Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
I 736/02 
 
Urteil vom 13. Februar 2003 
III. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiber Widmer 
 
Parteien 
F.________, 1952, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Jürg K. Schlatter, Hauptstrasse 84, 8280 Kreuzlingen, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons Thurgau, St. Gallerstrasse 13, 8500 Frauenfeld, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau, Weinfelden 
 
(Entscheid vom 16. September 2002) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die 1952 geborene F.________ musste sich in den Jahren 1996 und 1998 wegen eines Karpaltunnelsyndroms an beiden Händen operativen Eingriffen unterziehen. Ab 1. Oktober 1996 war sie teilzeitlich (19,25 Stunden in der Woche) als Raumpflegerin bei der Firma A.________ AG tätig. Ab 3. Juli 1998 blieb sie aus gesundheitlichen Gründen der Arbeit fern, worauf die Arbeitgeberfirma das Anstellungsverhältnis auf Ende November 1998 auflöste. 
 
Am 11. Januar 2000 meldete sich F.________ bei der Invalidenversicherung zum Rentenbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Thurgau holte nebst einer Auskunft der Firma A.________ AG (vom 27. April 2000) Berichte des Dr. med. H.________ vom 24. Januar und 30. Mai 2000 ein, veranlasste eine polydisziplinäre Untersuchung der Versicherten im Begutachtungsinstitut Y.________ (Expertise vom 27. Oktober 2000) und traf Abklärungen zu den Einschränkungen bei der Besorgung des Haushalts (Bericht vom 23. März 2001). Mit Verfügung vom 19. März 2002 sprach die IV-Stelle F.________ ab 1. Juli 1999 bei einem Invaliditätsgrad von 45 % eine Viertelsrente der Invalidenversicherung zu, wobei sie festhielt, dass bei Vorliegen eines wirtschaftlichen Härtefalls Anspruch auf eine halbe Invalidenrente bestehe. 
B. 
F.________ liess Beschwerde führen, mit der sie die Aufhebung der Verwaltungsverfügung und die Zusprechung einer ganzen Invalidenrente rückwirkend ab 1. Oktober 1997, eventuell die Rückweisung der Sache zu neuer Entscheidung an die IV-Stelle, beantragte. Mit der Replik legte sie ein Schreiben des Dr. H.________ vom 4. Juni 2002 auf. Mit Entscheid vom 16. September 2002 wies die AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau die Beschwerde ab. 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt die Versicherte den vorinstanzlich gestellten Hauptantrag erneuern. Eventuell sei ihr vom 1. Oktober 1997 bis 30. Juni 1998 eine halbe, anschliessend eine ganze Invalidenrente zuzusprechen. Subeventuell sei die Sache zu neuer Entscheidung an die kantonale Rekurskommission zurückzuweisen. 
 
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Invaliditätsbegriff (Art. 4 Abs. 1 IVG), den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG), die Bemessung des Invaliditätsgrades bei Erwerbstätigen nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 28 Abs. 2 IVG), die Ermittlung des hypothetischen Invalideneinkommens anhand von Tabellenlöhnen bei Versicherten, die nach Eintritt des Gesundheitsschadens keine (neue) Erwerbstätigkeit aufgenommen haben (BGE 126 V 76 Erw. 3b/bb), und die zulässigen Abzüge von den herangezogenen Tabellenlöhnen (BGE 126 V 79 Erw. 5b), die Entstehung des Rentenanspruchs (Art. 29 Abs. 1 IVG) sowie die Bedeutung ärztlicher Auskünfte für die Belange der Invaliditätsbemessung (BGE 115 V 133 Erw. 2, 105 V 156 Erw. 1) zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen werden. 
 
