dass sie eine Befreiung von der Steuerpflicht verlangt. Auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten (vgl. Art. 100 bzw. Art. 42 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Mit der Beschwerde kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 und 96 BGG geltend gemacht werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann die Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen, und es kann eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Trotz Rechtsanwendung von Amtes wegen prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), an sich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389; 134 III 102 E. 1.1 S. 104; 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).  
 
2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil grundsätzlich den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen, soweit rechtserheblich, können nur gerügt werden, falls sie offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 97 Abs. 1 BGG). Dies ist dann der Fall, wenn der Sachverhalt willkürlich ermittelt worden ist (Art. 9 BV) oder die Sachverhaltsfeststellungen unter Verletzung verfassungsmässiger Rechte und Grundsätze zustande gekommen sind (BGE 135 II 145 E. 8.1 S. 153; Urteil 2C_747/2010 vom 7. Oktober 2011 E. 1.2). Auf rein appellatorische Kritik an der Sachverhaltsermittlung oder der Beweiswürdigung tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 136 II 101 E. 3 S. 104 f.).  
 
2.3. Gemäss Art. 99 Abs. 1 BGG dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nur soweit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt. Dabei hat ein Beschwerdeführer, der sich auf diese Ausnahmeregel beziehen will, klar aufzuzeigen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Berücksichtigung neuer Tatsachen und Beweismittel erfüllt sind.  
 
3.  
 
3.1. Im Streit liegt die subjektive Mehrwertsteuerpflicht und, damit verbunden, die Steuerforderung der ESTV gemäss Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. August 2012. Betroffen sind die Steuerjahre 2007 bis 2009. Damit kommt in der Sache selbst das Bundesgesetz vom 2. September 1999 über die Mehrwertsteuer (aMWSTG; AS 2000 1300; in Kraft ab 1. Januar 2001) zur Anwendung. In der Folge ist am 1. Januar 2010 das Mehrwertsteuergesetz vom 12. Juni 2009 (MWSTG; SR 641.20) in Kraft getreten. Gemäss Art. 112 Abs. 1 der Novelle sind jedoch die bisherigen gesetzlichen Bestimmungen, also jene gemäss aMWSTG, sowie die gestützt darauf erlassenen Vorschriften - mit hier nicht interessierenden Ausnahmen - weiterhin auf alle während ihrer Geltungsdauer eingetretenen Tatsachen und entstandenen Rechtsverhältnisse anwendbar (Urteil 2C_650/2011 vom 16. Februar 2012 E. 1.4.1 mit Hinweis).  
 
3.2. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist das neue Recht gemäss Art. 113 Abs. 3 MWSTG - vorbehältlich der Bezugsverjährung von Art. 91 MWSTG, die hier keine Rolle spielt - auf sämtliche im Zeitpunkt des Inkrafttretens hängigen Verfahren anwendbar.  
 
4.  
 
4.1. Die Vorinstanz hat die rechtlichen Grundlagen betreffend Steuerobjekt (Art. 5 aMWSTG), subjektive Steuerpflicht (Art. 21 aMWSTG), Ausnahme von der subjektiven Steuerpflicht (Art. 25 Abs. 1 Bst. a aMWSTG und Art. 21 Abs. 3 aMWSTG), Beginn der Steuerpflicht (Art. 21 Abs. 1 aMWSTG und Art. 28 Abs. 3 aMWSTG) sowie die der steuerpflichtigen Person obliegenden Pflichten (Art. 46 f. aMWSTG) und die diesbezügliche Rechtsprechung korrekt dargelegt. Sie hat sodann ausführlich aufgezeigt, nach welchen Kriterien zu beurteilen ist, ob ein oder zwei Steuersubjekte vorliegen, und wie sich bestimmt, ob eine Tätigkeit im mehrwertsteuerlichen Sinn als selbständig oder unselbständig anzusehen ist. Auch diese Ausführungen sind nicht zu beanstanden. Es kann darauf verwiesen werden.  
 
4.2. Die Vorinstanz hat sodann festgestellt, in welcher Weise die Beschwerdeführerin und Y.________ zusammenarbeiteten. Sie hat detailliert dargelegt, wie die Einnahmen buchhalterisch behandelt wurden und insbesondere wie der Auftritt der Beschwerdeführerin und Y.________ gegenüber Dritten erfolgte.  
 
 Diese sachverhaltlichen Feststellungen der Vorinstanz werden durch die Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht widerlegt. Sie wirft zwar der Vorinstanz vor, den Sachverhalt unrichtig festgestellt zu haben. Ihre Ausführungen betreffend gegenseitige Abrechnungen, die Tragung des unternehmerischen Risikos und die von ihr genannten Beispiele bezüglich einzelner Rechnungsstellungen vermögen jedoch nicht aufzuzeigen, dass die Feststellungen der Vorinstanz offensichtlich unrichtig sind. Soweit sie sich auf vor dem Bundesverwaltungsgericht aufgelegte Beweismittel bezieht, wurden diese im vorinstanzlichen Verfahren bereits gewürdigt und ergibt sich daraus nichts zu Gunsten der Beschwerdeführerin. So ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass auf der Rechnung mit dem Briefkopf "Q.________" vom 24. Oktober 2007 als Beilage ein auf die Beschwerdeführerin lautender Einzahlungsschein aufgeführt ist, was gerade nicht auf eine mehrwertsteuerlich selbständige Tätigkeit von Y.________ hindeutet. Soweit die Beschwerdeführerin vor Bundesgericht neue Belege einreicht, handelt es sich um unzulässige Nova (vgl. E. 2.3). Die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen sind demnach für das Bundesgericht verbindlich. 
 
4.3. Die Vorinstanz hat gestützt auf den von ihr ermittelten Sachverhalt erwogen, dass die Beschwerdeführerin zu Recht als mehrwertsteuerpflichtig erachtet wurde und die Berechnung der Steuer korrekt war.  
Die Beschwerdeführerin rügt diesbezüglich einzig die Aufrechnung von Debitoren. Ihren Überlegungen kann nicht gefolgt werden. Sie übersieht, dass sie nach vereinnahmten Entgelten abrechnete, weshalb der Debitorenbestand Ende Jahr nicht in den steuerbaren Umsatz einfloss. Bei dieser Abrechnungsmethode ist jedoch die Veränderung des Debitorenbestandes von einem Jahresabschluss zum anderen für die Berechnung des steuerbaren Umsatzes relevant. So bedeutet eine Abnahme des Debitorenbestandes, dass während des laufenden Jahres entsprechende Verbindlichkeiten tatsächlich realisiert wurden. Entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin hat dies nichts mit einer Verletzung kaufmännischer Buchführungsregeln zu tun. Die vorinstanzlichen Ausführungen sind demnach nicht zu beanstanden. 
 
5.  
 
5.1. Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und ist abzuweisen.  
 
5.2. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdeführerin die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens zu tragen (Art. 66 Abs. 1 i.V.m. Art. 65 BGG). Sie hat zwar um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung ersucht. Diese setzt gemäss Art. 64 Abs. 1 BGG kumulativ die Bedürftigkeit der ersuchenden Partei (BGE 135 I 221 E. 5.1 S. 223) und die fehlende Aussichtslosigkeit ihres Rechtsbegehrens voraus (BGE 138 III 217 E. 2.2.4 S. 218; zum Ganzen: Urteil 2C_769/2012 vom 22. Oktober 2012 E. 4.3 mit Hinweisen). Aufgrund der eindeutigen Rechtsprechung des Bundesgerichts war das Rechtsbegehren der Beschwerdeführerin aussichtslos, weshalb ihrem Gesuch nicht entsprochen werden kann. Den finanziellen Verhältnissen der Beschwerdeführerin wird indessen bei der Bemessung der Gerichtsgebühr Rechnung getragen (Art. 65 Abs. 2 BGG).  
 
 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Eidgenössischen Steuerverwaltung und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung I, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 31. Mai 2013 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Zünd 
 
Die Gerichtsschreiberin: Dubs