Zu ergänzen ist, dass das am 1 Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 19. März 2002) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b). 
2. 
Streitig und zu prüfen sind Beginn und Umfang des Rentenanspruchs. 
3. 
3.1 Hinsichtlich des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit stellte die Vorinstanz auf das Gutachten des Begutachtungsinstituts Y.________ vom 27. Oktober 2000 ab, worin festgehalten wurde, die Beschwerdeführerin sei als Raumpflegerin seit 2. Juli 1998 hälftig arbeitsunfähig. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird eingewendet, die Leistungsfähigkeit der Versicherten sei schon seit Anfang Oktober 1996 erheblich eingeschränkt, weshalb sie bei der Firma A.________ AG lediglich eine Teilzeitbeschäftigung aufgenommen habe. 
3.2 Die Darstellung der Beschwerdeführerin wird durch das vorinstanzlich eingereichte Schreiben des Dr. med. H.________ vom 4. Juni 2002 bestätigt. Der Arzt erklärte, die Versicherte habe seit Mai 1995 wegen progredienter Beschwerden in seiner Behandlung gestanden. Am 6. August 1996 sei ein Karpaltunnelsyndrom links operiert worden. Aus diesen Gründen habe sie nur eine "reduzierte Stelle von 3 Stunden pro Tag angenommen". Darüber hinaus finden sich weitere Indizien dafür, dass die Einsatzfähigkeit der Beschwerdeführerin bereits vor dem 2. Juli 1998 aus gesundheitlichen Gründen wesentlich beeinträchtigt war. So wies Dr. H.________ bereits im Bericht vom 24. Januar 2000 darauf hin, dass er die Versicherte wegen therapieresistenter rheumatischer Beschwerden mit Hauptproblem eines Karpaltunnelsyndroms links im April 1996 Dr. T.________ überwiesen habe. Nach den Operationen 1996 und 1998 sei das Beschwerdebild jedoch gleich geblieben mit Schmerzen in Händen und Armen und Kraftlosigkeit in den Armen. Schliesslich ergibt sich auch aus dem Austrittsbericht der Höhenklinik X.________ (vom 4. Mai 1999), wo die Versicherte vom 1. Februar bis 2. März 1999 hospitalisiert war, dass seit Mitte 1996 zunehmende Schmerzen in den oberen Extremitäten, im Bereich des Schultergürtels, des Rückens mit zerviko-okzipitalen Kopfschmerzen sowie im Rumpf- und Beckenbereich auftraten. 
3.3 Angesichts der klaren Aussagen des Dr. H.________ vom 4. Juni 2002 und der in den zitierten Arztberichten enthaltenen (anamnestischen) Feststellungen, die auf eine erhebliche Einschränkung der Arbeitsfähigkeit bereits ab 1996 hindeuten, drängen sich ergänzende Abklärungen zum Beginn der Arbeitsunfähigkeit auf. Die Sache wird zu diesem Zweck an die IV-Stelle zurückgewiesen. Mit Blick auf einen allfälligen früheren Rentenbeginn kann der Beschwerdeführerin nicht entgegengehalten werden, dass sie sich erst am 11. Januar 2000 und somit verspätet (Art. 48 Abs. 2 IVG) zum Rentenbezug angemeldet habe. Denn sie hatte sich bereits am 28. Oktober 1998 zum Bezug eines Hilfsmittels bei der Invalidenversicherung angemeldet und damit ihre Rechte in Bezug auf sämtliche zu jenem Zeitpunkt in Betracht fallenden Leistungen gewahrt, auch wenn diese im Anmeldeformular nicht im Einzelnen aufgeführt wurden (BGE 101 V 112 Erw. a), dies unter Vorbehalt der Verwirkung des Nachzahlungsanspruchs (BGE 121 V 195). 
3.4 Die Stellungnahme der Ärzte des Begutachtungsinstituts Y._______ zum Grad der Arbeitsunfähigkeit und zu den zumutbaren Arbeitsleistungen ab Juli 1998 beruht auf den gesamten medizinischen Unterlagen und umfassenden polydisziplinären Abklärungen. Die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde in diesem Zusammenhang vorgetragene Kritik ist unbegründet und beschlägt im Wesentlichen Punkte, mit welchen sich die Rekurskommission bereits einlässlich auseinandergesetzt hat. Von einer willkürlichen Beweiswürdigung durch die Vorinstanz kann nicht gesprochen werden. Ein Anlass, zum Grad der Arbeitsunfähigkeit ab Juli 1998 weitere medizinische Abklärungen zu treffen, besteht nicht. Insbesondere ist auf die Einholung eines zusätzlichen Gutachtens angesichts der hinreichend schlüssigen Aktenlage zu verzichten, da hievon keine neuen Erkenntnisse erwartet werden können. 
4. 
Beim Einkommensvergleich ging die Vorinstanz davon aus, dass die Beschwerdeführerin in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Reinigerin bei der Firma A.________ AG im Jahre 1999 mit einem Vollzeitpensum Einkünfte von Fr. 38'195.- erzielt hätte. Diesem hypothetischen Einkommen ohne Invalidität stellte sie ein Invalideneinkommen von Fr. 22'042.-, entsprechend 50 % des Durchschnittslohn für einfache und repetitive Arbeiten gemäss Lohnstrukturerhebung (LSE) des Bundesamtes für Statistik gegenüber. Aus dem Vergleich dieser beiden hypothetischen Einkommen resultierte eine Erwerbseinbusse von 42,3 %. 
Wie in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde richtig eingewendet wird, liegt das auf ein Jahr umgerechnete Einkommen, das die Versicherte bei der Firma A.________ AG hätte erzielen können (Fr. 38'195.-), um über 13 % unter dem von der Rekurskommission als massgebend erachteten Tabellenlohn von Fr. 44'084.-. Bezog indessen eine versicherte Person vor Eintritt des Gesundheitsschadens aus invaliditätsfremden Gründen ein deutlich unter den branchenüblichen Ansätzen liegendes Gehalt, ist diesem Umstand auch bei der Festsetzung des Invalideneinkommens Rechnung zu tragen. Im Rahmen des Einkommensvergleichs sind daher die invaliditätsfremden Gesichtspunkte überhaupt nicht oder dann bei beiden Vergleichsgrössen gleichmässig zu berücksichtigen (RKUV 1993 Nr. U 168 S. 103 Erw. 5b; ZAK 1989 S. 458 Erw. 3b; Urteil S. vom 29. August 2002, I 97/00). 
 
Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Verwaltung in ihrer neuen Verfügung beim Invalideneinkommen von einem um den prozentualen Unterschied zwischen dem Tabellenlohn und dem mutmasslichen Einkommen bei der Firma A.________ AG gekürzten Invalideneinkommen auszugehen haben wird. Denn es ist offensichtlich, dass die Beschwerdeführerin mangels Schulbildung, beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten vor Eintritt des Gesundheitsschadens erhebliche Lohneinbussen in Kauf nehmen musste, was eine Korrektur des Invalideneinkommens nach sich zieht. 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen, dass der Entscheid der AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau vom 16. September 2002 und die angefochtene Verwaltungsverfügung vom 19. März 2002 aufgehoben werden und die Sache an die IV-Stelle des Kantons Thurgau zurückgewiesen wird, damit diese, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Rentenanspruch neu verfüge. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Die IV-Stelle des Kantons Thurgau hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
4. 
Die AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben. 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau, der Ausgleichskasse des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 13. Februar 2003 
 
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: